European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0170OB00014.22S.1124.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Insolvenzrecht
Spruch:
Der Revision der Klägerin wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie als Teilurteil lauten:
„1. Es wird gegenüber der beklagten Partei festgestellt, dass der klagenden Partei im Insolvenzverfahren über das Vermögen der D* GmbH zu AZ * des Handelsgerichts Wien eine Insolvenzforderung im Betrag von 60.887,80 EUR zusteht.
2. Das Begehren, es werde gegenüber der beklagten Partei festgestellt, dass der klagenden Partei im Insolvenzverfahren über das Vermögen der D* GmbH zu AZ * des Handelsgerichts Wien eine weitere Insolvenzforderung im Betrag von 216.145,80 EUR zusteht, wird abgewiesen.
3. Die Kostenentscheidung wird der Endentscheidung vorbehalten.“
Im Übrigen – somit hinsichtlich des Begehrens, es werde gegenüber der beklagten Partei festgestellt, dass der klagenden Partei im Insolvenzverfahren über das Vermögen der D* GmbH zu AZ * eine weitere Insolvenzforderung im Betrag von 45.753,30 EUR zustehe – werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben; dem Erstgericht wird insofern die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Beklagte ist Insolvenzverwalter in dem am 29. 6. 2017 über das Vermögen der D* GmbH (in weiterer Folge: Schuldnerin) vom Handelsgericht Wien zu AZ * eröffneten Insolvenzverfahren.
[2] Die Klägerin schloss am 23. 10. 2009 mit der Schuldnerin einen „Miet- und Kaufoptionsvertrag“ über die Liegenschaft EZ * GB 63125 Webling. Das Mietverhältnis begann am 1. 11. 2009 und wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen. Als Hauptmietzins wurde ein Betrag von 756 EUR (wertgesichert) zuzüglich Betriebskosten vereinbart. Im Vertrag räumte die Schuldnerin der Klägerin gegen Zahlung von 70.000 EUR das Recht ein, die Liegenschaft bis spätestens 31. 10. 2034 durch einseitige schriftliche Ausübungserklärung zu erwerben. Die Klägerin hat diese Zahlung geleistet. Die Kaufoption konnte laut dem Vertrag frühestens nach Ablauf von fünf Jahren ab Beginn des Mietverhältnisses, somit ab 31. 10. 2014 ausgeübt werden. Der – jährlich geringer werdende – Kaufpreis richtete sich nach einer eine Beilage zum Vertrag bildenden Liste. Diese bezifferte den „Ausübungspreis“ (= Kaufpreis) bei einer Optionsausübung nach 5 Jahren mit 112.100 EUR, nach 7 Jahren (somit zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung; Anm) mit 105.400 EUR, nach 8 Jahren mit 101.800 EUR (in der Forderungsanmeldung genannter Betrag; Anm), nach 10 Jahren (somit im Zeitpunkt der Ausübung der Option mit Schreiben der Klagevertretung vom 14. 7. 2020; Anm) mit 94.000 EUR und nach 24 Jahren mit 8.800 EUR. Für den Fall einer Optionsausübung nach 25 Jahren (somit ab 1. 11. 2034) war in der Liste zwar als Preis „0 EUR“ angeführt, im Vertrag aber vorgesehen, dass das Optionsrecht erlischt, wenn es nicht bis spätestens 31. 10. 2034 ausgeübt wird. Für den Fall der Nichtausübung des Optionsrechts bis dahin war vorgesehen, dass sich der vereinbarte Hauptmietzins auf 300 EUR (wertgesichert) verringert. Im Vertrag wurde festgehalten, dass das Optionsentgelt bei der Ermittlung des Kaufpreises gemäß Liste berücksichtigt worden sei. Für den Fall, dass „die Ausübung des Optionsrechts aus Gründen, die ausschließlich der Sphäre der Vermieterin zuzurechnen sind, unmöglich wird“, verpflichtete sich diese im Vertrag – durch eine Hypothek auf der Liegenschaft besichert – zur Rückzahlung des Optionsentgelts.
[3] Die Klägerin übte ihr Optionsrecht bis zur Insolvenzeröffnung am 29. 6. 2017 nicht aus. Mit an den Beklagten gerichtetem anwaltlichen Schreiben vom 14. 7. 2020 erklärte sie, ihr „Optionsrecht […] zum vereinbarten Auslösungspreis von 94.000 EUR in Anspruch zu nehmen“ und „im Falle der Nichtannahme“ gemeinsam mit M* H* das Angebot zum Erwerb der Liegenschaft zum Verkehrswert von 327.000 EUR zu stellen.
[4] Mit E-Mail vom 18. 7. 2020 teilte der Beklagte der Klagevertretung mit, dass seines Erachtens ein Fall des § 26 Abs 3 IO, nicht des § 21 IO vorliege.
[5] Die Klägerin entschloss sich hierauf dazu, die Liegenschaft (nunmehr) gemeinsam mit ihrem Sohn, Mu* H*, vom Beklagten, der die freihändige Verwertung der Liegenschaft im Zuge des Insolvenzverfahrens betrieb, zu kaufen. Der am 19./22. 1. 2021 geschlossene Kaufvertrag sieht die Beendigung des bestehenden Bestandverhältnisses mit Rechtskraft der konkursgerichtlichen Genehmigung vor. Der in diesem Vertrag vereinbarte Kaufpreis von 327.000 EUR wurde gezahlt. Die Klägerin wurde hierauf gemeinsam mit ihrem Sohn zu gleichen Teilen im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen.
