OGH 3Ob28/23y

OGH3Ob28/23y15.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*gesellschaft mbH, *, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M* GmbH, *, vertreten durch die Hudelist/Primig Rechtsanwälte OG in Feldkirchen, wegen 28.482 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. November 2022, GZ 2 R 155/22i‑26, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 18. Juli 2022, GZ 26 Cg 78/21y‑19, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00028.23Y.0315.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen der Klagevertreterin die mit 1.804,50 EUR (darin enthalten 300,75 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin erbrachte über Auftrag der Beklagen bei vier Bauvorhaben (Fitnesscenter *, *‑Gründe, *straße und *dorf) Bauleistungen. Nach Abrechnungsdifferenzen einigten sich die Parteien am 4. 5. 2021 über die Schlussrechnungsbeträge der einzelnen Bauvorhaben; was sie hinsichtlich deren Fälligkeit vereinbarten, steht nicht fest.

[2] Am 20. 10. 2021 überwies die Beklagte drei Teilbeträge, nämlich für die Bauvorhaben *‑Gründe, *straße und *dorf, von insgesamt 16.839,88 EUR.

[3] Die Beklagte akzeptierte die ihr von der Klägerin übermittelten Haftrücklassgarantien über insgesamt 28.482 EUR mit der Begründung nicht, dass Mängel vorlägen und die Garantien nur auf drei Jahre und drei Monate ausgestellt seien. Die Klägerin forderte in der Folge die Beklagte auf, eine Sicherstellung nach § 1170b ABGB in Höhe der Haftrücklässe von insgesamt 28.482 EUR zu erbringen. Daraufhin übermittelte die Beklagte mit Schreiben vom 14. 10. 2021 vier „Sicherstellungsurkunden“ der M*holding GmbH, einer 50%igen Gesellschafterin der Beklagten. In diesen an die Klägerin gerichteten, mit „Sicherstellung nach § 1170b ABGB – Garantieurkunde“ betitelten Schreiben verpflichtete sich die M*holding GmbH gegenüber der Klägerin, „auf Ihre erste Aufforderung hin, unter Verzicht auf alle Einwendungen und Einreden sowie ohne Prüfung des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses innerhalb von vierzehn Tagen bis zur Höhe des genannten Garantiebetrages Zahlung an Sie zu leisten“.

[4] Die Klägerin sandte diese Urkunden zurück und setzte der Beklagten mit Schreiben vom 18. 10. 2021 für die Bauvorhaben *dorf, *‑Gründe und *straße eine Nachfrist für die Sicherstellung nach § 1170b ABGB bis zum 25. 10. 2021; sie erklärte bei ungenutztem Verstreichen der Nachfrist die Aufhebung der Werkverträge. Für das Bauvorhaben Fitnesscenter * setzte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 22. 2. 2022 eine Nachfrist für die Sicherstellung gemäß § 1170b ABGB bis zum 4. 3. 2022 und erklärte für den Fall des ungenutzten Verstreichens wiederum die Aufhebung der Werkverträge.

[5] Eine weitere Sicherstellung durch die Beklagte ist nicht erfolgt.

[6] Die Parteien verbindet seit mehreren Jahren eine Geschäftsbeziehung. Bisher hat die Beklagte Haftrücklässe gegen Ablöse durch Garantien immer ausbezahlt. Die nunmehrigen Bauvorhaben waren die ersten, bei denen die Beklagte Haftrücklassgarantien der Klägerin nicht akzeptierte.

[7] Die Klägerin verlangte mit ihrer Mahnklage von der Beklagten zunächst die Zahlung des restlichen Werklohns von 45.291,88 EUR sA. Sie brachte vor, die Werkleistungen sach- und fachgerecht ausgeführt und die vereinbarten Haftrücklassbeträge durch vertragsgemäße Bankgarantien freigemacht zu haben, sodass auch diese Teile des Werklohns fällig seien. Mit Schriftsatz vom 10. 12. 2021 schränkte die Klägerin ihr Begehren wegen der Teilzahlungen von insgesamt 16.839,88 EUR und unter Berücksichtigung einer ursprünglichen Schreibfehlerdifferenz von 30 EUR auf 28.482 EUR samt näher genannten Zinsen ein. Ab diesem Zeitpunkt stützte sie das Klagebegehren auf die rechtmäßige Vertragsaufhebung nach § 1170b ABGB, weil die Beklagte die ihr abverlangte Sicherstellung nicht erbracht habe. Der Beklagten stehe daher kein Haftrücklass mehr zu und ihr sei die Einrede der mangelnden Fälligkeit verwehrt. Die Haftrücklässe (gemeint: der Klagsbetrag) seien mit dem Zeitpunkt der Vertragsaufhebung fällig, ohne dass es auf die behaupteten, aber ohnehin nicht vorliegenden Mängel ankäme. Alle darauf gestützten Gegenforderungen seien unberechtigt.

