VwGH Ra 2016/10/0146

VwGHRa 2016/10/014629.3.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 14. September 2016, Zl. VGW-141/025/4179/2016-2, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei: G S in Wien, vertreten durch Beneder Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 27/DG/9), zu Recht erkannt:

Normen

MSG Wr 2010 §24 Abs1;
MSG Wr 2010 §24 Abs2;
MSG Wr 2010 §24 Abs4;
MSG Wr 2010 §24 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §28 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid der revisionswerbenden Partei (in der Folge: Behörde) vom 23. November 2015 wurde die Mitbeteiligte verpflichtet, binnen zwei Wochen ab Rechtskraft des Bescheides die für den Zeitraum von 1. Mai 2008 bis 12. Juni 2015 aufgewendeten Kosten für Leistungen der Mindestsicherung in der Höhe von EUR 22.736,43 gemäß § 24 Abs. 4 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMSG) zu ersetzen. Begründend wurde ausgeführt, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass dem verstorbenen Sohn der Mitbeteiligten vom 1. Mai 2008 bis 12. Juni 2015 Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zuerkannt worden seien, aus denen dem Land Wien als Sozialhilfeträger Kosten in der genannten Höhe entstanden seien. Der Kostenersatzanspruch sei im Verlassenschaftsverfahren als Forderung gegen den Nachlass bzw. die erbserklärten Erbinnen und Erben angemeldet worden und finde im Nachlass Deckung.

2 Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde. 3 Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Durchführung ergänzender Sachverhaltsermittlungen und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Beschwerde habe den Kostenersatzanspruch dem Grunde und der Höhe nach bestritten. Die Mitbeteiligte habe in der Beschwerde ua. vorgebracht, dass ihr verstorbener Sohn, F.S., lediglich Mindestsicherungsleistungen im Ausmaß von EUR 19.896,35 erhalten habe. Weiters habe die Beschwerde ausgeführt, dass die Mitbeteiligte an der im Nachlass befindlichen Wohnung ein dringendes Wohnbedürfnis habe, weshalb diese zur Befriedigung etwaiger Ansprüche nicht herangezogen werden dürfe. Gleiches gelte für das vererbte Sparguthaben in der Höhe von EUR 22.375,71, weil diesem Betrag der Anspruch der Mitbeteiligten auf Ersatz ihres Pflegeaufwandes in der Höhe von jährlich EUR 24.637, 50 gegenüber stehe. Die Forderung sei daher nach § 24 Abs. 4 WMSG erloschen, weil eine Zahlung aus dem Nachlass nicht erlangt werden könne, zumal die Passiva der Verlassenschaft für die Bestattungskosten in Höhe von EUR 5.717,70 sowie Gerichtskosten in Höhe von EUR 2.371,00 zu berücksichtigen seien.

5 Die Behörde - so das Verwaltungsgericht weiter - habe nicht ermittelt, ob die genannte Wohnung dem angemessenen Wohnbedarf der Mitbeteiligten diene und daher nicht als verwertbares Vermögen anzusehen wäre. Es fehlten auch Feststellungen, wie die Angaben der Mitbeteiligten, wonach die gewährten Mindestsicherungsleistungen EUR 19.896,35 betragen hätten, mit der behördlichen Aufstellung über einen Betrag von EUR 22.736,43 in Einklang zu bringen seien. Im Ersatzbescheid werde sich die Behörde auch mit dem Vorbringen auseinanderzusetzen haben, dass die Mitbeteiligte einen Anspruch auf Ersatz des Pflegeaufwandes habe.

6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

7 Die Revision bringt in den Zulässigkeitsgründen vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für Behebungen und Zurückverweisungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen. Die vom Verwaltungsgericht angenommenen Ermittlungsmängel lägen schon deshalb nicht vor, weil im Rahmen der Ersatzpflicht nach § 24 Abs. 4 WMSG ein dringendes Wohnbedürfnis der Mitbeteiligten und deren allfälliger Anspruch auf Ersatz eines Pflegaufwandes nicht zu berücksichtigen seien.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch das Verwaltungsgericht und Durchführung des Vorverfahrens - die Mitbeteiligte erstattete durch ihren Rechtsvertreter eine Revisionsbeantwortung - erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

10 Zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen kann auf das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, verwiesen werden (§ 43 Abs. 2 VwGG).

11 Demnach ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterlassen hat, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 2017, Zl. Ro 2014/08/0084, mwN).

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits ausgesprochen, dass selbst Bescheide, die in der Begründung "dürftig" sind, keine Zurückverweisung rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allfälligen mündlichen Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind (vgl. auch dazu das erwähnte hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 2017, mwN).

13 Im Hinblick auf die erörterten Grundsätze kommt im vorliegenden Fall eine Zurückverweisung der Sache an die Behörde nicht in Betracht:

14 § 24 Wiener Mindestsicherungsgesetz, LBGl. Nr. 28/2010 (WMSG), lautet (auszugsweise):

"Kostenersatz bei verwertbarem Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt

§ 24. (1) Für Kosten, die dem Land Wien als Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung durch die Zuerkennung von Leistungen zur Mindestsicherung entstehen, ist dem Land Wien als Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Ersatz zu leisten.

