OGH 23Ds12/22z

OGH23Ds12/22z20.2.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 20. Februar 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als weitere Richterin sowie die Rechtsanwälte Mag. Brunar und Mag. Stolz als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Lonin in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 26. Jänner 2022, GZ D 133/20‑19, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, des Kammeranwalts Dr. Meyenburg und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0230DS00012.22Z.0220.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * (richtig [vgl ES 8]:) zweier Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt und zu einer Geldbuße von 2.000 Euro verurteilt.

[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er den Rechtsanwalt einer anderen Partei umgangen (§ 19 RL‑BA 2015), indem er es als Vertreter des Antragsgegners in der Rechtssache des Antragstellers * K*, vertreten durch * Rechtsanwälte OG, gegen den Antragsgegner D* E*, wegen Unterhalt, AZ * des Bezirksgerichts *, geschehen ließ, dass sein (insoweit nicht instruierter; vgl dazu Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 7/4) Mitarbeiter * Z* in dieser Angelegenheit zwei an den Antragstellervertreter gerichtete E‑Mails „cc“ auch direkt an dessen Mandanten persönlich versendete, und zwar,

1./ am 27. September 2020ein E‑Mail, in dem er den Antragsteller unter Anschluss eines Beschlusses des Bezirksgerichts * vom selben Tag (ON 29 im Akt AZ * dieses Gerichts) zur Zahlung der darin gerichtlich bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution auf ein im Text genanntes Bankkonto aufforderte, sowie

2./ am 29. Juni 2020 ein E‑Mail, in dem er mitteilte, dass sein Mandant mit einer Verrechnung von in der Vergangenheit überhöht bezogenen Unterhaltsleistungen mit in Zukunft fällig werdenden Unterhaltszahlungen nicht einverstanden sei und ankündigte, gegen den Antragsteller einen Exekutionsantrag einzubringen, sofern die ab Juli 2020 fällig werdenden Unterhaltsbeträge nicht fristgerecht und vollständig bezahlt werden, dies unter wörtlicher Anmerkung in Fettdruck und unterstrichen „Fristvormerk: 01.07.2020 gerichtlicher Exekutionsantrag!“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die (erkennbar) gegen die Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen siehe RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe gerichtete Berufung des Disziplinarbeschuldigten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet im Ergebnis, der Disziplinarrat sei bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen.

[5] Nach § 19 RL‑BA 2015 darf der Rechtsanwalt den Rechtsanwalt einer anderen Partei nicht umgehen. Die Bestimmung verbietet dem Anwalt nach ständiger (vom Berufungswerber ignorierter) Rechtsprechung und Standesauffassung jegliche unmittelbare Kontaktaufnahme mit der anwaltlich vertretenen Gegenseite in einer bestimmten Rechtssache oder einer damit konnexen Angelegenheit, sei es telefonisch, sei es in einer persönlichen Unterredung, sei es durch – wie hier per E‑Mail erfolgtes – direktes Anschreiben (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 RL‑BA 2015, Rz 4 f mwN, Rz 9; jüngst 26 Ds 10/20z, 26 Ds 15/21m).

[6] Ihr Schutzzweck liegt keineswegs nur in der Verhinderung einer Kontaktaufnahme mit dem Klienten eines anderen Rechtsanwalts, „ohne dass der Kollege davon erfährt“, wie der Disziplinarbeschuldigte in seiner Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur vermeint (ON 6 S 2 im Ds‑Akt). Das Umgehungsverbot dient vielmehr in erster Linie dem Schutz des anwaltlich vertretenen (meist rechtsunkundigen) Gegners vor vorschnellen Entschlüssen, Vereinbarungen oder (wie hier) Zahlungen ohne entsprechende Konsultation seines Rechtsvertreters (RIS‑Justiz RS0072496, RS0055238; vgl auch Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 [bereits zu] § 18 RL‑BA 1977 S 677).

