European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00102.23A.1019.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Jugendstrafsachen
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.
Über die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe und die Beschwerde hat das Oberlandesgericht Linz zu entscheiden.
Dem Angeklagtenfallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * T* des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (I.) und des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1 zweiter Fall, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (II.) schuldig erkannt.
[2] Danach hat eram 18. April 2023 in S*
I. eine fremde bewegliche Sache Gewahrsamsinhabern der Mittelschule S* mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er im Werkunterricht ein Cuttermesser einsteckte;
II. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe dem 13‑jährigen * L* eine fremde bewegliche Sache, nämlich Bargeld, mit dem Vorsatz abzunötigen versucht, sich oder einen Dritten durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er das zu Punkt I. an sich genommene Cuttermesser aus seiner Jackentasche nahm, die Klinge herausschob, das Messer an sein rechtes Bein in Richtung L* zeigend hielt und sagte: „Hey, gib mir dein Geld!“, woraufhin L* aus Angst sofort die Flucht ergriff.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und b, 10 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
[4] Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) vermisst zu Punkt I. des Schuldspruchs eine Begründung zu der vom Erstgericht getroffenen Feststellung, wonach das Cuttermesser nicht „völlig“ wertlos war (US 2 f). Dass ein im Werkunterricht einer Schule verwendetes, funktionsfähiges (US 3) Cuttermesser einen bloß geringen wirtschaftlichen Wert hat (vgl RIS‑Justiz RS0093645 [T1]), bildet jedoch eine offenkundige (notorische) Tatsache, die keiner Begründung bedarf (RIS‑Justiz RS0098570; Lendl, WK‑StPO § 258 Rz 41; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 463).
[5] Der Kritik unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall) der Feststellung zum Bereicherungsvorsatz (US 2 f) zuwider verantwortete sich der Angeklagte nicht damit, im Zeitpunkt der Wegnahme den Vorsatz gehabt zu haben, das Cuttermesser bloß zu gebrauchen und es später zurückzustellen (ON 10, 2 f, US 4; vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0093463).
[6] Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet. Indem die Rüge das eben behandelte Vorbringen auch unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO geltend macht, wird sie diesen Anforderungen nicht gerecht (RIS‑Justiz RS0115902).
[7] Der Beantwortung der weiteren Beschwerde (nominell Z 5, 9 lit a und 10) wird vorausgeschickt, dass sich die rechtliche Bedeutung der Abgrenzung zwischen versuchter und vollendeter Tat auf die Frage des Vorliegens des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 13 (hier zweiter Fall) StGB beschränkt, womit darauf bezogene Feststellungen Strafzumessungstatsachen betreffen und solcherart dem Regelungsbereich des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO zugehören (RIS‑Justiz RS0122137).
[8] Davon ausgehend bedeutet es keine offenbar unrichtige Beurteilung einer für die Strafbemessung maßgebenden (vgl dazu im gegebenen Zusammenhang Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 712) entscheidenden Tatsache (Z 11 zweiter Fall), dass das Erstgericht zu I. vom Nichtvorliegen des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StGB ausging, weil der Diebstahl mit Einstecken des Cuttermessers (US 2) vollendet war (RIS‑Justiz RS0090605; Salimi, SbgK § 127Rz 124).
[9] Zu Punkt II. behauptet die Beschwerde eine unvollständige Begründung der Annahme der Unglaubwürdigkeit der Verantwortung des Angeklagten (nominell Z 5 zweiter Fall), weil die Bewertung der Angaben des Angeklagten durch die Familien‑ und Jugendgerichtshilfe (ON 6, 12) als realitätsfremd („wenig Realitätsbezug“) nicht gewürdigt worden sei. Solcherart bekämpft sie aber bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO) die tatrichterliche Beweiswürdigung (vgl RIS‑Justiz RS0106588 [T13]). Gleiches gilt für die von der Beschwerde aus dem Bericht der Familien‑ und Jugendgerichtshilfe gezogenen Schlussfolgerungen auf das Vorliegen der subjektiven Tatseite.
[10] Der Einwand, dass die – für die Feststellung der subjektiven Tatseite eine nicht notwendige Bedingung darstellende – Annahme einer „finanziell angespannten Situation des Angeklagten“ unbegründet geblieben sei (Z 5 vierter Fall), bezieht sich nicht auf eine für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage (vgl zum Begriff RS0106268) entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0117499, RS0116737).
[11] Schließlich stellt auch die Behauptung, dass die Begründung zur subjektiven Tatseite widersprüchlich sei, weil ein Freund des Angeklagten bei einem sich unmittelbar nach der Tat zugetragenen Vorfall das Fordern von Geld bloß zum Scherz sofort erkannt habe (vgl US 5 f), Beweiswürdigungskritik dar.
[12] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) auch zu Punkt II. des Schuldspruchs bloß auf das Vorbringen zur Mängelrüge verweist, verfehlt sie die Ausrichtung am Verfahrensrecht (vgl abermals RIS‑Justiz RS0115902).
[13] Mit dem Hinweis auf eine nicht „umfassend“ abgeklärte ADHS‑Erkrankung beim Angeklagten (ON 6, 11 f) nennt die Rechtsrüge (Z 9 lit b) kein ausreichendes Indiz für das geltend gemachte Fehlen von Unrechtseinsicht (§ 11 StGB; vgl aber RIS‑Justiz RS0099689 [T10]; Ratz, WK‑StPO Rz 601).
[14] Die gesetzmäßige Ausführung einer Diversionsrüge (Z 10a) erfordert eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS‑Justiz RS0124801). Diese Vorgaben lässt das Beschwerdevorbringen außer Acht, indem es das Fehlen von Feststellungen zur Verantwortungsübernahme des Angeklagten reklamiert, dabei aber außer Acht lässt, dass dieser Angeklagte nach dem Urteilssachverhalt zu Punkt I. des Schuldspruchs (der Sache nach) den Zueignungs‑ und Bereicherungsvorsatz bestritt (US 4) sowie zu Punkt II. des Schuldspruchs behauptete, nur im Scherz gehandelt zu haben (US 5; vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0116299 [T5]).
[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen.
[16] Auf diese Weise war auch mit der im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zu verfahren (§ 296 Abs 2 iVm § 294 Abs 4 StPO).
[17] Die Entscheidung über die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe und die (gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO implizierte) Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).
[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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