European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00179.23X.1025.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht
Spruch:
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 13. Juli 2023 zu 1 Ob 73/23a an den EuGH gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
[1] Die Klägerin beauftragte die Beklagte mit dem Engineering, der Konstruktion und FEM‑Berechnung (Konstruktionszeichnungen) für eine – von einem Drittunternehmen produzierte – Aufdrückbank. Grundlage waren zwei Angebote der Beklagten, auf die die Klägerin in ihren als „Bestellungen“ bezeichneten Schreiben vom 8. 5. 2017 und vom 22. 8. 2017 Bezug nahm. Die Bestellungen enthielten jeweils folgenden Hinweis: „Wir bestellen gemäß den Ihnen bekannten Einkaufsbedingungen (einzusehen auf unserer Homepage) und erwarten umgehend Ihre Auftragsbestätigung per E‑Mail.“ Als Lieferadresse war jeweils die Anschrift der Klägerin unter Hinweis auf die für die Warenübernahme vorgesehenen Zeiten genannt.
[2] Die den Bestellungen nicht angeschlossenen, aber auf der Internetseite der Klägerin abrufbaren, der Beklagten nicht bekannten Einkaufsbedingungen lauteten auszugsweise wie folgt:
„ERFÜLLUNGSORT: Erfüllungsort für alle sich aus diesem Vertrag ergebende Verpflichtungen ist die seitens [Klägerin] in der Bestellung angegebene Ort für die Lieferung der Ware oder die Leistungserbringung durch den Auftragnehmer. Zahlungsort ist der Standort von [Klägerin].(…)
31. RECHTSWAHL, GERICHTSSTAND: Für Streitigkeiten aus diesem Rechtsverhältnis mit einem Auftragnehmer mit Sitz innerhalb der Europäischen Union unterwerfen sich die Vertragsteile der Zuständigkeit des für [die Klägerin] örtlich und sachlich zuständigen Gerichtes. [Die Klägerin] ist jedoch berechtigt, nach eigener Wahl den Auftragnehmer auch an jedem anderen Gericht zu klagen, das nach nationalem oder internationalem Recht für den Auftragnehmer zuständig wäre. (...) Es gilt ausschließlich das Recht der Republik Österreich unter Ausschluss der Bestimmungen des internationalen Privatrechts.“
[3] Die Beklagte hakte bei den Bestellschreiben einzelne Punkte (Bestellpreis, Zahlungsbedingungen) ab, strich das Wort „Bestellung“ durch, ersetzte es durch „Auftragsbestätigung“ und retournierte die Dokumente mit der firmenmäßigen Zeichnung der Beklagten an die Klägerin.
[4] Die Durchführung der Berechnungen und Anfertigung der Konstruktionspläne erfolgte am Sitz der Beklagten in Deutschland.
[5] Die Unterlagen sollten der Klägerin auf Papier und elektronisch übermittelt werden. Im Zuge der Arbeiten einigte man sich auf eine digitale Übersendung per E‑Mail.
[6] Die Klägerinmacht mit ihrer beim Landesgericht Wiener Neustadt eingebrachten Klage Schadenersatzansprüche aufgrund behaupteter Schlechterfüllung der bei der Beklagten in Auftrag gegebenen Leistungen geltend. Die internationale Zuständigkeit ergebe sich aufgrund der in Pkt 31 der Einkaufsbedingungen getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung (Art 25 EuGVVO 2012) sowie des in Pkt 28 der Einkaufsbedingungen vereinbarten Liefer‑ als Erfüllungsort (Art 7 Nr 1 EuGVVO), mit dem sie auch auf die Begründung eines Gerichtsstands abgezielt habe.
[7] Die Beklagte wendet die internationale, örtliche und sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein. Sie bestreitet das Zustandekommen einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung, weil ihr die Einkaufsbedingungen nicht zur Kenntnis gebracht worden seien, sodass dem Schriftformgebot des Art 25 EuGVVO nicht entsprochen sei. Mangels Vorliegens einer gegenteiligen Vereinbarung liege der Erfüllungsort am Sitz der Beklagten, wo sie die Planungsdienstleistungen erbracht habe.
[8] Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück. Weder liege eine formwirksame Gerichtsstandsvereinbarung noch ein Erfüllungsort im Sprengel des angerufenen Gerichts vor.
