OGH 12Os127/14i

OGH12Os127/14i30.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Oktober 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Oshidari und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tagwerker als Schriftführerin in der Strafsache gegen Münür P***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Münür P***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft in Ansehung dieses Angeklagten und des Angeklagten Mustafa K***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 26. Mai 2014, GZ 39 Hv 171/13p‑320, sowie über die Beschwerden des Angeklagten Münür P***** und der Staatsanwaltschaft gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0120OS00127.14I.1030.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Münür P***** wird zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A./III./2./ des Angeklagten Mustafa K*****, demzufolge auch im diesen betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Mit ihrer Berufung in Ansehung dieses Angeklagten wird die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden des Münür P***** und der Staatsanwaltschaft werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Münür P***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche sämtlicher Mitangeklagter und Freisprüche von weiteren Vorwürfen enthält, wurden Münür P***** des Vergehens (richtig: der Vergehen) des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (A./I./4./), des Vergehens (richtig: der Vergehen) des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 fünfter Fall SMG (A./IV./) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (A./VII./4./) sowie Mustafa K***** des Vergehens (richtig: der Vergehen) nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (A./I./3./), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall SMG (A./III./2./a./ bis c./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 15 Abs 1 StGB, § 27 Abs 1 Z 1 neunter Fall SMG (A./V./) und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 fünfter Fall SMG (A./VI./), des Verbrechens des Suchgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (A./VII./) sowie der Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach § 228 Abs 2 StGB (B./), des Betrugs nach § 146 StGB (C./) und der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB (D./) schuldig erkannt.

Danach haben Mustafa K***** und Münür P***** ‑ soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Relevanz ‑

A./ in W***** N***** und an anderen Orten in wiederholten Angriffen vorschriftswidrig Suchtgifte,

I./ in einer nicht mehr festzustellenden Menge erworben und besessen, nämlich

4./ Münür P***** methamphetaminhältiges Pico mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 47 % (1 Kubik ist zumindest 0,7 Gramm) sowie Delta‑9‑THC-hältiges Cannabiskraut, und zwar ab 31. Mai 2011 bis zum 13. November 2013;

III./ einem anderen zum Kauf angeboten, und zwar

2./ Mustafa K*****

a./ am 5. Oktober 2013 dem Adnan D***** amphetaminhältiges Speed in zumindest Straßenqualität von 10 % Reinheitsgehalt,

b./ am 7. Oktober 2013 dem Adnan D***** zumindest 3 Kubik Pico (0,98 Gramm entsprechend dem Reinheitsgehalt),

c./ am 29. September 2013 dem unbekannten „E*****“ zumindest 100 Stück LSD zumindest in Straßenqualität (von 0,00001 Gramm pro Konsumeinheit Lysedigit LSD),

VI./ aus der Slowakei illegal nach Österreich eingeführt, und zwar zwischen 2011 und Herbst 2013

4./ Münür P***** zumindest 20 Kubik Pico (6,58 Gramm entsprechend dem Reinheitsgehalt),

VII./ teilweise durch gewinnbringenden Verkauf und teilweise unentgeltlich anderen überlassen, und zwar

4./ Münür P***** eine die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigende Menge, und zwar ab 31. Juli 2011 bis Herbst 2013 an

a./ Kemal Da***** zumindest 30 Kubik Pico (9,87 Gramm entsprechend dem Reinheitsgehalt),

b./ Adnan D***** zumindest 1,25 Kubik Pico (0,411 Gramm entsprechend dem Reinheitsgehalt),

c./ Michaela Pa***** zumindest 13 Kubik, sohin 9,1 Gramm Pico (4,77 Gramm entsprechend dem Reinheitsgehalt),

d./ Muhamed M***** zumindest 0,75 Kubik Pico (0,246 Gramm entsprechend dem Reinheitsgehalt),

e./ Faruk S***** zumindest 0,5 Kubik Pico (0,16 Gramm entsprechend dem Reinheitsgehalt),

f./ Ahmet B***** zumindest 6,5 Kubik Pico (sohin 4,99 Gramm entspricht 2,1 Gramm entsprechend dem Reinheitsgehalt).

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 2 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Münür P*****, die ihr Ziel verfehlt.

