European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00104.22H.0124.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Amtsdelikte/Korruption
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung werden zurückgewiesen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu I/B, II und III, demgemäß auch in der zu I gebildeten Subsumtionseinheit und im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * M* eines Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (I), mehrerer Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (III) sowie eines Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in G*
(I) mit dem Vorsatz, dadurch den Staat „in konkreten Rechten“, nämlich an dessen (zu B [US 4]) „Recht auf ordnungsgemäße Durchführung von Verwaltungsverfahren“ sowie (zu C [US 6] und D [US 7]) auf Strafverfolgung von Verwaltungsübertretungen, zu schädigen, Beamte wissentlich zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des (richtig [vgl Art 10 Abs 1 Z 7 und Z 9 B‑VG; RIS‑Justiz RS0132645]) Bundes als dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, zu missbrauchen, indem er diese durch die Übermittlung von (im Urteil näher bezeichneten) Schreiben, in denen er unberechtigte Schadenersatzforderungen stellte und deren Eintragung als Pfandrecht in ein internationales Schuldenregister androhte, sinngemäß aufforderte, ihnen gesetzlich übertragene Verpflichtungen zur Verfolgung von Verwaltungsübertretungen und zur Einhebung von Verwaltungsstrafen nicht nachzukommen, nämlich nachstehende Mitarbeiterinnen der Bezirkshauptmannschaft S*, und zwar
B/ am 18. Februar 2021 * P* als in einem im Urteil näher bezeichneten, gegen den Angeklagten geführten Verwaltungsverfahren zuständige Beamtin zur Einstellung dieses Verfahrens und zur Retournierung der (US 3) behördlich abgenommenen Kennzeichentafeln,
C/ am 23. Februar 2021 und am 4. März 2021 * W* als in zwei im Urteil näher bezeichneten, gegen den Angeklagten geführten Verwaltungsstrafverfahren zuständige Beamtin dazu, diese Verfahren nicht weiter zu führen, die Erlassung von Straferkenntnissen zu unterlassen und von der Einhebung der Verwaltungsstrafen in Höhe von insgesamt 463 Euro abzusehen, sowie
D/ am 4. März 2021 * B* als in einem im Urteil näher bezeichneten, gegen den Angeklagten geführten Verwaltungsstrafverfahren zuständige Beamtin dazu, dieses Verfahren nicht weiter zu führen, die Vollziehung der rechtskräftigen Strafverfügung zu unterlassen und von der Einhebung der Verwaltungsstrafe in Höhe von 50 Euro abzusehen
(II) P* durch die zu I/B beschriebene Handlung durch gefährliche Drohung „mit einer Verletzung am Vermögen“ zur Vornahme der dort genannten Handlungen zu nötigen versucht;
(III) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz W* durch die zu I/C und B* durch die zu I/D beschriebenen Handlungen jeweils durch gefährliche Drohung „mit einer Schädigung am Vermögen“ zu den dort genannten Unterlassungen zu nötigen versucht, wodurch „der Bund und das Bundesland Niederösterreich am Vermögen geschädigt“ werden sollten.
[3] Unmittelbar nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung durch den Vorsitzenden gab der Angeklagte nach Beratung mit seiner Verteidigerin keine Rechtsmittelerklärung ab (ON 64 S 49).
[4] Am 20. Mai 2022 langte beim Landesgericht St. Pölten eine vom Angeklagten persönlich verfasste Eingabe ein, die er mit „Privat/Streng Vertraulich/Nicht für das öffentliche Protokoll“ und „Geschäftszahl: 16 Hv 99/21z‑1“ bezeichnete und in der er (im Wesentlichen) erklärte, für das am 18. Mai 2022 „mündlich herangetragene Angebot“ werde „für einen Gegenwert von Zweihunderfünfzigtausend pro Monat [18 Mal], sofort fällig ab Einigung und zur Verwendung von Gegenrechnungen […] das Einverständnis gegeben“. Werde „auf eine Antwort innerhalb der nächsten Drei [3] Tage verzichtet“, werde davon ausgegangen, dass „unser Angebot geehrt wird, und als Einigung zu sehen ist“. Würden „andere Verhandlungsparteien [Staatsanwaltschaft] ihr gemachtes Angebot [18 Monate] nicht mehr aufrecht zu erhalten“ wünschen und auf dieses „sowie ähnlich Angebote“ „verzichten [Freispruch]“, werde dies „Ehrenvoll angesehen und Angenommen“ und „ebenso auf sein oben gemachtes Angebot“ verzichtet (ON 67).
[5] Nach Zustellung einer Urteilsausfertigung an die Verteidigerin am 11. August 2022 (Zustellschein bei ON 1 S 44) führte diese mit am 6. September 2022 eingebrachtem Schriftsatz eine auf § 281 Abs 1 Z 5 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde und eine Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die Strafe aus (ON 74).