[9] Das Rekursgericht bejahte hingegen die Zuständigkeit des Erstgerichts und verwarf die Unzuständigkeitseinrede. Ob im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 24. 11. 2022, C‑358/21 (Tilman) entgegen der bisherigen Rechtsprechung trotz fehlender Kenntnisnahme der Einkaufsbedingungen durch die Beklagte von einer formwirksamen Gerichtsstandsvereinbarung auszugehen sei, könne dahinstehen. Die Zuständigkeit des Erstgerichts ergebe sich nämlich schon nach Art 7 EuGVVO 2012. Die wiederholte Nennung der Adresse der Klägerin als Lieferadresse sei dahin zu verstehen, dass die Verpflichtung der Beklagten erst durch die Ablieferung der Dokumentation über die Planungsleistungen am Sitz der Klägerin erfüllt sei. Dieser sei daher als Erfüllungsort vereinbart und begründe den Wahlgerichtsstand nach Art 7 EuGVVO.
[10] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, die Klage mangels Vorliegens der inländischen Gerichtsbarkeit zurückzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Das Verfahren ist aus Anlass des Rechtsmittels zu unterbrechen.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Beklagte argumentiert, eine den Formerfordernissen des Art 25 EuGVVO entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung liege mangels tatsächlichen Zugangs der Einkaufsbedingungen nicht vor. Der bloße Hinweis auf deren Abrufbarkeit reiche nicht aus. Die Entscheidung C‑358/21 (Tilman) habe einen – hier nicht vorliegenden – elektronischen Vertragsabschluss betroffen. Ob eine Erfüllungsortvereinbarung wirksam zustande gekommen sei, müsse nach der lex causae beurteilt werden. Eine Rechtswahl zu Gunsten österreichischen Sachrechts liege mangels wirksamer Einbeziehung der Einkaufsbedingungen nicht vor. Nach dem daher anzuwendenden deutschen Recht hätten die Einkaufsbedingungen nicht Eingang in das Vertragsverhältnis gefunden. Selbst bei deren wirksamer Einbeziehung und Vereinbarung österreichischen Sachrechts liege keine Erfüllungsortvereinbarung nach Pkt 28. zu Gunsten des Sitzes der Klägerin vor, weil auf den Ort der Leistungserbringung durch die Beklagte abgestellt werde. Dieser – auch bei Fehlen einer Vereinbarung maßgebliche – Ort der Leistungserbringung liege in Deutschland. Die bloße Nennung einer Lieferadresse begründe keine Vereinbarung des Erfüllungsorts. Die vom Rekursgericht herangezogene Rechtsprechung, wonach die Vereinbarung der (Ab‑)Lieferung an einem bestimmten Ort einen vereinbarten Erfüllungsort an der Lieferadresse begründe, betreffe Kaufverträge und sei nicht auf Werkverträge anwendbar.
[13] 1. Im vorliegenden Fall ist der sachliche (Art 1 EuGVVO 2012) und zeitliche (Art 66 EuGVVO 2012) Anwendungsbereich der EuGVVO 2012 eröffnet.
[14] Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung schließt sowohl die allgemeine Zuständigkeit als auch die besonderen Zuständigkeitsregeln der EuGVVO 2012 – hier vor allem jene nach Art 7 EuGVVO 2012 – aus (RS0121674), sodass zunächst das Vorliegen einer Prorogation zu prüfen ist.
2. Gerichtsstandsvereinbarung – Art 25 EuGVVO
[15] 2.1 Gemäß Art 25 Abs 1 EuGVVO 2012 können die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbaren, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene oder eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss – soweit für den vorliegenden Fall relevant – entweder schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung geschlossen werden (Art 25 Abs 1 lit a EuGVVO 2012).
[16] 2.2 Dem Erfordernis der Schriftlichkeit ist entsprochen, wenn der Vertragstext ausdrücklich auf die AGB Bezug nimmt. Zusätzlich muss aber auch feststehen, dass der Partei die eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) tatsächlich zugegangen sind. Der Oberste Gerichtshof vertritt dazu in ständiger Rechtsprechung, dass die AGB, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, den Vertragspartnern spätestens im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegen müssen, damit eine Vereinbarung nach Art 25 EuGVVO zustande kommt. Es besteht für den anderen Vertragspartner keine Pflicht, sich die AGB zu verschaffen. Der Oberste Gerichtshof hat an dieser Ansicht ungeachtet gegenteiliger Stimmen in der Literatur, nach welchen bereits die Möglichkeit, dass sich der andere Vertragsteil den Text der Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch Rückfragen unschwer und prompt verschaffen kann, ausreichen soll, ausdrücklich festgehalten. Das entspricht auch dem Gedanken, dass diejenige Vertragspartei, die eine Vereinbarung über eine besondere Gerichtszuständigkeit erreichen will, dies der anderen Partei klar und deutlich offenzulegen hat (zuletzt 1 Ob 38/22b Rz 8 mwN).
