OGH 4Ob62/23f

OGH4Ob62/23f12.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach P*, verstorben am * 2017, zuletzt wohnhaft in *, vertreten durch den Verlassenschaftskurator *, Notar in Wien, dieser vertreten durch die GÀLFFY & VECSEY Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt *, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 135.736,68 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 24. Februar 2023, GZ 5 R 22/23a‑13, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 13. Jänner 2023, GZ 66 Cg 77/22m‑7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00062.23F.0912.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.466,18 EUR (darin 411,03 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Verstorbene hatte von der Beklagten Leistungen nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) bezogen. Die beklagte Gebietskörperschaft meldete im Verlassenschaftsverfahren eine Ersatzforderung über 135.736,68 EUR an, wobei sie als Rechtsgrundlage § 24 WMG anführte.

[2] Mit der gegenständlichen Klage begehrt die Verlassenschaft, vertreten durch den Verlassenschaftskurator, sinngemäß die Feststellung, dass die von der Beklagten im Verlassenschaftsverfahren angemeldete Forderung nicht zu Recht bestehe, in eventu, dass diese verjährt sei, und berief sich auf eine abhandlungsgerichtliche Genehmigung der Klage. Die Forderung bestehe mangels ordnungsgemäßer und rechtzeitiger Bescheiderlassung iSd § 24 Abs 3 und 6 WMG nicht (mehr) zu Recht. Die Verlassenschaft sei kein erbserklärter Erbe iSd § 24 Abs 4 WMG. Die strittige Anmeldung hindere aber die Fortführung des Verlassenschaftsverfahrens: wenn diese berechtigt sei, wäre der Nachlass überschuldet, wenn nicht, würden die Erben die Erbschaft antreten. Somit hänge auch die Abgabe von Erbantrittserklärungen vom Bestehen der Forderung ab. Der ordentliche Rechtsweg sei zulässig, ein Verwaltungsverfahren sei nämlich erst nach Abschluss des Verlassenschaftsverfahrens denkmöglich. Daher habe das Verwaltungsgericht Wien bereits einen entsprechenden Feststellungsantrag der Verlassenschaft zurückgewiesen. Res iudicata liege dessen ungeachtet nicht vor, weil eine Zurückweisung keine Sachentscheidung sei. Im Zweifel seien gemäß § 1 JN die ordentlichen Gerichte zuständig.

[3] Die Beklagte beantragte, die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs und (erkennbar) wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Des weiteren sei das Hauptbegehren nicht durch die abhandlungsgerichtliche Genehmigung gedeckt. In eventu wäre die Klage mangels inhaltlicher Berechtigung abzuweisen. Gemäß § 24 Abs 4 WMG werde die Ersatzforderung gegen die erbserklärten Erben mit dem Todestag fällig, ohne dass es einer Bescheiderlassung bedürfe. Die Forderungsanmeldung sei innerhalb der Frist des Abs 6 erfolgt, sodass keine Verjährung eingetreten sei. Wenn man dieser Auslegung nicht folge, dann könne erst nach Abschluss des Verlassenschaftsverfahrens ein Kostenersatzbescheid iSd Abs 3 erlassen werden, auch diesfalls sei die Forderung daher berechtigt und nicht verjährt.

