OGH 2Ob26/23x

OGH2Ob26/23x21.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Auer Bodingbauer Leitner Stöglehner Rechtsanwälte OG in Linz, gegen die beklagte Partei W* AG *, vertreten durch Prof. Mag. Dieter Schnetzinger Rechtsanwalt in Linz, wegen 19.000 EUR und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. Dezember 2022, GZ 3 R 130/22s‑27, mit dem das Teilzwischenurteil des Landesgerichts Linz vom 11. Juli 2022, GZ 4 Cg 124/21d‑22, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00026.23X.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.332,54 EUR (darin 222,09 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Arbeitnehmer einer Stadtgemeinde, die Halterin eines Klein‑LKW mit einer Ladefläche (Pritschenwagen) ist. Am Unfallstag lenkte der Kläger den bei der Beklagten haftpflichtversicherten LKW und wollte aus einem auf dem Pritschenplateau stirnseitig montierten metallenen Werkzeug‑ bzw Gerätekasten (im Folgenden: Kasten) einen Gegenstand herausholen. Der mit dem vertikalen Aufbau des Fahrzeugs verschraubte Kasten wird durch einen ca 30 bis 40 kg schweren Deckel mit einem Ausmaß von 40 cm x 200 cm verschlossen. Im geschlossenen Zustand befindet sich der Deckel in einer Höhe von 145 cm. Nach dem Öffnen des Kastens kann der Deckel an der Oberseite des Aufbaus auf dem Pritschenplateau in einem Winkel von 10 Grad angelehnt werden. Es waren am Unfallstag keine Vorrichtungen vorhanden, mit denen der Deckel an dem Aufbau fixiert werden konnte.

[2] Als der Kläger einen Gegenstand aus dem Kasten herausholen wollte, fiel der Deckel zu, wobei die Kante des Deckels den Kläger direkt oberhalb des linken Schultergelenks traf und er dadurch verletzt wurde. Allein das Herausnehmen eines Gegenstands aus dem Kasten führt nicht zum Zufallen des Deckels, wenn dieser zuvor an der Stirnseite der Aufbaukonstruktion angelehnt worden ist. Im Anlassfall ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Deckel beim Öffnen durch den Kläger noch nicht vollständig bis zum möglichen Anschlag an der Aufbaukonstruktion angelehnt war, der Kläger dessen ungeachtet bereits in den Kasten vorschnell hineingriff. Die Revision tritt dem nicht entgegen.

[3] Ein selbsttätiges Zufallen des Deckels ist auch dann nicht ganz ausgeschlossen, wenn der Deckel an der Aufbaukonstruktion angelehnt wird. Der angelehnte Deckel kann etwa durch das Wegfahren des Fahrzeugs, bei einem stärkeren Windstoß oder auch dann zufallen, wenn das Fahrzeug auf einer leicht ansteigenden Position angehalten wurde. Einer dieser Fälle lag hier aber nicht vor.

[4] Erst nach dem Unfall wurden zwei drehbare Klappbügel an der Oberseite des Aufbaus angebracht, die bei Drehposition nach unten auf die beiden Haltebügel greifen und so ein selbsttätiges Zufallen des Deckels verhindern.

[5] Der Kläger stützt seinen geltend gemachten Schadenersatzanspruch darauf, dass der Kasten über keine Sicherung verfügt habe, was beim Be- und Entladen von Gegenständen aus dem Kasten ein hohes Sicherheitsrisiko und damit einen Fehler in der Beschaffenheit darstelle.

[6] Die Beklagte wandte ein, dass der Kasten ein übliches Zubehör von Fahrzeugen des Halters sei. Der Unfall sei vom Kläger durch sein unsachgemäßes Öffnen des Deckels verursacht worden. Der Unfall hätte sich nicht ereignet, wenn der Deckel ordnungsgemäß geöffnet worden wäre.

[7] Das Erstgericht erkannte mit Teilzwischenurteil das Leistungsbegehren dem Grunde nach zur Gänze als zu Recht bestehend. Der Haftungsausschluss nach § 3 Z 3 EKHG sei hier im Sinne des Rechtsprechung zu verneinen, weil mangels Sicherung des Deckels ein Fehler der Beschaffenheit vorliege.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Leistungsbegehren ab. Ein von der beklagten Haftpflichtversicherung zu vertretender risikoerhöhender Umstand sei nicht erkennbar. Der Kläger habe in den Kasten unvorsichtiger Weise hineingegriffen, bevor dessen Deckel an der Aufbaukonstruktion vollständig angelehnt gewesen sei; er habe den Unfall daher schuldhaft verursacht. Hätte der Kläger den Deckel ganz aufgemacht und am Aufbau in einer 10 Grad-Position angelehnt, wäre ein Zufallen nur durch äußere Einwirkungen möglich gewesen, die aber nicht feststehen.

[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels Judikatur zur Frage zu, ob im Anlassfall ein „risikoerhöhender Umstand“ vorliegt, der zu einer teleologischen Reduktion des in § 3 Z 3 EKHG normierten Haftungsausschlusses führen kann.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), nicht zulässig.

[11] 1. Nach der Rechtsprechung wird die Gefährdungshaftung auch dem beim Betrieb Tätigen im Wege einer teleologischen Reduktion des § 3 Z 3 EKHG ua in jenen Fällen eröffnet, in denen der Unfall aufgrund eines Fehlers in der Beschaffenheit oder des Versagens der Verrichtungen eingetreten ist (2 Ob 109/04z SZ 2006/40; 2 Ob 13/12v; 8 ObA 55/17x; 2 Ob 103/17m; RS0120591).

[12] 2.1. Das Rechtsmittel erachtet es (iSd zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung) als erhebliche Rechtsfrage, ob ein ungesicherter Deckel eines auf einem Klein‑LKW montierten Werkzeugkastens, welcher beim Öffnen lediglich in einer Position von maximal 10 Grad angelehnt werden kann, im Sinne der Judikatur einen Fehler in der Beschaffenheit darstelle, der zu einer teleologischen Reduktion des in § 3 Z 3 EKHG normierten Haftungsausschlusses führe, zumal dazu keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[13] 2.2. Dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, bedeutet keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts abhängt. Besonderheiten der Fallgestaltung schließen eine richtungsweisende, die Rechtsentwicklung vorantreibende und für zukünftige Entscheidungen nutzbringende Judikatur des Obersten Gerichtshofs sogar eher aus (RS0102181).

[14] 3. Das (unstrittig vorliegende) vorschnelle Hineingreifen des Klägers in den Kasten hat im Anlassfall dazu geführt, dass sich das konkrete Risiko der fehlenden Sicherung gar nicht verwirklicht, was sich klar von jenem Fall unterscheidet, auf den das Erstgericht seine Entscheidung gestützt hat (2 Ob 204/08a).

[15] 4. Unter diesen Umständen ist die Verneinung von (unfallskausalen) risikoerhöhenden Umständen durch das Berufungsgericht vertretbar.

[16] 5. Die Revision ist somit ungeachtet der Zulassung durch das Berufungsgericht zurückzuweisen.

[17] 6.  Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte