OGH 15Os107/23h

OGH15Os107/23h4.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Oktober 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Mag. Maringer als Schriftführerin in der Strafsache gegen S* A* und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten S* A*, M* D* und A* K* gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 10. Mai 2023, GZ 7 Hv 3/23t‑199, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00107.23H.1004.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Schlepperei/FPG

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten S* A*, M* D* und A* K* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier relevant – S* A*, M* D* und A* K* jeweils des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (I), überdies A* des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (II) sowie D* der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1 und Abs 4 erster Fall FPG (III.A.1. und 3.a), nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 erster Fall FPG (III.B.d und f) und nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG (III.B.b, e, h, i.aa, k.aa, k.bb, k.cc, l.aa, m, p und q) schuldig erkannt.

[2] Danach haben – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung –

I. A*, D*, K*, eine mitangeklagte und eine bereits verstorbene Person im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) von 20. bis 25. Februar 2022 in W* durch arbeitsteilige geplante Vorgehensweise mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) sowie unter Verwendung einer Waffe, und zwar A* unter Verwendung eines Faustmessers mit einer Klingenlänge von fünf bis acht Zentimetern und D* unter Vorhalt eines Pfeffersprays, fremde bewegliche Sachen, nämlich Suchtmittel in einem nicht mehr festzustellenden Wert mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, * M* wegzunehmen und abzunötigen versucht, indem D*eine mitangeklagtePerson beauftragte, zunächst bei M* fünf Gramm Kokain zu kaufen und dabei herauszufinden, ob sich in der Wohnung größere Mengen an Suchtmittel befinden, anschließendA*, D* undK* in die Wohnung stürmten, M* gewaltsam zur Seite drängten, D* M* einen Pfefferspray vorhielt, A* bewaffnet mit einem Faustmesser gegenüber M* äußerte, dieser solle Drogen herausgeben, sonst würde ihm etwas passieren, K* den ebenfalls in der Wohnung befindlichen B* körperlich bedrängte und A* und K* die Wohnung nach Suchtmittel durchsuchten, wobei es beim Versuch blieb, weil M* eine Gaspistole zog und die Genannten daher von ihrem Vorhaben ablassen mussten;

III. D* in N* und anderen Orten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung mit dem unbekannten Auftraggeber „* S*“ sowie unbekanntenTätern (unter anderem „Sk*“, „I*“, „* L*“, „N*“, „Ar*“, „Bi*“, „* Lw*“, „An*“, „R*“, „Ab* *“, „Ma*“) die rechtswidrige Einreise und Durchreise von Fremden, die zum Aufenthalt in der Europäischen Union nicht berechtigt sind, in und durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union (Transit von Ungarn nach Österreich) mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er von 2. Februar 2022 bis 6. Mai 2022 in 15 im Urteil näher bezeichneten Fällen Schleppungen organisierte, Transporte Fremder durch Erhalt und Weitergabe der Abhol- und Zielortdaten koordinierte, geschleppten Fremden gegen Entgelt Unterkünfte zur Verfügung stellte oder organisierte und auch selbst Fremde transportierte (US 19 f), wobei er

‑ 13 Taten gewerbsmäßig, indem er, nachdem er bereits zwei solche Taten begangen hatte (III.A.1 und 3.a), bei jeder dieser Taten in der Absicht handelte, sich durch die wiederkehrende Begehung solcher Taten längere Zeit, zumindest mehrere Monate, hindurch ein nicht bloß geringfügiges, 400 Euro pro Monat übersteigendes fortlaufendes Einkommen zu verschaffen (US 20 f), und

‑ elf Taten zusätzlich in Bezug auf mindestens drei Fremde (III.B.b, e, h, i.aa, k.aa, k.bb, k.cc, l.aa, m, p und q) begangen hat.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten A* (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO), D* (§ 281 Abs 1 Z 5a StPO) und K* (§ 281 Abs 1 Z 5, Z 9 lit a und Z 10 StPO), die nicht berechtigt sind.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A*:

[4] Die inhaltlich ausschließlich gegen I. gerichtete Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) greift einzelne Passagen der Aussagen von Mitangeklagten und Zeugen exemplarisch („beispielsweise“) heraus und bewertet diese in Bezug auf ihre Beweiskraft eigenständig. Überdies behauptet sie pauschal Widersprüche zwischen diesen Aussagen, begnügt sich aber mit der Kritik, es sei „mehr als fraglich“, wie das Erstgericht zu dem Standpunkt des Nichtigkeitswerbers widerstreitenden Feststellungen gelangte, statt die – eben solche Widersprüche benennenden (US 26 ff, 41) – Beweisüberlegungen der Tatrichter in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0116504 [T2], RS0119370).

