OGH 8Ob23/11g

OGH8Ob23/11g22.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** Familienstiftung, *****, vertreten durch Dr. Maximilian Schaffgotsch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1) Dr. G***** F*****, *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2) *****Dr. A***** F*****, vertreten durch die Dr. Helene Klaar, Mag. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, wegen gerichtlicher Aufkündigung, über die außerordentlichen Revisionen der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. Juli 2010, GZ 39 R 75/10h-81, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen „Revisionen“ werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Mit ihren Ausführungen zu den behaupteten Verfahrensmängeln vermögen die Beklagten keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

Auf das Verhalten der Erstbeklagten gegenüber den Vormietern (bis 2002) hat sich das Erstgericht nur im Rahmen seiner Zukunftsprognose, nicht aber zur Beurteilung der Verwirklichung des Kündigungsgrundes bezogen. Für die Zukunftsprognose ist es irrelevant, warum die Vormieter aus ihrer Wohnung ausgezogen sind. Nach den Feststellungen haben sie sich jedenfalls auch darüber beschwert, dass die Erstbeklagte von oben klopfe und sie beschimpfe.

Die vom Zweitbeklagten erhobene Mängelrüge zur unterbliebenen Einholung eines neuro-psychiatrischen Sachverständigengutachtens hat das Berufungsgericht mit ausführlicher Begründung als unberechtigt erkannt. Behauptete Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Berufungsgericht verneint wurden, können in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0106371; RS0042963). Das Berufungsgericht ist in diesem Zusammenhang auch nicht von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen. Wie der Zweitbeklagte an anderer Stelle selbst zugesteht, kommt es selbst bei krankheitsbedingtem unleidlichen Verhalten des Gekündigten darauf an, ob dieses künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft unterlassen werden wird (RIS-Justiz RS0070340 [T2]).

Die Bedeutung der Therapiewilligkeit hat der Zweitbeklagte mit seinem Hinweis, dass das beantragte Sachverständigengutachten auch eine Prognose für eine Beeinflussbarkeit des Zustands der Erstbeklagten zu umfassen habe, selbst hervorgehoben. Der Grund für das unleidliche Verhalten der Erstbeklagten war nicht in einer bestimmten Person, sondern im Umstand gelegen, dass sie sich vom Mieter der unterhalb ihrer Wohnung gelegenen Räumlichkeiten und dessen Haushälterin gestört und mit ihren - allerdings ungerechtfertigten - Beschwerden nicht ernst genommen fühlte. Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass der Grund für die (angeblich) krankheitsbedingten unleidlichen Verhaltensweisen der Erstbeklagten weggefallen sei, erweist sich daher als nicht stichhaltig.

Im gegebenen Zusammenhang ist noch zu beachten, dass sich aus dem Vorbringen des Zweitbeklagten keine Geisteskrankheit und schon gar keine Unzurechnungsfähigkeit der Erstbeklagten, sondern nur eine durch erlittene Kränkungen bedingte Überempfindsamkeit, aufgrund derer sie zu Überreaktionen neigt, ergibt. Darüber hinaus stellt der Zweitbeklagte in diesem Zusammenhang nur Mutmaßungen an, zumal er darauf hinweist, über keine eigenen Wahrnehmungen zu verfügen, im Fall unangemessener Verhaltensweisen der Erstbeklagten aber „offensichtlich“ eine geistig-seelische Störung vorliege.

2.1 Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt (RIS-Justiz RS0070303; RS0067678). Dieser Kündigungstatbestand schützt das wichtige Interesse des Vermieters, in seinem Haus Ruhe und Ordnung zu halten (RIS-Justiz RS0067596). Grundsätzlich ist auf das Gesamtverhalten Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0067519).

2.2 Der Frage, ob ein konkretes Verhalten als unleidlich zu qualifizieren ist, kommt im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (RIS-Justiz RS0042984).

Ausgehend von den Feststellungen hat die Erstbeklagte gegenüber dem Mieter der Wohnung top 9, auch in Anwesenheit von Gästen, wiederholt ungerechtfertigte Vorwürfe erhoben. Mit ihrem Verhalten hat sie ihn vor allem auch gegenüber Vorgesetzten in unangenehme Situationen gebracht. Aufgrund der von ihr herbeigeführten Eskalation am 18. 7. 2006 samt Intervention der Polizei musste der angesprochene Hausbewohner eine wichtige Sitzung verlassen, was ihm von seiner Vorgesetzten eine Ermahnung dahin einbrachte, dass so etwas nicht wieder passieren sollte. Zudem hat die Erstbeklagte die Haushälterin dieses Mieters über fast fünf Jahre wiederholt beschimpft, beleidigt und auch strafbarer Handlungen bezichtigt.

Mit der Qualifikation des Verhaltens der Erstbeklagten als rücksichtslos und grob ungehörig sowie mit der Beurteilung, dass dieses Verhalten geeignet war, das friedliche Zusammenleben im Haus zu stören, haben die Vorinstanzen den ihnen eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten. Soweit die Erstbeklagte dem Mieter der Wohnung top 9 die Verursachung ungebührlichen Lärms sowie unter Hinweis auf das Bellen des Hundes ein unleidliches Verhalten unterstellt, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab.

2.3 Auch in Bezug auf die Zukunftsprognose des Verhaltens der Erstbeklagten liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung vor.

Eine Verhaltensänderung nach Einbringung der Aufkündigung hat nur dann Einfluss auf deren Schicksal, wenn der Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeit auszuschließen ist (RIS-Justiz RS0070340). Ob dies der Fall ist, muss ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.

