OGH 14Os93/22s

OGH14Os93/22s25.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Oktober 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Kornauth in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 29. März 2022, GZ 41 Hv 69/21x‑262, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00093.22S.1025.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen zu I/A, I/D, I/E und II/A/2 sowie in der zu Punkt II gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und in der Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben, im Umfang der Aufhebung eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* – soweit hier von Bedeutung – der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (I/A) und des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 (zu ergänzen: vierter Fall), Abs 2, § 148 zweiter Fall StGB (II) sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (I/D) und der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach § 223 Abs 1, § 224 StGB (I/E) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*

I/A/ am 30. Juni 2018 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit * C* als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) * M* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem C* das linke Auge von M* offenhielt und K* Salzsäure hineintropfte, wodurch M* eine an sich schwere Körperverletzung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, nämlich eine Verätzung dieses Auges, erlitt;

I/D/ von April 2017 bis zum 2. Juni 2020 im Urteil näher bezeichnete Urkunden (wie Kontoeröffnungsunterlagen, Meldezettel, Verträge) mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht würden, indem er sie den im Urteil namentlich genannten Berechtigten wegnahm;

I/E/ zwischen dem 2. September 2018 und dem 9. September 2019 in drei Fällen falsche öffentliche Urkunden mit dem Vorsatz hergestellt, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht würden, indem er drei im Urteil näher bezeichnete Vollmachten mit gefälschten notariellen Beglaubigungen versah;

II/A/ gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB) und mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, andere durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen, die diese oder andere in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, verleitet, und zwar (unter anderem)

2/ durch die wahrheitswidrige Vorgabe, die Getäuschten würden dadurch die notwendigen Voraussetzungen zur Erlangung von Arbeit schaffen, wobei sie auf Grund sprachlicher Barrieren keine Kenntnis vom tatsächlichen Inhalt der von ihnen unterschriebenen Dokumente hatten, zur Unterzeichnung von

i/ Dokumenten zur Anmeldung von Dritten verwendeter Kfz, nämlich

a/ vor dem 28. Februar 2018 * Ka*, „wodurch Verfügungsberechtigte der W* AG“ einen im Urteil näher bezeichneten Pkw „versicherten und zum Straßenverkehr zuließen und den haftpflichtigen Versicherungsnehmer“ Ka* „in einem noch festzustellenden Betrag am Vermögen schädigten“;

b/ vor dem 27. November 2018 M*, „wodurch Verfügungsberechtigte der E* AG“ einen im Urteil näher bezeichneten Pkw „ zuließen und die haftpflichtige Versicherungsnehmerin“ M* „in einem noch festzustellenden Betrag am Vermögen schädigten“;

c/ am 26. April 2019 * B* „wodurch Verfügungsberechtigte der W* AG“ einen im Urteil näher bezeichneten Pkw „zuließen und den haftpflichtigen Versicherungsnehmer“ B* „in einem noch festzustellenden Betrag am Vermögen schädigten“;

ii/ Mobilfunkverträgen, welche Mobilfunkunter-nehmen als Vertragspartner veranlassten, Sachleistungen an K* auszufolgen, nämlich

a/ „zu noch festzustellenden Zeitpunkten im Mai 2017 * M* zum Abschluss von fünf Mobilfunkverträgen mit dem Unternehmen T* GmbH, der die T* GmbH im Betrag von zumindest € 4.600,‑‑ am Vermögen schädigte;

b/ zu noch festzustellenden Zeitpunkten im April 2017 * Ka* zum Abschluss von fünf Mobilfunkverträgen mit noch festzustellenden Mobilfunkunternehmen, der diese Unternehmen in einem noch festzustellenden Betrag am Vermögen schädigte;

c/ zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt im Herbst 2018 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den bislang unbekannten Tätern 'J*' und 'Br*' als Mittäter (§ 12 StGB) * B* zum Abschluss eines Mobilfunkvertrags mit der H* GmbH, der die H* GmbH in einem noch festzustellenden Betrag am Vermögen schädigte“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus Z 5, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist im Recht.