[8] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie wendete ein, dass die Haftrücklässe (gemeint: der Klagsbetrag) nicht fällig seien, die Gewährleistungsfrist betrage fünf Jahre. Es sei vertraglich vereinbart worden, dass es ausschließlich in der Entscheidung der Beklagten liege, ob der Haftrücklass bar einbehalten oder durch Beibringung einer Bankgarantie bzw einer Haftrücklassversicherungsgarantie abgelöst und ausbezahlt werde. Der Beklagten stehe auch ein Zurückbehaltungsrecht in der Höhe der dreifachen Mängelbehebungskosten zu. Alle vier Bauvorhaben seien mit Mängeln behaftet. Die Beklagte sei der klägerischen Forderung nach Sicherstellung gemäß § 1170b ABGB durch die Übermittlung der Sicherstellungsurkunden nachgekommen. Die gesetzlichen Sicherstellungsregeln seien nicht auf den Haftrücklass anzuwenden, weil die Ablöse des Haftrücklasses bzw Bareinbehalts nicht das vereinbarte Entgelt, sondern die Gewährleistungsabsicherung der Beklagten betreffe. Die Kosten der Behebung der bei den Bauvorhaben noch vorhandenen Mängeln betrügen 6.275 EUR (*‑Gründe), 5.120 EUR (*straße) und 1.520 EUR (*dorf); diesbezüglich erklärte die Beklagte die Kompensation. Überdies wendete sie Sicherstellungskosten von 774 EUR aufrechnungsweise ein. Die Klägerin verweigere die Verbesserung. Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Vertragsrücktritt lägen nicht vor. Die Klägerin handle wider Treu und Glauben, alle ihre diesbezüglichen Erklärungen seien rechtsmissbräuchlich erfolgt; sie wolle offensichtlich nicht mehr für die von ihr zu verantwortenden Mängel aufkommen. Die Beklagte habe das gesamte Entgelt bereits bezahlt.

[9] Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung mit 28.482 EUR als zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und sprach der Klägerin 28.482 EUR samt näher genannten Zinsen zu. Das Zinsenmehrbegehren wies es ab. Es ging im Wesentlichen vom eingangs ausgeführten Sachverhalt aus. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass dem Werkunternehmer das Recht, nach § 1170b ABGB Sicherstellung zu begehren, auch bei mangelhafter Bauleistung zustehe. Der Anspruch werde mit Vertragsabschluss begründet und bestehe bis zur vollständigen Bezahlung des Entgelts. Die Sicherstellungsmittel seien in § 1170b Abs 1 Satz 3 ABGB taxativ aufgezählt. Die von der Beklagten vorgelegten Sicherstellungsurkunden erfüllten § 1170b ABGB nicht. Der in den Werkverträgen vorgesehenen Klausel, wonach die Klägerin als Sicherstellungsurkunde eine Garantieurkunde der M*holding GmbH akzeptiere, komme wegen des zwingenden Charakters des § 1170b ABGB keine Bedeutung zu. Dass sich – wie von der Beklagten vertreten – § 1170b ABGB nicht auf einen Haftrücklass beziehe, ergebe sich weder aus dem Gesetz noch aus der Rechtsprechung. Demnach sei von einem wirksamen Vertragsrücktritt der Klägerin auszugehen. Weil diese folglich auch keine Gewährleistungspflichten mehr habe, sei auf die eingewendete Gegenforderung im Hinblick auf die (behaupteten) Mängel nicht einzugehen gewesen. Da die Sicherstellungsurkunden nicht § 1170b Abs 1 Satz 3 ABGB erfüllten, könne die Beklagte auch die Kosten hierfür nicht nach Satz 4 leg cit aufrechnungsweise einwenden. Das noch offene Entgelt sei mit dem jeweiligen Vertragsrücktritt fällig geworden.

