European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00074.22Z.1220.000
Spruch:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Eisenstadt verwiesen.
Die Berufung wegen Schuld je der Angeklagten W* und Sch* wird zurückgewiesen.
Mit ihren (teils verbleibenden) Rechtsmitteln werden alle Angeklagten auf die Urteilsaufhebung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * H*, * Ho* und * Hof* jeweils des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB (II./) sowie * P*, * Pi*, * W*, * Sch* und * S* jeweils des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (I./) schuldig erkannt.
[2] Danach haben – soweit hier von Relevanz und verkürzt wiedergegeben – in H* und andernorts
I./ * P*, * Pi*, * W*, * Sch* und * S* mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Verantwortliche der Einlagensicherung Austria GmbH (ESA) durch Täuschung über Tatsachen jeweils zu einer Handlung verleitet, die diese in einem 5.000 Euro übersteigenden Wert am Vermögen schädigte, nämlich „durch die Vorspiegelung über Typ 1‑Überbringersparbücher“ (die im Ersturteil jeweils mit den Nummern der Sparbücher den Angeklagten konkret und einzeln genannt zugeordnet wurden) der C* AG „verfügungsberechtigt zu sein“, wobei 15 auf * H*, neun auf * Ho* und eines auf * Hof* legitimiert waren, „zur Überweisung nachgenannter Beträge auf die jeweils angegebenen Konten, indem sie die Sparbücher vorlegten“, und zwar
A./ * P* am 3. August 2020 fünf Sparbücher mit einem Gesamtbetrag von 72.455,32 Euro,
B./ * Pi* am 3. August 2020 sechs Sparbücher mit einem Gesamtbetrag von 86.228,60 Euro,
C./ * W* am 24. August 2020 vier Sparbücher mit einem Gesamtbetrag von 56.902,92 Euro,
D./ * Sch* am 24. August 2020 vier Sparbücher mit einem Gesamtbetrag von 50.468,59 Euro,
E./ * S* am 7. August 2020 sechs Sparbücher mit einem Gesamtbetrag von 81.463,04 Euro,
II./ * H*, * Ho* und * Hof* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter „zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt im Sommer 2020“ die jeweils dort genannten Angeklagten zu den unter I./A./ bis I./E./ angeführten Taten bestimmt, „indem sie diese dazu aufforderten, wobei ein Schaden in der Höhe von 347.518,47 Euro eintrat“.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen dieses Urteil richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, wobei * H*, * Ho*, * Hof*, * P*, * Pi* und * S* in ihrer gemeinsamen Rechtsmittelausführung die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 1, 5 und 5a StPO geltend machen und * W* und * Sch* sich in ihrer gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde auf die Gründe des § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 9 lit b StPO stützen.
[4] In weitgehender Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden von den Schuldsprüchen anhaftender, allen Angeklagten zum Nachteil gereichender, von diesen – in diese Richtung – nicht geltend gemachter materiell‑rechtlicher Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO; § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
[5] Die erstrichterlichen Feststellungen vermögen die Annahme eines dem Tatbestand des Betruges zu subsumierenden Verhaltens der Angeklagten * P*, * Pi*, * W*, * Sch* und * S* nicht zu tragen und bieten auch keine ausreichende Sachverhaltsbasis für die rechtliche Annahme einer Bestimmungstäterschaft von * H*, * Ho* und * Hof*.
[6] Der Tatbestand des Betruges erfordert in objektiver Hinsicht ua eine Täuschung über Tatsachen, somit die Abgabe einer unwahren Erklärung über objektiv feststellbare Umstände gegenüber einem anderen (Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 146 Rz 17, Rz 31). Die Täuschung kann durch ausdrückliche (mündliche oder schriftliche) Abgabe einer tatsachenwidrigen Erklärung erfolgen oder konkludent durch ein Gesamtverhalten, dem nach der Verkehrsauffassung ein bestimmter Erklärungswert zukommt (Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 146 Rz 20 f).
