OGH 9ObA54/23s

OGH9ObA54/23s26.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Christian Lewol (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H* W*, geboren am *, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. B* GmbH & Co KG, FN *, und 2. B* GmbH, FN *, beide *, beide vertreten durch Mag. Thomas Frischmann und Mag. Claudia Rosenwirth, Rechtsanwälte in Bad Häring, wegen (restlich) 27.750 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert: 14.110,02 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Mai 2023, GZ 15 Ra 7/23a‑40, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00054.23S.0726.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der bei der Erstbeklagten beschäftigt gewesene Kläger erlitt im Jahr 2016 einen Arbeitsunfall mit einem Verkehrsmittel im Sinne des § 333 Abs 3 ASVG. Die Haftungsbefreiung nach § 333 Abs 1 ASVG (Dienstgeberhaftungsprivileg) tritt daher nicht ein (§ 333 Abs 3 ASVG).

[2] Die Vorinstanzen haben übereinstimmend vom errechneten Verdienstentgangsanspruch des Klägers die von ihm an Krankengeld, Arbeitslosengeld und Versehrtenrente erhaltenen Bezüge abgezogen und dem Kläger infolge Legalzession nach § 332 ASVG nur die Differenz zugesprochen. Begründend führte das Berufungsgericht aus, dass Ansprüche nach § 333 Abs 3 ASVG gemäß § 332 Abs 1 ASVG auf den Sozialversicherungsträger übergingen. § 332 Abs 3 ASVG stehe dem nicht entgegen.

[3] Nach dem Kongruenzprinzip gingen jedoch nur solche Schadenersatzansprüche auf den Sozialversicherungsträger über, die dem Ausgleichszweck der Sozialversicherungsleistung entsprächen, die also der Deckung eines Schadens dienten, den auch die Sozialversicherungsleistung liquidieren solle. Darunter fielen sowohl das Krankengeld, die Versehrtenrente und das Arbeitslosengeld.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision gesteht der Kläger zu, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Legalzession der herrschenden Rechtsprechung (RS0084425; vgl auch RS0085209; 9 ObA 84/93 = DRdA 1994/11 [Apathy] = ZAS 1995/6 [Bernat]; vgl auch 2 Ob 39/93 unter Bezugnahme auf die Lehre von Reischauer, Neuerungen im Bereich des Arbeitgeber-Haftungsprivilegs im Zusammenhang mit Kfz‑Verkehr und Integritätsabgeltung [§§ 213a und 332 ff ASVG] in DRdA 1992, 317 ff) und Lehre (Atria in Sonntag ASVG14 § 332 Rz 17 mwN; Auer‑Mayer in SV‑Komm § 332 ASVG Rz 117 mwN; Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 332 ASVG Rz 146; Neumayr in Schwimann/Neumayr, ABGB‑TaKomm5 § 333 ASVG Rz 9) entspricht. Auch dass dieBejahung der Kongruenz von Arbeitslosengeld (vgl RS0031373 [T1]) und Versehrtenrente (vgl RS0031026) mit den Leistungsansprüchen des Geschädigten gegen den Versicherungsträger in Einklang mit der oberstgerichtlichen Judikatur steht, wird nicht in Zweifel gezogen.