[5] Damit zeigt die Mängelrüge jedoch keine Unvollständigkeit im Sinn der Z 5 zweiter Fall auf, sondern kritisiert bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer in kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung (RIS‑Justiz RS0099599).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten D*:

[6] Die gegen I. gerichtete Tatsachenrüge (Z 5a), die mit der Einschätzung des Zeugen Ne* argumentiert, es sei für ihn nicht erklärlich, einen Raub anzuzeigen, den man selbst begangen habe (ON 167, 135), weckt keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (zum Maßstab vgl RIS‑Justiz RS0118780, RS0119583).

[7] Soweit sich die Tatsachenrüge gegen III. richtet und (zusammengefasst) behauptet, es würden keinerlei Beweisergebnisse existieren, die belegen würden, dass dem Nichtigkeitswerber „das Delikt der Schlepperei vorgeworfen werden könnte“, weshalb nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ein Freispruch hätte erfolgen müssen, wird übersehen, dass mit der schlichten Berufung auf angebliches Fehlen aktenkundiger Beweisergebnisse für die Schuld des Angeklagten und den Zweifelsgrundsatz diese Anfechtungskategorie nicht prozessförmig geltend gemacht wird (RIS‑Justiz RS0128874, RS0102162).

[8] Überdies stützt sich die Tatsachenrüge auf einen Teil der Aussage des Zeugen Ne*, wonach der Nichtigkeitswerber eine Vertrauensperson der Polizei gewesen sei, und darauf, dass dieser Zeuge die Frage nach dem Beginn der „Zusammenarbeit betreffend Schlepperei“ damit beantwortet habe, kein genaues Datum mehr nennen zu können. Damit werden jedoch keine erheblichen Bedenken iSd Z 5a gegen die Konstatierungen geweckt, mit welchen die Tatrichter Absprachen zwischen dem Landeskriminalamt N* und dem Nichtigkeitswerber in Bezug auf die abgeurteilten Schleppereitaten deutlich und bestimmt verneinten (US 51 f).

[9] Schließlich wird mit der bloßen Behauptung, die „zugänglichen Beweismittel“ seien derart „unvollständig ausgeschöpft“ worden, dass dadurch „die Überzeugungskraft der Grundlagen für den Schuldspruch wesentlich berührt“ würden, ohne die angeblich nicht ausgeschöpften Beweismittel deutlich und bestimmt zu bezeichnen oder darzutun, warum der Nichtigkeitswerber an sachgerechter Beweisantragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen sein sollte (RIS‑Justiz RS0115823, RS0114036), auch eine Aufklärungsrüge iSd Z 5a nicht prozessordnungskonform ausgeführt.

[10] Bleibt – mit Blick auf den zutreffenden Hinweis der Generalprokuratur – anzumerken, dass das Erstgericht verfehlt (jedoch nicht zum Nachteil des Nichtigkeitswerbers) jeweils lediglich ein („das“) Verbrechen (US 8) der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 erster Fall FPG (III.B.d und f) und nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (III.B.b, e, h, i.aa, k.aa, k.bb, k.cc, l.aa, m, p und q) angenommen hat, obwohl nach den Feststellungen jeweils mehrere einzelne Taten vorlagen und das FPG keine Zusammenrechnungsvorschrift enthält (RIS‑Justiz RS0130603).

[11]

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten K*:

[12] Die Mängelrüge erklärt weder, welches konkrete in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) erhebliche Verfahrensergebnis unberücksichtigt geblieben sein sollte, noch bei welcher bestimmten Feststellung entscheidender Tatsachen eine solche Außerachtlassung stattgefunden haben könnte, weshalb Unvollständigkeit iSd Z 5 zweiter Fall nicht prozessförmig geltend gemacht wird (RIS‑Justiz RS0118316 [T4, T5], RS0130729).

[13] Eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) wird in Ansehung der für die Waffenqualifikation maßgebenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Nichtigkeitswerbers behauptet (vgl US 18: „Die Bedrohung des M* mit den genannten Waffen gehörte zum gemeinsamen Tatplan der vier Angeklagten.“). Der Rüge zuwider konnten die Tatrichter diese Konstatierungen aus den (unter Aspekten dieser Anfechtungskategorie gar nicht bekämpften) Feststellungen zum gemeinsamen Raubplan (US 16) und den eigenen Angaben des Nichtigkeitswerbers zur Beobachtung der Mitnahme des Faustmessers (US 17 iVm ON 167, 62 f) ableiten (RIS‑Justiz RS0098671, RS0116882), ohne gegen die Gesetze folgerichtigen Denkens oder grundlegende Erfahrungssätze zu verstoßen (vgl RIS‑Justiz RS0118317).