Das Vorbringen, die Angeklagten hätten sich „im Zuge der Hauptverhandlung vom 18. April 2014 gegen die Verwertung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausgesprochen“, weshalb die Verlesung von Vernehmungsprotokollen in der Hauptverhandlung am 26. Mai 2014 eine „absolute Nichtigkeit des Verfahrens“ bewirke, spricht keinen der vom § 281 Abs 1 Z 2 StPO erfassten Fälle importierter Nichtigkeit erkennbar an (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 173 f; RIS-Justiz RS0099344). Trotz des umfangreichen Akts und der Mehrzahl von Verhandlungstagen (nämlich am 21. Februar 2013, 25. Februar 2013, 31. März 2013, 24. April 2014 und 26. Mai 2014) verabsäumt es die Beschwerde im Übrigen, die Fundstelle eines darauf bezogenen Widerspruchs des Nichtigkeitswerbers zu benennen (RIS-Justiz RS0124172). Was die Umstände der im Ermittlungsverfahren durchgeführten Vernehmungen der Angeklagten sowie diverser Zeugen anlangt, macht die Beschwerde mit ihrer Kritik am Auftreten der als Dolmetscher eingesetzten sprachkundigen Person Sinan Gü***** kein polizeiliches Fehlverhalten (iSd § 166 Abs 1 StPO), das ein Verlesungsverbot gemäß § 166 Abs 2 StPO zur Folge haben könnte, geltend. Sie erschöpft sich vielmehr bloß in eigenen, vom Erstgericht als unbegründet erachteten (US 29 ff) Spekulationen über die durch das Einschreiten des Sinan G***** als Dolmetscher bedingten Auswirkungen auf das Aussageverhalten der Verfahrensbeteiligten.

Auch die Tatsachenrüge (Z 5a) setzt mit der Behauptung, das Beweisverfahren hätte gar keine Grundlage für „die Einfuhr von Pico“ ergeben (vgl aber: US 39 ff) und die Angaben des Zeugen Muhamed M***** (vgl US 41) hätten nicht als Grundlage für die Entscheidung herangezogen werden dürfen, den Urteilsannahmen bloß eigene Beweiswerterwägungen entgegen und zielt solcherart ‑ außerhalb der Anfechtungskategorien der Z 5a ‑ auf eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Verfahrensergebnissen ab.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Münür P***** war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der diesen Angeklagten betreffenden Berufungen und Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Aus Anlass dieser Nichtigkeitsbeschwerde war aber hinsichtlich des Mitangeklagten Mustafa K*****, der selbst kein Rechtsmittel erhoben hat, von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) wahrzunehmen, dass das angefochtene Urteil essentielle Tatsachenfeststellungen für die rechtsrichtige Unterstellung der zu A./III./2./ inkriminierten Verhaltensweisen unter § 28a Abs 1 vierter Fall SMG vermissen lässt.

Die Feststellungen des Inhalts, wonach Mustafa K***** dem Adnan D***** am 5. Oktober 2013 (eine nicht näher bestimmte Menge) amphetaminhältiges Speed in (zumindest) Straßenqualität, weiters am 7. Oktober 2013 drei Kubik Pico mit einem Reinheitsgehalt von 0,98 Gramm Metamphetamin und am 29. September 2013 einem nicht Bekannten namens „E*****“ zumindest 100 Stück LSD in Straßenqualität anbot und dabei den Genannten jeweils vorschriftswidrig Suchtgift anbieten wollte (US 19 und 36 f), vermögen den insofern ergangenen Schuldspruch nach § 28a Abs 1 vierter Fall SMG nicht zu tragen, lassen sie doch weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht erkennen, ob der Nichtigkeitswerber eine die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigende Suchtgiftmenge in Verkehr zu setzen trachtete (§ 28a Abs 1 SMG; RIS-Justiz RS0111350).

Muss ein Schuldspruch nach § 28a SMG, der eine selbstständige Qualifikation des Grundtatbestands nach § 27 Abs 1 SMG darstellt, wegen fehlender Feststellungen zur Beurteilung der Suchtgiftmenge als die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigend aufgehoben werden, bleiben jene Annahmen, die einen (gar nicht erfolgten) Schuldspruch nach § 27 Abs 1 SMG stützen würden, ebenfalls nicht bestehen (RIS-Justiz RS0115884; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 18).

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher das Urteil im Schuldspruch des Angeklagten Mustafa K***** A./III./2./, demzufolge auch im ihn betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt zu verweisen.

Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer in Ansehung dieses Angeklagten erhobenen Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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