European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00132.23B.0920.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die klagende Spitalsbetreiberin begehrte vom Beklagten Schadenersatz, weil er als Sachverständiger in einem wegen eines ärztlichen Kunstfehlers geführten Vorverfahren ein falsches Gutachten erstattet hatte, das für den dortigen Prozessverlust kausal geworden sei.
[2] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren übereinstimmend statt.
[3] Dabei gingen sie insbesondere von folgenden Feststellungen aus:
Hätte der Beklagte im Vorverfahren ein fachlich richtiges Gutachten erstattet, indem er nur eine von zehn CTG-Aufzeichnungen als „suspekt“ und die übrigen CTG‑Aufzeichnungen als unauffällig beurteilt und darüber hinaus das Vorgehen des ärztlichen Personals des * Krankenhauses im Zusammenhang mit der Entlassung der Patientin gegen Revers als im Einklang mit den Regeln der ärztlichen Kunst stehend bezeichnet hätte, wäre das Verhalten des ärztlichen Personals von den im Vorverfahren befassten Gerichten weder als grob, noch als leicht fahrlässig beurteilt worden. Das dort erhobene Klagebegehren wäre zur Gänze abgewiesen worden. Die dort beklagte und in diesem Verfahren klagende Partei hätte keinen Kostenersatz leisten müssen, vielmehr wären die dort klagenden Parteien zum Kostenersatz an die dort beklagte Partei verpflichtet worden.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die außerordentliche Revision des Beklagten zeigt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[5] 1. Nach ständiger Rechtsprechung haftet ein vom Gericht bestellter Sachverständiger, der im Zivilprozess ein unrichtiges Gutachten abgibt, den Parteien gegenüber persönlich und unmittelbar nach §§ 1295, 1299 ABGB für den dadurch verursachten Schaden (RS0026319). Der Schadenersatzanspruch setzt unter anderem voraus, dass die Unrichtigkeit des Gutachtens ausschlaggebend für die die Prozesspartei beschwerende Entscheidung war. Dabei ist nicht zu prüfen, wie die in Frage stehende unter Mitwirkung des Sachverständigen zustande gekommene gerichtliche Entscheidung richtig zu lauten gehabt hätte. Entscheidend ist allein, welchen Einfluss ein sachlich richtiges Gutachten des Sachverständigen auf die Entscheidung gehabt hätte (6 Ob 634/77; 8 Ob 505/86; 1 Ob 263/02m; 4 Ob 228/05s; 3 Ob 258/15k; 2 Ob 7/23b ua). Diese Frage betrifft die Kausalität (RS0026360 [T6], 3 Ob 258/15k). Ob aber der Kausalzusammenhang gegeben ist, ist eine reine Tatfrage, deren Lösung durch die Vorinstanzen im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpft werden kann (RS0022582 [T1]).
[6] Dass die (vereinzelte) Entscheidung 8 Ob 35/23i – möglicherweise mit anderem Ergebnis – auf die Rechtsprechung zur Anwaltshaftung Bezug nimmt, ohne sich mit der dargestellten ständigen Rechtsprechung zur Haftung von Sachverständigen auseinanderzusetzen, kann keine erhebliche Rechtsfrage begründen (vgl 7 Ob 31/17k).
[7] 2. Nach den hier maßgeblichen Tatsachenfeststellungen wäre der Schaden nicht eingetreten, wenn der Beklagte im Vorverfahren ein sachlich richtiges Gutachten erstattet hätte. Damit ist der Klägerin der ihr obliegende Kausalitätsbeweis gelungen.
[8] 3. Den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens vermochte der Beklagte nicht unter Beweis zu stellen:
[9] Seine Behauptung, dass die Klägerin den Vorprozess unabhängig von seiner Beurteilung der CTG‑Aufzeichnungen verloren hätte, ist feststellungswidrig. Nach den Feststellungen wäre bei einem richtigen Gutachten auch kein ärztlicher Fehler in der Entlassung der Patientin gegen Revers und ohne Aushändigung eines Arztbriefes zu erblicken gewesen. Das gleiche gilt für das Unterlassen eines Kaiserschnitts oder einer Geburtseinleitung. Soweit der Beklagte meint, es hätte eine Aufklärungspflicht der behandelnden Ärzte über die Vor- und Nachteile eines (hier richtigerweise nicht indizierten) Kaiserschnitts bestanden, verkennt er, dass sich in concreto kein Risiko verwirklicht hat, über das hätte aufgeklärt werden müssen (RS0026313 [T12; T28]). Aus welchen Gründen sich aus dem Selbstbestimmungsrecht der Patientin eine Pflicht der Ärzte zur Vornahme einer in concreto nicht indizierten medizinischen Behandlung ergeben sollte, ist nicht nachvollziehbar. Das Selbstbestimmungsrecht begrenzt die medizinische Behandlungspflicht und erweitert sie nicht. Nach den Feststellungen kam es im Vorprozess ausschließlich aufgrund der (falschen) Einschätzung der CTG‑Aufzeichnungen durch den Beklagten dazu, dass das dortige Berufungsgericht das Verhalten der behandelnden Ärzte als grob fahrlässig beurteilte, weshalb der Beklagte nach den dargestellten Grundsätzen auch dafür einzustehen hat. Darauf, dass die Schwangere nicht über die Gefahr aufgeklärt worden wäre, dass nach der von ihr gewünschten Entlassung allenfalls – und zwar unabhängig von dem vermeintlich suspekten bzw pathologischen Herzfrequenzmuster des Fötus – auftretende Probleme möglicherweise nicht rechtzeitig erkannt oder behandelt werden könnten, wurde die Haftung der Spitalsbetreiberin im Vorprozess nicht konkret gestützt.
[10] 4. Das Nichtergreifen eines Rechtsmittels kann Verletzung der Schadensminderungspflicht sein. Der Geschädigte ist aber nicht zu gerichtlichen Schritten verpflichtet, die mit einem bedeutenden Kostenrisiko verbunden sind oder geringe Aussicht auf Erfolg haben (RS0027787 [T10]). Die Frage, was dem Geschädigten im Rahmen der Schadensminderungspflicht zumutbar ist, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab und ist daher keine erhebliche Rechtsfrage (RS0027787 [T18]).
[11] Die Ansicht der zweiten Instanz, der Klägerin sei nicht anzulasten, in ihrer Berufung gegen das Endurteil im Anlassverfahren die (vom dortigen Berufungsgericht vorgegebene; § 499 Abs 2 ZPO) rechtliche Beurteilung eines groben Verschuldens nicht bekämpft zu haben, sodass später der Oberste Gerichtshof mit dieser Frage nicht mehr befasst werden konnte, ist nicht korrekturbedürftig. Insbesondere setzt der Beklagte der Annahme, der Oberste Gerichtshof hätte eine Überprüfung des Verschuldensgrades mangels Vorliegens einer aufgrund eines außerordentlichen Rechtsmittels aufzugreifenden Fehlbeurteilung im vorliegenden Einzelfall mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin abgelehnt (vgl RS0087606), nichts Substantielles entgegen.
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