[6] Mit anwaltlichem Schreiben vom 12. 2. 2021 erstattete die Klägerin im Insolvenzverfahren unter Vorlage zahlreicher Beilagen folgende Anmeldung einer Forderung in (Gesamt‑)Höhe von 322.786,90 EUR:
„Die Gläubigerin schloss am 23.10.2009 einen Miet- und Kaufoptionsvertrag mit der Schuldnerin über die Liegenschaft EZ * GB 63125 Webling, BG Graz‑West, mit der Liegenschaftsadresse * ab. In diesem Vertrag hat die Schuldnerin untrennbar gegen Bezahlung eines einmaligen Entgelts von € 70.000,00 der Gläubigerin das Recht eingeräumt die vorgenannte Liegenschaft bis spätestens 31.10.2034 durch einseitige schriftliche Ausübungserklärung zu erwerben und wurde die Zahlung vereinbarungsgemäß geleistet. Gemäß Beilage A dieser Vereinbarung betrug das Optionsentgelt im Falle der Optionsausübung zum 01.07.2017 (sohin im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung) € 101.800,00. Die Liegenschaft wurde durch den Masseverwalter jedoch öffentlich verwertet und ist der Masseverwalter von der bestehenden Optionsvereinbarung daher (konkludent) gemäß § 21 IO zurückgetreten. So musste die Gläubigerin gemeinsam mit ihrem Sohn die Liegenschaft zu einem Gesamtkaufpreis von € 327.000,00 erwerben. Der Gläubigerin ist durch die Nichtmöglichkeit der Optionsausübung folgender Schaden entstanden:
• € 225.200,00 (Differenz zwischen vertraglichem Preis von € 101.800,00 und tatsächlichem Marktpreis bzw Preis eines Deckungsgeschäfts von € 327.000,00)
• € 33.264,00 (bezahlte Monatsmieten von je € 756,00 im Zeitraum 07/2017 – 02/2021)
• € 18.947,60 (höhere Nebenkosten bei Grunderwerbsteuer, Eintragungsgebühr und Kaufvertragserrichtung aufgrund höheren Kaufpreises)
• € 45.375,30 (höhere Kosten durch notwendige Fremdfinanzierung, zumal der Optionspreis durch Eigenmittel bezahlt werden hätte können)“
[7] Der Beklagte bestritt diese Forderung in der Prüfungstagsatzung vom 9. 3. 2021.
[8] Das von der Klägerin geleistete Optionsentgelt von 70.000 EUR war durch ein Pfandrecht gesichert. Im Rahmen der vom Insolvenzgericht am 22. 3. 2021 beschlossenen Meistbotsverteilung wurde der Klägerin der Betrag von 70.000 EUR zugewiesen und im Weiteren ausgezahlt.
[9] Die Klägerin begehrt mit ihrer Prüfungsklage nach § 110 IO die Feststellung, dass ihr im Insolvenzverfahren der Schuldnerin eine Insolvenzforderung in Höhe von 322.786,90 EUR zustehe. Sie erstattete im Wesentlichen ein ihrer Eingabe im Forderungsanmeldungsverfahren entsprechendes Vorbringen. Ergänzend brachte sie zusammengefasst vor, die Schuldnerin sei bei ihrem Vertrag sowie auch bei weiteren Verträgen über Liegenschaften, die sie mit anderen Personen geschlossen habe, die wie die Klägerin islamischen Glaubens seien, de facto als Kreditinstitut aufgetreten. Die Schuldnerin habe dadurch den Vertragspartnern den Erwerb von Immobilien ermöglicht, zumal der islamische Glaube die Aufnahme verzinster Kredite verbiete. Eine getrennte Betrachtung von Mietvertrag und Kaufoption habe nie dem Parteienwillen entsprochen. Der Vertrag unterliege in seiner Gesamtheit § 21 IO. Selbst wenn man ihn als Bestandvertrag qualifizierte, wäre er mit der Kaufoption derart untrennbar verknüpft, dass deren Behandlung nach § 26 IO mit dem Parteiwillen unvereinbar sei und folglich wieder § 21 IO zur Anwendung gelangen müsste. Durch den in der freihändigen insolvenzgerichtlichen Verwertung der Liegenschaft liegenden konkludenten Vertragsrücktritt habe sich der Beklagte iSd § 21 IO schadenersatzpflichtig gemacht.
[10] Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Er bestritt, dass die Schuldnerin als Kreditinstitut agiert habe und der spätere Erwerb Vertragsziel gewesen sei. Rechtlich vertrat der Beklagte die Ansicht, dass der Vertrag als Bestandvertrag iSd § 24 IO zu behandeln sei und die Kaufoption § 26 Abs 3 IO unterfalle, weshalb sie mit Insolvenzeröffnung ex lege erloschen sei. § 26 Abs 3 IO ordne anders als § 21 IO keinen Schadenersatzanspruch des anderen Teils an. Dem Schadenersatzanspruch stehe auch der geschlossene Vertrag entgegen, sehe dieser doch für den Fall der Nichtausübbarkeit der Option aus beim Schuldner liegenden Gründen als Rechtsfolge nur die Rückzahlung des Optionsentgelts vor. Die Forderungsanmeldung sei zudem in mehrerer Hinsicht unschlüssig. Sie enthalte kein Vorbringen dazu, ob die Klägerin von der Option überhaupt und wann sie von ihr Gebrauch gemacht hätte und wieso gerade der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung Anknüpfungspunkt für die Bemessung des Kaufpreises sein sollte. Es ließen sich aus ihr auch die klagegegenständlichen Ansprüche nicht ableiten. Die Kosten der Fremdfinanzierung hätten zudem aufgeschlüsselt werden müssen; dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Liegenschaft gemeinsam mit ihrem Sohn zur Hälfte erworben habe, sodass sie auch nur zur Hälfte der höhere Kaufpreis samt Nebenspesen und Fremdfinanzierungskosten treffe. Die Klägerin hätte laut der Aufstellung in der Forderungsanmeldung zumindest Eigenmittel von 107.704,40 EUR und nicht bloß 83.852 EUR heranziehen müssen. Die Forderungsanmeldung sei im Übrigen unrichtig, weil die Klägerin nicht im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung, sondern tatsächlich mit Schreiben vom 14. 7. 2020 das Optionsrecht mit einem Auslösungspreis von 94.000 EUR in Anspruch genommen habe. Hinsichtlich der in der Insolvenzanmeldung als Schadensposten genannten Mieten bestritt der Beklagte, dass die Klägerin die Mieten für Juli und August 2018 und ebenso, dass sie die Miete für Februar 2021 zur Gänze und nicht bloß zur Hälfte gezahlt habe. Die Klageforderung sei jedenfalls um 70.000 EUR überhöht, da zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin das Optionsentgelt zurückerhalten habe.
[11] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging von dem eingangs angeführten Sachverhalt aus. Rechtlich vertrat es die Ansicht, der gegenständliche Vertrag könne in einen Mietvertrag und einen Kaufoptionsvertrag unterteilt werden. Eine untrennbare Verbindung zwischen den beiden Teilen bestehe nicht. Der Kaufoptionsvertrag sehe vor, dass sich die Vermieterin zur Rückzahlung des Optionsentgelts verpflichte, falls die Ausübung des Optionsrechts aus ausschließlich der Sphäre der Vermieterin zuzurechnenden Gründen unmöglich wird. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Vermieterin sei die Ausübung des Optionsrechts unmöglich geworden. Die Rückzahlung des Optionsentgelts sei unstrittig erfolgt. Weil ein Fall des § 26 Abs 3 IO vorliege, stünden der Klägerin keine darüber hinausgehenden Schadenersatzansprüche zu.
