OGH 7Ob640/92

OGH7Ob640/9221.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der ***** geborenen Antragstellerin Ruth Maria A*****, vertreten durch Dr.Herwig Hammerer und Dr.Alois Autherith, Rechtsanwälte in Krems an der Donau, infolge Revisionsrekurses des Vaters Peter E*****, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Rekursgericht vom 5.Oktober 1992, GZ 2 R 126/92-44, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Krems an der Donau vom 14.Mai 1992, GZ P 41/88-41, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die seit ***** volljährige Ruth Maria A***** ist die uneheliche Tochter des Peter E***** und der Eveline E*****. Bis zur Volljährigkeit kam die Obsorge der Mutter zu, in deren Haushalt Ruth Maria A***** nach wie vor lebt. Der Vater war zuletzt aufgrund des Beschlusses vom 14.5.1990 (ON 25) zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.470 verpflichtet. Er ist außer für die Antragstellerin auch noch für seine einkommenslose Ehegattin sowie die Minderjährigen Sascha E*****, und Kathrin E*****, sorgepflichtig.

Ruth Maria A***** besucht - nach Ablegung der Reifeprüfung an einer allgemein bildenden höheren Schule - seit November 1991 den Grundlehrgang für Masseure im Wirtschaftsförderungsinstitut St.Pölten. Dieser Kurs ist in vier, jeweils acht bis neun Wochen dauernde Semester gegliedert, wobei pro Semester Unterricht an drei Tagen pro Woche stattfindet. Die Kosten dieser Berufsausbildung (Kursbeitrag, Fahrtkosten, Berufskleidung und Massagebank) belaufen sich jährlich auf S 23.546. Für diesen Lehrgang ist die Ablegung der Reifeprüfung nicht erforderlich. Ruth Maria A***** wollte ursprünglich die - die Ablegung der Reifeprüfung voraussetzende - dreijährige Schule für physikalische Therapie besuchen, fand dort aber keine Aufnahme. Neben diesem Lehrgang besucht Ruth Maria A***** auch fallweise Praxisseminare in der Dauer von jeweils zwei bis drei Tagen; eine Teilzeitbeschäftigung in dem von ihr angestrebten Beruf konnte sie nicht erlangen. Im Raum Krems an der Donau gibt es derzeit keine offene Stelle für Maturanten einer allgemeinbildenden höheren Schule.

Am 29.1.1992 beantragte die damals noch minderjährige Antragstellerin, den vom Vater zu leistenden Unterhaltsbeitrag ab 1.2.1992 auf monatlich S 4.500 zu erhöhen. Nach Ablegung der Reifeprüfung stehe sie seit November 1991 im Rahmen eines viersemestrigen Kurses des Wirtschaftsförderungsinstitutes St.Pölten in Ausbildung zur Heilmasseurin. Diese Ausbildung werde bis Juni 1993 dauern. Mit dem Lehrgang seien erhebliche Kosten verbunden. Eine Teilzeitbeschäftigung außerhalb der Kurszeiten sei nicht möglich, weil die Antragstellerin immer wieder Seminare besuchen müsse. Mit der Reifeprüfung allein erhalte sie keinen entsprechenden Arbeitsplatz.

Der Vater sprach sich gegen den Unterhaltserhöhungsantrag aus und beantragte seinerseits, ihn wegen eingetretener Selbsterhaltungsfähigkeit von der Unterhaltspflicht zu entheben. Die Antragstellerin habe aufgrund der abgelegten Reifeprüfung eine solide Grundlage für den Einstieg in das Berufsleben und sei daher selbsterhaltungsfähig. Der Ausbildungskurs zum Masseurberuf werde von Berufstätigen zum Teil auch nebenbei absolviert; auch der Antragstellerin sei eine Teilzeitbeschäftigung zuzumuten. Außerdem würde ihn der begehrte Unterhalt neben und seine weiteren Unterhaltspflichten stark belasten.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Unterhaltserhöhung ab (Punkt 1) und den Antrag des Vaters, ihn von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben, "zurück" (Punkt 2). Rechtlich war es der Ansicht, daß Ruth Maria A***** trotz der angestrebten Berufsausbildung in der Lage sei, in den kursfreien Zeiten einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen. Eine solche Tätigkeit sei ihr auch dann zuzumuten, wenn sie nicht ihrer bisherigen Ausbildung entspreche.