(2) Ersatzpflichtig sind alle anspruchsberechtigten Hilfe suchenden oder empfangenden Personen, soweit sie zu verwertbarem Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, gelangen. ...

(3) ...

(4) Ersatzpflichtig sind darüber hinaus die erbserklärten Erbinnen und Erben nach dem Tod der in Abs. 2 genannten Personen. Die Ersatzforderung wird mit dem Tag des Todes fällig. Soweit eine Zahlung aus dem Nachlass nicht erlangt werden kann, erlischt die Forderung. Weitere Ersatzforderungen gegen Erbinnen und Erben nach Einantwortung sind nicht zulässig. Es sind jene Kosten zu ersetzen, die dem Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung durch Hilfegewährungen in den letzten zehn Jahren der Hilfeleistung entstanden sind. Stichtag für die Berechnung der Frist ist der letzte Tag des Jahres, in dem Leistungen an die Ersatzpflichtigen geflossen sind.

(5) ...

(6) Der Kostenersatzanspruch des Trägers der Bedarfsorientierten Mindestsicherung verjährt drei Jahre nach Kenntnis der Umstände, die die Ersatzpflicht begründen."

15 Dem Verwaltungsakt ist zu entnehmen, dass die Behörde die gegenständliche Forderung im Verlassenschaftsverfahren angemeldet hat. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens zur Prüfung der Ersatzpflicht gemäß § 24 Abs. 4 WMSG hat die Behörde zunächst vom Verlassenschaftsgericht den Einantwortungsbeschluss vom 20. Oktober 2015 beigeschafft; daraus geht hervor, dass die Verlassenschaft des Verstorbenen F.S. zur Gänze der Mitbeteiligten eingeantwortet wurde. Im Verwaltungsakt erliegt weiters das von der Behörde in der Folge eingeholte Vermögensprotokoll der gegenständlichen Verlassenschaftssache, das dem Einantwortungsbeschluss zu Grunde lag. Das daraus ersichtliche Inventar weist Aktiva in der Höhe von EUR 77.103,46, darunter zwei Eigentumswohnungen im Wert von EUR 32.352,12 bzw. EUR 22.171,38, sowie das erwähnte Sparvermögen in Höhe von EUR 22.375,71 aus. An Passiva ist der Betrag von EUR 28.454,13 ausgewiesen, wobei sich dieser Betrag ausschließlich aus der Kostenersatzforderung in Höhe von 22.736,43 sowie den in der Beschwerde angeführten Bestattungskosten (EUR 5.717.70) zusammensetzt. Selbst unter Berücksichtigung der gegenständlichen Kostenersatzforderung nach § 24 Abs. 4 WMSG sowie der von der Mitbeteiligten geltend gemachten Bestattungskosten beträgt der "Reine Nachlass" laut Vermögensprotokoll sohin (immer noch) EUR 48.649,33.

16 Davon ausgehend kam die Behörde im Bescheid vom 23. November 2015 in nicht zu beanstandender Weise zur Auffassung, dass den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens zufolge der Kostenersatzanspruch in Höhe von EUR 22.736,43 jedenfalls im Nachlass Deckung finde, zumal ein allfälliger "Pflegeaufwand" der Mitbeteiligten deren Ersatzpflicht nicht schmälert und es infolge der Höhe des vererbten Vermögens auf die Frage der Verwertbarkeit der von ihr genützten Wohnung fallbezogen nicht ankommt.

17 Im gegenständlichen Fall ist daher nicht ersichtlich, dass eine Zahlung aus dem Nachlass nicht erlangt werden könnte; die - dem Grunde nach unstrittige - Forderung ist daher im Sinne des § 24 Abs. 4 dritter Satz WMSG auch nicht erloschen.

18 Die vorstehenden Erwägungen wären auf der Grundlage der aktenkundigen behördlichen Ermittlungsergebnisse auch dem Verwaltungsgericht ohne Weiteres möglich gewesen. Ausgehend davon, dass der von der Behörde geltend gemachte Ersatzanspruch daher dem Grunde nach besteht, hätte das Verwaltungsgericht lediglich (selbst) zu prüfen gehabt, ob die Kostenersatzpflicht in einer Höhe von EUR 22.736,43 oder - wie von der Mitbeteiligten behauptet - in Höhe von lediglich EUR 19.896,35 besteht. Die vom Verwaltungsgericht darüber hinaus ins Auge gefassten Sachverhaltsermittlungen durch die Behörde erweisen sich als nicht notwendig, weshalb die Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides nach § 28 Abs. 3 VwGVG jedenfalls unzulässig war.

19 Der angefochtene Beschluss ist nach dem Gesagten mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 29. März 2017

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