[12] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Selbst wenn man die gegenständliche Kaufoptionsvereinbarung unter § 21 IO subsumierte, sei für die Klägerin nichts gewonnen. Der Vertrag sei in Bezug auf die der Klägerin von der Schuldnerin eingeräumte Kaufoption im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits von beiden Seiten erfüllt gewesen. Die Schuldnerin habe der Klägerin das Optionsrecht eingeräumt, die Klägerin dafür ein Entgelt von 70.000 EUR bezahlt. Schon aus diesem Grund komme die von der Klägerin als Anspruchsgrundlage für ihren Schadenersatzanspruch herangezogene Bestimmung des § 21 IO nicht zur Anwendung. Unterstellte man die Kaufoption hingegen § 26 Abs 3 IO, so wäre sie mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erloschen. § 26 Abs 3 IO ordne im Gegensatz zu § 21 IO keinen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch des anderen Teils an. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten daher jedenfalls nicht zu.
[13] Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen nach § 503 Z 2 und 4 ZPO erhobene außerordentliche Revision der Klägerin mit einem auf Klagestattgebung gerichteten Abänderungs- sowie einem hilfsweise erhobenen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
[14] Der Beklagte beantragt in der ihm vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision wegen Verspätung sowie mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO, hilfsweise ihr den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[15] Die Revision ist nicht verspätet.
[16] Der Antrag einer die Verfahrenshilfe bereits genießenden oder sie erst jetzt beantragenden Partei auf Beigebung eines Rechtsanwalts zur Verfahrenshilfe unterbricht gemäß § 464 Abs 3 ZPO die vierwöchige Berufungsfrist (Pimmer in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 IV/1 [2019] § 464 ZPO Rz 9). Diese Bestimmung ist gemäß § 505 Abs 2 Satz 2 ZPO im Revisionsverfahren sinngemäß anzuwenden.
[17] Dem während des Laufs der Revisionsfrist gestellten, (auch) auf die Beigebung eines Rechtsanwalts gerichteten Verfahrenshilfeantrag der Klägerin wurde mit am 25. 7. 2022 zugestelltem Beschluss vom 21. 7. 2022 stattgegeben. Dass die Klägerin die Namhaftmachung eines Verfahrenshelfers durch Bescheid der Rechtsanwaltskammer nicht abwartete, sondern noch am 25. 7. 2022 durch einen frei gewählten Rechtsanwalt die Revision einbrachte, ändert entgegen der Ansicht in der Revisionsbeantwortung nichts an der Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels. Selbst die Beigebung eines Verfahrenshelfers hindert nämlich die Partei nicht, das Rechtsmittel durch einen frei gewählten Vertreter einzubringen (Obermaier in Höllwerth/Ziehensack, ZPO‑TaKom [2019] § 464 Rz 13 mwN).
[18] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt.
[19] Der in der Revision geltend gemachten Verfahrensrüge – das Berufungsgericht sei der in der Berufung erhobenen Rüge nicht nachgegangen, dass es den Parteiwillen zu erforschen gelte, und dass nach diesem die Kaufabsicht der Klägerin im Vordergrund gestanden habe, weshalb noch kein bereits erfülltes Rechtsgeschäft vorliege – kommt keine Relevanz zu, weil sich der Standpunkt der Klägerin, der Beklagte habe sich ihr gegenüber schadenersatzpflichtig gemacht, auch ausgehend vom festgestellten Sachverhalt als grundsätzlich zutreffend erweist.
[20] In ihrer Rechtsrüge zieht die Klägerin in Zweifel, dass der Beklagte zufolge § 26 Abs 3 IO an das ihr am 23. 10. 2009 vertraglich eingeräumte Optionsrecht wegen Nichtausübung desselben vor der Insolvenzeröffnung nicht gebunden gewesen sei. Sie befindet sich damit im Recht.
[21] Nach § 26 Abs 3 IO ist der Insolvenzverwalter an Anträge des Schuldners, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht angenommen worden sind, nicht gebunden.
[22] Die Wendung „nicht gebunden“ ist mit der herrschenden Ansicht dahin zu verstehen, dass der Antrag mit dem Eintritt der Insolvenzwirkungen (§ 2 Abs 1 IO) eo ipso erlischt (Ehrenzweig, System2 II/1 [1928] 131; Gschnitzer in Klang2 IV/1 [1968] 68; Petschek/Reimer/Schiemer, Insolvenzrecht [1973] 274; Gamerith in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 I [2000] § 26 Rz 22; Riss, Die Abschwächung der Vertragstreue in der Insolvenz – Ein Beitrag zur Auslegung der §§ 21, 23 und 26 Abs 3 IO, in FS Fenyves [2013] 957 [964]; Bollenberger/P. Bydlinski in KBB6 [2020] § 862 ABGB Rz 2; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 V [2021] § 862 Rz 5; aA Duursma‑Kepplinger/Duursma, Gesellschaftsvertragliche Aufgriffs- und Andienungsrechte im Konkursfall, in Buchegger, Beiträge zum Zivilprozessrecht VI [2002] 177 [187 ff]). Dem Insolvenzverwalter steht es freilich frei, das erloschene Angebot gegenüber dem anderen Teil zu erneuern (Riss aaO; Perner in KLS [2020] § 26 IO Rz 16 ua).
[23] § 26 Abs 3 IO bezieht sich auf „Anträge des Schuldners“. Hierunter sind Anträge („Offerten“, „Angebote“, „Versprechen“) iSd § 862 ABGB zu verstehen (Gamerith aaO Rz 19; Weber‑Wilfert/Widhalm‑Budak in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [2004] § 26 KO Rz 73).