Das Rekursgericht gab dem - lediglich von der Unterhaltsberechtigten erhobenen - Rekurs Folge und erhöhte den vom Vater zu leistenden monatlichen Unterhalt ab 1.2.1992 um S 1.030 auf monatlich S 4.500; weiters sprach es aus, daß der Revisionsrekurs zulässig sei. Trotz der Ablegung der Reifeprüfung sei die Antragstellerin noch nicht selbsterhaltungsfähig. Abgesehen davon, daß derzeit im Raum Krems an der Donau keine freien Stellen für Maturanten einer allgemeinbildenden höheren Schule verfügbar seien, habe sie eine weiterführende Berufsausbildung als Physikotherapeutin angestrebt. Daß sie zu dieser Ausbildung nicht zugelassen wurde, dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen. Einem unterhaltsberechtigen Kind müsse nach den Lebensverhältnissen der Eltern auch die Möglichkeit geboten werden, einen anderen Beruf seiner Neigung zu erlernen. Auch Maturanten bedürften regelmäßig einer Weiterbildung, um im Berufsleben besser voranzukommen. Eine Teilzeitbeschäftigung könne der Unterhaltsberechtigten im Hinblick auf die Arbeitsmarktlage und den Besuch praktischer Kurse während der unterrichtsfreien Zeiten nicht zugemutet werden. Während des Lehrganges selbst sei eine Nebenbeschäftigung wegen der Länge des täglichen Unterrichts jedenfalls unmöglich. Der festgesetzte Unterhaltsbetrag entspreche der Leistungsfähigkeit des Vaters. Er sei aber auch wegen des durch die Ausbildungskosten begründeten Sonderbedarfes angemessen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Unterhaltserhöhung gerichtete Revisionsrekurs des Vaters ist nicht berechtigt.

Die Frage, ob die Unterhaltsberechtigte wegen der Ablegung der Reifeprüfung an einer allgemeinbildenden höheren Schule zur Gänze selbsterhaltungsfähig ist, ist im vorliegenden Fall durch die Entscheidung über den Antrag des Vaters für die vorliegenden Verhältnisse rechtskräftig verneint worden. Die erfolgreich abgelegte Reifeprüfung an einer allgemein bildenden höheren Schule ermöglicht zwar den Zugang zu manchen Berufen, insbesondere zu solchen, in denen eine spezielle fachliche Ausbildung erst während des Arbeitsverhältnisses vorgesehen ist; in solchen Fällen bildet die Ablegung der Reifeprüfung die Grundlage für die Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit (ÖAV 1985, 22). Eine den Lebensverhältnissen der Eltern und den Anlagen und Fähigkeiten des Kindes entsprechendes Studium kann aber den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit hinausschieben (EvBl 1992/73 mwN). Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um eine weiterführende Berufsausbildung durch ein Hochschulstudium, sondern um eine spezielle Berufsausbildung, für die die erfolgreiche Ablegung der Reifeprüfung nicht erforderlich ist. Ob der Vater - bei den gegebenen Verhältnissen - den bisher festgelegten Unterhaltsbetrag auch während dieser Berufsausbildung zu leisten hat, ist nicht mehr Gegenstand der Entscheidung. Es ist vielmehr nur zu prüfen, ob die Unterhaltsberechtigte - im Rahmen der begehrten Unterhaltserhöhung - teilweise selbsterhaltungsfähig ist.