[5] 2. Der Oberste Gerichtshofbegründet seine Rechtsprechung zur Legalzession gemäß § 332 ASVG von Ansprüchen nach § 333 Abs 3 ASVG damit, dass § 332 Abs 3 ASVG zwar allgemein bestimmt, dass ein Schadenersatzanspruch nach § 333 ASVG auf den Versicherungsträger nicht übergeht, doch ist diese Bestimmung teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie in Bezug auf Ansprüche auf Ersatz von Schäden durch ein Verkehrsmittel im Ergebnis bedeutungslos wird. Während § 333 Abs 1 und 2 ASVG der Sache nach zwei vom allgemeinen Ersatzrecht abweichende Regeln enthalten (Dienstgeberhaftung bloß für vorsätzliche Schädigung und Vorteilsausgleichung hinsichtlich der Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung), nimmt § 333 Abs 3 ASVG gerade von diesen beiden Sonderregeln die Ansprüche wegen des durch ein Verkehrsmittel herbeigeführten Arbeitsunfalls bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen aus. Damit gelten für letztere aber wiederum die allgemeinen schadenersatzrechtlichen Regeln und es handelt sich gerade um keine „Ansprüche nach § 333“. Diese Bestimmung ist daher keine Schadenersatzsonderregel des § 333 ASVG, sondern führt lediglich zum allgemeinen Recht – sei es Gefährdungs- und/oder Verschuldenshaftung – zurück. Der Verweis des § 332 Abs 3 ASVG ist daher im Sinne eines Verweises auf § 333 Abs 1 und 2 teleologisch zu reduzieren und daher nur auf den Fall des Schadenersatzanspruchs des Dienstnehmers gegen den vorsätzlich handelnden Dienstgeber und Gleichgestellten zu beschränken (8 ObA 73/03y ua).

[6] 3. Die gegen diese Rechtsprechung in der außerordentlichen Revision vom Kläger angestellten Überlegungen, die das Ziel verfolgen, die Bestimmung des § 332 Abs 3 ASVG so auszulegen, dass auch Ersatzansprüche eines Dienstnehmers gegen den Dienstgeber infolge bei einem Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel (mit erhöhter Haftpflicht) erlittenen Körperschadens (§ 333 Abs 3 ASVG) von der Legalzession (§ 332 Abs 1 ASVG) ausgenommen sind, sind nicht geeignet, den Obersten Gerichtshof zu einem Judikaturwandel zu veranlassen:

[7] 3.1. Die Argumente, dass § 332 Abs 3 ASVG keinen Schadenersatzanspruch begründet, sondern einen solchen voraussetzt und § 333 Abs 1 ASVG eine Haftungseinschränkung (Dienstgeberhaftungsprivileg) und keine Haftungsgrundlage bildet, sind nicht geeignet, die Begründung der Rechtsprechung (Pkt 2.) zu widerlegen, liegen diese doch auch der Beurteilung des Obersten Gerichtshofs zugrunde. Dieser unterstellt dem Gesetzgeber kein „Versagen“ bei der Gesetzesformulierung, sondern verschafft der ratio legis des § 332 Abs 3 ASVG gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Durchsetzung, indem sich die (letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende) Auslegung am Gesetzeszweck orientiert (RS0008979 [T3, T9]; RS0106113 [T3, T9]). Eine teleologische Reduktion ist dann unzulässig, wenn Gesetzeswortlaut und klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung weisen (RS0008880 [T23]). Dies ist hier aber nicht der Fall.

[8] 3.2. § 334 Abs 1 ASVG widerspricht der herrschenden Auslegung des § 332 Abs 3 ASVG ebenfalls nicht. Diese Bestimmung gibt dem Sozialversicherungsträger einen originären Rückgriffsanspruch gegen den Dienstgeber (oder einem ihm gemäß § 333 Abs 4 Gleichgestellten), wenn dieser den Arbeitsunfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat. Er geht nicht wie der Anspruch nach § 332 ASVG erst im Wege der Legalzession auf ihn über und er ist daher unabhängig davon, ob dem Verletzten ein privatrechtlicher Schadenersatzanspruch gegen den Schädiger zusteht oder nicht (vgl RS0085367). Warum aber im Fall des § 333 Abs 3 ASVG der Ersatzanspruch des Dienstnehmers nicht im Wege der Legalzession auf den Sozialversicherungsträger übergehen, dieser daher, wie auch der Revisionswerber konstatiert, „leer ausgehen“ sollte, wäre unter Berücksichtigung der Gesamtregelung der §§ 332 ff ASVG nicht erklärbar.