[24] Ob auch die sogenannte Option – dies ist das vertraglich begründete Gestaltungsrecht, ein inhaltlich bereits festgelegtes Schuldverhältnis durch einseitige Erklärung in Geltung zu setzen (RIS‑Justiz RS0115633 [T9]) – ein Antrag iSd § 26 Abs 3 IO ist, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet:
Rechtsprechung:
[25] a) Das (tschechoslowakische) Oberste Gericht in Brünn hatte sich in der Entscheidung vom 11. 2. 1919, Rv I 70/19, Slg (Sb) I/47, mit der Abgrenzung zwischen einem bloßen Angebot iSd § 26 KO und einem zweiseitigen Vertrag nach § 21 KO zu befassen. Es sprach aus, dass aus einem Antrag des Gemeinschuldners, der erst nach Konkurseröffnung angenommen worden ist, gegen die Masse keine Schadenersatzverpflichtung erwachse. Eine solche entstehe nur aus zweiseitigen Verträgen, bei denen der Masseverwalter vom Geschäft zurücktritt. Ein Antrag dieser Art liege namentlich vor, wenn der gegenwärtige Gemeinschuldner einen Pachtvertrag abgeschlossen hatte und dann noch vor Eröffnung des Konkurses dem Vertragsgegner das Recht vorbehalten wurde, das gepachtete Grundstück während der Dauer des Pachtverhältnisses käuflich zu erwerben, und letzterer von diesem Recht erst nach Ausbruch des Konkurses Gebrauch macht (wiedergegeben nach Weiß, Die Konkursgesetzgebung erläutert durch die Rechtsprechung [1924] 82).
[26] Bartsch/Pollak (Konkursordnung3 [1937] I 152) führten unter Berufung auf diese Entscheidung aus, wenn in einem Pachtvertrag dem Pächter das Recht eingeräumt wird, die gepachtete Sache käuflich zu erwerben, so liege darin der Antrag zu einem Kaufvertrag.
[27] b) In 8 Ob 4/92 (= AnwBl 1993/4542) hielt es der Oberste Gerichtshof für den damals zu entscheidenden Fall für „nicht entscheidungswesentlich, ob es sich bei dem 'unwiderruflichen Kaufanbot' der Gemeinschuldnerin um eine gewöhnliche, jedenfalls § 26 Abs 3 KO zu unterstellende Kaufoption des Klägers, einen Optionsvertrag oder gar einen Kauf mit Vorbehalt des Rückverkaufes [...] handelt“.
[28] Die Entscheidung wird von Gamerith dahin verstanden, dass nach ihr eine Kaufoption durch Konkurseröffnung über den „Anbotsteller“ erlösche (Gamerith in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 I [2000] § 26 Rz 22). Auch die – ein gesellschaftsrechtliches Aufgriffsrecht betreffende – Entscheidung 6 Ob 64/20k (Pkt 2.6.) versteht die Entscheidung dahin, dass sie eine „gewöhnliche“ Kaufoption unter § 26 Abs 3 KO subsumiert habe. Kletečka (Aufgriffsrechte, Optionsrechte und Anbote im Konkurs, in Konecny, Insolvenz-Forum 2008 [2009] 17 [19 FN 8] = GesRZ 2009, 82 [83 FN 8]) hält eine solche Interpretation der Entscheidung 8 Ob 4/92 demgegenüber für verfehlt.
c) In dem 2 Ob 278/97i zugrundeliegenden Fall hatten die Eltern ihrem Sohn mittels Übergabsvertrags gegen Zusage einer Versorgungsrente, eines Wohnrechts sowie weiterer Gegenleistungen ihre Liegenschaft übereignet, sich im Vertrag aber ein Wiederkaufsrecht („Recht zum Rückkauf“) einräumen lassen. Nachdem der Sohn insolvent geworden war, übten die Eltern dieses Kaufrecht aus. Der Insolvenzverwalter erklärte hierauf gemäß § 21 KO „den Rücktritt von der im Übergabsvertrag [...] vereinbarten Rückkaufsvereinbarung“. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass der Anspruch aus dem ausgeübten Wiederkaufsrecht ein solcher aus einem zweiseitigen, vom Gemeinschuldner und dem anderen Teil noch nicht erfüllten Vertrag sei. Ein Rücktritt des Masseverwalters von dem im Übergabsvertrag vereinbarten Wiederkaufsrecht selbst sei nicht möglich. Dass die Kaufoption (Wiederkaufsrecht) nach § 26 Abs 3 KO erloschen sei, wird in der Entscheidung implizit verneint. Mader lehrt unter Verweis auf die Entscheidung, dass der Insolvenzverwalter von einem vereinbarten, aber noch nicht ausgeübten Wiederkaufsrecht nicht zurücktreten könne und § 26 Abs 3 IO nicht zur Anwendung komme (Mader in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2019] § 1068 ABGB Rz 39).
[29] d) Das Vorkaufsrecht erlischt in der Insolvenz des Eigentümers nach Rechtsprechung und Lehre jedenfalls mit der Rechtskraft des Beschlusses über die Genehmigung des Kaufvertrags mit dem Dritten durch das Konkursgericht (8 Ob 40/21x [Rz 18]; Spitzer/Told in Schwimann/Kodek, ABGB5 VI [2021] Rz 4 ua). Dies impliziert, dass es noch nicht durch die Eröffnung über das Vermögen des durch das Vorkaufsrecht Belasteten erlischt, somit kein Fall des § 26 Abs 3 IO vorliegt.
[30] e) Der Oberste Gerichtshof hat jüngst unter eingehender Darlegung der divergierenden Ansichten in der Literatur entschieden, dass gesellschaftsvertragliche Aufgriffsrechte nicht unter § 26 Abs 3 IO zu subsumieren sind (6 Ob 64/20k mwN [insb Pkt 7.1]).
Literatur:
[31] f) Gamerith vertrat die Ansicht, bei einem Mietvertrag mit Kaufoption verwandle sich das noch nicht ausgeübte Optionsrecht (Anspruch auf Abschluss eines Kaufvertrags) mit Konkurseröffnung in eine mit dem Schätzwert (§ 14 KO) anzumeldende Konkursforderung (Gamerith in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 I [2000] § 24 Rz 3). Zur Kaufoption vertritt Gamerith an anderer Stelle allgemein die Ansicht, diese erlösche durch Konkurseröffnung über den „Anbotsteller“ (siehe dazu bereits oben lit b).
