OGH 9ObA16/23b

OGH9ObA16/23b31.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei O* T*, geboren am *, vertreten durch Haider/Obereder/Pilz Rechtsanwält:innen GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. W* GmbH, *, und 2. V* GmbH, *, beide vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. November 2022, GZ 9 Ra 81/22f‑28, mit dem der Berufung der beklagten Parteien gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 2. März 2022, GZ 18 Cga 52/20b‑24, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00016.23B.0531.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben:

„1. Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Dienstverhältnis über den 31. 8. 2020 hinaus aufrecht fortbesteht, wird abgewiesen.

2. Das Eventualbegehren, die Kündigung der klagenden Partei durch Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung der beklagten Partei vom 13. 9. 2019 (zugestellt am 16. 9. 2019) zum 31. 8. 2020 wird für rechtsunwirksam erklärt, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 4.295,24 EUR (darin 712,71 EUR USt und  19 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 1.336,78 EUR (darin 222,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 917,02 EUR (darin 152,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war bei den Beklagten beginnend mit 16. 1. 2008 laufend im Rahmen von jeweils auf ein Jahr befristeten Bühnendienstverträgen als Balletttänzerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis sind das Theaterarbeitsgesetz (TAG) und der Kollektivvertrag für die Ballettmitglieder im Konzernbereich der Bundestheater-Holding (Bundestheater-Holding GmbH und deren Tochtergesellschaft), anzuwenden (Bundestheater-Ballettkollektivvertrag).

[2] Mit Schreiben vom 13. 9. 2019 (zugestellt am 16. 9. 2019) gaben die Beklagten nach vorangehender Verständigung des Betriebsrats eine Nichtverlängerungserklärung nach § 27 TAG zum 31. 8. 2020 ab. Der Betriebsrat hatte keinen Widerspruch erhoben.

[3] Die Entscheidung für die Nichtverlängerung erfolgte durch den neuen Ballettdirektor, der eine geänderte Ausrichtung zu modernem Tanz anstrebt.

[4] Mit ihrem Hauptbegehren begehrt die Klägerin die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 31. 8. 2020 hinaus. Zwischen den Parteien bestehe ein durchgehendes, auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Dienstverhältnis. Die einzelnen Verträge seien zwar nach § 24 TAG auf ein Spieljahr befristet abgeschlossen und jeweils stillschweigend um ein weiteres Spieljahr verlängert worden. Dies stelle jedoch eine unzulässige Kettenbefristung dar, für die es nach der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB‑UNICE‑CEEP‑Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Befristungs‑RL) einer sachlichen Rechtfertigung bedürfe. Zur Missbrauchskontrolle sei die auf § 879 ABGB gestützte Kettenvertragsjudikatur heranzuziehen, wonach dazu besondere soziale, wirtschaftliche, organisatorische oder technische Gründe gegeben sein müssten. Solche lägen beim Dienstverhältnis zwischen den Parteien nicht vor. In eventu werde die Nichtverlängerungserklärung wegen Geschlechterdiskriminierung nach § 12 Abs 7 GlBG angefochten und begehrt, diese für rechtsunwirksam zu erklären.

[5] Die Beklagten bestritten und wendeten ein, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses zulässig und sachlich gerechtfertigt sei. Die Aneinanderreihung von Dienstverhältnissen im Anwendungsbereich des TAG sei nach der Judikatur im Hinblick auf das Abwechslungsbedürfnis des Publikums und die in Theaterunternehmen erforderliche Flexibilität bei der Rollenbesetzung zulässig. Dies müsse insbesondere für den Fall eines Intendantenwechsels mit neuer künstlerischer Ausrichtung gelten. Der Theaterunternehmer habe ein besonderes Interesse an der Anpassung der Belegschaft an den Spielplan. Die Nichtanerkennung dieses Interesses stelle einen eklatanten Verstoß gegen den grundrechtlich abgesicherten Grundsatz der Freiheit der Kunst und den in § 2 Abs 4 und Abs 5 Bundestheaterorganisationsgesetz (BThOG) definierten kulturpolitischen Auftrag der Beklagten dar. Die Klägerin werde den durch die Neuausrichtung des Balletts geänderten künstlerischen Anforderungen technisch und physisch nicht gerecht. Vor diesem Hintergrund sei die Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses anlässlich eines Intendantenwechsels auch aus unionsrechtlicher Sicht unbedenklich.