Rechtliche Beurteilung
[6] Wenngleich es bei der Anmeldung eines Rechtsmittels weder auf den Wortlaut noch auf die Einhaltung einer bestimmten Form ankommt (RIS‑Justiz RS0101785, RS0099951, RS0099067 [T9]; siehe aber § 84 Abs 2 StPO), muss zur Rechtzeitigkeit und Beachtlichkeit einer Nichtigkeitsbeschwerde deutlich und bestimmt erklärt werden, ein (bezeichnetes) Urteil wegen des Vorliegens von Nichtigkeitsgründen anzufechten (vgl RIS‑Justiz RS0100007, RS0100000, Ratz,WK‑StPO § 284 Rz 7).
[7] Die gegenständliche Erklärung, die Nichtigkeitsgründe nicht einmal ansatzweise behauptet, wird diesem Erfordernis nicht gerecht (vgl RIS‑Justiz RS0099013, RS0099067 [T12, T16]).
[8] Die Anmeldung einer Berufung ist der Eingabe gleichfalls nicht deutlich und bestimmt zu entnehmen (vgl RIS‑Justiz RS0099993 [T1]; 15 Os 168/18x, 15 Os 125/20a; Ratz,WK‑StPO § 294 Rz 2).
[9] Da der Angeklagte erstmals in der Rechtsmittelausführung, somit nach Ablauf der Fristen des § 284 Abs 1 erster Satz StPO und des § 294 Abs 1 StPO, erklärt hat, Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung zu erheben, waren – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – Erstere gemäß § 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 1 StPO (vgl RIS‑Justiz RS0100010) und Letztere gemäß § 296 Abs 2 StPO iVm § 294 Abs 4 StPO (vgl RIS‑Justiz RS0100243) bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[10] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das angefochtene Urteil Rechtsfehler im Schuldspruch zu I/B und II (Z 9 lit a) sowie zu III (Z 10) zum Nachteil des Angeklagten aufweist, die von Amts wegen wahrzunehmen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO; vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 7, 14, 18).
Zu I/B:
[11] Nach den diesbezüglichen erstgerichtlichen Konstatierungen bezog sich der Schädigungsvorsatz des Angeklagten bloß auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften (US 4: „ordnungsgemäße Durchführung von Verwaltungsverfahren“).
[12] Der wissentliche Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift begründet (nicht anders als bei materiell-rechtlichen Bestimmungen) dann Missbrauch der Amtsgewalt, wenn der begleitende Schädigungsvorsatz nicht – wie hier festgestellt – nur auf ordnungsgemäße Führung des Verfahrens, sondern auf die Vereitelung des von dieser Vorschrift verfolgten (Schutz-)Zwecks gerichtet ist (vgl RIS‑Justiz RS0096270 [insb T14 bis T16, T19, T23, T31, T32]; Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 161).
[13] Bleibt anzumerken, dass mit Blick auf die festgestellte subjektive Ausrichtung des Angeklagten, der die Retournierung (vorläufig) behördlich abgenommener Kennzeichentafeln und die Einstellung eines (noch nicht rechtskräftig beendeten) Verfahrens über die Aufhebung der Zulassung eines Kraftfahrzeugs, dessen Zulassungsbesitzer eine aufgelöste juristische Person ist (vgl US 3 f; § 44 Abs 2 lit i und Abs 4 KFG), intendierte, etwa das Recht des Staates auf Richtigkeit der Zulassungsevidenz (vgl §§ 42 und 47 KFG) als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes in Frage kommen kann (vgl RIS‑Justiz RS0096141).
Zu II und III:
[14] Die Tatbestände der Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) und der Erpressung (§ 144 Abs 1 StGB) verlangen den Einsatz von Gewalt oder gefährlicher Drohung als Tatmittel.
[15] Für die Beurteilung des (hier allein in Rede stehenden) Tatmittels der gefährlichen Drohung enthält das angefochtene Urteil – mangels näherer Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Schreiben – keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage. Zwar ist der Vermögensbegriff unter dem Aspekt gefährlicher Drohung weit auszulegen. Auch die Drohung mit – wie immer gearteten – rechtlichen Schritten kann (als eine solche mit einer Verletzung am Vermögen) tatbildlich sein, wenn damit beim Opfer der Eindruck erweckt wird, (Verfahrens‑)Kosten für die Abwehr ungerechtfertigter Ansprüche aufwenden zu müssen (RIS‑Justiz RS0131845; Schwaighofer in WK2 StGB § 105 Rz 60; Kienapfel/Schroll, StudB BT I5 § 105 Rz 39).