[7] Sparbücher, deren Guthabenstand weniger als 15.000 Euro beträgt, die nicht auf einen Namen des (gemäß den Bestimmungen des Finanzmarkt-Geldwäschegesetzes [FM-GwG] identifizierten) Kunden lauten und mit einem Losungswort versehen sind (§ 32 Abs 4 Z 1 BWG; sog. „Kleinbetragssparbücher“ oder auch „Typ 1‑Sparbücher“) sind Inhaberpapiere (4 Ob 170/11w mwN; 8 Ob 120/20k; 3 Ob 208/21s; vgl auch Harrich in Laurer/M. Schütz/Kammel/Ratka, BWG4 § 32 Rz 12, 15). Derartige Sparbücher werden aufgrund eines auf Eigentumsbeschaffung gerichteten Titels samt Übergabe und Mitteilung des Losungsworts ins Eigentum des Übernehmers übertragen (vgl RIS-Justiz RS0102510; 8 Ob 120/20k; 3 Ob 208/21s). Das Kreditinstitut darf an den identifizierten (§ 6 Abs 1 Z 1 FM-GwG) Vorleger der Sparurkunde, der das korrekte Losungswort nennt, leisten (neuerlich 8 Ob 120/20k; 3 Ob 208/21s; Harrich in Laurer/M. Schütz/Kammel/Ratka, BWG4 § 32 Rz 23).
[8] Nennt der sich identifizierende Vorleger eines nicht auf Namen lautenden Kleinbetragssparbuchs iSd § 31 Abs 3 BWG das Losungswort, so obliegt dem Kreditinstitut der Beweis, dass der Vorleger mangels Rechtsnachfolge oder Vollmacht nicht zur Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs berechtigt ist (RS0127716; s auch 1 Ob 46/21b, 3 Ob 308/21s).
[9] Spareinlagen (§§ 31, 32 BWG) sind nach den Bestimmungen des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes (ESAEG) gesichert (vgl §§ 7 ff ESAEG; § 37a BWG), und zwar grundsätzlich bis zu einer Höhe von 100.000 Euro pro Einleger bei einem Institut (vgl §§ 7 Z 3 lit a, Z 4 und Z 5, 10 Abs 1 ESAEG; zur zeitlich begrenzten möglichen Höherdeckung s § 12 Z 1 ESAEG). Ansprüche aus der gesetzlichen Einlagensicherung hat derjenige, der im Zeitpunkt des Eintritts des Sicherungsfalls (§ 9 ESAEG) gedeckte (Spar-)Einlagen (§ 7 Abs 1 Z 5 ESAEG) bei einem Mitgliedsinstitut besitzt (§ 13 ESAEG; siehe zum Ganzen jüngst 1 Ob 241/21d). Ein Sicherungsfall tritt – soweit hier von Relevanz – gemäß § 9 Z 2 ESAEG ein, wenn hinsichtlich der gedeckten Einlagen eines Mitgliedsinstituts eine Zahlungseinstellung behördlich verfügt wird (§ 70 Abs 2, § 78 BWG): Die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) kann unter den in § 70 Abs 2 BWG genannten Voraussetzungen befristete Maßnahmen durch Bescheid anordnen; so kann die FMA durch Bescheid ua die Fortführung des Geschäftsbetriebs ganz oder teilweise untersagen (§ 70 Abs 2 Z 4 BWG).
[10] Folglich hat derjenige, der im Zeitpunkt des Eintritts des Sicherungsfalls ein vom betroffenen Kreditinstitut ausgegebenes Kleinbetragssparbuch iSd § 32 Abs 4 Z 1 BWG nach Eigentumsübertragung – wie oben geschildert – innehat und das Losungswort kennt (vgl § 7 Abs 1 Z 6 ESAEG), Anspruch auf Erstattung der gedeckten Spareinlage (§§ 7 Abs 1 Z 5, 10, 13 ESAEG) durch die Sicherungseinrichtung (§ 1 ESAEG). Wer hingegen eine solche Sparurkunde ohne uneingeschränkte materielle Berechtigung daran oder erst nach Eintritt des Sicherungsfalls erlangt hat, auch wenn er das Losungswort kennt, hat keinen unbedingten (vgl oben zur Möglichkeit von Einwendungen durch das Kreditinstitut) Anspruch auf Erstattung der Einlagen durch die Sicherungseinrichtung; er kann im zweiten Fall die in der Sparurkunde verbriefte Forderung im Fall einer Fortführung des Geschäftsbetriebs des Kreditinstituts (vgl zur Befristung von Maßnahmen nach § 70 Abs 2 BWG) bei diesem, im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Kreditinstitut hingegen als Insolvenzforderung geltend machen.
