OGH 1Ob84/23v

OGH1Ob84/23v27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragsteller 1. A*, und 2. M*, beide vertreten durch MMag. Maria Leinschitz, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Antragsgegnerin D*, vertreten durch Dr. Andrea Müller, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5. Juli 2022, GZ 42 R 91/22a-30, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 28. Jänner 2022, GZ 27 FAM 31/21y-19, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00084.23V.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Antragsgegnerin ist die Mutter der beiden bereits volljährigen Antragsteller, die im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Vater wohnen.

[2] Aufgrund pflegschaftsgerichtlicher Beschlüsse aus dem Jahr 2016 bzw 2014 war die Antragsgegnerin zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 290 EUR gegenüber der Erstantragstellerin und 112 EUR gegenüber dem Zweitantragsteller verpflichtet.

[3] Die Antragsteller beantragten im Oktober 2021 die Erhöhung der Unterhaltsleistungen rückwirkend für drei Jahre.

[4] Das Rekursgericht sprach der Erstantragstellerin ab 1. 9. 2021 einen laufenden Unterhalt von 410 EUR und für die Zeit vom 1. 11. 2018 bis 31. 1. 2022 einen Unterhaltsrückstand von 2.980 EUR sowie dem Zweitantragsteller für die Zeit vom 1. 11. 2018 bis 31. 8. 2021 einen Unterhaltsrückstand von 2.380 EUR zu, wobei es der Antragsgegnerin die Möglichkeit einer Ratenzahlung des jeweiligen Unterhaltsrückstands (und zwar in 14 bzw in 11 monatlichen Raten á 200 EUR zuzüglich einer letzten Rate á 180 EUR) gewährte. Das Unterhaltsmehrbegehren der Kinder wies es ab.

[5] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nachträglich mit der Begründung zu, es erscheine eine Klarstellung angezeigt, ob bei geringem Einkommen den Eltern (gemeint dem geldunterhaltspflichtigen Elternteil, hier der Mutter) die Finanzierung eines Studiums entsprechend ihren Lebensverhältnissen zugemutet werden könne, allenfalls durch Berücksichtigung einer höheren Grenze bei der Leistungsfähigkeit; oder allenfalls die subsidiäre Verpflichtung des Vaters, bei dem die Antragsteller wohnten, zuvor zu prüfen wäre.

[6] Gegen diesen Beschluss richtet sich der (von den Antragstellern beantwortete) Revisionrekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, das Unterhaltsbegehren der Kinder spätestens rückwirkend mit Juli 2022 abzuweisen, den auferlegten Unterhaltsrückstand zu reduzieren und ihr die Möglichkeit zur Zahlung des Rückstands in monatlichen Raten á 50 EUR pro Kind einzuräumen.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) – nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen ist.

[8] 1. Nach ständiger Rechtsprechung hat dem Unterhaltsschuldner ein Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig ist (RS0008667). Die Bestimmungen der Exekutionsordnung können als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung dienen (RS0013458; RS0047455). Die Belastbarkeit des Unterhaltspflichtigen richtet sich nach dem Unterhaltsexistenzminimum gemäß § 291b EO, das ausnahmsweise in den Grenzen des § 292b EO unterschritten werden kann (RS0125931). Dabei ist jedoch stets zu berücksichtigen, dass der Unterhaltspflichtige nicht so weit belastet wird, dass er in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre (RS0047455).