[9] 3.3. Richtig ist, dass nach herrschender Ansicht § 333 Abs 3 ASVG letztlich nicht den Dienstgeber, sondern den Haftpflichtversicherer mit der Haftung nach § 333 Abs 3 ASVG belasten will (vgl Reischauer, aaO; Auer-Mayer in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 333 ASVG Rz 70; Kath, Sozialversicherungsrechtliches Haftungsprivileg des Dienstgebers, Pflichtversicherung von Anhängern und der Begriff des „Verkehrsmittels“, das erhöhter Haftpflicht unterliegt – Eine Analyse der Entscheidung 2 Ob 178/11g, ÖJZ 2012/66, 620 ff; 9 ObA 147/12a; RS0085140 [T1]). Dass der Gesetzgeber die Haftungsbefreiung nur im Zusammenhang mit Verkehrsmitteln, für deren Betrieb eine gesetzliche Versicherungspflicht besteht, vorgesehen hat und nicht auch Regelungen für – außerhalb des § 333 Abs 3 ASVG liegende Fälle – andere vom Dienstgeber eventuell abgeschlossene Versicherungen getroffen hat, widerspricht dem Zweck des § 333 Abs 3 ASVG nicht. Die dazu vorgebrachten Überlegungen des Revisionswerbers, insbesondere im Zusammenhang mit der nach § 332 Abs 5 ASVG eingeschränkten Möglichkeit der Geltendmachung des Rückgriffsrechts durch den Sozialversicherungsträger (vgl Auer-Mayer in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 332 ASVG Rz 155; Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 332 ASVG Rz 151), bieten ebenfalls keinen Anlass, von der ständigen und einhelligen Rechtsprechung zu § 333 Abs 3 ASVG abzugehen.

[10] 4. Auch soweit die außerordentliche Revision die herrschende Rechtsprechung zur Legalzession im Umfang des vom Geschädigten bezogenen Arbeitslosengeldes für „hinterfragungswürdig“ hält, zeigt sie mit ihrer Kritik keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[11] 4.1. Voraussetzung des Rechtsübergangs nach § 332 Abs 1 ASVG ist neben der persönlichen und zeitlichen Kongruenz die sachliche Kongruenz. Diese ist gegeben, wenn der Ausgleichszweck des Sozialversicherungsanspruchs mit jenem des Schadenersatzanspruchs ident ist und beide Ansprüche daher darauf abzielen, denselben Schaden zu decken (RS0084987; RS0085343; Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 332 ASVG Rz 41). Die mit dieser Bestimmung angeordnete Legalzession hat einen zweifachen Zweck: Der Schädiger soll nicht durch eine Leistung des Sozialversicherungsträgers entlastet, der Geschädigte aber auch nicht durch eine zweifache Leistung begünstigt werden (2 Ob 121/16g Pkt 2.1. mwN). Diesem Zweck wird die von der Rechtsprechung geforderte Anrechnung des Arbeitslosengeldes auf den Verdienstentgangsanspruch des Geschädigten aber zweifellos gerecht. Der Vorwurf des Revisionswerbers, § 332 ASVG ordne seine Anwendung auf das Arbeitslosengeld gar nicht an und auch wenn die Legalzessionsregelung im Ergebnis vernünftig sei, käme eine Analogie zum AlVG mangels Vorliegens einer planwidrigen Lücke nicht in Betracht, ist daher insofern nicht berechtigt. Auch aus § 21a AlVG ist für den Standpunkt des Revisionswerbers nichts zu gewinnen. Diese Bestimmung regelt die Anrechnung von Einkommen aus einer vorübergehenden Erwerbstätigkeit eines Beziehers von Arbeitslosengeld. Wird ein allfälliges Einkommen auf den Arbeitslosenbezug angerechnet, dann geht auch nur dieser gekürzte Arbeitslosenbezug im Legalzessionsweg auf den Versicherungsträger über.

[12] 4.2. Es ist herrschende Rechtsprechung, dass der Schadenersatzanspruch auf Ersatz von Verdienstentgang dem gleichen Zweck dient wie der Anspruch gegen den Sozialversicherungsträger auf Leistung einer Versehrtenrente, nämlich dem Ausgleich des durch die Schadenszufügung verminderten oder nur unter erschwerten Voraussetzungen erzielbaren Erwerbseinkommens (RS0031026). Stichhältige Argumente gegen die Annahme einer Kongruenz dieser Leistungen führt die außerordentliche Revision nicht ins Treffen.

[13] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

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