OGH 7Ob55/23y

OGH7Ob55/23y19.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. September 2022, GZ 1 R 97/22v‑16, in der Fassung des Ergänzungsbeschlusses vom 13. März 2023, AZ 1 R 97/22v, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 5. Mai 2022, GZ 22 C 136/21t‑12, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00055.23Y.0419.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts lautet:

„1. Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei aufgrund und im Umfang des zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrags, Versicherungspolizze PN *, für die klageweise Geltendmachung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Kauf des Audi A4 * um 33.200 EUR gegen die V* AG, *, Deckung zu gewähren habe, wird abgewiesen.

2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.923,15 EUR (darin 320,53 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.909,93 EUR (darin enthalten 256,49 EUR USt und 1.371 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen den Parteien bestand ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2003) und die Ergänzenden Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ERB 2005) zugrunde lagen. Die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2003) lauten auszugsweise:

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1. den Versicherungsnehmer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

[...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsunternehmers Stellung zu nehmen?

Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise oder die Erfolgsaussichten zu geschehen?

(Schiedsgutachterverfahren)

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts‑ und Beweislage zum Ergebnis,

[...]

2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

[...]“

[2] Der Kläger kaufte im Dezember 2014 einen gebrauchten Audi von einem Autohändler. Er ersuchte den beklagten Rechtsschutzversicherer im Jänner 2021 um Deckungszusage „für das gerichtliche Einschreiten gegen die V*‑AG, um den Fahrzeugkauf rückabzuwickeln“. Nach Übermittlung mehrerer Unterlagen lehnte die Beklagte eine Deckung ab.

[3] Der Kläger begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für die klageweise Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Kauf des Audi gegen die V* AG. Er habe den gebrauchten Audi im Dezember 2014 von einem Autohändler erworben. Der im Fahrzeug verbaute Motortyp sei vom Abgasskandal betroffen. Er begehre die Rückabwicklung gegen die V* AG, „um im Wege der Naturalrestitution den Schaden geltend zu machen, also das KFZ zurückzugeben, da ein nicht gesetzeskonformes Fahrzeug vorliegt und auch das Software‑Update eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt“. Die Deckungspflicht ergebe sich insbesondere aus Art 21 ARB 2003. Er habe keine Obliegenheit verletzt.

[4] Die Beklagte wandte unter anderem ein, zwar beabsichtige der Kläger die „Rückabwicklung“, jedoch sei die Anspruchsgrundlage für eine Klageführung gegen den „V*‑Konzern“, mit dem er in keinem Vertragsverhältnis stehe, unklar. Er habe diesbezüglich eine Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.1 ARB 2003 zu vertreten, weil er nicht erkläre, weshalb er den „V*‑Konzern“ in Anspruch nehmen möchte.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Ansprüche des Klägers seien nach Art 21.2.1 ARB 2003 gedeckt. Die Erfolgsaussichten des Rückersatzanspruchs des Klägers im Haftpflichtprozess würden dadurch, dass er das Fahrzeug weiterhin verwende, nicht geschmälert.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Zum Einwand der Unschlüssigkeit der vom Kläger beabsichtigten Klagsführung durch die Beklagte führte es aus, dass der Kläger für sein Klagebegehren auf Feststellung zwar keine Rechtsgrundlage nenne, dieses aber auf Deckung „für die klageweise Geltendmachung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Kauf“ des Audi gegen die V* AG, „welche offensichtlich als Herstellerin in Anspruch genommen werden soll“, gerichtet sei. Der „zu deckende Anspruch (Leistungsbegehren oder Wandlungsanspruch) [sei] nicht beschrieben“, was jedoch nicht schade. Der Kläger habe in seinem Aufforderungsschreiben mitgeteilt, dass er die Rechtsschutzdeckung benötige, „um den Fahrzeugkauf rückabzuwickeln“. Zudem habe die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren „kein diesbezügliches Vorbringen erstattet“.

[7] Das Berufungsgericht sprach nachträglich aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zu, weil ihm höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des Art 21 ARB 2003 „nicht bekannt“ sei.

[8] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag dahin, das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Der Kläger begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

[10] Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Die Beklagte wandte – dem Inhalt nach – Leistungsfreiheit wegen Aussichtslosigkeit der Anspruchsverfolgung nach Art 9.2.3 ARB 2003 infolge Unschlüssigkeit des Klagebegehrens im (angestrebten) Haftpflichtprozess ein.