[9] Die Ansicht der Revisionsrekurswerberin, die Belastbarkeitsgrenze im Sinn des Existenzminimums würde durch die vom Rekursgericht auferlegten Zahlungen bei weitem unterschritten, kann nicht nachvollzogen werden. Das Rekursgericht hat das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen der Antragsgegnerin für die Jahre 2018 bis 2021 inklusive Sonderzahlungen dem als „absolute Belastungsgrenze“ bezeichneten niedrigsten Existenzminimum gegenübergestellt und ausgeführt, dass die zu zahlenden Unterhaltsbeiträge in der jeweiligen Differenz Deckung fänden. Das scheint die Antragsgegnerin auch nicht weiter in Abrede zu stellen. Offenbar meint sie, die „absolute Belastungsgrenze“ würde durch die (Raten-)Zahlung des Unterhaltsrückstands unterschritten. Das ist allerdings auch nicht der Fall. Sie ist seit 1. 9. 2021 zur Zahlung eines laufenden Unterhalts von monatlich 410 EUR für die Erstantragstellerin und seit 1. 9. 2022 zusätzlich zur Zahlung eines Rückstands von monatlich 200 EUR für jeden Antragsteller verpflichtet, insgesamt also zu einem Betrag von monatlich 810 EUR. Nach Abzug dieser Verpflichtung von der vom Rekursgericht ausgemittelten Unterhaltsbemessungsgrundlage von rund 1.871 EUR im Monat verbleiben ihr noch 1.062 EUR monatlich. Dieser Betrag ist auch höher als das einkommensabhängige Unterhaltsexistenzminimum der Mutter im Sinn der Entscheidung 1 Ob 190/09z (verst Senat). Die Frage, ob die Verpflichtung zur Zahlung eines Unterhaltsrückstands für die Beurteilung der „absoluten Belastungsgrenze“ relevant sein könnte, stellt sich daher nicht.

[10] Nur der Vollständigkeit halber ist die Antragsgegnerin darauf zu verweisen, dass sich das Rekursgericht sehr wohl an ihrer Leistungsfähigkeit orientiert und daher einen weit unter dem Regelbedarf liegenden Unterhalt für die beiden Kinder festgesetzt hat.

[11] 2. Der Unterhaltspflichtige hat zu einer höherwertigen weiteren Berufsausbildung seines Kindes beizutragen, wenn dieses die zum Studium erforderlichen Fähigkeiten besitzt, es ernsthaft und zielstrebig betreibt und dem Unterhaltspflichtigen nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen eine solche Beteiligung an den Kosten des Studiums möglich und zumutbar ist; ein den Lebensverhältnissen der Eltern und den Anlagen und Fähigkeiten des Kindes entsprechendes Studium schiebt somit den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit hinaus (RS0047580; 1 Ob 149/13p). Die erforderliche Eignung für ein Universitätsstudium wird bereits durch die Reifeprüfung selbst dokumentiert (RS0047716 [T2]). Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Kind eine AHS oder eine BHS absolvierte. Ein an den Abschluss an einer berufsbildenden höheren Schule (BHS) anschließendes Hochschulstudium ist keine Zweitausbildung (RS0047625 [T2, T3]). Das Kind ist nicht verpflichtet, zwecks Entlastung des Unterhaltspflichtigen die ihm neben der Ausbildung verbleibende freie Zeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens zu verwenden (RS0047673).

[12] Die Entscheidung des Rekursgerichts steht mit dieser Rechtslage in Einklang: Der Einwand der Revisionsrekurswerberin, es fehle an ihrer (uneingeschränkten) Zustimmung zum – im Anschluss an den Abschluss einer HTL aufgenommenen – Studium der Erstantragstellerin, geht fälschlich vom Vorliegen einer Zweitausbildung aus und daher ebenso ins Leere wie ihre Zweifel an der Eignung ihrer zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlussfassung erst im ersten Semester befindlichen Tochter. Ihre Ansicht, beide Antragsteller wären (vor Beendigung der Ausbildung) jedenfalls auf eine Teilzeitbeschäftigung anzuspannen, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage (7 Ob 640/92). Der Umstand, dass die Antragsgegnerin zwei Monate für ihren Sohn Unterhalt leistete, obgleich er zu dieser Zeit wegen Ableistung seines Zivildienstes keinen Anspruch mehr hatte, führt (anders als ein allfälliges Wiederaufleben von dessen Anspruch, das hier allerdings nicht zur Beurteilung steht) nicht zu einer Reduktion des Unterhaltsanspruchs der Tochter.

[13] 3. Mit ihrer Forderung, die Einkommensverhältnisse des Vaters der Antragsteller wären zu überprüfen gewesen, übergeht die Antragsgegnerin die Rechtsprechung, dass die erhöhte Leistungsfähigkeit des betreuenden Elternteils grundsätzlich nicht zu einer Verminderung des vom anderen Elternteil zu leistenden Geldunterhalts führen darf (RS0047549 [T1, T4]).

[14] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 AußStrG. Die Antragsteller haben in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels nicht hingewiesen (RS0122774 [T1]).

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