[10] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil hinsichtlich des zugesprochenen Kapitals; im Zinsenpunkt sowie im Kostenpunkt änderte es das Urteil teilweise ab. Das Berufungsgericht ließ die Revision (nachträglich) zu.

[11] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit einem auf Klageabweisung gerichteten Abänderungsantrag.

[12] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen, hilfsweise ihr den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

[14] In ihrer Rechtsrüge beharrt die Revisionswerberin zum einen auf ihrer Ansicht, weil sie bis auf weiteres aufgrund des vereinbarten Haftrücklasses den Betrag von 28.482 EUR zurückhalten dürfe, könne die Klägerin nicht über § 1170b ABGB die Sicherstellung eben dieses Betrags von ihr verlangen. Zum anderen hält sie die Ansicht aufrecht, ohnehin ihrer Sicherstellungsobliegenheit durch die Übermittlung der „Sicherstellungsurkunden“ der M*holding GmbH nachgekommen zu sein, zumal § 1170b ABGB keine taxative Aufzählung der Sicherungsmittel enthalte.

[15] 1.1. Gemäß § 1170b Abs 1 ABGB kann der Unternehmer eines Bauwerks, einer Außenanlage zu einem Bauwerk oder eines Teils hievon vom Besteller ab Vertragsabschluss für das noch ausstehende Entgelt eine Sicherstellung bis zur Höhe eines Fünftels des vereinbarten Entgelts, bei Verträgen, die innerhalb von drei Monaten zu erfüllen sind, aber bis zur Höhe von zwei Fünfteln des vereinbarten Entgelts, verlangen (Satz 1). Dieses Recht kann nicht abbedungen werden (Satz 2). Als Sicherstellung können Bargeld, Bareinlagen, Sparbücher, Bankgarantien oder Versicherungen dienen (Satz 3). Die Kosten der Sicherstellung hat der Sicherungsnehmer zu tragen, soweit sie pro Jahr zwei von Hundert der Sicherungssumme nicht übersteigen (Satz 4). Die Kostentragungspflicht entfällt, wenn die Sicherheit nur mehr wegen Einwendungen des Bestellers gegen den Entgeltanspruch aufrechterhalten werden muss und die Einwendungen sich als unbegründet erweisen (Satz 5).

[16] Gemäß § 1170b Abs 2 Satz 1 ABGB sind Sicherstellungen nach Abs 1 binnen angemessener, vom Unternehmer festzusetzender Frist zu leisten. Kommt der Besteller dem Verlangen des Unternehmers auf Leistung einer Sicherstellung nicht, nicht ausreichend oder nicht rechtzeitig nach, so kann der Unternehmer nach Satz 2 leg cit seine Leistung verweigern und unter Setzung einer angemessenen Nachfrist die Vertragsaufhebung erklären (§ 1168 Abs 2 ABGB).

[17] 1.2. Die Bestimmung des § 1170b ABGB wurde mit dem Handelsrechts-Änderungsgesetz, BGBl I 2005/120, in das ABGB eingefügt und soll den Insolvenzrisiken im Bau- und Baunebengewerbe entgegenwirken (ErläutRV 1058 BlgNR 22. GP  72). Sie sieht eine gesetzliche, vertraglich nicht abdingbare Sicherstellungspflicht (genauer Sicherstellungsobliegenheit: 4 Ob 209/18s [Pkt 1.1.]) des Werkbestellers unabhängig von der Unsicherheitseinrede des § 1052 Satz 2 ABGB vor, also unabhängig von einer Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse und der Kenntnis davon. Kommt der Werkbesteller dem Sicherstellungsverlangen des Werkunternehmers nicht, nicht rechtzeitig oder unzureichend nach, so kann dieser die Erbringung seiner Leistung verweigern und unter Setzung einer angemessenen Nachfrist die Vertragsaufhebung erklären (3 Ob 134/20g [Rz 15]). Für diesen Fall wird klargestellt, dass der Entgeltanspruch des Unternehmers wie in den Fällen des § 1168 Abs 2 ABGB zu behandeln ist (6 Ob 113/20s [Pkt 2.2.] mwN).