[32] g) Duursma-Kepplinger/Duursma vertreten – unter Berufung auf Bartsch/Pollak und damit die bereits referierte tschechoslowakische Entscheidung (siehe oben lit a) – die Ansicht, werde in einem Pachtvertrag dem Pächter das Recht eingeräumt, die gepachtete Sache zu kaufen, liege darin der Antrag zu einem Kaufvertrag. Ihres Erachtens ist § 26 Abs 3 KO „sowohl auf Optionen als auch auf vertragliche Vereinbarungen mit denen sich jemand verpflichtet, einem anderen ein Angebot zu machen, wodurch ein Gestaltungsrecht eingeräumt wird, aufgrund dessen schließlich der Vertrag zustande kommt, anwendbar“. Optionen seien am ehesten mit den Anträgen des § 26 Abs 3 KO zu vergleichen und daher auch dieser Vorschrift zu unterstellen. Dies führe zu sachgerechten Lösungen (Duursma‑Kepplinger/Duursma, Gesellschaftsvertragliche Aufgriffs- und Andienungsrechte im Konkursfall, in Buchegger, Beiträge zum Zivilprozessrecht VI [2002] 177 [186 f]).
[33] h) Weber‑Wilfert/Widhalm‑Budak meinen, weil unter „Anträgen“ in § 26 Abs 3 KO Offerte und Angebote iSd § 862 ABGB zu verstehen seien, seien „auch jede Art von Optionen unter diese Vorschrift zu subsumieren“. Die Option werde nämlich als „Offert mit verlängerter Bindungswirkung“ bezeichnet. So seien Krediteröffnungsverträge nach § 26 Abs 3 (und Abs 2) KO zu beurteilen, ebenso Kaufoptionen. Auch das noch nicht ausgeübte Vorkaufsrecht sei § 26 Abs 3 KO zu unterstellen, da es als Option anzusehen sei. Die Position des nicht insolventen Optionsberechtigten sei nicht insolvenzfest. Sehr wohl sei aber grundsätzlich § 21 – und demnach nicht § 26 Abs 3 – IO auf eine entgeltlich eingeräumte Option (Optionsvertrag) anzuwenden. Wiederum § 26 IO und nicht § 21 sei heranzuziehen, wenn die Option bereits vor Insolvenzeröffnung erworben, aber das dafür geschuldete Entgelt noch nicht geleistet wurde (Weber‑Wilfert/Widhalm‑Budak in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [2004] § 26 KO Rz 38, 73, 91; Widhalm‑Budak in Konecny, Insolvenzgesetze [2017] § 21 IO Rz 92 f, 96 f, 100 ff, 105).
[34] i) Kletečka lehrt, dass § 26 Abs 3 KO auf Options-, Vorkaufs- sowie Wiederkaufsrechte und ganz allgemein auf Verträge nicht zur Anwendung gelange. Er begründet dies mit der mangelnden Eignung der Rechtsfolge. Würde die Option im Falle, dass sie sich aus einem Vertrag ergebe, der noch zahlreiche andere Regelungen enthalte, nach § 26 Abs 3 KO mit Insolvenzeröffnung erlöschen, so würde dies dem Insolvenzverwalter ein „Rosinenpicken“ ermöglichen. Die Option fiele weg, ohne dass der Optionsberechtigte einen Schadenersatzanspruch habe, der Insolvenzverwalter könnte aber in den Restvertrag, wenn dieser noch beiderseits iSd § 21 KO unerfüllt ist, eintreten. Der Dritte müsste dann den Vertrag erfüllen, obwohl er die für ihn vielleicht essentielle Option verliere. Es gehe nicht an, aus einem vielschichtigen Vertrag Optionen, Vor- und Wiederkaufsrechte usw mithilfe des § 26 Abs 3 KO gleichsam „hinauszuschießen“. Auch bei Hernahme eines selbstständigen Optionsvertrags führte die Heranziehung des § 26 Abs 3 KO zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen. Sollte ein entgeltlicher Optionsvertrag beiderseitig noch unerfüllt sein, würde das Optionsrecht nach § 26 Abs 3 erlöschen und dem Dritten verbliebe nur ein Bereicherungsanspruch als Konkursforderung. Dass dieser anders als beim Rücktritt nach § 21 KO nicht auch den Ersatz des Nichterfüllungsschadens verlangen könne, wäre wertungsmäßig kaum begründbar (Kletečka in Konecny, Insolvenz‑Forum 2008 [2009] 21 f = GesRZ 2009, 84).
[35] j) Trenker schließt sich den Ausführungen Kletečkas an. Er führt resümierend aus, dass ein Optionsrecht, das auf einem synallagmatischen Vertrag beruht und somit Bestandteil des subjektiven Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sei, nicht unter § 26 Abs 3 IO zu subsumieren sei (Trenker, GmbH-Geschäftsanteile in Exekution und Insolvenz, JBl 2012, 281 [287]).
[36] k) Schopper/Skarics schließen sich den Ausführungen von Kletečka und Trenker an. § 26 Abs 3 IO ist ihres Erachtens „nicht auf Kaufoptionen des Leasingnehmers anzuwenden, die Teil der subjektiven Äquivalenz im Leasingverhältnis sind“. Die vertragliche Äquivalenz könne entgegen Gamerith auch nicht mittels des § 14 IO hergestellt werden, weil die Norm nur analog heranziehbar wäre, der ersatzlose Entfall eines „Antrags“ gemäß § 26 Abs 3 IO aber keine planwidrige Lücke hinterlasse (Schopper/Skarics in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht2 VII [2015] Rz 1/416).
Der Senat hat dazu erwogen:
[37] Der Wortlaut des § 26 Abs 3 IO bezieht sich auf „Anträge des Schuldners“, also „Versprechen“ (= Offerten, Angebote) iSd § 862 ABGB. Wie bereits dargestellt erlöschen diese mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Offerenten. Der Oblat hat daher keine Möglichkeit mehr, die Offerte anzunehmen und damit einen Vertrag entstehen zu lassen (§ 861 Satz 1 ABGB).
[38] Anders als das bloß auf Gesetz beruhende Recht des Adressaten eines Angebots, dasselbe anzunehmen und dadurch den Vertrag entstehen zu lassen, ist die Option das vertraglich begründete Gestaltungsrecht, ein inhaltlich bereits festgelegtes Schuldverhältnis durch einseitige Erklärung in Geltung zu setzen (RIS‑Justiz RS0115633 [T9]). Auf Optionen könnte § 26 Abs 3 IO daher allenfalls im Wege der Analogie anwendbar sein.