[6] Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt. Die gegenüber der Klägerin ausgesprochene Nichtverlängerungserklärung sei keine Kündigung, sondern nur die Ablehnung des Abschlusses eines neuen Vertrags nach Ablauf der Befristung. Mehrfach befristete Bühnenarbeitsverträge unterlägen zwar der Befristungs‑RL, diese sei aber nicht unmittelbar anwendbar und in Österreich nur teilweise umgesetzt. Der Gesetzgeber habe zur Beschränkung von Kettenarbeitsverträgen auf § 879 ABGB als gleichwertige gesetzliche Maßnahme verwiesen. Die demzufolge notwendige sachliche Rechtfertigung für die Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse liege bei der Klägerin aber nicht vor. Das führe zur Teilnichtigkeit der Befristungsabrede und damit zu einem durchgehenden Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen diese Entscheidung nicht Folge. Dazu führte es aus, dass das Befristungs- und Beendigungssystem nach den §§ 24, 27 TAG Kettenbefristungen ex lege entstehen lasse. Auch diese fielen aber in den Anwendungsbereich der Befristungs‑RL. Zur Umsetzung der Befristungs‑RL in das österreichische Recht sei zur Missbrauchskontrolle die auf § 879 ABGB gestützte Kettenvertragsjudikatur heranzuziehen. Diese gelte auch für den Bereich des TAG. Danach sei eine wiederholte Befristung nur bei sachlicher Rechtfertigung zulässig. Bei der über 12 Jahre dauernden Beschäftigung der Klägerin sei von der Deckung eines ständigen Bedarfs auszugehen, die eine Befristung nicht rechtfertigen könne. Eine auf einen neuen Spielplan gegründete künstlerische Rechtfertigung scheitere, weil diese nur die Beendigung des Vertrags betreffen könne, auf die Teilnichtigkeit der bisherigen Befristungen jedoch keinen Einfluss habe. Dasselbe treffe auf die behauptete mangelnde Eignung der Klägerin für den in Aussicht genommenen Spielplan unter der neuen Leitung zu. Allfällige finanzielle Auswirkungen stellten keinen Eingriff in die Freiheit der Kunst dar.

[8] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob die Befristungs‑RL auf nach § 27 TAG verlängerte Bühnenarbeitsverträge anzuwenden sei.

[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurück-, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.

[12] I. Zu der hier vorliegenden Rechtsfrage hat der Oberste Gerichtshof – nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts – in den Entscheidungen 8 ObA 58/22w und 9 ObA 11/22s (auf die verwiesen wird) ausführlich Stellung genommen. Daraus ergibt sich zusammengefasst Folgendes:

[13] 1. Aus den Bestimmungen der §§ 24, 27 TAG und § 10 Abs 2 KV zeigt sich, dass das TAG und der KV vom auf ein Jahr bzw eine Spielzeit befristeten Arbeitsvertrag als Normalfall ausgehen. Dass die in Gesetz und KV normierten Voraussetzungen und Termine bei Abgabe der Nichtverlängerungserklärung von den Beklagten eingehalten wurden, ist (hier ebenfalls) nicht strittig (9 ObA 11/22s Pkt 1.).

[14] 2. Die Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung stellt keine Kündigung eines bestehenden (unbefristeten) Dienstvertrags, sondern die Ablehnung des Abschlusses eines weiteren befristeten Dienstvertrags über das Befristungsende des vorangehenden Vertrags hinaus dar (9 ObA 11/22s Pkt 2.).

[15] 3. Das erklärte Ziel der Befristungs‑RL ist es, durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität der befristeten Arbeitsverhältnisse zu verbessern und einen Rahmen zu schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse verhindert. Auch die Arbeitsverhältnisse nach §§ 24, 27 TAG sind nicht nur nach nationalem Recht, sondern auch iSd § 3 Nr 1 der Befristungs‑RL als befristet und iSd § 5 Nr 1 der Befristungs‑RL als aufeinanderfolgend anzusehen (9 ObA 11/22s Pkt 3.).

[16] 4. Lässt man offen, ob das TAG mit der Befristungs‑RL vereinbar ist, prüft aber deren gegebenenfalls bestehende Wirkungen, so stellt sich § 5 Nr 1 der Befristungs‑RL nach der EuGH‑Rechtsprechung inhaltlich nicht als unbedingt und genau genug dar, damit sich ein Einzelner (hier im Zusammenhang mit befristeten Dienstverträgen iSd §§ 24, 27 TAG) vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann. Selbst unter der Prämisse, dass die Befristungsregelung des TAG mit ihrem System der automatischen Verlängerung den Zielen und Zwecken der Befristungs‑RL widersprechen sollte, muss daher eine allfällige richtlinienkonforme Interpretation in dem mit dem Klagebegehren angestrebten Sinn am ausdrücklichen gegenteiligen Wortlaut und vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der §§ 24 und 27 TAG scheitern (9 ObA 11/22s Pkt 4. ff).