[18] 1.3. Die Obliegenheit des Werkbestellers, auf Verlangen des Unternehmers eine Sicherstellung zu geben, wird mit dem Vertragsabschluss begründet und besteht nach ständiger Rechtsprechung bis zur vollständigen Bezahlung des Entgelts (1 Ob 107/16s [Pkt 3.1.]; 7 Ob 67/17d [Pkt 2.1.]; RS0132039). Das Recht, Sicherstellung zu begehren, steht dem Werkunternehmer auch bei mangelhafter Bauleistung zu (1 Ob 107/16s [Pkt 3.1.]; 6 Ob 113/20s [Pkt 2.2.]).

[19] 2. Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass die Beklagte als vereinbarte Haftrücklässe für die vier Bauvorhaben wegen nach Meinung der Beklagten bereits gegebener oder zumindest von ihr befürchteter Baumängel insgesamt den Klagsbetrag zurückbehält. Damit steht aber auch fest, dass vom vereinbarten Werklohn der Klagsbetrag unberichtigt aushaftet.

[20] Dass dies aufgrund eines vereinbarten Haftrücklasses der Fall ist, ändert nichts daran, dass das Entgelt noch nicht vollständig bezahlt ist. Das Recht des Werkunternehmers, vom Werkbesteller nach § 1170b ABGB Sicherung zu verlangen, besteht bis zur vollständigen Bezahlung des Entgelts. Die Sicherstellung ist nach § 1170b Abs 1 Satz 1 ABGB „für das noch ausstehende Entgelt“ vorzunehmen, gleichgültig, ob dieses fällig ist oder nicht und aus welchem Grund – zB wegen eines Haftrücklasses – es vom Werkbesteller noch zurückbehalten wird. Anzunehmen, dass es im Ausmaß eines vereinbarten Haftrücklasses keinen Sicherstellungsanspruch nach § 1170b ABGB gebe, stünde mit dessen Abs 1 Satz 2 ABGB, wonach das Recht auf Sicherstellung nicht abbedungen werden kann, in Widerspruch (vgl Schopper in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1170b ABGB Rz 75 und 124).

[21] Auch ein Werkbesteller, der bis auf den Haftrücklass das vereinbarte Entgelt bezahlt hat, hat damit noch nicht das volle vereinbarte Entgelt gezahlt. Begehrt der Werkunternehmer von ihm Sicherstellung nach § 1170b ABGB, hat er dieser Forderung, um keinen Rücktrittsgrund zu geben, demnach zu entsprechen. Das Argument der Beklagten, dieses Ergebnis wäre absurd, sei doch der Haftrücklass vereinbart worden, übergeht, dass der Haftrücklass– außerhalb hier nicht gegebener Sonderfälle, wie insbesondere § 4 Abs 4 BTVG – bloß auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht und der gesetzliche Sicherstellungsanspruch nach § 1170b ABGB nicht vertraglich abdingbar ist (Abs 1 Satz 2 leg cit).

[22] Im Ergebnis war daher die Klägerin berechtigt, von der Beklagten nach § 1170b ABGB Sicherstellung zu fordern.

[23] 3. Es ist damit auf den Einwand der Beklagten einzugehen, sie habe ihrer Sicherstellungsobliegenheit durch die Übermittlung der „Sicherstellungsurkunden“ der M*holding GmbH entsprochen.

[24] 3.1. Nach § 1170b Abs 1 Satz 3 ABGB können als Sicherstellung Bargeld, Bareinlagen, Sparbücher, Bankgarantien oder Versicherungen dienen.

[25] In der Literatur ist strittig, ob diese Aufzählung taxativer Natur ist (bejahend zB M. Bydlinski in KBB6 § 1170b Rz 3; Kietaibl in Schwimann/Kodek, ABGB5 VII § 1170b Rz 11; Schopper in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1170b ABGB Rz 63; aA zB Bollenberger, Zum Inhalt der Sicherstellung des Bauunternehmers nach § 1170b neu ABGB: Muss der Besteller faktisch ein Vorleistungsrisiko tragen? RdW 2006, 199 [201]; Böhler in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1170b Rz 23). Der Oberste Gerichtshof klärte diese Rechtsfrage bislang nicht. In 7 Ob 67/17d (Pkt 1.2.) ließ er explizit offen, „ob es sich hier um eine taxative Aufzählung handelt oder ob davon abweichend – wenn ja welche – Sicherungsmittel vereinbart werden können“, zumal der damals vorliegenden „Finanzierungszusage“ nach der Beurteilung des 7. Senats die Eignung als Sicherungsmittel im Sinne des § 1170b ABGB fehlte.