[14] Soweit der Rechtsmittelwerber die Formulierung kritisiert, dass A* das Messer „offensichtlich“ in der Hand hielt (US 47, Z 5 vierter Fall), übersieht er, dass im Urteil dazu eine Beweismittelbasis angeführt wird (vgl die Angaben der Mitangeklagten W* [ON 167, 15] sowie der Zeugen B* [ON 167, 98 „Er hatte ein Messer bei sich.“] und M* [ON 36.2.14, 5]). Die Verwendung des Wortes „offensichtlich“ bedeutet keineswegs automatisch eine Scheinbegründung (RIS‑Justiz RS0099494 [T3, T5, T7, T9]).

[15] Mit seinen übrigen Ausführungen, etwa dazu, dass es „in gewissen Kreisen … durchaus nicht unüblich“ sei, ein Messer dabeizuhaben, weshalb sich die Tatrichter beim Rückschluss auf den Vorsatz, dass ein solches Messer als Drohmittel tatsächlich zum Einsatz gelange, „eingehend“ mit solchen Überlegungen befassen hätte müssen, zeigt die Beschwerde keinen formellen Begründungsmangel iSd Z 5 auf, sondern kritisiert in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer Schuldberufung (RIS‑Justiz RS0099599).

[16] Da die Kritik des Rechtsmittelwerbers an den – die Subsumtion nach § 143 Abs 1 zweiter Fall StGB bereits tragenden (vgl RIS‑Justiz RS0094036 [T1, T2, T4, T5, T7]) – Feststellungen zu seinem Vorsatz, dass A* im Rahmen des gemeinsamen Tatplans ein Faustmesser als Drohmittel einsetzte (US 18), erfolglos bleibt, sprechen seine weiteren Rechtsmittelausführungen betreffend den zusätzlichen Einsatz eines Pfeffersprays durch D* keine für die Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache mehr an, weshalb sich weitere Ausführungen dazu erübrigen.

[17] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), wonach die in den Entscheidungsgründen des Urteils getroffenen Sachverhaltsfeststellungen keinen gerichtlich strafbaren Tatbestand ergäben, macht nicht klar, welche Konstatierungen über die ohnedies getroffenen hinaus (US 15 ff) aus ihrer Sicht erforderlich gewesen wären (vgl RIS‑Justiz RS0118342).

[18] Soweit die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit a, teilweise Z 10) sowohl zum Grundtatbestand als auch zur Qualifikation des Raubes unter Verwendung einer Waffe kritisiert, dass das Ersturteil keine Feststellungen zur inneren Tatseite, insbesondere zu deren Wissenskomponente enthalte, übergeht sie die entsprechenden – sämtliche Vorsatzkomponenten hinreichend deutlich zum Ausdruck bringenden (vgl RIS‑Justiz RS0089034) – Konstatierungen (insb US 18 und 47).

[19] Die abschließende Behauptung der Subsumtionsrüge (Z 10), das Vorhalten des Messers und des Pfeffersprays sei für den Nichtigkeitswerber überraschend erfolgt, ist urteilsfremd (vgl US 18 und 47), sodass sie schon im Ansatz ins Leere geht (RIS‑Justiz RS0099775).

[20] Die Generalprokuratur weist schließlich zutreffend darauf hin, dass beim Nichtigkeitswerber zu Unrecht auf das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 27. Jänner 2022, AZ 19 Hv 166/21z, Bedacht genommen wurde (§ 31 StGB). Denn die hier abgeurteilte Tat wurde frühestens am 20. Februar 2022, somit nach Fällung des bezeichneten Urteils begangen. Damit wäre gemeinsame Verfahrensführung in erster Instanz (§ 37 Abs 1 StPO) und Aburteilung der aktuellen Tat mit dem vorangegangenen Urteil – als Voraussetzung für die Verhängung einer Zusatzstrafe – nicht möglich gewesen (RIS-Justiz RS0113612). Dieser Fehler (Z 11 erster Fall) gereicht – mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO – dem Angeklagten jedoch nicht zum Nachteil (RIS‑Justiz RS0127461).

[21] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren deshalb – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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