[17] 2.3 In seiner Entscheidung vom 24. 11. 2022, C‑358/21 (Tilman) hatte sich der EuGH im Zusammenhang mit dem – auch in Art 23 Abs 1 Lugano‑II‑Übereinkommen gleichermaßen normierten – Schriftformgebot mit einem Hinweis auf AGB mittels Hyperlinks auseinanderzusetzen. In seiner Entscheidung gibt der Gerichtshof zunächst bestätigend seine Rechtsprechung zum Schriftformgebot wieder (Rn 36 ff) und hält fest, dass eine in AGB einer Partei enthaltene Gerichtsstandsklausel grundsätzlich genügt, wenn diese AGB auf der Rückseite des Vertrags abgedruckt sind und wenn dieser ausdrücklich auf die genannten AGB Bezug nimmt oder wenn die Parteien im Text ihres Vertrags auf ein Angebot Bezug genommen haben, das seinerseits ausdrücklich auf die AGB hinweist, sofern diesem deutlichen Hinweis von einer Partei bei Anwendung der normalen Sorgfalt nachgegangen werden kann und feststeht, dass die die Gerichtsstandsklausel enthaltenden AGB der anderen Partei tatsächlich zugegangen sind (Rn 40). Daran anknüpfend führt der EuGH aus, dass der Hinweis im schriftlichen Vertrag auf AGB durch Angabe des Hyperlinks zu einer Website, über die es grundsätzlich möglich ist, von diesen AGB Kenntnis zu nehmen, sofern dieser Hyperlink funktioniert und von einer Partei mit normaler Sorgfalt geöffnet werden kann, erst recht als Nachweis zu werten ist, dass diese Informationen zugegangen sind (Rn 51).
[18] Der EuGH hält daher grundsätzlich am Zugangserfordernis fest, lässt für dessen Nachweis aber ausreichen, wenn beim (deutlichen) Hinweis auf die AGB ein Hyperlink angegeben wird, sofern dieser funktioniert und von einer Partei mit normaler Sorgfalt geöffnet werden kann.
[19] Ob diese Rechtsprechung auf einen elektronischen Vertragsabschluss über das Internet beschränkt ist (so Piltz, IHR 2023, 120 [127]; aA: Krümmel, IWRZ 2023, 131 [Wiedergabe eines Hyperlinks im „schriftlichen Vertragstext“]; so wohl auch Finkelmeier, NJW 2023, 33 [37]) kann im vorliegenden Fall dahinstehen, weil bloß auf die über die Homepage einsehbaren Einkaufsbedingungen verwiesen wird, dieser Geltungshinweis aber keinen unmittelbar zu diesen führenden Hyperlink enthält, der die die Gerichtsstandsklausel beinhaltenden AGB (reproduzierbar) „zugänglich machen“ würde. Anhaltspunkte dafür, dass – entgegen der bisherigen Rechtsprechung (vgl 4 Ob 161/14a Pkt 5.1.) – der bloß generelle Hinweis auf die AGB schon zur Erfüllung des Nachweises des tatsächlichen Zugangs ausreichend wären, enthält die Entscheidung nicht.
[20] Der alleinige Hinweis auf die auf der Homepage abrufbaren Einkaufsbedingungen kann daher – anders als die Verweisung im Geltungshinweis durch Hyperlink (C‑358/21 [Tilman]) oder „click wrapping“ bei Vertragsabschluss im elektronischen Weg (C‑322/14 [El Majdoub]) – nicht als Nachweis einer klar und deutlich zum Ausdruck gekommen Willenseinigung ausreichen (vgl auch Finkelmeier, NJW 2023, 33 [37], der zum Schutz des Vertragspartners jedenfalls eine direkte Verlinkung des referenzierten Dokuments fordert).
[21] An diesem Ergebnis ändert auch die Annahme des Vertriebsleiters der Beklagten, dass die Einkaufsbedingungen der Klägerin auf das Vertragsverhältnis anzuwenden seien, nichts, weil auch diese nicht die Einhaltung der Schriftform begründen kann.
