OGH 11Os117/22y

OGH11Os117/22y20.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lonin als Schriftführerin in der Strafsache gegen * L* und eine andere angeklagte Person wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * L* und I* S* gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 27. September 2022, GZ 34 Hv 60/22d‑27a, weiters über die Beschwerde der beiden Angeklagten gegen zugleich gefasste Beschlüsse gemäß § 494 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00117.22Y.1220.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das gemeinsam mit Beschlüssen nach §§ 50, 51 StGB ausgefertigt wurde (vgl aber RIS‑Justiz RS0126528, RS0101841 [T1]), wurden * L* des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 12 zweiter Fall, 207 Abs 1 StGB (II./A./1./), des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 12 zweiter Fall, 212 Abs 1 Z 1 StGB (II./A./2./) und jeweils mehrerer Vergehen der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach §§ 12 zweiter Fall; 207a Abs 1 Z 1 und Z 2 fünfter Fall StGB (II./A./3./ und 4./) sowie nach § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB (II./B./), I* S* des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./A./), eines Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (I./B./) und mehrerer Vergehen der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 und Z 2 fünfter Fall StGB (I./C./) schuldig erkannt.

 

[2] Danach haben im Zeitraum von zumindest 18. März 2020 bis 8. Mai 2020,

I./ I* S* in J*

A./ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person, nämlich an ihrem am * 2017 geborenen Sohn J* S*, vorgenommen, indem sie zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt auf Verlangen des * L* den Penis des unmündigen Minderjährigen „angriff“ (US 5: betastete),

B./ durch die zu I./A./ beschriebene Tathandlung mit einer mit ihr in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;

C./ pornografische Darstellungen einer minderjährigen Person hergestellt und dem * L* zu dessen Selbstbefriedigung zugänglich gemacht, indem sie

1./ zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt ein Foto von der zu I./A./ angeführten Tathandlung, sohin eine wirklichkeitsnahe Abbildung einer geschlechtlichen Handlung an einer unmündigen Person, anfertigte und dem * L* per WhatsApp übermittelte;

2./ weitere im Urteil näher bezeichnete fünf Fotos, auf denen der Penis und die Schamgegend des J* S* abgebildet sind, sohin wirklichkeitsnahe, reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen der Genitalien und der Schamgegend, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, anfertigte und dem * L* per WhatsApp übermittelte, wobei sie hiezu zumindest ein Mal die Beine des Minderjährigen mit der Hand spreizte, und zwar

-) am 18. März 2020,

-) am 3. Mai 2020,

-) am 4. Mai 2020 sowie

-) am 8. Mai 2020;

II./ * L* in N*

A./ I* S* zu den unter I./A./, B./ und C./ angeführten Tathandlungen bestimmt, indem er sie per WhatsApp eindringlich aufforderte,

1./ den Penis ihres unmündigen Sohnes „anzugreifen“ (US 5: zu betasten);

2./ durch die unter II./A./1./ angeführte Tathandlung an einer mit ihr in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person eine geschlechtliche Handlung vorzunehmen;

3./ ein Foto von der unter II./A./1./ beschriebenen Tathandlung zu machen und ihm dieses zu übermitteln;

4./ ihm weitere fünf (im Urteil näher bezeichnete; vgl I./C./2./) „Nacktbilder“ des J* S* zu übermitteln;

B./ „sich durch die zu II./A./3./ und 4./ angeführten Tathandlungen“ (US 8: in weiterer Folge) pornografische Darstellungen einer minderjährigen (konkret: unmündigen) Person verschafft und (US 8: diese durch Belassen auf seinen Datenträgern) besessen.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden wenden sich * L* – gestützt auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO – (ausschließlich) gegen den Schuldspruch zu II./A./1./, 2./ und 3./ sowie I* S* aus dem Grund der Z 5, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gegen den Schuldspruch zu I./A./ und B./ und den Strafausspruch.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des A ngeklagten L*:

[4] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) thematisiert zu II./A./1./ (iVm I./A./) und II./A./2./ (iVm I./B./) die Verwirklichung einer geschlechtlichen Handlung durch die unmittelbare Täterin sowie zu II./A./3./ (iVm I./C./1./) die Abbildung einer geschlechtlichen Handlung jeweils in objektiver und subjektiver Hinsicht, verabsäumt es dabei aber zu erklären (RIS‑Justiz RS0116565), weshalb dies bei – wie hier jeweils festgestellt (US 5 f) – entsprechendem Vorsatz des Bestimmungstäters für die Strafbarkeit der Bestimmungshandlung (oder auch nur deren Subsumtion) von Bedeutung sein sollte (vgl § 15 Abs 1 und Abs 2 StGB; RIS‑Justiz RS0109797, RS0090435, RS0122138). Die Frage vorsätzlichen Handelns durch den unmittelbaren Täter betrifft zudem selbst im Fall einer tatbildlichen Ausführungshandlung durch diesen keine für den Schuldspruch in Ansehung des Bestimmungstäters entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0089483 [T3]).