[26] 3.2. Selbst wenn man trotz des eine taxative Aufzählung indizierenden Satzes in den ErläutRV (1058 BlgNR 22. GP  72), dass „nur Bargeld, Bareinlagen, Sparbücher, Bankgarantien sowie Versicherungen in Betracht kommen“, von einer demonstrativen Aufzählung ausgehen wollte, so müsste eine im Gesetz nicht angeführte Sicherheit doch, wie in einem weiteren Satz der insofern widersprüchlich erscheinenden ErläutRV zu § 1170b ABGB verlangt, dem Bauunternehmer „zumindest eine vergleichbare Rechtsposition“ verschaffen wie die im Gesetz genannten Sicherungsmittel. Dies ist bei einer von einem Dritten (der keine Bank oder Versicherungsanstalt ist) gegebenen Garantie, wie im vorliegenden Fall jener einer Gesellschafterin, nicht der Fall (zutr Scharmer, Sicherstellung bei Bauverträgen gemäß § 1170b ABGB [2022] 255 f):

[27] § 1170b Abs 2 Satz 3 ABGB nennt zunächst Bargeld, Bareinlagen und Sparbücher. Diesen Fällen ist gemeinsam, dass ein Befriedigungsfonds vorliegt, auf den unmittelbar zugegriffen werden kann und der besonders liquide ist (vgl M. Bydlinski in KBB6 § 1170b Rz 4; Böhler in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1170b Rz 24; Hörker/Kletečka in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1170b Rz 21). Die vorliegenden „Sicherstellungsurkunden“ sind dem nicht gleichwertig.

[28] Mit ihnen verpflichtete sich die M*holding GmbH gegenüber der Klägerin, auf deren erste Aufforderung hin, unter Verzicht auf alle Einwendungen und Einreden sowie ohne Prüfung des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses, innerhalb von 14 Tagen bis zur Höhe des genannten Gerantiebetrags Zahlung zu leisten. Sie gab somit (Sicherungs‑)Garantien ab (P. Bydlinski in KBB6 § 880a Rz 3).

[29] § 1170b Abs 1 Satz 3 ABGB verlangt jedoch ausdrücklich eine Bankgarantie, also eine von einem konzessionierten Kreditinstitut ausgestellte Garantie. Kreditinstitute („Banken“) unterliegen nach dem BWG einem strikten Aufsichtsregime. Gibt eine Bank ein Garantie, kann ohne weiteres aufgrund der bei Banken aufgrund der Bankenaufsicht zu vermutenden Liquidität von einer vollständigen Besicherung ausgegangen werden (vgl Böhler in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1170b Rz 24: „liquide Sicherheiten“). Mit einer solchen Bankgarantie hat allenfalls die von einer Versicherungsanstalt (vgl RS0017002 [T3]) oder die von einer Gebietskörperschaft gegebene Garantie eine ähnliche rechtliche Qualität, nicht aber die von einer keinem Aufsichtsregime unterliegenden „gewöhnlichen“ GmbH gegebene Garantie. Hier kann nicht ohne weiteres von einer hinreichenden Liquidität des Sicherungsgebers ausgegangen werden.

[30] Die vorliegenden Sicherstellungsurkunden vermitteln letztlich auch keine der in § 1170b Abs 1 Satz 3 aE ABGB noch genannten „Versicherung“ vergleichbare Rechtsposition.

[31] Die von der Beklagten der Klägerin übermittelten Sicherstellungsurkunden stellten somit, wie bereits von den Vorinstanzen zutreffend erkannt, keine tauglichen Sicherungsmittel im Sinne des § 1170b ABGB dar.

[32] 4. Der Senat erachtet im Übrigen die Begründung der Vorinstanzen für die Stattgebung der Klage für zutreffend, weshalb darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Dass die Beurteilung der Zinsenläufe durch das Berufungsgericht fehlerhaft wäre, hat die Beklagte nicht behauptet. Fragen einer Werklohnkürzung nach § 1170b Abs 2 aE iVm § 1168 Abs 2 ABGB stellten sich im vorliegenden Fall nicht.

[33] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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