3. Gerichtsstand des Erfüllungsorts – Art 7 EuGVVO 2012
[22] 3.1 Wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, kann gemäß Art 7 Nr 1 lit a EuGVVO 2012 eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Orts verklagt werden, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Die Begriffe „Vertrag“ und „Ansprüche aus einem Vertrag“ sind nach der Rechtsprechung des EuGH unionsrechtlich autonom auszulegen, um die einheitliche Anwendung der Verordnung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Danach ist unter Vertrag jede von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung zu verstehen (10 Ob 56/22s Rz 22 mwN).
[23] 3.2 Ein Art 7 Nr 1 lit b erster Gedankenstrich EuGVVO zu unterstellender Kaufvertrag über bewegliche Sachen liegt hier nicht vor.
[24] 3.3 Vielmehr sind die vereinbarten Engineering-, Konstruktions‑ und Berechnungsleistungen für eine Aufdrückbank unter den Dienstleistungsbegriff des Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012 zu subsumieren. Der Dienstleistungsbegriff ist durch Rückgriff auf das übrige Unionsrecht so auszulegen, dass er alle Verträge erfasst, die eine tätigkeitsbezogene Leistung eines Selbständigen gegen Entgelt oder eine entgeltliche Herbeiführung eines bestimmten faktischen Erfolgs und – in Abgrenzung zum Arbeitsvertrag – nicht nur die schlichte Verrichtung einer Tätigkeit zum Gegenstand haben (10 Ob 56/22s Rz 24 mwN; RS0118508). Daher fallen auch statische Planungsleistungen (RS0118508 [T5]) oder andere Architektenleistungen (9 Ob 6/17y) darunter.
[25] Auch die Engineering‑, Konstruktions‑ und Berechnungsleistungen der Beklagten unterfallen daher dem Dienstleistungsbegriff des Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012.
[26] 3.4 Der Erfüllungsort ist bei Kauf‑ und Dienstleistungsverträgen autonom anhand tatsächlicher Kriterien zu bestimmen (RS0118507; RS0119733), sodass grundsätzlich dahinstehen kann, ob auf das Vertragsverhältnis deutsches oder österreichisches Recht anzuwenden ist.
[27] Die Bestimmung des Erfüllungsorts ist nach Möglichkeit aus dem Vertrag selbst abzuleiten. Bei einem Dienstleistungsvertrag ist auf der Grundlage dieses Vertrags der Ort zu ermitteln, an dem der Dienstleister seine Tätigkeit hauptsächlich vorzunehmen hatte. Dem liegt zugrunde, dass der vertragliche Erfüllungsort auf die räumliche Nähe abzielt und seinen Grund in der engen Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zur Entscheidung berufenen Gericht hat. Entscheidend ist die diesbezügliche Vereinbarung zwischen den Parteien (4 Ob 140/18v Pkt 4.4 mwN). Liegt keine ausdrückliche Erfüllungsortvereinbarung vor und kann der Erfüllungsort auch nicht sonst aus dem Vertrag bestimmt werden, ist der Ort der überwiegenden tatsächlichen Erbringung der charakteristischen Leistung maßgeblich (4 Ob 140/18v Pkt 4.6 mwN).
[28] Wie bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, ist – unabhängig von der Einbeziehung der Einkaufsbedingungen in das Vertragsverhältnis – keine Erfüllungsortvereinbarung anzunehmen.
[29] Erfüllungsort nach Pkt 28 der Einkaufsbedingungen ist „die (sic) seitens [der Klägerin] in der Bestellung angegebene Ort für die Lieferung der Ware oder die (sic) Leistungserbringung durch den Auftragnehmer“.
[30] Eine Warenlieferung liegt – unstrittig – nicht vor. Die Einkaufsbedingungen selbst stellen auf den Ort der Leistungserbringung ab. Die bloße Angabe oder Vereinbarung einer Lieferadresse – sofern man diese nicht ohnehin nur für eine hier nicht vorliegende Warenlieferung als relevant erachtete (vgl den Hinweis auf die Zeiten der Warenübernahme) – sagt darüber, wo die (charakteristische) Leistung des Vertrags tatsächlich zu erbringen ist, aber nichts aus. Nach dem klaren Wortlaut des Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012 ist nämlich – nicht nur bei Ermittlung des tatsächlichen Erfüllungsorts (so bereits 4 Ob 140/18v Pkt 4.8.1), sondern generell – auf die Erbringung der Dienstleistung und nicht auf die Lieferung (ihres Ergebnisses) abzustellen.