[4] Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück und erklärte das durchgeführte Verfahren für nichtig. Die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs sei eine absolute Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung auch von Amts wegen zu prüfen sei. Ihr Fehlen führe zur Nichtigerklärung des Verfahrens, eine Heilung sei nicht möglich. Ob die Zivilgerichte zur Entscheidung berufen seien, hänge davon ab, ob ein bürgerlich‑rechtlicher Anspruch iSd § 1 JN geltend gemacht werde und ob dieser ausdrücklich an eine andere Behörde verwiesen werde. Für diese Beurteilung seien in erster Linie die Klagsbehauptungen maßgeblich. Es komme auf die Natur und das Wesen des geltend gemachten Anspruchs an, wofür wiederum der Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung sei. Der Rechtsweg sei immer dann unzulässig, wenn mit dem begehrten gerichtlichen Vorgehen in Wirklichkeit die Vornahme oder Rückgängigmachung eines Hoheitsakts einer Verwaltungsbehörde angestrebt werde oder sonst auf hoheitliches Handeln Einfluss genommen werden solle. Daher sei nach der Rechtsprechung auch eine Feststellungsklage bezüglich eines Rechtskomplexes unzulässig, der für eine ausschließlich dem Verwaltungsverfahren vorbehaltene Entscheidung maßgeblich sei. Privatrechtliche Ansprüche seien zudem dadurch gekennzeichnet, dass sich gleichberechtigte Rechtssubjekte gegenüberstünden. Hier mache die Klägerin einen Anspruch geltend, dessen Wurzeln unmittelbar im hoheitlichen Handeln der beklagten Behörde lägen. Das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis sowie der Gegenstand des Rechtsstreits, nämlich die Feststellung des Nichtbestehens eines Kostenersatzanspruchs, seien Ausfluss eines Hoheitsakts. Damit sei aber die Zulässigkeit des Rechtswegs zu verneinen.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil der Frage, ob eine Verlassenschaft einen Anspruch habe, das Nichtzurechtbestehen einer vom Träger der Mindestsicherung im Verlassenschaftsverfahren angemeldeten Ersatzforderung im ordentlichen Rechtsweg feststellen zu lassen, über den Einzelfall hinaus erhebliche Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO zukomme.

[6] Die Klägerin macht in ihrem Revisionsrekurs geltend, ihr Feststellungsinteresse gründe darauf, dass die strittige Rechtsfrage die Fortführung des Verlassenschaftsverfahrens hindere, im Zweifel nach § 1 JN eine bürgerliche Rechtssache vorliege und die Zurückweisung der Klage dazu führe, dass der Klägerin der Rechtsschutz verweigert werde, was ihr das Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK nehme.

[7] Die Beklagte beantragt mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

[9] 1.1. Im Zweifel müssen bürgerliche Rechtssachen gemäß § 1 JN mangels ausdrücklicher anderer Anordnung durch die Gerichte entschieden werden (RS0045456). Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt (die Klagsbehauptungen) maßgebend. Maßgeblich ist die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs, wofür wiederum der geltend gemachte Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung ist. Es kommt nur darauf an, ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wird, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (RS0045584 [T25, T36, T71]; RS0045539; RS0005896; RS0045718). Die inhaltliche Berechtigung des vom Kläger behaupteten Anspruchs ist bei der Frage der Rechtswegzulässigkeit unerheblich, hierüber ist erst in der Sachentscheidung abzusprechen (RS0045491).

[10] 1.2. Ob die Zivilgerichte zur Entscheidung berufen sind, ob also der Rechtsweg gegeben ist, hängt davon ab, ob es sich um eine bürgerliche Rechtssache handelt und, falls ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch geltend gemacht wird, ob dieser nicht durch Gesetz ausdrücklich vor eine andere Behörde verwiesen wird (RS0045584 [T32]; RS0005896 [T28]). Die Entscheidungsbefugnis des Zivilgerichts wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass Vorfragen geprüft werden müssen, zu deren selbstständiger Entscheidung nicht die Zivilgerichte zuständig sind (RS0005896 [T2]).