[39] Die Analogie setzte nach § 7 ABGB voraus, dass es sich bei der Option einerseits und bei dem unmittelbaren Regelungsgegenstand des § 26 Abs 3 IO (iVm § 862 ABGB) andererseits um „ähnliche Fälle“ handelt (vgl dazu nur G. Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 [2015] § 7 ABGB Rz 37; Posch in Schwimann/Kodek, ABGB5 I [2018] § 7 ABGB Rz 10). Dies ist jedenfalls im hier zu beurteilenden Fall, in welchem vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Optionsverpflichteten die Option eingeräumt und das dafür versprochene Entgelt entrichtet, aber die Option bis zur Insolvenzeröffnung noch nicht ausgeübt wurde, zu verneinen:
[40] Anders als im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 26 Abs 3 IO bedeutete ein Erlöschen einer Option einen Eingriff in eine bereits vertraglich abgesicherte Rechtsposition. Wurde – wie hier – die Option eingeräumt und das hierfür versprochene Entgelt entrichtet, so ist der Optionsvertrag sogar bereits beiderseitig erfüllt. Das österreichische Recht lässt (argumento e contrario § 21 IO) aber beiderseitig vollständig erfüllte Verträge von der Insolvenzeröffnung unberührt. Ein solcher Vertrag kann allenfalls der Anfechtung nach §§ 27 ff IO unterliegen (Gamerith in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 I [2000] § 21 Rz 1). Es stünde mit dieser Grundwertung der IO in Widerspruch, würde eine vertraglich eingeräumte Option allein wegen der Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen des Optionsverpflichteten erlöschen.
[41] Wie von Kletečka und Trenker dargelegt, eröffnete die Anwendung des § 26 Abs 3 IO auf Optionen, die sich aus einem Vertrag ergeben, der noch andere Regelungen enthält (hier: über eine Vermietung), dem Insolvenzverwalter zudem die – vom Gesetzgeber unzweifelhaft nicht gewollte – Möglichkeit zu einem „Rosinenpicken“. Durch die Anwendung des § 26 Abs 3 IO auf die Option in einem solchen Fall bestünde die Gefahr, dass das von den Parteien angestrebte Synallagma bzw Äquivalenzverhältnis beeinträchtigt wird. Durch „Hinausschießen“ des Optionsrechts qua § 26 Abs 3 IO könnte die Situation eintreten, dass der vormals Optionsberechtigte nunmehr an einen restlichen Vertrag gebunden wäre, den er niemals in dieser Form geschlossen hätte, wäre ihm nicht die betreffende Option eingeräumt worden (mag er auch das für die Option entrichtete Entgelt bereicherungsrechtlich zurückerlangen).
[42] Auch die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geht überwiegend bei Optionen (Gestaltungsrechten) zumindest implizit davon aus, dass diese nicht durch die Insolvenzeröffnung nach § 26 Abs 3 IO erlöschen.
[43] Auf einem anderen Blatt steht, ob der Insolvenzverwalter an den Vertrag gebunden ist, der zustandekommt, indem die Option ihm gegenüber ausgeübt wird (möglicher Rücktritt von diesem Vertrag nach § 21 IO analog; dazu noch im Folgenden).
Der Senat gelangt aus den genannten Gründen zu folgendem Zwischenergebnis:
§ 26 Abs 3 IO findet auf die noch nicht ausgeübte Option jedenfalls dann keine Anwendung, wenn sie noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Optionsverpflichteten eingeräumt und das für sie versprochene Entgelt entrichtet wurde.
[44] Ob § 26 Abs 3 IO auf unentgeltliche Optionen anzuwenden wäre, ist hier nicht zu entscheiden, ebensowenig die Behandlung des – hier ebenso nicht gegebenen – Falls, dass eine Option bereits eingeräumt, das Entgelt aber zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Optionsverpflichteten noch nicht entrichtet ist.
[45] Die der Klägerin am 23. 10. 2009 gewährte (entgeltliche) Kaufoption ist demnach nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erloschen. Es ist daher zu prüfen, ob hier die besondere Vorschrift des § 24 IO (Bestandvertrag) oder die allgemeine Vorschrift des § 21 IO (sonstiger Vertrag) Anwendung findet:
[46] Wird dem Mietkäufer nach Ablauf der Mietzeit eine Kaufoption eingeräumt, dann ist der Mietkauf als zeitlich aufeinander folgende Koppelung zweier Verträge anzusehen (RIS‑Justiz RS0128740). Ein solcher Mietkaufvertrag ist damit zum einen ein Gebrauchsüberlassungsvertrag, zum anderen ein Optionsvertrag und damit die Grundlage für das allfällige Entstehen eines anschließenden Kaufvertrags (vgl 3 Ob 532/95; 10 Ob 26/13s; BGH IX ZR 283/88 = BGHZ 109, 368 [374 ff]).
[47] Hinsichtlich der Gebrauchsüberlassung ist (im Falle der Insolvenz über das Vermögen des Bestandgebers) § 24 IO maßgebend. Zöge man beim Mietkauf insofern § 21 IO heran, so wäre es – mit der aus § 24 IO ersichtlichen Wertung unvereinbar – dem Insolvenzverwalter möglich, ein Mietverhältnis ohne Weiteres zu beenden. Dass solches mit dem notwendigen Mieterschutz in Konflikt stände, erkennt auch der Beklagte in der Revisionsbeantwortung.
[48] Hinsichtlich der Kaufoption ist demgegenüber § 21 IO maßgebend. Es ist somit eine „gespaltene Behandlung“ oder „getrennte Betrachtung“ von Mietverhältnis und Kaufoption vorzunehmen (vgl Oberhammer in Konecny/Schubert [2002] § 24 KO Rz 4; Schopper/Skarics in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht2 VII [2015] Rz 1/416 mwN; für Deutschland zB Hoffmann in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung4 II [2019] Rz 55 ff]).
[49] Wurde hinsichtlich der Kaufoption der Vertrag bereits vollständig erfüllt, so bleibt die Option e contrario § 21 Abs 1 IO aufrecht. Wird die Option sodann ausgeübt, so kann der Insolvenzverwalter analog § 21 IO aber von dem damit zustandegekommenen, beiderseits noch nicht erfüllten Kaufvertrag zurücktreten (vgl RIS‑Justiz RS0064545; Gamerith aaO § 21 Rz 3). Er muss freilich in diesem Fall dem anderen nach § 21 IO Schadenersatz leisten. Die Vorschrift ist nur per analogiam anwendbar, weil sie unmittelbar nur für bei Insolvenzeröffnung bereits bestehende Verträge gilt, der Kaufvertrag aber erst mit Optionsausübung zustande kommt. Der Ähnlichkeitsschluss ist hier berechtigt, zumal der unmittelbar von § 21 IO geregelte Fall (Vorliegen eines noch vom Schuldner geschlossenen, noch nicht beiderseitig erfüllten Vertrags) und der hier als ähnlich beurteilte Fall (Vorliegen eines noch nicht beiderseitig erfüllten Vertrags, der zwar erst nach Insolvenzeröffnung zustande kommt, dies aber aufgrund einer noch vom Schuldner dem anderen eingeräumten Option) gemeinsam haben, dass der Vertrag noch nicht beiderseitig erfüllt ist und dass der Vertrag auf keinem eigenen Willensentschluss des Insolvenzverwalters beruht. Warum der unterschiedliche Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags es rechtfertigen sollte, dass im einen, nicht aber im anderen Fall der Insolvenzverwalter nach § 21 IO zurücktreten kann, wäre wertungsmäßig nicht zu begründen.
