OGH 10ObS13/15g

OGH10ObS13/15g24.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Ernst Bassler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Anatol Schürer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, 1021 Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 2014, GZ 11 Rs 107/14f‑16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. September 2014, GZ 11 Cgs 230/13y‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00013.15G.0324.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Bei dem am 21. August 1981 geborenen Kläger besteht eine angeborene Cerebralparese mit vorwiegend links betonter Spastik. Das Ausmaß der bereits bei Geburt vorliegenden Behinderung hat sich seit Beendigung der Schule im Juli 1996 bzw seit Eintritt in das Berufsleben nicht wesentlich verändert. Die aktuell bestehenden Leiden, Behinderungen und Einschränkungen haben weitestgehend zum Zeitpunkt des Eintritts ins Berufsleben bereits bestanden.

Zum Stichtag 1. April 2013 weist der Kläger 97 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Teilversicherung, 42 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit und 7 Monate einer Ersatzzeit auf.

Mit Bescheid vom 22. Juli 2013 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 19. März 2013 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab.

Die Vorinstanzen wiesen das auf Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren ab. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit setze voraus, dass sich der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten nach dem Beginn der Erwerbstätigkeit in einem für die Arbeitsfähigkeit wesentlichen Ausmaß verschlechtert habe, was beim Kläger nicht der Fall sei. Da der Kläger nicht 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben habe, komme auch ein Zuspruch nach § 255 Abs 7 iVm § 273 Abs 3 ASVG nicht in Betracht.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

In seinem Rechtsmittel wiederholt der Kläger seine Argumentation, dass dem „Herabsinken“ der Arbeitsfähigkeit eine Änderung der Rechtslage zum Nachteil des Versicherten (im Fall gleichbleibender Leistungsfähigkeit) gleichzuhalten sei. Im Fall des Klägers sei die Verschärfung durch Einführung des § 7 Abs 7 AlVG eingetreten: Dadurch sei er nach langer Zeit plötzlich und unvorhergesehen als arbeitsunfähig eingestuft worden und habe den Anspruch auf Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung verloren. In der Ungleichbehandlung von Versicherten, deren Leistungsfähigkeit herabgesunken sei, und solchen, die mit einer Verschlechterung der Rechtslage konfrontiert seien, liege eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Im Übrigen sei es auch gleichheitswidrig, dass ein Versicherter, dessen Leistungsfähigkeit nicht herabgesunken sei, 120 Beitragsmonate erwerben müsse.

Dem ist zu erwidern:

1. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bezweckt den Schutz des Versicherten vor den Auswirkungen einer körperlich oder geistig bedingten Herabsetzung seiner Arbeitsfähigkeit. Der Versicherungsfall kann nur dann eintreten, wenn während der versicherten Tätigkeit Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestanden hatte. Dagegen bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (RIS‑Justiz RS0085107 [T8]).

2. Für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung für Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) hat sich das AlVG stets an den Regelungen des Pensionsversicherungsrechts orientiert. So ist nach § 8 Abs 1 AlVG arbeitsfähig, wer nicht invalid und nicht berufsunfähig im Sinne des ASVG ist. Von der Frage der Arbeitsfähigkeit (§ 8 AlVG) zu unterscheiden ist jedoch die Frage der Verfügbarkeit iSd § 7 Abs 3 Z 1 AlVG, die ebenfalls eine Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld darstellt. Danach erfüllt ein Arbeitsloser die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit nur dann, wenn er sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält. Mit der vom Revisionswerber angesprochenen Novelle BGBl I 2007/104 wurde ab 1. 1. 2008 erstmals die Verfügbarkeit gesetzlich mit einer Mindeststundenanzahl festgesetzt (§ 7 Abs 7 AlVG). Das Mindestmaß an zeitlicher Verfügbarkeit, das bei Arbeitslosen jedenfalls notwendig ist, um Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe beanspruchen zu können, wurde mit 20 Stunden ‑ bei Arbeitslosen mit näher definierten Betreuungsverpflichtungen mit 16 Stunden ‑ pro Woche festgelegt. Anders als der Revisionswerber meint, steht diese Erschwerung der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung in keinem Zusammenhang mit der Frage des „Herabsinkens der Arbeitsfähigkeit“ als Voraussetzung für die Gewährung einer Pensionsleistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit. Die sozialrechtliche Absicherung von Personen, die bereits zu Beginn ihrer Erwerbstätigkeit objektiv kaum oder gar nicht arbeitsfähig waren, erfolgt grundsätzlich nicht über die Gewährung einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (10 ObS 6/14a).

3. Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung 10 ObS 6/14a ausführlich mit den Voraussetzungen für die Erlangung einer Pensionsleistung nach § 255 Abs 1 ‑ 4 ASVG einerseits und nach § 255 Abs 7 ASVG andererseits befasst und eine gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art 7 B‑VG verstoßende unsachliche Differenzierung verneint; die dort angeführte Argumentation gilt in gleicher Weise für die Berufsunfähigkeitspension.

Aus den in dieser Entscheidung angeführten Gründen besteht auch im vorliegenden Fall kein Anlass zu einer Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof.

4. Mangels erheblicher Rechtsfrage ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen

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