[11] 1.3. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, wenn ein privatrechtlicher Anspruch behauptet wird, mit dem jedoch ein unmittelbarer Eingriff in das hoheitliche Handeln eines Rechtsträgers angestrebt wird, sei es durch Beseitigung der Folgen hoheitlichen Handelns durch Vornahme oder Rückgängigmachung eines Verwaltungsakts, sei es durch Untersagung hoheitlichen Handelns (RS0010522 [T9]; RS0045584 [T52]). Der Rechtsweg ist – im Hinblick auf den Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung – immer unzulässig, wenn mit dem begehrten gerichtlichen Vorgehen in Wirklichkeit die Vornahme oder Rückgängigmachung eines Hoheitsakts einer Verwaltungsbehörde angestrebt wird oder sonst auf deren hoheitliches Handeln Einfluss genommen werden soll (RS0010522 [T11]). Eine Feststellungsklage bezüglich eines Rechtskomplexes, der für eine ausschließlich dem Verwaltungsverfahren vorbehaltene Entscheidung maßgebend ist, ist unzulässig (RS0001477; 6 Ob 63/09x [unzulässiges Begehren gegen Gemeinde, nicht zur Aufstellung von Parkuhren auf bestimmten Flächen berechtigt zu sein]; 7 Ob 93/22k [unzulässiges Begehren auf Feststellung des Nichtbestehens eines auf der Entscheidung einer Behörde beruhenden Versicherungsverhältnisses]).

[12] 2.1. Gegenständlich ist das Begehren, gegenüber der beklagten Gebietskörperschaft festzustellen, dass die von ihr im Verlassenschaftsverfahren angemeldete und auf § 24 WMG gestützte Forderung nicht zu Recht bestehe.

[13] 2.2. § 24 WMG lautet wie folgt:

Kostenersatz bei Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt

(1) Für Kosten, die dem Land Wien als Träger der Mindestsicherung durch die Zuerkennung von Leistungen zur Mindestsicherung entstehen, ist dem Land Wien als Träger der Mindestsicherung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Ersatz zu leisten. Ein Anspruch auf Mindestsicherung schließt dabei einen Kostenersatzanspruch des Trägers der Wiener Mindestsicherung nicht aus.

(2) Ersatzpflichtig sind alle Personen, die Leistungen der Mindestsicherung bezogen haben, soweit sie nach Zuerkennung der Leistung zu Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, gelangen, unabhängig davon, ob sie Hilfe empfangen oder das Vermögen noch vorhanden ist. Es sind jene Kosten zu ersetzen, die dem Träger der Mindestsicherung durch Hilfegewährungen in den letzten drei Jahren der Hilfeleistung entstanden sind. Stichtag für die Berechnung der Frist ist der letzte Tag des Monats, in dem Leistungen an die Ersatzpflichtige oder den Ersatzpflichtigen geflossen sind.

(3) Über die Verpflichtung zum Kostenersatz ist mit Bescheid zu entscheiden. Die Behörde ist berechtigt, die Aufrechnung gegen Ansprüche auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung zu verfügen.

(4) Ersatzpflichtig sind darüber hinaus die erbserklärten Erbinnen und Erben nach dem Tod der in Abs 2 genannten Personen. Die Ersatzforderung wird mit dem Tag des Todes fällig. Soweit eine Zahlung aus dem Nachlass nicht erlangt werden kann, erlischt die Forderung. Weitere Ersatzforderungen gegen Erbinnen und Erben nach Einantwortung sind nicht zulässig. Es sind jene Kosten zu ersetzen, die dem Träger der Wiener Mindestsicherung durch Hilfegewährungen in den letzten zehn Jahren der Hilfeleistung entstanden sind. Stichtag für die Berechnung der Frist ist der letzte Tag des Jahres, in dem Leistungen an die Ersatzpflichtigen geflossen sind.

(5) Ersatz ist im Umfang der durch die Hilfegewährung an die Bedarfsgemeinschaft entstandenen Kosten zu leisten. Alle anspruchsberechtigten Personen, denen als Bedarfsgemeinschaft Hilfe zuerkannt wurde, sind solidarisch zum Ersatz der Kosten verpflichtet.

(6) Der Kostenersatzanspruch des Trägers der Wiener Mindestsicherung verjährt drei Jahre nach Kenntnis der Umstände, die die Ersatzpflicht begründen.

 

[14] 2.3. Gemäß § 24 Abs 3 WMG ist über die Verpflichtung zum Kostenersatz mit Bescheid zu entscheiden. Dass sich diese Bestimmung lediglich auf die Ersatzpflicht des Beziehers nach Abs 2, nicht aber auf die zusätzlich normierte Ersatzpflicht der erbantrittserklärten Erben nach Abs 4 beziehen sollte, ist aus dem Gesetz nicht ableitbar. Die bloße Stellung des Abs 3 (noch) vor der Ersatzpflicht nach Abs 4 ändert nämlich nichts daran, dass Abs 3 allgemein von der „Verpflichtung zum Kostenersatz“ spricht und nicht nach dem Ersatzpflichtigen differenziert. Aus § 28 Abs 1 WMG ergibt sich darüber hinaus, dass ua die „Organe der Gerichte“ dem „Magistrat“ auf Ersuchen Auskünfte zu erteilen haben, wenn diese ua „im Verfahren zur Entscheidung über die Ersatzpflicht (…) von Erbinnen und Erben“ erforderlich sind. Daraus ergibt sich, dass das WMG auch hinsichtlich des Verfahrens über die Ersatzpflicht von Erben von einer – gemäß § 24 Abs 3 WMG bescheidmäßig zu erfolgenden – Entscheidung des Magistrats als zuständiger Verwaltungs-behörde ausgeht, anderenfalls eine Auskunftspflicht der Gerichte an den Magistrat diesbezüglich keinen Sinn ergeben würde. Die Entscheidung über die Ersatzpflicht nach § 24 WMG hat daher auch gegenüber Erben nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 24 Abs 3 WMG bescheidmäßig im Verwaltungsweg zu erfolgen (in diesem Sinn auch VwGH Ra 2016/10/0146).

[15] 2.4. Der Umstand, dass die (potentiellen) Erben ein rechtliches Interesse an der Klärung der strittigen Forderung bereits vor Abgabe der Erbantrittserklärung haben mögen, ist für die Klärung der Rechtswegzulässigkeit unerheblich, zumal das rechtliche Interesse erst im Zusammenhang mit der Prüfung der inhaltlichen Berechtigung des Anspruchs eine Rolle spielt. Auch die allfällige Bejahung des rechtlichen Interesses kann nicht dazu führen, dass für die Klärung ausdrücklich dem Verwaltungsweg vorbehaltener Ansprüche der Rechtsweg zugelassen wird, zielt doch die begehrte Feststellung gerade darauf ab, eine von der Rechtsordnung dem Verwaltungsrecht und der Entscheidung im Verwaltungsverfahren zugewiesene Frage zu entscheiden. Die Zulassung des Rechtswegs würde hier dem verfassungsrechtlich normierten Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung (Art 94 B-VG) widersprechen.

[16] 2.5. Die Verweigerung des von der Klägerin begehrten Rechtsschutzes führt auch keineswegs zu einer Verletzung des fair trial nach Art 6 EMRK, steht ihr doch der Verwaltungsweg offen. Auch wenn dieser erst nach Erbantrittserklärung gegeben sein mag, so liegt einerseits kein Anspruch gegen die Verlassenschaft vor, sodass durch die Klagszurückweisung in diesem Verfahren das Verlassenschaftsverfahren nicht behindert wird, und andererseits sind die (allenfalls später in Anspruch genommenen) erbserklärten Erben durch § 24 Abs 4 WMG insofern „geschützt“, als ihre Haftung mit der Höhe der Nachlassaktiva begrenzt ist („… soweit eine Zahlung aus dem Nachlass erlangt werden kann“). Ein Recht auf Vorabklärung von – zu den verwaltungsrechtlichen – Rechtsfragen im Wege eines Feststellungsprozesses ist aus Art 6 EMRK nicht abzuleiten.

[17] Die Vorinstanzen haben die Zulässigkeit des Rechtswegs daher zu Recht verneint. Dem Revisionsrekurs der Klägerin ist somit nicht Folge zu geben.

[18] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 4150 ZPO.

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