Das Erstgericht hat die Erstbeklagte als sehr lärmempfindlich beschrieben. Fühlt sie sich - wenn auch objektiv unbegründet - gestört, so kann ein zunächst wohlwollendes nachbarschaftliches Klima schnell ins Gegenteil umschlagen. Die Verneinung einer günstigen Zukunftsprognose durch die Vorinstanzen ausgehend von der Einschätzung, dass jederzeit mit neuerlichen Entgleisungen und unerträglichen Beschuldigungen und Beschimpfungen seitens der Erstbeklagten gerechnet werden müsse, ist daher nicht unvertretbar.

Die Beklagten können sich damit auch nicht darauf berufen, dass der erwähnte Mieter im August 2008 aus seiner Wohnung ausgezogen ist. Er war auch keineswegs der einzige Hausbewohner, mit dem die Erstbeklagte Wohnprobleme hatte. Vielmehr besteht ein augenscheinliches Konfliktpotential zu den jeweiligen Mietern der unterhalb der Wohnung der Beklagten gelegenen Räumlichkeiten. Der Zweitbeklagte spricht im gegebenen Zusammenhang von Aversionen seiner Ehegattin gegen ihr gegenüber vermeintlich feindselig eingestellte Personen.

2.4 Der Vorwurf, die Vorinstanzen hätten das Verhalten der Erstbeklagten nach der Aufkündigung nicht berücksichtigt, ist unbegründet. Tatsächlich haben die Vorinstanzen hervorgehoben, dass die Erstbeklagte ihr feindseliges Verhalten gegenüber der Haushälterin des Mieters der Wohnung top 9 auch noch während des Aufkündigungsverfahrens fortgesetzt hat. In diesem Sinn hat sie ihre Anschuldigungen wiederholt und sogar noch verstärkt.

3. Ein Verschulden des Gekündigten ist für die Verwirklichung des in Rede stehenden Kündigungsgrundes nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0070243; RS0067733). In Bezug auf die vom Zweitbeklagten behauptete geistig-seelische Störung der Erstbeklagten ist grundsätzlich richtig, dass nach der Rechtsprechung der Umstand der Unzurechnungsfähigkeit zumindest in der Weise berücksichtigt werden muss, dass das Verhalten einer geisteskranken Person nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich - das heißt für die Mitbewohner unerträglich - ist, wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person. In diesen Fällen hat eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist (RIS-Justiz RS0020957). Die Interessenabwägung kann wiederum nur auf der Grundlage der konkreten Umstände des Einzelfalls erfolgen.

Von einer Unzurechnungsfähigkeit der Erstbeklagten ist nicht auszugehen. Selbst wenn man ihr bescheinigen wollte, dass das ungebührliche und mitunter aggressive und feindselige Verhalten im Umgang mit vermeintlichen Belästigungen und Zurückweisungen auf Kränkungen und dadurch bedingte psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, könnte die Interessenabwägung nicht zu ihren Gunsten ausschlagen. Die Erstbeklagte, der von ihrem Ehegatten hohe Intelligenz bescheinigt wird, weiß um die Notwendigkeit gegenseitiger Rücksichtnahme beim Zusammenleben in einem Wohnhaus ohne Zweifel Bescheid. In diesem Sinn hat sie sich selbst schon für die Hausgemeinschaft eingesetzt und beispielsweise die Bepflanzung des Innenhofs durchgesetzt. Die von ihrem Ehegatten dargelegte Überempfindsamkeit könnte mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen der Klägerin und der betroffenen Hausbewohner am Unzumutbarkeitsurteil der unangemessenen Reaktionen und Verhaltensweisen der Erstbeklagten nichts ändern.

4. Bei Beurteilung der Frage, ob auf ein Recht stillschweigend verzichtet wurde, ist besondere Vorsicht geboten. Dies gilt insbesondere dann, wenn aus der Nichtgeltendmachung von Dauertatbeständen durch längere Zeit auf einen stillschweigenden Kündigungsverzicht geschlossen werden soll (RIS-Justiz RS0014420). Maßgeblich sind wiederum die Umstände des konkreten Einzelfalls.

Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die regelmäßigen Angriffe der Erstbeklagten ein Dauerverhalten darstellten und die Aufkündigung mit Rücksicht auf das Bemühen des Hauseigentümers zur gütlichen Streitbeilegung rechtzeitig erfolgt sei, ist keineswegs unvertretbar. Das Erstgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die ungerechtfertigten Beschuldigungen gegenüber der Haushälterin des Mieters der Wohnung top 9 noch während des Verfahrens stattgefunden haben. Darüber hinaus warf die Erstbeklagte der Haushälterin des genannten Mieters (wie schon früher) noch Ende Juni 2008 ungerechtfertigt vor, die Lifttüre nicht geschlossen zu haben. Noch Ende November 2007 klopfte sie an die Wohnungstüre besagten Mieters und begann nach dem Öffnen der Türe durch die Haushälterin mit dieser zu schreien.

5. Insgesamt ist die Beurteilung, dass die Erstbeklagte mit ihrem Verhalten die Grenze des Zumutbaren für ein ungestörtes Zusammenleben überschritten hat, vertretbar. Die Beklagten bestreiten nicht, dass ein von einem Mitmieter verwirklichter Kündigungsgrund auch gegen den anderen Mitmieter wirkt (RIS-Justiz RS0067607; RS0067033).

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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