[7] Ausgehend davon lässt der Berufungswerber mit dem Hinweis auf die „Transparenz“ seiner Vorgangsweise und dem in diesem Zusammenhang erstatteten Vorbringen, die gegenständlichen E‑Mail‑Nachrichten seien ohnehin (formell) an den Rechtsanwalt des Gegners gerichtet gewesen und hätten diesen als Empfänger ausgewiesen, während dessen Mandant sie – für ihn erkennbar – nur in „cc“, also in (elektronischer) Kopie erhalten habe, eine nachvollziehbare Begründung vermissen, warum eine derartige Verständigung zur Vermeidung der von § 19 RL‑BA 2015 verpönten Drucksituation und solcherart zur Erfüllung der Standespflicht ausreichen sollte (Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 RL‑BA 2015, Rz 8 mwN; 25 Os 1/16h sowie jüngst 26 Ds 10/20z mwN).

[8] Ein durch die Umgehungshandlung bewirkter tatsächlicher Eintritt eines konkreten Nachteils für den Gegner ist für die Verwirklichung des Tatbestands nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0072496 [T10 und T12], RS0055238 [T6]; zum Ganzen Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 RL‑BA 2015, Rz 4 f mwN, Rz 7, 13 f).

[9] Soferne mit der Behauptung, es liege „höchstens“ ein geringfügiges Verschulden vor und das inkriminierte Verhalten habe „keinerlei Folgen nach sich gezogen“, das Unterbleiben einer Anwendung des § 3 DSt kritisiert werden soll (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO), scheitert ein solches Vorgehen schon daran, dass mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls, nämlich die zweimalige vorsätzliche (ES 8) direkte Übermittlung von Schreiben an den gegnerischen Mandanten, die jeweils kurzfristige Zahlungsaufforderungen (zu 1./ zudem trotz noch nicht eingetretener Rechtskraft der Kostenentscheidung) enthielten (vgl ES 5 und 6), kein im Vergleich zu Durchschnittsfällen solcher Verstöße deutlich reduziertes Verschulden vorliegt (RIS‑Justiz RS0089974).

[10] Mit der – im Übrigen auch inhaltlich unrichtigen (ES 7 f) – Behauptung, dem Erkenntnis sei eine „effektive Begründung“ der rechtlichen Beurteilung nicht zu entnehmen, wird Nichtigkeit nicht angesprochen (RIS‑Justiz RS0100877; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 413 f, 681). Dies gilt ebenso für den Vorwurf, dem Beschuldigten sei in der mündlichen Disziplinarverhandlung ein „Vorhalt“ gemacht worden, der im darüber aufgenommenen Protokoll fehle und „letztlich auch im Erkenntnis keinen Niederschlag“ gefunden habe.

[11] Der Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ein Erfolg zu versagen.

[12] Auch die Strafberufung ist nicht im Recht.

[13] Der Disziplinarrat verhängte über den Beschuldigten nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 2.000 Euro. Bei der Strafbemessung wertete er das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen sowie die zahlreichen Vorstrafen als erschwerend, als mildernd dagegen „die längere Dauer des Disziplinarverfahrens“.

[14] Unter Zugrundelegung dieser richtig und vollständig angeführten Strafzumessungsgründe (vgl dazu auch RIS‑Justiz RS0054839) entspricht die im untersten Bereich des Strafrahmens von bis zu 45.000 Euro (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) bemessene Geldbuße Tatunrecht und Täterschuld sowie Präventionserfordernissen und trägt den (mangels diesbezüglicher Angaben des Beschuldigten zutreffend zugrundegelegten) durchschnittlichen Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen eines Rechtsanwalts angemessen Rechnung (§ 16 Abs 6 DSt).

[15] Ein schriftlicher Verweis (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die dem Beschuldigten zur Last liegenden (vorsätzlich begangenen) Vergehen nicht bloß geringfügige Verfehlungen darstellen (vgl RIS‑Justiz RS0075487 [T1]) und die Verhängung einer Geldbuße auch aus spezial- und generalpräventiven Gründen geboten ist.

[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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