OGH 7Ob93/22k

OGH7Ob93/22k28.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* T*, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Dr. Ingrid Neyer, Rechtsanwältin in Feldkirch, wegen Feststellung (Streitwert 11.420,61 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 22. März 2022, GZ 2 R 317/21i‑13, womit aus Anlass des Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 17. Juni 2021, GZ 3 C 97/21b‑9, sowie das diesem vorausgegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00093.22K.0928.000

 

Spruch:

Dem Rekurswird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 860,58 EUR (darin enthalten 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte ist ein Versicherer mit Sitz in der Schweiz. Sie wurde als sozialer Krankenversicherer vom Bundesamt für Gesundheit anerkannt, wird im Verzeichnis der zugelassenen Krankenversicherer unter der BAG-Nr 509 geführt und betreibt ausschließlich die soziale Krankenversicherung im Sinne des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 (chKVG).

[2] Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Österreich. Er begann im Mai 2018 eine Beschäftigung als Leiharbeiter bei einer GmbH in D* und wurde anschließend zu einer AG in A* als Arbeitskraft entsandt.

[3] Die Kontrollstelle für Krankenversicherungen der Gemeindeverwaltung D* wies den Kläger mit Verfügung vom 25. April 2019 gemäß Art 3 und Art 6 chKVG und Art 6 des kantonalen Einführungsgesetzes zum chKVG mit 1. Jänner 2019 der Beklagten zur Aufnahme zu und sprach aus, dass einem allfälligen Rekurs gegen diese Zuweisungsverfügung die aufschiebende Wirkung entzogen werde. Über Gesuch des Klägers vom 10. Juli 2019 sprach die Stadt A*, Abteilung Soziales, Sozialversicherungsamt, mit Entscheid vom 19. Dezember 2019 aus, dass der Beitritt des Klägers zur obligatorischen schweizerischen Krankenpflegeversicherung definitiv sei und solange gelte, als er der Schweizer Versicherungspflicht unterstehe.

[4] Der Kläger begehrt die Feststellung des Nichtbestehens eines Versicherungsvertrags mit der Beklagten. Ihm sei zu Unrecht ein Versicherungsvertrag mit der Beklagten zugewiesen worden. Die Beklagte erhebe mangels Vorliegens eines wirksamen Versicherungsvertrags unberechtigt Forderungen für Versicherungsprämien und Mahngebühren. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts stütze sich auf Art 8 LGVÜ.

[5] Die Beklagte erhob den Einwand der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit sowie der internationalen Unzuständigkeit. Sie sei ein öffentlich‑rechtlicher Versicherungsträger, der Kläger sei ihr durch einen hoheitlichen Akt im Verwaltungsweg zugewiesen worden. Sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten würden nach Art 1 Abs 2 Nr 3 LGVÜ auch nicht dem LGVÜ unterliegen.

[6] Das Erstgericht wies die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück. Das LGVÜ sei nicht auf öffentlich-rechtliche Versicherungsverhältnisse anwendbar. Außerdem seien sozialversicherungsrechtliche Angelegenheiten gemäß Art 1 Abs 2 Nr 3 vom LGVÜ ausgenommen. Die Zuständigkeit richte sich nach der Verordnung 2004/883/EG . Nach Art 11 Abs 3 lit a dieser Verordnung unterliege eine Person, die in einem Mitgliedstaat beschäftigt sei, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats. Somit unterliege der vorliegende Fall schweizerischem Recht, weshalb sich auch die Zuständigkeit nach schweizerischem Recht richte.

[7] Das Rekursgerichthob den angefochtenen Beschluss sowie das diesem vorausgegangene Verfahren ab Klagszustellung als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Der Kläger mache einen Anspruch geltend, dessen Wurzeln unmittelbar in hoheitlichem Handeln des Schweizer Staats lägen, sodass keine bürgerliche Rechtssache im Sinn des § 1 JN vorliege.

[8] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, diesen ersatzlos aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an das Rekursgericht zurückzuverweisen.

[9] In der Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rekurs des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Rekurs ist zulässig, weil die Nichtigerklärung des Beschlusses sowie des bisherigen Verfahrens und die Zurückweisung der Klage durch das Rekursgericht auch dann, wenn – wie hier – schon das Erstgericht die Klage zurückgewiesen hat, jedoch aus einem anderen Grund als das Rekursgericht, wie ein gleichartiger berufungsgerichtlicher Beschluss (analog § 519 Abs 1 Z 1 ZPO; RS0043774) anfechtbar ist (RS0044223 [T1], 2 Ob 178/09d). Er ist aber nicht berechtigt.

[11] 1. Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs sind die Natur und das Wesen des geltend gemachten Anspruchs maßgeblich (RS0045539). Voraussetzung ist, dass der Kläger einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch im Sinne des § 1 JN erhebt (RS0045584 [T32]). Der Rechtsweg ist jedoch – im Hinblick auf den Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung – ausgeschlossen, wenn ein privatrechtlicher Anspruch behauptet wird, damit jedoch ein unmittelbarer Eingriff in das hoheitliche Handeln eines Rechtsträgers angestrebt wird, sei es durch Beseitigung der Folgen hoheitlichen Handelns durch Vornahme oder Rückgängigmachung eines Verwaltungsaktes, sei es durch Untersagung hoheitlichen Handelns (vgl RS0010522 [T9, T11]). Eine Feststellungsklage bezüglich eines Rechtskomplexes, der für eine ausschließlich dem Verwaltungsverfahren vorbehaltene Entscheidung maßgebend ist, ist unzulässig (RS0001477).

[12] 2. Der Kläger begehrt die Feststellung des Nichtbestehens eines Versicherungsverhältnisses mit der Beklagten. Dieses Versicherungsverhältnis beruht aber auf der Entscheidung („Zuweisungsverfügung“) einer schweizerischen Verwaltungsbehörde und daher unzweifelhaft auf einem hoheitlichen Akt (vgl Art 6 iVm Art 3 chKVG). Der Kläger strebt daher mit seiner Klage die Beseitigung der Folgen eines Hoheitsakts an. Für das vom Kläger gestellte Begehren fehlt es somit an der Prozessvoraussetzung der Zulässigkeit des Rechtswegs, wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat.

[13] 3. Dem Rekurs des Klägers war daher der Erfolg zu versagen.

[14] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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