OGH 7Ob114/23z

OGH7Ob114/23z30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* S*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. März 2023, GZ 60 R 25/23s‑20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 28. Dezember 2022, GZ 10 C 373/21g‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00114.23Z.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Diebeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 751,92 EUR (darin enthalten  125,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung R910 (ARB 2008) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

1. Für die Geltendmachung eines Personen‑, Sach‑ oder Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen‑ oder Sachschaden zurückzuführen ist (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.4), gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles gilt der Eintritt dieses Schadenereignisses.[...]

[...]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 23 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. [...]

[...]

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

1. Sofern nichts anderes vereinbart ist, besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

[...]

6 aus dem Bereich des Kartell‑ oder sonstigen Wettbewerbsrechtes;

[...]

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1 den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

[...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? [...]

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts‑ und Beweislage zum Ergebnis,

[...]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1.1. Der Kläger erwarb während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel-PKW und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB, § 874 ABGB sowie die Verordnung (EU) Nr 715/2007 gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) sowie eine Haftung für Spät‑ und Dauerfolgen gegen die Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei.

[4] 1.2. Die Beklagte vermeint, dass sich der Versicherungsfall hier nicht nach Art 2.3. ARB 2008, sondern nach Art 2.1. ARB 2008 richte, weil der Kläger einen Vermögensschaden geltend mache, der auf einen Sachschaden zurückzuführen sei. Dies habe zur Folge, dass der Schaden nicht beim Kläger eingetreten sei, weil dieser einen Gebrauchtwagen gekauft habe. Entgegen der Ansicht der Beklagten macht der Kläger auch hier keinen Sachschaden im Sinn des Art 2.1. ARB 2008 geltend (7 Ob 89/23y; vgl auch 7 Ob 32/18h). Der Versicherungsfall richtet sich daher nach Art 2.3. ARB 2008.

[5] 2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 95/21b ausgesprochen, dass der Ausschluss nach Art 7.1.6 ARB 2009 (hier Art 7.1.6 ARB 2008) für einen durchschnittlich verständigen Verbraucher dahin zu verstehen ist, dass der Rechtsschutzversicherer für die Verfolgung von ihm nach Kartell- oder sonstigem Wettbewerbsrecht (einschließlich UWG) zustehenden Ansprüchen keine Deckung übernimmt (vgl RS0109433 [T4]). Die Beklagte brachte unter Bezugnahme auf diese Entscheidung in erster Instanz vor, ein bloßes Vorbringen des Klägers, dass er die Ansprüche, für welche er Deckung begehre, nicht auf § 1 UWG und Kartellrecht stütze, eine Einschränkung im Klagebegehren nicht ersetzen könne. Der Kläger müsse daher sein Klagebegehren entsprechend einschränken. Diesbezüglich hat der Oberste Gerichtshof aber bereits ausgesprochen, dass eine derartige Verpflichtung des Klägers zur Einschränkung des Klagebegehrens nicht besteht (7 Ob 86/23g). Das erstmals in der Revision erstattete Vorbringen, Art 5 Abs 2 der Verordnung (EU) Nr 715/2007 sei eine wettbewerbsrechtliche Vorschrift, weshalb jedenfalls eine Abweisung des Klagebegehrens hinsichtlich dieser Anspruchsgrundlage erfolgen hätte müssen, verstößt gegen das Neuerungsverbot und ist deshalb unbeachtlich.

[6] 3.1. Die Auskunftsobliegenheit (§ 34 Abs 1 VersVG; Art 8.1.1 ARB 2008) endet mit der Ablehnung des Entschädigungsanspruchs durch den Versicherer, weil sich das der Vereinbarung zugrundeliegende Ziel, die Leistung des Versicherers zu ermöglichen oder zu erleichtern, danach nicht mehr erreichen lässt. Mit anderen Worten bringt der Versicherer mit der Deckungsablehnung zum Ausdruck, dass er weiterer Auskünfte zur Beurteilung seiner Leistungspflicht nicht mehr bedarf (7 Ob 190/22z mwN). Dies gilt freilich nicht, wenn der Versicherer nach der Ablehnung zu erkennen gibt, er lege gleichwohl noch Wert auf Erfüllung der Obliegenheiten, und diese zumutbar erscheint (7 Ob 60/86; 7 Ob 319/01i; 7 Ob 153/20f). Dies setzt aber jedenfalls voraus, dass der Versicherer klarmacht, inwieweit er noch ein Aufklärungsbedürfnis hat (7 Ob 190/22z mwN).

[7] 3.2. Im vorliegenden Fall lehnte die Beklagte die Versicherungsdeckung mit Schreiben vom 14. Mai 2021 definitiv ab, worauf der Kläger am 6. August 2021 die Deckungsklage einbrachte. Erst kurz vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 22. September 2022 auf, ihr Informationen und Unterlagen über einen allfälligen Weiterverkauf, über den Kilometerstand zu verschiedenen Zeitpunkten, ob er das Fahrzeug bei Kenntnis von dessen Auslieferung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gekauft hätte und worin er in welcher Erwartung getäuscht worden sei, zu erteilen. Ganz abgesehen davon, dass die verlangten Informationen entweder nicht „erforderlich“ (vgl RS0080185) sind oder vom Kläger ohnehin im Rahmen dieses Verfahrens erteilt wurden, ist auch das Aufklärungsbedürfnis der Beklagten nicht erkennbar, hat sie es doch über einen Zeitraum von 1,5 Jahren nach Ablehnung der Deckung und von einem Jahr nach Beginn dieses Verfahrens nicht für notwendig erachtet, die nunmehr verlangten Informationen zu fordern, obwohl sich die Sachlage seither nicht geändert hat. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, es liege keine Verletzung des Art 8.1.1 ARB 2008 vor, ist daher nicht korrekturbedürftig.

[8] 4. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144 [T3]).

[9] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der von der Beklagten erhobene Einwand, wonach dem Kläger kein Schaden entstanden sei, weil er ein mangelfreies Fahrzeug erworben habe und dieses uneingeschränkt und mit keinen über den normalen Betrieb hinausgehenden Problemen nutzen habe können, als Tatfrage im Haftpflichtprozess zu beurteilen und für die Deckungspflicht unbeachtlich sei, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 7 Ob 61/22d; 7 Ob 129/22d; 7 Ob 130/22a). Dass die V* AG für den vom Kläger beabsichtigten Haftpflichtanspruch nicht passivlegitimiert und die Rechtsverfolgung deshalb aussichtslos sei, hat die Beklagte in erster Instanz nicht vorgebracht. Sie behauptete vielmehr sogar, diese sei „Hersteller des Fahrzeugs“. Die nunmehrigen Revisionsausführungen verstoßen somit gegen das Neuerungsverbot.

[10] 5. Auch den Einwand, dass nach Art 19 ARB keine Deckung für Anspruchsgrundlagen bestehe, die im Zusammenhang mit vertraglichen Ansprüchen stehen, was insbesondere für auf §§ 870, 874 ABGB gestützte Ansprüche und Garantiezusagen zutreffe, hat die Beklagte in erster Instanz nicht erhoben, sodass es sich um unzulässige Neuerungen handelt. Auf dieses Vorbringen muss somit ebenfalls nicht inhaltlich eingegangen werden.

[11] 6. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[12] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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