[12] 1.1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offensichtlich aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RS0116448; RS0117144). Ist der Sachverhaltsvortrag des Versicherungsnehmers von vornherein unschlüssig oder offensichtlich unrichtig, so kann der Versicherer den Versicherungsschutz ablehnen (7 Ob 152/22m [Rz 16]; vgl RS0082253).

[13] 1.2. Für die Schlüssigkeit einer Klage genügt, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell‑rechtlich aus dem zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Es müssen also die Behauptungen aufgestellt werden, die es zulassen, dass der vom Kläger begehrte Ausspruch als sich daraus herleitende Rechtsfolge gegebenenfalls auch im Wege eines Versäumungsurteils ergehen könnte (RS0001252 [insbesondere T4]). Dass sich das Klagebegehren aus den vom Kläger vorgetragenen Tatsachen nicht rechtlich ableiten lässt, die Klage also unschlüssig ist, kann zwei Ursachen haben. Entweder sind die vorgetragenen Tatsachen zu unvollständig geblieben, um die begehrte Rechtsfolge daraus ableiten zu können (Unschlüssigkeit wegen Unvollständigkeit) oder es lässt sich auch im Fall eines ergänzenden Sachvortrags der behauptete Tatbestand nicht unter die für die Rechtsfolge maßgebenden Rechtsnormen subsumieren (Unschlüssigkeit im eigentlichen Sinn; RS0037516 [T5]; 7 Ob 152/22m [Rz 17]).

[14] 1.3. Trotz ausdrücklichen Einwands der Unschlüssigkeit der vom Kläger beabsichtigten Klageführung durch die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren (was das Berufungsgericht übersieht) und ihrem konkreten Hinweis auf das Fehlen eines nachvollziehbaren und schlüssigen Vorbringens zur Rechtsgrundlage der Ansprüche gegenüber der V* AG, mit der er in keinem Vertragsverhältnis stehe, beschränkte sich der Kläger auf das Vorbringen, dass „der Kauf des nicht gesetzeskonformen Fahrzeugs den Schaden darstellt und auch das Software‑Update eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt“. Er wolle „im Wege der Naturalrestitution den Schaden geltend“ machen, „also das KFZ zurückgeben, da ein nicht gesetzeskonformes Fahrzeug vorliegt und auch das Software‑Update eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt“.

[15] 1.4. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger die klageweise Inanspruchnahme der V* AG, von der er nicht behauptet, dass sie die Herstellerin des Audi sei, in einem Verfahren beabsichtigt. Er lässt offen, welches konkrete Klagebegehren er gegen die V* AG erheben möchte. Er legt auch nicht näher dar, aufgrund welcher Anspruchsgrundlage er die V* AG, von der er den Gebrauchtwagen nicht kaufte, in Anspruch nehmen möchte und unterlässt auch jegliche Tatsachenbehauptungen zu einem, einen Schadenersatzanspruch auslösenden Verhalten gerade dieser Gesellschaft.

[16] 1.5. Wenn der Kläger in der Revisionsbeantwortung auf Urkunden, seine Aussage und die eines Zeugen Bezug nimmt, ist dies schon deshalb nicht zielführend, weil diese Beweismittel Prozessbehauptungen nicht ersetzen können (RS0017844 [T2, T3]; RS0037915 [T1, T2]; RS0038037 [T5, T8, T26]).

[17] 1.6. Der Sachverhaltsvortrag des Klägers für die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Haftpflichtprozess ist damit unvollständig und unschlüssig geblieben. Eines solchen Sachvortrags ist der Kläger auch nicht schon deshalb enthoben, weil der „Abgasskandal“ einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, sagt dies doch nichts darüber aus, welchen konkreten Anspruch er aus welchem Rechtsgrund gegenüber der V* AG geltend zu machen beabsichtigt. Die Beklagte hat damit die fehlende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klageführung dargelegt und kann die Rechtsschutzdeckung ablehnen (vgl 7 Ob 152/22m [Rz 20]).

[18] 2. Da es an der Deckungspflicht der Beklagten für die beabsichtigte Klageführung fehlt, ist das Feststellungsbegehren abzuweisen.

[19] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO.

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