OGH 8ObA36/23m

OGH8ObA36/23m27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in derArbeitsrechtssache der klagenden Partei Univ.‑Prof. Dr. H*, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* Universität *, vertreten durch Mag. Johannes Mutz, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, in eventu Entlassungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgerichtin Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. März 2023, GZ 6 Ra 57/22g‑110, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00036.23M.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war bei der Beklagten als Universitätsprofessorin für G* beschäftigt. Die Beklagte erreichten zahlreiche Beschwerden, wonach die Klägerin als Institutsvorstand die Arbeitsleistungen ihrer Kollegen auf unsachliche Weise kritisiere. So hatte die Klägerin einem Mitarbeiter wegen seiner mangelnden Leistungen einen Krankenhausaufenthalt vorgeschlagen und die angeblich schlechten Leistungen einer Mitarbeiterin auf eine „pränatale Störung“ zurückgeführt. Auch Studierende beschwerten sich darüber, dass die Klägerin sie als „Analphabeten“, „dumm“, „faul“ und „niveaulos“ bezeichnet habe. Die Klägerin selbst berichtete davon, dass sie während einer Prüfung eine Studentin gefragt hat, ob sie „Drogen genommen“ habe, weil sie sich „blöd“ angestellt habe.

[2] Zu einer Mitarbeiterin mit einer Büropflanze äußerte die Klägerin, dass man das in der Psychiatrie auch so mache, zuerst eine Pflanze, dann ein Haustier. Später meinte die Klägerin zu dieser Mitarbeiterin, dass ihr Verhalten während eines Forschungsprojekts ein Grund gewesen wäre, sie in die Psychiatrie einzuweisen. Während eines Gesprächs am 9. 4. 2018 stellte die Klägerin die Arbeitsfähigkeit dieser Mitarbeiterin in Frage, warf ihr vor, absichtlich krank zu sein, und erteilte ihr den Rat, zweimal wöchentlich eine Therapie in Anspruch zu nehmen und besprach mit ihr die Auswahl des Psychiaters, sodass diese ihr Dienstverhältnis vorzeitig beenden und die Universität noch während des Studienjahrs verlassen wollte. Am 26. 4. 2018 langte die Beschwerde dieser Mitarbeiterin im Rektorat der Beklagten ein, sodass die Klägerin nach Besprechungen und einer Abstimmung im Rektorat mit Zustimmung des Betriebsrats am 3. 5. 2018 entlassen wurde. Zwischen dem Einlangen der Beschwerde und der Entlassung lagen ein Wochenende, ein Fenstertag und ein Feiertag.

[3] Die Vorinstanzen haben die auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, in eventu Entlassungsanfechtung gerichtete Klage abgewiesen. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Entgegen dem Revisionsvorbringen beruht die Entscheidung der Vorinstanzen nicht nur auf anonymen Beschwerden, sondern auch auf den Aussagen der Klägerin gegenüber Studenten und Mitarbeitern des Instituts, wie sie vom Erstgericht festgestellt wurden. Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass sie als Institutsvorstand die Leistungen von Studierenden und Nachwuchswissenschaftern bewerten musste, ist ihr dahin zustimmen, dass eine sachliche Kritik an den Arbeitsleistungen oder der fachlichen Eignung keinen Entlassungsgrund darstellt, selbst wenn sie objektiv unrichtig ist (RIS-Justiz RS0029070). Wohl aber ist es nach § 27 Z 6 AngG als ein wichtiger Grund anzusehen, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, wenn sich der Angestellte in diesem Zusammenhang erhebliche Ehrverletzungen gegen Mitbedienstete zuschulden kommen lässt.

[5] 2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann die ohne konkrete Anhaltspunkte aufgestellte unsachliche Behauptung einer psychischen Erkrankung eine Beleidigung darstellen (9 ObA 76/93; 9 Ob 4/17d). Ob der Entlassungsgrund des § 27 Z 6 AngG verwirklicht wurde, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0029630; RS0029857). Dabei ist die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, sein Bildungsgrad, die Art des Betriebs, der dort herrschende Umgangston, die Gelegenheit, bei der die Äußerung gefallen ist, und das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (RS0029630). Allgemein gilt, dass Angestellte in leitender Stellung strengeren Anforderungen unterliegen (RS0029652). Insbesondere angesichts ihrer Stellung als Universitätsprofessorin und der leitenden Funktion als Institutsvorstand ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Entlassung der Klägerin aufgrund ihres beleidigenden Verhaltens gegenüber Studierenden und Institutsmitarbeitern gerechtfertigt war, von der bisherigen Rechtsprechung gedeckt. Soweit sich die Klägerin auf die Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre beruft, kann sie daraus kein Recht ableiten, Studierende oder Mitarbeiter des Instituts in ihrer Ehre zu verletzen, sodass auch insofern keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen wird.

[6] 3. Der Grundsatz, dass die Entlassung unverzüglich auszusprechen ist, beruht auf dem Gedanken, dass ein Arbeitgeber, der eine Verfehlung seines Arbeitnehmers nicht sofort mit der Entlassung beantwortet, dessen Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht (RS0029249). Nach der Rechtsprechung ist bei juristischen Personen aber zu berücksichtigen, dass die Willensbildung aufwändiger ist als bei physischen Personen (RS0029328). Die Vorinstanzen haben deshalb mit Recht auf die Notwendigkeit einer internen Abstimmung im Rektorat verwiesen. Ob eine Entlassung rechtzeitig vorgenommen wurde, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und hat deshalb keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (RS0031571).

[7] 4. Die außerordentliche Revision der Klägerin war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

Stichworte