Dies bedeutet für den zu entscheidenden Fall:
[50] Die Klägerin übte ihr Optionsrecht mit Schreiben vom 14. 7. 2020 aus. Der Beklagte antwortete, dass seines Erachtens ein Fall des § 26 Abs 3 IO und nicht des § 21 IO vorliege. Aus den zuvor dargelegten Gründen war der Rechtsstandpunkt des Beklagten irrig. Durch die Ausübung der Option kam ein Kaufvertrag über die Liegenschaft mit dem (auch im Schreiben vom 14. 7. 2020 angeführten) Kaufpreis von 94.000 EUR laut der Liste zum „Miet- und Kaufoptionsvertrag“ vom 23. 10. 2009 zustande.
[51] Der Beklagte hatte daher nur die Möglichkeit, von diesem Vertrag nach § 21 IO zurückzutreten und der Klägerin Schadenersatz zu leisten, oder den durch Ausübung des Optionsrechts zustande gekommenen Kaufvertrag zu erfüllen und seinerseits von der Klägerin Erfüllung (das heißt Zahlung von 94.000 EUR) zu fordern (§ 21 Abs 1 IO).
[52] Bringt der Insolvenzverwalter zum Ausdruck, dass § 21 IO nicht anwendbar sei, so kann sein Verhalten grundsätzlich nicht dahin verstanden werden, dass er vom Vertrag nach § 21 IO zurücktrete (vgl 4 Ob 541/88 = EvBl 1989/62; 1 Ob 57/05x [Pkt 1]). Um Klarheit zu erhalten, ob der Insolvenzverwalter iSd § 21 Abs 1 IO in den Vertrag eintritt oder von diesem zurücktritt, muss der Gläubiger in einem solchen Fall grundsätzlich den in § 21 Abs 2 IO vorgesehen Antrag an das Insolvenzgericht stellen, dem Insolvenzverwalter eine Frist zu Erklärung iSd § 21 Abs 1 IO zu setzen, bei deren ergebnislosem Ablauf nach Abs 2 Satz 1 leg cit „angenommen wird, dass der Insolvenzverwalter vom Geschäft zurücktritt“. Die Klägerin unterließ es, diesen Weg zu beschreiten. Dies würde an sich dazu führen, dass der Schwebezustand, dessen Beendigung § 21 Abs 2 IO dienen soll, nach wie vor bestünde, also dass ein durch Ausübung der Option mit Schreiben vom 14. 7. 2020 zustande gekommener Kaufvertrag zu einem Preis von 94.000 EUR vorläge, den der Insolvenzverwalter zu erfüllen hätte, von dem er aber nach wie vor zurücktreten könnte (Gamerith in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 I [2000] § 21 Rz 31; Widhalm‑Budak in Konecny, Insolvenzgesetze [2017] § 21 IO Rz 272 mwN).
[53] Ab Verwertung der Liegenschaft durch den Insolvenzverwalter wäre (und ist) ein Antrag nach § 21 Abs 2 IO geradezu sinnwidrig gewesen. Es ist aber nach dem konkret festgestellten Verhalten des Beklagten auch davon auszugehen, dass der Beklagte, hätte ihm über Antrag der Klägerin das Gericht vor der Verwertung der Liegenschaft eine Frist zur Erklärung nach § 21 Abs 2 Satz 1 IO gesetzt, weiterhin die Position eingenommen hätte, es läge kein Fall des § 21 IO, sondern des § 26 Abs 3 IO vor. Die hypothetische Durchführung des Verfahrens nach § 21 Abs 2 IO hätte damit dazu geführt, dass „angenommen wird, dass der Insolvenzverwalter vom Geschäft zurücktritt“. Zum gleichen Ergebnis käme man, nähme man an, der Beklagte hätte innerhalb der ihm vom Gericht gesetzten Frist den Rücktritt vom Vertrag erklärt. Darauf, dass er innerhalb der Frist erklärt hätte, in den Vertrag einzutreten, könnte sich der Beklagte demgegenüber angesichts seines Gesamtverhaltens wegen des Verbots des venire contra factum proprium nicht berufen (vgl RIS‑Justiz RS0128483).
[54] Es ist damit von einer Schadenersatzpflicht des Beklagten nach § 21 IO auszugehen.
[55] Entgegen der Ansicht des Beklagten steht dieser Schadenersatzpflicht nicht die vertragliche Regelung entgegen, wonach im Falle der Unmöglichkeit der Ausübung des Optionsrechts aus Gründen, die ausschließlich der Sphäre der Vermieterin zuzurechnen sind, das Optionsentgelt zurückzuzahlen ist. Es ist der Klägerin nicht zu unterstellen, dass sie durch die genannte Klausel auf Schadenersatzansprüche verzichten wollte. Das vom Beklagten zugrunde gelegte Verständnis hätte der Vermieterin die den beiderseitigen Vertragswillen nicht zu unterstellende Möglichkeit eröffnet, jederzeit die Liegenschaft zu für sie besseren Konditionen einem Dritten zu verkaufen, ohne eine Schadenersatzpflicht gegenüber der kaufoptionsberechtigten Klägerin befürchten zu müssen.
[56] Der Schadenersatz lautet auf das Erfüllungsinteresse, das bei § 21 IO konkret berechnet werden kann, also unter Zugrundelegung eines Deckungsgeschäfts (Perner in KLS § 21 IO Rz 49). Ein solches liegt hier vor, zumal die Klägerin die Liegenschaft dem Beklagten, nachdem dieser ihre Optionsausübung nicht anerkannte, freihändig – nicht auf Grundlage des mittels Ausübung der Option perfektionierten Kaufvertrags, sondern auf Grundlage eines zweiten Kaufvertrags – gemeinsam mit ihrem Sohn abkaufte.
