OGH 5Ob142/23b

OGH5Ob142/23b28.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Franz Zimmermann, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei C*, vertreten durch Payr Hofmann Zissler Rechtsanwälte in Graz, wegen 65.675,52 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 5. April 2023, GZ 2 R 13/23y‑76, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00142.23B.0928.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin kam am 4. Juli 2018 im (damals) vom Beklagten betriebenen Gastlokal auf dem Weg zur Toilette zu Sturz. Zum Unfallszeitpunkt herrschten gute Lichtverhältnisse; die Klägerin schaute während des Gehens seitlich um sich, aber nicht vor ihre Füße und sah den 8 cm hohen Niveauunterschied im Fliesenboden nicht. Daher stolperte sie und stürzte auf den Boden. Vor diesem Unfall ist in diesem Bereich noch niemand zu Sturz gekommen. In einem E‑Mail vom 17. Jänner 2019 erklärte die Haftpflichtversicherung des Beklagten, „die Haftung und Deckung betreffend den Vorfall vom 4.7.2018“ zu übernehmen.

[2] Die Klägerin begehrte vom Beklagten Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung für künftige Folgeschäden. Die Versicherung habe das Alleinverschulden des Beklagten bereits außergerichtlich anerkannt.

[3] Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, die Klägerin treffe das Alleinverschulden am Sturz; die Haftpflichtversicherung habe kein Anerkenntnis abgegeben.

[4] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung und ließ die Revision dagegen nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität auf.

[7] 1.1 Zu den Schutz- und Sorgfaltspflichten eines Gastwirts aus dem Bewirtungsvertrag liegt umfangreiche höchstgerichtliche Rechtsprechung vor (RS0023421; RS0016382). Auch die aus dem Bewirtungsvertrag entspringenden (und daher vertraglichen) Verkehrssicherungspflichten, die nicht schon mit der Konsumation des Getränks oder der Speise und der Bezahlung durch den Gast, sondern mit der Beendigung des Naheverhältnisses enden (RS0019248), hängen aber von den Umständen des einzelnen Falls ab, weil darauf abzustellen ist, welche Maßnahmen zur Gefahrenvermeidung möglich und zumutbar sind (RS0110202). Derartige Einzelfallentscheidungen wären für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste (RS0078150; RS0111380 [T6]; RS0110202 [T14]), was hier nicht der Fall ist.

[8] 1.2 Die Klägerin ist zu Sturz gekommen, weil sie wegen ihrer Blickrichtung (seitlich) den – sichtbaren, zuvor nicht für solche Unfälle ursächlichen – Niveauunterschied im Boden nicht bemerkte. Der im Rechtsmittel genannten Entscheidung 7 Ob 215/20y lag ein anderer Sachverhalt zugrunde, weil dort die Klägerin über eine einzelne Stufe auf einer sonst ebenen Fläche stürzte, die an dieser Stelle nicht zu erwarten und für die Klägerin nicht leicht zu erkennen war. Derartiges haben die Vorinstanzen hier gerade nicht festgestellt. Die Entscheidung 2 Ob 81/00a betraf ein als behindertengerecht beschriebenes Hotel, in dessen Foyer zwei Stufen nicht gekennzeichnet und deswegen für einen sehbehinderten Gast sturzursächlich waren. Auch mit dem von der Klägerin zitierten Fall eines nicht ordnungsgemäß montierten Fitnessgeräts, das umstürzte (OLG Innsbruck 4 R 260/93), ist der hier zu beurteilende Sachverhalt nicht vergleichbar. Entgegen der bloßen Behauptung der Zulassungsbegründung zeigt das Rechtsmittel weder ein Abweichen von den Grundsätzen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu Verkehrssicherungspflichten noch eine uneinheitliche Judikatur zu diesem Thema auf.

[9] 2.1 Ein konstitutives Anerkenntnis setzt die Absicht des Erklärenden voraus, unabhängig von dem bestehenden Schuldgrund eine neue selbständige Verpflichtung zu schaffen (RS0032496 [T1]). Diese Absicht ist nach der Vertrauenstheorie zu beurteilen (RS0032496 [T5]). Das konstitutive Anerkenntnis kommt dadurch zustande, dass der Gläubiger aufgrund eines bestimmten Sachverhalts ernstlich das Bestehen einer Forderung behauptet und der Schuldner Zweifel am Bestehen der Forderung durch sein Anerkenntnis beseitigt (RS0032818 [T5]). Ob ein deklaratorisches (unechtes) Anerkenntnis, eine durch Gegenbeweis widerlegbare Wissenserklärung, oder ein konstitutives (echtes) Anerkenntnis (eine allenfalls anfechtbare rechtsgeschäftliche Willenserklärung) vorliegt, ist durch Auslegung des Parteiwillens im Einzelfall zu ermitteln. Dabei sind vor allem die mit dem Anerkenntnis verfolgten Zwecke, die beiderseitige Interessenlage und die allgemeine Verkehrsauffassung über die Bedeutung eines solchen Anerkenntnisses maßgebend (vgl RS0032666). Im Zweifel gilt ein Regulierungsangebot des Versicherers nicht als eigenes (konstitutives) Anerkenntnis des Versicherers dem Grunde nach (RS0032959).

[10] 2.2 Auch in diesem Zusammenhang vermag die Klägerin eine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht aufzuzeigen: Das Berufungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass die zunächst schriftlich erklärte Haftungsübernahme schon deswegen kein konstitutives Anerkenntnis bezüglich aller noch offenen Forderungen der Klägerin sein könne, weil deren Höhe damals noch nicht einmal bekannt gewesen sei, und die Zahlung nach Übermittlung des von der Klägerin eingeholten Gutachtens mit dem Hinweis darauf erfolgte, dass damit die Schmerzengeldansprüche abgegolten seien. Die Richtigkeit dieser Begründung zieht die Klägerin nicht in Zweifel, weil sie darauf hinweist, dass sie sich auf ein Anerkenntnis des Haftpflichtversicherers für alle noch offenen Forderungen selbst nicht gestützt habe. Das Rechtsmittel argumentiert, eine persönliche Haftung des Beklagten scheide hier aus, weil die Versicherungssumme ausreiche, um die geltend gemachten Schadenersatzansprüche zu decken. Damit wird aber eine unvertretbare Beurteilung der Frage eines (fehlenden) konstitutiven Anerkenntnisses letztlich nicht einmal behauptet.

[11] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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