[17] 5. Die Besonderheit der spezielleren Regelungen des TAG liegt darin, dass dieses Gesetz befristete Dienstverhältnisse nicht nur zulässt, sondern als Regelfall ansieht. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände verbietet sich insoweit eine Anwendbarkeit des § 879 ABGB auf solche Arbeitsverhältnisse, weil ihre (fortlaufende) Befristung nicht auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht, sondern vom Gesetz vorgegeben wird und selbst ohne gesonderte Vereinbarung bzw bei Wegfall einer solchen Vereinbarung gelten würde. § 879 ABGB bietet daher keine Grundlage für eine richtlinienkonforme Interpretation (9 ObA 11/22s Pkt 8.).

[18] II. Die Klägerin bekämpft diese übereinstimmende Rechtsauffassung der arbeitsrechtlichen Fachsenate des Obersten Gerichtshofs in ihrer Revisionsbeantwortung nicht, sondern stützt die Berechtigung ihrer Begehren nunmehr – erstmals im Revisionsverfahren – darauf, dass die Bestimmungen der §§ 24, 27 TAG nicht mit dem unionsrechtlichen Gleichheitssatz des Art 20 GRC, dem Diskriminierungsverbot des Art 21 GRC und dem Grundrecht auf Kündigungsschutz nach Art 30 GRC vereinbar seien. Um dem Unionsrecht zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen, habe das Befristungsregime des TAG unangewendet zu bleiben. Dies habe zur Folge, dass von einem unbefristeten Dienstverhältnis zwischen den Parteien auszugehen sei. Jedenfalls aber hätte dem Eventualbegehren stattgegeben werden müssen.

Dazu ist auszuführen:

[19] 1. Eine Änderung der rechtlichen Argumentation einer Partei bzw die Geltendmachung eines neuen Gesichtspunkts bei der rechtlichen Beurteilung ist auch im Rechtsmittelverfahren zulässig, sofern die hiezu erforderlichen Tatsachen bereits im Verfahren erster Instanz behauptet oder festgestellt wurden (RS0016473 [T1, T12]). Soweit der neuen rechtlichen Argumentation einer Partei oder der Geltendmachung einer neuen Anspruchsgrundlage aber neu vorgebrachte Tatsachen zugrunde liegen, verstoßen die Rechtsmittelausführungen insoweit gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO (vgl RS0016473 [T10, T13]).

[20] 2.1. Art 20 GRC normiert den allgemeinen Gleichheitssatz. Art 21 Abs 1 GRC verbietetDiskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung.

[21] 2.2. Richtig ist, dass sich schon aus dem Vorrang des (unmittelbar wirkenden) Gemeinschaftsrechts ergibt, dass immer dann, wenn eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, das nationale Gericht verpflichtet ist, das Gemeinschaftsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, indem es notfalls jede Bestimmung unangewendet lässt, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem gemeinschaftsrechtswidrigen Ergebnis führen würde (RS0075866 [T4]; RS0109951 [T3, T6]; Köchle in Holoubek/Lienbacher, GRC‑Kommentar² Art 21 Rz 38).

[22] 2.3. Die Klägerin meint nun zum einen, sie sei gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten iSd § 4 Z 1 der Befristungs‑RL diskriminiert, weil ihr keine Anfechtungsmöglichkeit nach § 105 ArbVG sowie § 12 Abs 7 GlBG zukomme.

[23] Damit verkennt sie aber, dass sich dieser Unterschied ja gerade aus der Befristung ergibt. Dem steht im Übrigen auch entgegen, dass die Anfechtungsmöglichkeit nach § 105 ArbVG selbst gekündigten unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern nicht in jedem Fall offensteht oder Erfolg verspricht (ua in Kleinbetrieben, in den ersten sechs Monaten, bei guter Vermittelbarkeit oder Vorliegen wichtiger betrieblicher Gründe [9 ObA 11/22s Rz 28]) und als Gegengewicht hier die Nichtverlängerungserklärung bereits eine besonders lange Zeit vor der Beendigung abgegeben werden muss.

[24] Zum anderen bietet § 12 Abs 7 GlBG, auf den sich die Klägerin alleine stützt, (ohnehin) nicht nur einen Beendigungsschutz für befristete, auf die Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis angelegte Arbeitsverhältnisse (§ 12 Abs 7 Satz 2 GlBG), sondern – jedenfalls nach der Lehre – auch für die aus einem diskriminierenden Motiv vor Ablauf der Befristung beendeten Arbeitsverhältnisse (Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 § 12 Rz 84). Dass ihr Bühnendienstvertrag auf die Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis angelegt wäre, macht die Klägerin nicht geltend. Ginge man davon aus, dass die Beklagte die Nichtverlängerungserklärung gegenüber der Klägerin (wie von ihr behauptet) aus diskriminierenden Gründen (wegen dem Geschlecht) abgegeben hätte, läge im Übrigen mangels Abgabe einer Beendigungserklärung (Kündigung, Entlassung oder Auflösung des Probearbeitsverhältnisses) durch die Beklagte keine Beendigungsdiskriminierung iSd § 12 Abs 7 Satz 1 GlBG vor. Sonstige Ansprüche leitet die Klägerin aus ihren Behauptungen zur Beendigungsdiskriminierung nicht ab.