[57] Die vorliegende Schadenersatzklage ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht wegen ungenügenden Inhalts der Forderungsanmeldung unschlüssig. In der Forderungsanmeldung wird der Abschluss des Miet- und Kaufoptionsvertrags und die Verwertung der Liegenschaft durch den Insolvenzverwalter vorgebracht; ferner, dass die Klägerin hierauf gemeinsam mit ihrem Sohn die Liegenschaft zu einem Gesamtkaufpreis von 327.000 EUR erworben habe. Es ist unstrittig (und wird sogar vom Beklagten selbst ins Treffen geführt), dass die Klägerin mit an den Beklagten gerichtetem anwaltlichen Schreiben vom 14. 7. 2020 erklärte, ihr Optionsrecht zum Preis von 94.000 EUR in Anspruch zu nehmen. Zumal, wie ausgeführt, von einem Rücktritt des Beklagten nach § 21 IO von einem – qua Optionsausübung zustandegekommenen – Kaufvertrag mit einem Kaufpreis von 94.000 EUR auszugehen ist, hat die Klägerin alle tatsächlichen Voraussetzungen ihres Schadenersatzanspruchs in Bezug auf den Ankauf der Liegenschaft zu einem höheren Preis vorgebracht. Auch brachte sie (noch) hinreichend vor, wegen der fehlenden Zustimmung des Beklagten zur Kaufoptionsausübung einen Mietschaden erlitten zu haben. Gleiches gilt für die Kosten des Grunderwerbs durch den höheren Kaufpreis und die höheren Kreditfinanzierungskosten. Hinsichtlich dieser Aspekte erweist sich im Übrigen – worauf noch einzugehen ist – der Sachverhalt als weitestgehend unstrittig, weshalb das Fehlen diesbezüglicher Feststellungen durch die Vorinstanzen nicht schadet. Unstrittiges Parteienvorbringen ist auch im Rechtsmittelverfahren ohne weiteres der Entscheidung zu Grunde zu legen (2 Ob 142/16w [Pkt I] mwN; vgl auch RIS‑Justiz RS0121557 [T1, T8]).
[58] Eine rechtliche Ableitung der Ansprüche in der Forderungsanmeldung oder Klage ist für die Schlüssigkeit nicht erforderlich. Die Klageforderung muss nur aus dem Sachverhalt abzuleiten sein.
[59] Weil durch Ausübung der Option ein Kaufvertrag zustande kam und nach diesem die Klägerin (laut der Liste A zum Kaufvertrag) für die Liegenschaft nur 94.000 EUR zahlen hätte müssen, sie aber mit ihrem Sohn 327.000 EUR (Deckungsgeschäft) zahlte, beträgt der Schaden unmittelbar durch den höheren Kaufpreis grundsätzlich 233.000 EUR.
[60] Die Klägerin hätte sich die Mieten für den Zeitraum August 2020 bis Februar 2021 erspart (7 x 756 EUR [wobei nur die Zahlung der halben Miete für Februar 2021 strittig ist, dies sind 378 EUR]). Damit erhöht sich ihr Schaden um 4.914 EUR (noch nicht spruchreif mangels Feststellung: 378 EUR; nicht berechtigt: darüber hinausgehender Mietzinsschaden iHv 27.972 EUR).
[61] Die Schadensposition „€ 18.947,60 (höhere Nebenkosten bei Grunderwerbsteuer, Eintragungsgebühr und Kaufvertragserrichtung aufgrund höheren Kaufpreises)“ wurde vom Beklagten nicht substantiiert bestritten, sodass auch dieser Betrag der Klägerin grundsätzlich zusteht.
[62] Hinsichtlich der vom Beklagten bestrittenen Schadensposition „€ 45.375,30 (höhere Kosten durch notwendige Fremdfinanzierung, zumal der Optionspreis durch Eigenmittel bezahlt werden hätte können)“ fehlen demgegenüber Feststellungen.
[63] Berechtigt ist der Einwand des Beklagten, die Klägerin habe bloß hälftiges Miteigentum an der Liegenschaft erworben. Es liegt hierdurch nämlich auch nur „ein halbes Deckungsgeschäft“ vor. Auf eine abstrakte Schadensberechnung hat sich die Klägerin nicht gestützt.
Der Schaden der Klägerin beträgt daher:
A) ½ von 233.000 EUR = 116.500 EUR
(nicht berechtigt: der verbleibende Rest auf die in dieser Hinsicht in der Klage begehrten 225.200 EUR, dies sind 108.700 EUR)
B) zuzüglich 4.914 EUR (diese Miete zahlte die Klägerin zur Gänze)
(noch nicht spruchreif: 378 EUR; nicht berechtigt: der begehrte weitere Mietzinsschaden von 27.972 EUR)
C) zuzüglich ½ von 18.947,60 EUR = 9.473,80 EUR (für höhere Vertragskosten etc)
(nicht berechtigt: die restlichen 9.473,80 EUR)
D) zuzüglich Kosten der Kreditfinanzierung von 163.500 EUR (halber tatsächlicher Kaufpreis) abzüglich 94.000 EUR (diesen Betrag hätte die Klägerin sowieso aufbringen müssen). Die Klägerin hat somit grundsätzlich Anspruch auf Ersatz der Kosten der Finanzierung eines Kredits von 69.500 EUR. Darüber muss noch ein Beweisverfahren durchgeführt und der Sachverhalt ergänzt werden.
[64] Vom Schadenersatzanspruch der Klägerin abzuziehen ist aufgrund des zutreffenden Einwands des Beklagten ein Betrag von 70.000 EUR, zumal bei Erwerb der Liegenschaft qua Ausübung der Option dieser Betrag beim Beklagten verblieben wäre.
[65] Es ist damit mit Teilurteil eine Insolvenzforderung iHv 60.887,80 EUR festzustellen (= 116.500 + 4.914 + 9.473,80 – 70.000) und das Begehren auf Feststellung einer weiteren Insolvenzforderung iHv 216.145,80 EUR (= 108.700 + 27.972 + 9.473,80 + 70.000) abzuweisen. Hinsichtlich eines Betrags von 45.375,30 EUR (Kreditfinanzierung) und 378 EUR (halbe Miete August 2021) ist mangels diesbezüglicher Feststellungen noch keine Spruchreife gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen sind insoweit aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
[66] Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 Abs 1 iVm Abs 4 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)