[5] Im Übrigen orientiert sich der Beschwerdeführer prozessordnungswidrig nicht am festgestellten Urteilssachverhalt (RIS‑Justiz RS0099810), indem er mit spekulativen Erwägungen auf allfällige Berührungen durch die unmittelbare Täterin im Zuge einer (hier nicht in Rede stehenden – vgl US 5 f) Körperpflege Bezug nimmt.

[6] Die Beschwerdelässt zudem nicht erkennen, weshalb das über Aufforderung des Nichtigkeitswerberszum Zweck dessen sexueller Befriedigung erfolgte (zielgerichtete) Betasten des nackten Penis des unmündigen Tatopfers durch die Kindesmutter (US 5 f) fallaktuell bloß ein flüchtiges, nicht sexualbezogenes, sondern sozialadäquates Berühren von zur Geschlechtssphäre gehörenden Körperpartien des Kleinkindes und somit keine geschlechtliche Handlung (vgl hiezu Philipp in WK2 StGB § 202 Rz 9 ff [14], § 207 Rz 7, § 212 Rz 8, § 207a Rz 10) darstellen sollte. Ebensowenig legt sie dar, welche über die getroffenen Feststellungen hinausgehenden Konstatierungen für den Schuldspruch betreffend den Beschwerdeführer notwendig gewesen wären.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der A ngeklagten S*:

[7] Die zu I./A./ und B./ fehlende Feststellungen zur sexuellen Motivation der Beschwerdeführerin relevierende Rüge (nominell Z 5 erster und zweiter Fall, dSn zum Teil Z 9 lit a) legt nicht dar (RIS‑Justiz RS0116565), weshalb es fallkonkret – eine geschlechtliche Handlung des Unmündigen an sich selbst (vgl RIS‑Justiz RS0094905 [T15, T18, T20 f]) steht nicht in Rede – zur Tatbildverwirklichung einer „sexuellen Tendenz und Intention“ der Genannten bedurft hätte (RIS‑Justiz RS0095226, RS0113816, RS0078135, RS0095733 [T7], RS0095739 [T10]). Welche gegen einen objektiven Sexualbezug der festgestellten Handlung sprechenden und daher erörterungsbedürftigen (RIS‑Justiz RS0098495, RS0098778 [T3]) Beweisergebnisse von den Tatrichtern allenfalls übergangen worden sein sollen (Z 5 zweiter Fall), lässt die Beschwerde ebensowenig erkennen. Auch sie erklärt nicht, aus welchem Grund das über Aufforderung des Mitangeklagten zum Zweck dessen sexueller Befriedigung (zielgerichtet) erfolgte Betasten des nackten Penis des unmündigen Tatopfers (US 5 f) bloß ein flüchtiges, nicht sexualbezogenes, sondern sozialadäquates Berühren von zur Geschlechtssphäre gehörenden Körperpartien des Kleinkindes (durch dessen Mutter) und somit keine geschlechtliche Handlung darstellen sollte.

[8] Gleiches gilt für die zu I./A./ Strafbarkeit nach „§ 208 Abs 1“ StGB behauptende Subsumtionsrüge (Z 10). Diese orientiert sich prozessordnungswidrig nicht am festgestellten Sachverhalt in seiner Gesamtheit (RIS‑Justiz RS0099810) und legt – abgesehen davon, dass § 208 Abs 1 StGB die (aktuell nicht festgestellte) Vornahme einer die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung gefährdenden Handlung vor dem Tatopfer erfordert – auch nicht dar, inwiefern die bereits erwähnte festgestellte Tathandlung (US 5 f; vgl auch US 9 f) keinen objektiven Sexualbezug iSd § 207 Abs 1 StGB aufweisen sollte.

[9] Die Sanktionsrüge (Z 11 dritter Fall), welche mit Blick auf die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin, deren Geständnis und den Abbruch ihres Kontakts zum Mitangeklagten eine gänzlich bedingte Strafnachsicht einfordert, spricht keinen Nichtigkeits‑, sondern bloß einen Berufungsgrund an (RIS‑Justiz RS0099865, RS0099892 [T3]). Soweit die Beschwerde die verhängte Freiheitsstrafe mit jener des Mitangeklagten vergleicht, zeigt sie keine iSd § 281 Abs 1 Z 11 StPO gesetzwidrige Strafbemessung auf (RIS‑Justiz RS0106659, RS0099892 [T10]).

 

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, aber entgegen der dazu von der Angeklagten S* erstatteten Äußerung – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die (impliziten) Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[11] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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