[11] Nach den erstrichterlichen Feststellungen untersagte die FMA der C* (C*) am 14. Juli 2020 mit Bescheid die Fortführung des Geschäftsbetriebs, wodurch die Kunden der C* ab diesem Tag nicht mehr „über ihre Guthaben“ verfügen konnten (US 5; vgl auch Blg ./2 zu ON 42). Damit trat – im Sinn obiger Ausführungen – der Sicherungsfall ein (§ 9 Z 2 ESAEG iVm § 70 Abs 2 Z 4 BWG; vgl auch US 5 f). Wer zu diesem Zeitpunkt ein von der C* ausgegebenes Kleinbetragssparbuch iSd § 32 Abs 4 Z 1 BWG berechtigt (und ohne Einschränkung durch Rechte Dritter) innehatte und das Losungswort kannte, hatte einen (bedingten – vgl oben) Anspruch gegen die ESA Einlagensicherung Austria GmbH (als einheitliche Sicherungseinrichtung iSd § 1 Abs 1 Z 1 ESAEG) auf Erstattung dieser Spareinlage (vgl auch US 5 f).
[12] Zur Erfüllung des Tatbestands des Betruges bedarf es demnach im gegebenen Zusammenhang einer (allenfalls konkludeten) Täuschung der Verantwortlichen der ESA Einlagesicherung Austria GmbH über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erstattung von Einlagen.
[13] Nach den Feststellungen des Schöffengerichts besaßen * H*, * Ho* und * Hof* im Zeitpunkt der „Schließung“ der C*, somit am 14. Juli 2020, bei dieser jeweils Girokonten und Sparbücher, und zwar * H* drei Girokonten, zwei „Typ 2-Überbringersparbücher“ und 16 „Typ 1‑Überbringersparbücher“ mit einem Gesamtguthaben von 310.154,75 Euro, * Ho* zwei Girokonten, fünf „Typ 2-Überbringersparbücher“ und zehn „Typ 1‑Überbringer-sparbücher“ mit einem Gesamtguthaben von 220.751,77 Euro und * Hof* ein Girokonto, ein „Typ 2‑Überbringersparbuch“ und sieben „Typ 1‑Überbringer-sparbücher“ mit einem Gesamtguthaben von 107.597,91 Euro (US 6). Hinsichtlich der Girokonten, der „Typ 2‑Überbringersparbücher“ und einiger der „Typ 1‑Überbringersparbücher“ wurden am 27. Juli 2020 aus dem Grund der Einlagensicherung den genannten Angeklagten jeweils Gelder ausbezahlt (US 6). Die weiteren sich in ihrem Besitz befindlichen „Typ 1‑Überbringersparbücher“ mit einer Gesamteinlage von 347.518,47 Euro übergaben * H*, * Ho* und * Hof* zu einem unbekannten Zeitpunkt nach dem 14. Juli 2020 „zum Schein, somit ohne Rechtsgrundlage“ an Verwandte und Bekannte, nämlich an * P*, * Pi*, * W*, * Sch* und * S*, damit diese „die Beträge bis zu 100.000 Euro pro Person bei der ESA einlösen“ und ihnen anschließend das ausbezahlte Geld „zurückgeben“; dass die Sparbücher den Genannten „geschenkt“ wurden, konnte nicht festgestellt werden (US 7, 9). Die zuletzt genannten Angeklagten übernahmen die im Urteilsspruch konkret angeführten (US 2 f) „Typ 1‑Überbringersparbücher“ mit ebenfalls konkret angeführten Einlageständen, um sie „einzulösen“ und stellten jeweils unter Vorlage der „Überbringersparbücher“ und Bekanntgabe des Losungsworts einen Antrag „auf Entschädigung“ bei der ESA, wobei sie „wahrheitswidrig“ bestätigten, dass sich die jeweiligen Sparbücher in ihrem uneingeschränkten Besitz befinden und ihnen keinerlei Rechte Dritte an diesen Sparbüchern bekannt sind (US 7, 10). Diese Angaben „entsprachen nicht der Wahrheit, da ihnen die Sparbücher nur zum Schein übergeben worden waren und ihnen daher Rechte Dritter an diesen Sparbüchern bekannt waren“ (US 7). Durch „diese falschen Angaben“ täuschten sie „die Einlagensicherung“ über ihre „Verfügungsberechtigung“ betreffend die von ihnen vorgelegten Sparbücher (US 7, 9); diese wurde so zur Auszahlung der im Urteil konkret angeführten Beträge an * P*, * Pi*, * W*, * Sch* und * S* veranlasst (US 8 f), die die Gelder an * H*, * Ho* und * Hof* weiterleiteten, (US 9).