Gemäß § 140 Abs 3 (hier iVm § 166) ABGB mindert sich der Anspruch des Kindes auf Unterhalt insoweit, als es eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist.

Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind dann, wenn es die zur Deckung seines Unterhaltes erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist (Schlemmer-Schwimann ABGB Rz 99 zu § 140, 1 Ob 594/90, 1 Ob 627/90, 6 Ob 570/90 ua). Grundsätzlich muß jedoch jedem Kind zugebilligt werden, sich nicht mit dem Mindeststandard zufriedenzugeben, sondern eine Berufsausbildung zu absolvieren, die höhere Einkommenschancen eröffnet. Der Unterhaltspflichtige ist nicht berechtigt, den sozialen Aufstieg des Kindes zu vereiteln, sondern zur Unterhaltsleistung solange verpflichtet, als das Kind seine weitere Berufsausbildung zielstrebig verfolgt (LG Wien EFSlg 56.551, 51.058, 45.635 ua). Da die Berufswahl prägend für das gesamte weitere Leben sein kann, ist dem Unterhaltsansprecher nicht nur eine nach den Umständen zumutbare Zeitspanne zuzubilligen, um einen Ausbildungsplatz in dem von ihm erwünschten Berufszweig zu erlangen, sondern unter gewissen Umständen auch den Ausbildungszweig zu wechseln (KG Krems EFSlg 51.059, LG Innsbruck, EFSlg 56.555 ua). Eine einmalige Änderung im Ausbildungsgang wurde deshalb wiederholt als vertretbar erklärt (LG Innsbruck, EFSlg. 56.555, LG Wien, EFSlg. 45.641, 45.644 ua). Findet das Kind nach erfolgter Ausbildung keine Arbeitsmöglichkeit, tritt Selbsterhaltungsfähigkeit nicht ein. Erst nach längerer Zeit wäre eine Verweisung auf Hilfsarbeitertätigkeiten möglich (LG Wien, EFSlg. 48.184, 45.638 ua, Schlemmer-Schwimann ABGB Rz 105 zu § 140).

Es ist zwar richtig, daß sich der Unterhaltsanspruch durch eigenes Einkommen des Kindes vermindern kann und daß durch ein derartiges eigenes Einkommen unter Umständen teilweise Selbsterhaltungsfähigkeit eintritt. Das Gesetz schreibt jedoch nirgends die Erzielung eines eigenen Einkommens durch das unterhaltsberechtigte Kind vor Beendigung der Ausbildung vor. Die sogenannte Anspannungstheorie läßt sich nicht in ihrem ursprünglichen Sinn auf den Unterhaltsberechtigten ausdehnen, weil diesbezüglich die Rechtslage nicht die gleiche ist wie bezüglich des Unterhaltspflichtigen (Pichler versteht sie in Rummel2, Rz 12 zu § 140 ABGB nur in dem durch die Judikatur eingeschränkten Sinn). Nach § 140 ABGB haben nämlich die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Dagegen gibt es keine gesetzliche Bestimmung, die dem Kind die Pflicht auferlegt, nach seinen Kräften den Unterhaltspflichtigen zu entlasten. Solange die Ausbildung des Kindes nicht abgeschlossen ist, besteht grundsätzlich keine Verpflichtung, eine nicht im Zusammenhang mit der Berufsausbildung stehende Erwerbstätigkeit auszuüben. Auch Pichler (in Rummel2 Rdz 12 zu § 140 ABGB) steht nicht auf dem Standpunkt, daß Kinder vor Abschluß ihrer Ausbildung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit verpflichtet werden, was letzten Endes dazu führen würde, daß sie ihre Ausbildung zum Teil selbst bezahlen. Ist also im allgemeinen die Berufsausbildung eines Kindes nicht abgeschlossen, so tritt dessen Selbsterhaltungsfähigkeit in der Regel nicht ein, d.h. es ist nicht verpflichtet, zwecks Entlastung des Unterhaltspflichtigen die ihm neben der Ausbildung verbliebene freie Zeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens zu verwenden. Nur wenn es tatsächlich ein solches Einkommen bezieht, mindert dieses die vom Unterhaltspflichtigen zu erbringende Leistung. Voraussetzung ist, daß man tatsächlich von einer zielstrebigen und kontinuierlichen Berufsausbildung sprechen kann. Es wurde nie in Zweifel gezogen, daß die Absolvierung eines Hochschulstudiums als eine solche Berufsausbildung gilt, wobei keine Rücksicht darauf genommen wurde, welcher Zeitaufwand für dieses Studium tatsächlich erforderlich ist und wieviel Freizeit dem Unterhaltsberechtigten verbleibt. Es wäre aber ein mit der heutigen Auffassung unvereinbarer Wertungswiderspruch, würde man andere Berufsausbildungen als Hochschulstudien schlechter behandeln.