[25] 2.4. Der Anregung der Klägerin, die §§ 24 und 27 TAG auf ihre Konformität mit den Art 20 und 21 GRC überprüfen zu lassen, war daher nicht zu folgen.

[26] 3.1. Aber auch soweit die Klägerin nunmehr die Berechtigung ihres Feststellungsbegehrens auf Art 30 GRC stützt, kann ihr dies nicht zum Erfolg verhelfen. Diese Bestimmung verankert zwar das Recht jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung, unterliegt allerdings einem Ausgestaltungsvorbehalt. Ausgestaltungsvorbehalte sind als Auftrag an den zuständigen Gesetzgeber anzusehen, ein Grundrecht überhaupt erst zu gestalten. Das Recht auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung ist demnach nur insofern bzw insoweit garantiert, als es sich aus dem Unionsrecht und den nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ergibt (Kröll in Holoubek/Lienbacher, GRC‑Kommentar² Art 30 Rz 9).

[27] 3.2. Selbst wenn man aber davon ausginge, dass sachgrundlose Kettenarbeitsverträge gegen Art 30 GRC verstoßen (vgl Kovács, Ein europäisches Grundrecht auf Kündigungsschutz – Art 30 GRC [2022], 234; zur Zulässigkeit von gesetzlichen Ausnahmen, die dem Gemeinwohl dienen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren siehe schon Rebhahn, Europäische Entwicklung im Kündigungsschutz, DRdA 2014, 183 [188]) und man auch davon ausginge, dass Befristungen von Arbeitsverträgen verboten sind, soweit damit der Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung umgangen werden soll (Kröll in Holoubek/Lienbacher, GRC‑Kommentar² Art 30 Rz 19 mwN), besteht keine Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf Feststellung eines unbefristeten Dienstverhältnisses. Weder der Unionsgesetzgeber noch der nationale Gesetzgeber haben aber für den Fall eines Verstoßes gegen dieses Grundrecht die von der Klägerin gewünschte Rechtsfolge, nämlich das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses, normiert. Wie bereits in den Entscheidungen 8 ObA 58/22w und 9 ObA 11/22s ausführlich erläutert, stellt sich die Befristungs‑RL nicht als unbedingt und genau genug dar, dass daraus konkrete Ansprüche abgeleitet werden können. Der nationale Gesetzgeber bietet die Möglichkeit, Kettenarbeitsverhältnisse im Einzelfall im Hinblick auf eine allfällige Sittenwidrigkeit nach § 879 ABGB überprüfen zu lassen. Dies scheitert hier aber daran, dass die (fortlaufenden) Befristungen nicht dem Gesetz widersprechen, sondern von diesem sogar vorgegeben werden (§ 24 TAG; vgl 9 ObA 11/22s Rz 50). Ließe man, wie von der Klägerin gewünscht, die Bestimmungen der §§ 24, 27 TAG unangewendet, könnte dies keinem der Klagebegehren zum Erfolg verhelfen, weil letztlich offen bliebe, was dann gelten sollte (vgl 9 ObA 11/22s Rz 53) und woraus die Klägerin ihr Feststellungsbegehren auf Vorliegen eines unbefristeten Vertrags dann ableiten möchte. Weder § 2b AVRAG noch die Befristungs‑RL sehen eine konkrete Rechtsfolge vor (vgl Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 2b AVRAG Rz 13; Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG3 § 2b Rz 21; Krebber in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht4, § 4 RL 1999/70/EG Rz 21).

[28] 3.3. Die Anregung der Klägerin auf Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens zur Frage der Vereinbarkeit der §§ 24, 27 TAG mit den unionsrechtlichen Vorgaben war daher nicht aufzugreifen.

[29] Da sich die Revision der Beklagten damit als berechtigt erweist, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern.

[30] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Im Verfahren erster Instanz waren die Kosten auf Basis des von der Klägerin dem Hauptbegehren zugrunde gelegten Streitwerts (10.000 EUR) zu berechnen (RS0035818; 4 Ob 193/09z Pkt 4). Da das Eventualbegehren nicht kumulativ, sondern nur für den Fall der Abweisung des Hauptbegehrens alternativ gestellt wird, sind deren beide Streitwerte nicht zusammenzurechnen (Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.145). Der Einheitssatz beträgt bei diesem Streitwert 60 % (§ 23 Abs 3 RATG). Ein ERV‑Zuschlag gemäß § 23a erster Satz RATG in Höhe von 4,10 EUR gebührt nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für fortgesetzte Schriftsätze, unter denen auch alle Rechtsmittelschriftsätze zu verstehen sind (RS0126594).

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