[16] Ausgehend davon bietet die festgestellte Konfrontation der Opfer mit „unberechtigte[n] Schadenersatzforderungen […] von 999 Milliarden US‑Dollar“ und die bloße Ankündigung der „Eintragung eines Pfandrechts in ein internationales Schuldenregister (das zum Uniform Commercial Code in den USA eingerichtete Register 'UCC‑1 Financing Statement')“ (US 3 ff), ohne die Folgen einer solchen Eintragung (den Opfern gegenüber) näher darzustellen, bei Anlegung des gebotenen objektiv-individuellen Maßstabs (RIS‑Justiz RS0092753) keine Tatsachenbasis für die (rechtliche) Annahme der Eignung der inkriminierten Schreiben, eine solche Befürchtung, nämlich mit Abwehrkosten konfrontiert zu sein, zu wecken (15 Os 37/22p [Rz 4 f], 14 Os 135/20i, 14 Os 13/20y, 17 Os 25/17f).
[17] Der Hinweis in den Entscheidungsgründen, dass ein „als gerichtsnotorisch zu bezeichnendes Wissen in Behördenkreisen“ bestehe, wonach „durch andere Personen tatsächlich bereits derartige Eintragungen“ samt „anschließender Durchsetzung mittels maltesischem Recht“ erfolgt seien und dies „mit negativen Konsequenzen für die Betroffenen“ einhergehe (US 9), vermag das Konstatierungsdefizit nicht auszugleichen (zum Erfordernis, auch notorische Tatsachen festzustellen siehe RIS‑Justiz RS0124169).
[18] Solcherart bleiben die Feststellungen einer Drohung mit einer Verletzung am Vermögen (US 4, 6 f) ohne ausreichenden Sachverhaltsbezug (RIS‑Justiz RS0119090).
[19] § 144 Abs 1 StGB (Schuldspruch zu III) setzt zudem eine Nötigung des Opfers (mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung) zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung voraus, die dieses oder einen anderen (unmittelbar) am Vermögen schädigt. Tritt der Schaden an einem anderen Rechtsgut ein, wird § 105 StGB begründet (Eder-Rieder in WK2 StGB § 144 Rz 47).
[20] Das Erstgericht stellte zur Intention des Angeklagten, Beamte dazu zu nötigen, mehrere Verwaltungsstrafverfahren „nicht weiter zu führen“, „von der Einhebung der Verwaltungsstrafe[n] […] abzusehen“ sowie (in Bezug auf die zu I/C beschriebenen Handlungen) „die Erlassung von Straferkenntnissen“ und (in Bezug auf die zu I/D beschriebene Handlung) „die Vollziehung der rechtskräftigen Strafverfügung“ „zu unterlassen“, fest, dass der Bund „und das Bundesland Niederösterreich“ (vgl zur fehlenden Rechtsfähigkeit einer Bezirkshauptmannschaft 14 Os 74/21w mwN) einen Vermögensschaden „durch den Entgang der [ihm] zustehenden Geldstrafbeträge“ erlitten hätte (US 6, 8).
[21] Der staatliche Strafanspruch und damit (hier angesprochene) im Verwaltungsstrafverfahren über den Angeklagten verhängte Geldstrafen unterliegen jedoch nicht dem Vermögensbegriff des § 144 Abs 1 StGB, weil mit der Einhebung einer Geldstrafe keine Vermögensinteressen verfolgt werden, sondern die Wirksamkeit der (im gegebenen Zusammenhang verwaltungsbehördlichen) Strafverfolgung sichergestellt wird (jüngst eingehend 14 Os 84/22t; vgl zu § 146 StGB RIS‑Justiz RS0124412; Kert SbgK § 146 Rz 216; Kienapfel, BT II³ Rz 156; [unbegründet] differenzierend nach Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 150 f; vgl auch unter dem Aspekt der Verfahrenshilfe Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 146 Rz 42/1; vgl zur deutschen Rechtslage Perron in Schönke/Schröder StGB30 § 263 Rz 78a, Hefendehl, MüKO StGB³ § 263 Rz 621 und Tiedemann in LK12 § 263 Rz 145 je mit Judikaturnachweisen).
[22] Auf dieser Sachverhaltsgrundlage kommt daher eine Subsumtion nach § 144 Abs 1 StGB mangels Vermögensschädigung nicht in Betracht.
[23] Die aufgezeigten Rechtsfehler (zu I/B und II aus Z 9 lit a; zu III aus Z 10 [weil im Hinblick auf I/C und D Idealkonkurrenz angenommen wurde, vgl RIS‑Justiz RS0099947]) erfordern – zum Teil in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 StPO).
[24] Die Subsumtionseinheit wird hinsichtlich aller dem Angeklagten letztlich zur Last liegenden Amtsmissbrauchstaten neu zu bilden sein (vgl RIS‑Justiz RS0116734, RS0121981).
[25] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Die Ersatzpflicht erstreckt sich nicht auf die mit dem amtswegigen Vorgehen verbundenen Kosten (RIS‑Justiz RS0101558).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)