Was die Frage anlangt, ob von einer Berufsausbildung noch die Rede sein kann, wenn nach abgelegter Matura eine Ausbildung absolviert wird, die die Matura nicht zur Voraussetzung hat, sei auf die obigen Darlegungen verwiesen. Selbst ein Wechsel im Ausbildungsgang würde demnach noch nicht zwingend zur Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit führen. Ferner ist zu beachten, daß heutzutage die Matura nicht mehr speziell eine Vorbereitung auf bestimmte Studien ist, sondern vielfach als Grundlage für ein besseres Fortkommen in vielen Berufen, für die sie nicht Voraussetzung ist, gilt. Einerseits vermittelt sie demjenigen, der sie abgelegt hat, doch einen höheren Bildungsgrad, der häufig auch in Berufen von Vorteil ist, die die Matura nicht zur zwingenden Voraussetzung haben und andererseits wird jungen Menschen heute auch die Möglichkeit des zweiten Bildungsweges geboten, weshalb die Matura, auch wenn sie für die derzeitige Berufsausbildung nicht Voraussetzung wäre, später von erheblichem beruflichen Vorteil sein kann.

Das Rekursgericht hat daher die Rechtssache grundsätzlich richtig beurteilt. Auf den konkreten Fall angewandt bedeutet dies, daß die Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes noch nicht eingetreten ist. Dieses hat sofort nach Ablegung der Matura eine Weiterbildung in einem Berufszweig angestrebt, für den Matura Voraussetzung ist. Daß ihm eine solche Weiterbildung derzeit nicht möglich ist, kann ihm nicht angelastet werden, weil die Aufnahmekapazität des die Ausbildung vornehmenden Institutes beschränkt war und das Kind deshalb keine Aufnahme gefunden hat. Es kann keinesfalls zum Verlust oder zur Beeinträchtigung des Unterhaltsanspruches führen, wenn es daraufhin sofort eine andere Ausbildung in Angriff genommen hat. Immerhin handelt es sich bei dieser Ausbildung um eine genau regulierte und organisierte, deren Zeitaufwand und insbesondere die zeitliche Aufteilung innerhalb eines Jahres die Aufnahme einer mit der Berufsausbildung in keinem Zusammenhang stehenden Beschäftigung kaum zumutbar erscheinen läßt. Zu berücksichtigen ist auch, daß auch an Hochschulen Studierende sehr lange Freizeiten haben. Es wäre abwegig, der Unterhaltsberechtigten jene Vorteile, die Studierende an Hochschulen haben, abzusprechen.

Daß dem Unterhaltspflichtigen im vorliegenden Fall aufgrund seines Einkommens und seiner sonstigen Sorgepflichten die Leistung des geforderten Unterhaltes zumutbar ist, kann nach den bisherigen Ergebnissen des Verfahrens nicht zweifelhaft sein.

Dem Revisionsrekurs war demnach nicht Folge zu geben.

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