[14] Die Tatrichter gingen erkennbar davon aus, dass es sich bei den im Urteil als „Typ 1‑Überbringersparbücher“ bezeichneten Sparbüchern um nicht auf den Namen der Kunden lautende, mit einem Losungswort versehene Sparbücher mit einem Einlagenstand von jeweils unter 15.000 Euro iSd § 32 Abs 4 Z 1 BWG handelte (vgl insbesondere US 6 iVm ON 6 S 3 ff, US 7 iVm ON 28 S 35 ff).
[15] Nach den Urteilskonstatierungen befanden sich die gegenständlichen Kleinbetragssparbücher am 14. Juli 2020 im Besitz von * H*, * Ho* und * Hof*. Diese Sparbücher wurden nach diesem Zeitpunkt an die oben namentlich genannten Verwandten und Bekannten übergeben; diesen wurde – unter deren gleichzeitiger Verpflichtung zur Übergabe des Einlösungserlöses an die materiell Berechtigten – auch das jeweilige Losungswort mitgeteilt, woraufhin diese Ansprüche gegenüber der ESA geltend machten.
[16] Im Urteil wird allerdings keine klare Aussage dazu getroffen,
‑ dass die Übernehmerinnen der Sparbücher durch deren Bestätigung, „dass ihnen keinerlei Rechte Dritter an diesen Sparbüchern bekannt sind“, mit anderen Worten durch Verschweigungihrer im Innenverhältnis vorliegenden Verpflichtung zur Ausfolgung des Erlöses an die materiell Berechtigten, Verantwortliche der ESA zur Unterlassung der Prüfung (bei nachfolgender Auszahlung) veranlassten, ob die Vorlegerinnen zur Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs überhaupt berechtigt gewesen seien (RIS-Justiz RS0127716), oder
‑ dass * P*, * Pi*, * W*, * Sch* und * S* bei der Stellung des Antrags auf Erstattung der in den Sparbüchern verbrieften Einlagen eine bereits am 14. Juli 2020 bestanden habende Verfügungsberechtigung über diese Kleinbetragssparbücher vorgetäuscht hätten.
[17] Auch kann dem Urteil nicht in der erforderlichen Deutlichkeit entnommen werden, dass durch die jeweils unter Verwendung des von der ESA zur Verfügung gestellten Formulars (vgl US 7 iVm ON 28 S 35 ff) abgegebene Bestätigung der (nicht durch Rechte Dritter eingeschränkten) Verfügungsberechtigung über die Sparbücher diese zur Unterlassung der Überprüfung der Anspruchsberechtigung und daher Auszahlung veranlasst oder dass das Bestehen einer Verfügungsberechtigung (bereits) am 14. Juli 2020 unterstellt wurde (vgl auch die Ausführungen des Erstgerichts zum Beweisantrag US 13 f).
[18] Demnach kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden, ob sämtliche Angeklagte ein dem Tatbestand des Betruges (teilweise in Form von Bestimmungshandlungen) objektiv und subjektiv zu unterstellendes Verhalten gesetzt haben.
[19] Die dargelegten Rechtsfehler mangels Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal der Täuschung über Tatsachen erfordert die gänzliche Aufhebung des Urteils bereits bei nichtöffentlicher Beratung; ein Eingehen auf die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten erübrigt sich somit. Die Sache war demgemäß zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Eisenstadt zu verweisen (§ 285e StPO).
[20] Auf diese Entscheidung waren die Angeklagten mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen gegen die Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche zu verweisen.
[21] Die (angemeldete [ON 57 S 26]) im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung der Angeklagten * W* und * Sch* wegen des Ausspruchs über die Schuld war als unzulässig zurückzuweisen (§§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO).
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