OGH 4Ob125/22v

OGH4Ob125/22v31.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei S*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei V* GmbH, *, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen (eingeschränkt) 35.843,12 EUR sA und 79.759,16 EUR sA (Widerklage), über die außerordentliche Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. April 2022, GZ 5 R 150/21x‑83, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00125.22V.0131.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin und Widerbeklagte hat für die Beklagte und Widerklägerin im Zusammenhang mit der Teilnahme an einem Vergabeverfahren anwaltliche Leistungen erbracht. Das Angebot der Beklagten wurde von der vergebenden Stelle wegen der verspäteten Abgabe des Aufklärungsschreibens und wegen der unterlassenen Aufschlüsselung der Einheitspreise ausgeschieden. Das Bundesverwaltungsgericht wies die einstweilige Verfügung und den Nachprüfungsantrag der Beklagten ab.

[2] Das Berufungsgericht wies die Honorarklage der Klägerin ab und gab dem Widerklagebegehren der Beklagen auf Rückzahlung von geleistetem Honorar und entrichteten Pauschalgebühren teilweise statt. Der Klägerin sei ein Sorgfaltsverstoß durch die unterbliebene Aufklärung der Beklagten über die geringen Erfolgsaussichten des Nachprüfungsverfahrens anzulasten.

Rechtliche Beurteilung

[3] Mit ihrer außerordentlichen Revision beantragt die Klägerin die Stattgebung ihrer Klage und Abweisung der Widerklage. Da sie aber keine groben Beurteilungsfehler des Berufungsgerichts oder sonstige erhebliche Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist die Revision nicht zulässig und somit zurückzuweisen.

[4] 1. Da der Oberste Gerichtshof nur Rechtsinstanz und nicht auch Tatsacheninstanz ist, kann bei ihm die Beweiswürdigung der Vorinstanzen nicht bekämpft werden (RS0043414 [T11]). Der Versuch, die vom Berufungsgericht übernommenen Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts als unrichtig darzustellen, stellt sich als eine im Revisionsverfahren unzulässige Anfechtung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen dar (vgl RS0043371 [T24]).

[5] 2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Das Berufungsgericht hat sich ausführlich mit der Beweisrüge der Klägerin auseinandergesetzt, insbesondere auch mit der entscheidungswesentlichen – von der Klägerin bekämpften – Feststellung betreffend die mangelnde Aufklärung durch Mitarbeiter der Klägerin bzw die Kausalität der mangelnden Aufklärung.

[6] 3.1. Gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Diese Bestimmung ergänzt § 1009 ABGB, der den Gewalthaber verpflichtet, das ihm durch den Bevollmächtigungsvertrag aufgetragene Geschäft umsichtig und redlich zu besorgen. Daraus ergeben sich für den Anwalt eine Reihe von Pflichten, wie unter anderem Warn-, Aufklärungs- und Verhütungspflichten, die alle Ausprägung der Kardinalspflicht des Rechtsanwalts sind, nämlich der Pflicht zur Interessenwahrung und zur Rechtsbetreuung (RS0112203). Der Anwalt ist aufgrund des Bevollmächtigungsvertrags zur sachgemäßen Vertretung seines Klienten verpflichtet (RS0038695 [T3]). Zu den wichtigsten Aufgaben gehört die Belehrung des meist rechtsunkundigen Mandanten (RS0038682). Eine Aufklärungspflicht des Rechtsanwalts besteht auch in Bezug auf die Erfolgsaussichten eines Rechtsstandpunkts (RS0112203 [T3]). Der Rechtsanwalt hat seinem Mandanten zur bestmöglichen Rechtsdurchsetzung oder Rechtsverteidigung zu verhelfen und ihn vor Nachteilen zu bewahren. Dieser Schutzzweck gebietet insbesondere die Aufklärung des Mandanten, wenn eine Prozessführung aussichtslos erscheint (RS0112203 [T9, T12]).

[7] 3.2. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die Aufklärung über die Aussichtlosigkeit des Rechtsmittels (Nachprüfungsantrag und einstweilige Verfügung im Vergabeverfahren) unterlassen, was auch kausal für das Auflaufen von Anwaltskosten war. Wenn die Klägerin meint, dass eine solche Aufklärung deshalb nicht geboten sei, weil der mögliche (Rechtsmittel-)Erfolg das Kostenrisiko gravierend überstiegen habe, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt (vgl RS0043312 [T5, T14]). Überdies ist ihre Gegenüberstellung der möglichen Auftragssumme zu den Vertretungskosten unplausibel, weil es sich bei der Auftragssumme keineswegs um den für die Beklagte erzielbaren Gewinn handelte. In der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die Klägerin verpflichtet gewesen wäre, die Beklagte über die geringen Erfolgsaussichten des Nachprüfungsverfahrens aufzuklären, sodass diese ihre Entscheidung, ob sie (etwa aus taktischen Überlegungen) das Nachprüfungsverfahren dennoch einleiten und die damit verbundene Kostenbelastung in Kauf nehmen wollte, auf fundierter Grundlage hätte treffen können – welche Unterlassung für die frustrierten Anwaltskosten kausal war – liegt jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende (grobe) Fehlbeurteilung.

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