[31] Ein bestimmten Ort für die Leistungserbringung durch den Auftragnehmer enthalten aber weder die Einkaufsbedingungen noch die Bestellungen, sodass auf den Ort der tatsächlichen Erbringung der charakteristischen Leistung abzustellen ist. Da dieser in Deutschland liegt, ist ausgehend von dem bisher Gesagten der Wahlgerichtsstand des Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 nicht eröffnet.
[32] 3.5 Der Oberste Gerichtshof stellte aber im Zusammenhang mit der Entwicklung von Individualsoftware durch eine in Österreich tätige Klägerin für eine in Deutschland ansässige Beklagte an den EuGH folgendes Vorabentscheidungsersuchen (1 Ob 73/23a):
„Ist Art 7 Nr 1 lit b der Verordnung Nr 1215/2012/EU über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012) dahin auszulegen, dass sich bei einer Klage aus Vertrag der Erfüllungsort für die Entwicklung und den laufenden Betrieb einer auf die individuellen Bedürfnissen einer im Mitgliedstaat A (hier: Deutschland) ansässigen Bestellerin ausgerichteten Software an dem Ort befindet
a) an dem die hinter der Software stehende geistige Schöpfung ('Programmierung') durch das im Mitgliedstaat B (hier: Österreich) ansässige Unternehmen erbracht wird, oder
b) an dem die Software die Bestellerin erreicht, also abgerufen und zum Einsatz gebracht wird?“
[33] Der anfragende Senat ging davon aus, dass es bei Fehlen einer ausdrücklichen Erfüllungsortvereinbarung und mangels sonstiger Bestimmbarkeit aus dem Vertrag auf den Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung ankomme, was dafür spreche, den Erfüllungsort bei Software-Entwicklungsverträgen am Ort des Erbringens der geistigen Leistung und nicht am Ort des Abrufs und Einsatzes der Software anzunehmen. Allerdings werde in Teilen der Literatur auch die Ansicht vertreten, dass dann, wenn sich eine Dienstleistung auf einen bestimmten Ort beziehe, wie zB Planungsleistungen für ein Bauwerk, der Erfüllungsort jener Ort sei, auf den sich die Dienstleistung beziehe, auch wenn sie an einem anderen Ort (etwa im Büro des Architekten) erbracht werde; dies gelte entsprechend für alle Ausstattungs‑, Service‑, After‑Sales‑ und Wartungsverpflichtungen, die sich auf ein Bauwerk bezögen. Nicht ortsbezogene Dienstleistungen würden dort erbracht, wo sie den Gläubiger der Dienstleistung erreichten. Man könnte daher – so der anfragende Senat – einwenden, dass die geistige Leistung ausschließlich auf den deutschen Markt und die rechtlichen Vorgaben in Deutschland sowie auf die individuellen Bedürfnisse der dort ansässigen Beklagten ausgerichtet sei und dass die geistige Leistung ohne ihren Abruf und Einsatz keinen eigenständigen Wert habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die letztgenannten Erwägungen zur Annahme eines Erfüllungsorts in Deutschland führen. Dafür spräche auch das Argument, dass im konkreten Fall die Gerichte am Einsatzort der Software aufgrund der Sach‑ und Beweisnähe, die als Ziel dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts zugrunde liege, wohl besser geeignet wären, über inhaltliche Fragen der Vertragserfüllung zu entscheiden.
[34] Auch im hier zu beurteilenden Fall hat die Anknüpfung mangels Erfüllungsortvereinbarung grundsätzlich am Ort der Erbringung der charakteristischen Leistung zu erfolgen. Dies hätte die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Folge. Auch dagegen könnte man einwenden, die geistige Leistung der Beklagten sei zum Einsatz in Österreich vorgesehen und auf die Bedürfnisse der in Österreich tätigen Klägerin zugeschnitten. Auch die Beweisnähe der Gerichte am Einsatzort der Planungsleistungen würde für eine Zuständigkeit österreichischer Gerichte sprechen.
[35] Da dieselben Erwägungen zur Lösung der unionsrechtlichen Zuständigkeitsfrage auch für den vorliegenden Rechtsfall Bedeutung haben und der Oberste Gerichtshof von der allgemeinen Wirkung von Vorabentscheidungen des EuGH auszugehen und diese auch auf andere Fälle als den unmittelbaren Ausgangsfall anzuwenden hat, war das hier vorliegende Revisionsrekursverfahren aus prozessökonomischen Gründen bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH zu unterbrechen (RS0110583).
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