OGH 3Ob115/23t

OGH3Ob115/23t21.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O* regGenmbH, *, vertreten durch Dr. Gerhard Pail, Rechtsanwalt in Oberwart, gegen die beklagten Parteien 1) A* E*, und 2) B* E*, ebendort, beide vertreten durch Dr. Rudolf Tobler jun und Dr. Karl-Heinz Götz, Rechtsanwälte in Neusiedl am See, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 11. Mai 2023, GZ 13 R 73/23t‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00115.23T.0621.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, mit der die Aufkündigung der Klägerin wegen unleidlichen Verhaltens der Beklagten im Sinn des § 30 Abs 2 Z 3 MRG für rechtswirksam erklärt und dem Räumungsbegehren stattgegeben wurde.

[2] Mit der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigen die Beklagten keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die in der Regel durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt (RS0070303; RS0067678). Grundsätzlich ist auf das Gesamtverhalten des Gekündigten Bedacht zu nehmen (RS0067519). Der Frage, ob ein konkretes Verhalten als unleidlich zu qualifizieren ist, kommt im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu (RS0042984).

[4] Ausgehend von den bindenden Feststellungen haben die Beklagten andere Mieter im Haus wiederholt und geradezu systematisch beschimpft, beleidigt, bedroht und auch strafbarer Handlungen bezichtigt sowie diesen gegenüber unberechtigte und falsche Vorwürfe erhoben. Mit der Beurteilung, dass dieses ungebührliche und feindselige Verhalten in seiner Gesamtheit objektiv geeignet war, das friedliche Zusammenleben im Haus zu stören, haben die Vorinstanzen den ihnen eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten. Auch in Bezug auf die Zukunftsprognose („Wiederholungsgefahr“) des Fehlverhaltens der Beklagten liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung vor (vgl dazu RS0070340).

[5] 2. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt regelmäßig kein Verschulden des Mieters voraus (RS0070243). Vielmehr kommt es darauf an, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als grob ungehörig und das Zusammenwohnen verleidend angesehen werden muss, und zwar auch dann, wenn dieses Verhalten auf eine geistige Erkrankung zurückzuführen ist (RS0067733). Grundsätzlich ist daher auch eine psychische Beeinträchtigung kein Freibrief für unleidliches Verhalten. Das Verhalten einer geisteskranken Person ist zwar nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich, also für die Mitbewohner unerträglich, wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person. Dies ist jedoch nicht dahin zu verstehen, dass die Mitbewohner jedwedes Verhalten einer geistig behinderten Person in Kauf zu nehmen hätten, auch wenn dadurch ihre Lebensqualität in gravierender Weise beeinträchtigt wird. In solchen Fällen ist eine Interessenabwägung geboten, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist (vgl RS0067733 [T4]; 8 Ob 23/11g; 8 Ob 54/21f).

[6] Ausgehend von den bindenden Feststellungen führt das Fehlverhalten der Beklagten für die Mitbewohner zu einer derart enormen Belastung, dass diese die Wohnung zum Teil nicht mehr über die eigentliche Wohnungstüre, sondern über den Garten verlassen, um nicht in Kontakt mit den Beklagten zu gelangen, oder sogar den Entschluss gefasst haben, aus der Wohnung überhaupt auszuziehen. Selbst wenn man den von den Beklagten behaupteten psychischen Beeinträchtigungen (depressiven Störungen und Angststörungen) Krankheitswert unterstellte, könnte die Interessenabwägung daher nicht zu ihren Gunsten ausfallen.

[7] 3. Insgesamt gelingt es den Beklagten mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

Stichworte