European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00020.23T.0306.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
Das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 25. November 2021, GZ 48 Hv 55/21g-9, verletzt § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG sowie § 488 Abs 1 iVm § 270 Abs 4 Z 1 (iVm Abs 2 Z 4 und § 260 Abs 1 Z 1) und Z 2 StPO.
Dieses Urteil wird ebenso wie der gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefasste Beschluss aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Gründe:
[1] Mit gekürzt ausgefertigtem (§ 270 Abs 4 iVm § 488 Abs 1 StPO) Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 25. November 2021, GZ 48 Hv 55/21g‑9, wurde * K* des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 SMG schuldig erkannt und unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 5. August 2021, AZ 48 Hv 33/21x, zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Zugleich fasste der Einzelrichter den Beschluss, die mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 12. September 2019, AZ 48 Hv 18/19p, gewährte bedingte Strafnachsicht gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO zu widerrufen.
[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat K* von Jänner 2020 bis März 2021 in S* in wiederholten Angriffen vorschriftswidrig Suchtgift „zumindest in Straßenqualität“, nämlich insgesamt 340 Gramm amphetaminhältiges Speed, durch gewinnbringenden Verkauf in einer die Grenzmenge („§ 20b“) übersteigenden Menge an * E* überlassen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Das Gericht hielt fest, dass K* den im Urteilsspruch angeführten Sachverhalt objektiv begangen, ernsthaft mit der Verwirklichung des Tatbildes gerechnet und sich damit abgefunden habe.
[4] Das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 25. November 2021, GZ 48 Hv 55/21g-9, steht – wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:
[5] Nach der auch für das Hauptverfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter geltenden (§ 488 Abs 1 StPO) Bestimmung des § 270 Abs 4 StPO hat eine gekürzte Urteilsausfertigung die in § 270 Abs 2 StPO genannten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe (Z 1) sowie im Fall einer Verurteilung die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung (Z 2) zu enthalten. Aus einer gekürzten Urteilsausfertigung muss insgesamt – also unter Einbeziehung des Referats der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) – hervorgehen, welcher Tat der Angeklagte für schuldig befunden wurde, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände, sohin unter Anführung der für die Subsumtion entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0125764; Danek/Mann, WK-StPO § 270 Rz 60).
[6] Das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG verwirklicht, wer vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge einem anderen überlässt. Die Beurteilung, ob die Tat in Bezug auf eine solche Menge begangen wurde, setzt (unter anderem) Feststellungen zum Reinsubstanzgehalt des Suchtmittels voraus, weshalb (auch) eine gekürzte Urteilsausfertigung entsprechende Konstatierungen zu enthalten hat (RIS‑Justiz RS0127232; vgl auch RS0111350 sowie Danek/Mann, WK-StPO § 270 Rz 60).
[7] Gegenständlich nennt das Urteil (im Referat der entscheidenden Tatsachen) zwar die Wirkstoffart (Amphetamin) und die Gesamtmenge des Suchtgifts, die weitere Beschreibung mit „Straßenqualität“ lässt allerdings keinen Rückschluss auf den Reinsubstanzgehalt und demzufolge auf das Überlassen einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge zu (RIS‑Justiz RS0127232; vgl auch 12 Os 127/14i, 15 Os 96/06s, 14 Os 26/06i).
[8] Überdies sind mehrere für sich allein die Grenzmenge nicht übersteigende Suchtgiftquanten nur insoweit zu einer die Grenzmenge übersteigenden Menge zusammenzurechnen, als der Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) des Täters von vornherein die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasst (RIS‑Justiz RS0112225).
[9] Nach dem Referat der entscheidenden Tatsachen hat K* in einem Zeitraum von 15 Monaten „in wiederholten Angriffen […] insgesamt“ 340 Gramm amphetaminhältiges Speed überlassen. Eine mengenmäßige Aufschlüsselung der einzelnen Suchtgiftmanipulationen wurde nicht vorgenommen, sodass – auch bei Kenntnis des Reinsubstanzgehalts – keine Aussage zum allfälligen Überlassen einer § 28b SMG übersteigenden Menge durch einen einzigen Akt getroffen werden kann. Ebensowenig ist der gekürzten Ausfertigung eine von vornherein die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt umfassende Täterintention zu entnehmen (vgl 12 Os 148/22z; 12 Os 143/11p, 144/11k, 145/11g; 11 Os 120/15d). Die Urteilsannahmen tragen daher die Subsumtion nach § 28a Abs 1 (und Abs 3) SMG nicht.
[10] Durch die dargelegten Mängel verletzt das Urteil § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG sowie § 488 Abs 1 iVm § 270 Abs 4 Z 1 (iVm Abs 2 Z 4 und § 260 Abs 1 Z 1) und Z 2 StPO.
[11] Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen geeignet sind, sich zum Nachteil des Verurteilten auszuwirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.
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