[4] Zutreffend zeigt die Mängelrüge eine unvollständige Begründung (Z 5 zweiter Fall) der zu Punkt I/A des Schuldspruchs getroffenen Feststellungen auf. Diese stützt das Erstgericht im Wesentlichen auf die für glaubhaft gehaltenen Angaben des Tatopfers und die Objektivierung dessen Verletzungen im Krankenhaus (US 35). Die Aussage der – von diesem Vorwurf übrigens rechtskräftig freigesprochenen – im vorliegenden Verfahren als Zeugin vernommenen C*, sie sei beim Vorfall nicht dabei gewesen, der Beschwerdeführer habe sie angerufen und ihr mitgeteilt, M* habe sich beim Putzen „etwas ins Auge gespritzt“, sie müsse „die Rettung anrufen“ (ON 261 S 13), steht der tatrichterlichen Annahme, der Beschwerdeführer habe M* die Verletzung im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit C*, nachdem er mit dieser „die Tat ausgemacht hatte“, zugefügt, wobei Letztere das Opfer festgehalten und „zum Öffnen der Lider“ gezwungen habe (US 29), erörterungsbedürftig entgegen und hätte daher nicht mit Stillschweigen übergangen werden dürfen (RIS‑Justiz RS0118316, RS0098646).

[5] Der aufgezeigte Begründungsmangel erfordert– in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die sofortige Aufhebung des davon betroffenen Teiles des Schuldspruchs, demgemäß auch des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO).

[6] Eine Antwort auf das weitere, diesen Teil des Schuldspruchs und den Sanktionsausspruch betreffende, Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich daher.

[7] Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen auf dessen Aufhebung zu verweisen.

[8] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof weiters, dass das angefochtene Urteil nicht geltend gemachte Rechtsfehler (Z 9 lit a) zum Nachteil des Angeklagten aufweist, die von Amts wegen wahrzunehmen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[9] Zu den Punkten I/D (§ 229 Abs 1 StGB) und I/E (§ 223 Abs 1, § 224 StGB) des Schuldspruchs enthält das Urteil zwar Feststellungen zum geforderten erweiterten Vorsatz auf Gebrauch der Urkunden im Rechtsverkehr (I/E [US 27]) oder dessen Verhinderung (I/D [US 20]). Zu einem auf die Elemente des jeweiligen Tatbildes (objektiven Tatbestands) gerichteten Vorsatz trifft es hingegen keine Aussage (vgl aber § 7 Abs 1 StGB).

[10] Zu den Punkten II/A/2/i/a bis c fehlen Feststellungen zu einem durch die inkriminierten Taten herbeigeführten, im Sinn des § 146 StGB tatbildlichen Schaden. Nach dem Urteilssachverhalt schlossen die (ersichtlich vermögenslosen) Opfer durch die täuschungsbedingt geleisteten Unterschriften Versicherungsverträge und schufen so die Voraussetzungen für die (spätere) Entstehung von Verbindlichkeiten (US 23 f). Diese fallen allerdings nicht unter den von Rechtsprechung und Lehre zum Betrug vertretenen Schadensbegriff (RIS‑Justiz RS0094420, RS0110419, vgl auch RS0094458; Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 146 Rz 76; Kert, SbgK § 146 Rz 229; Kienapfel/Schmoller BT II2 § 146 Rz 158).

[11] Zu den Punkten II/A/2/ii/a bis c wiederum fehlen Feststellungen für die (notwendige) Annahme einer Identität zwischen Getäuschtem und Verfügendem, welcher die tatbildliche Vermögensschädigung unmittelbar herbeiführt. Nach dem Urteilssachverhalt hatten die Getäuschten nämlich weder eine Befugnis, Vermögensverfügungen mit Wirkung für die tatsächlich geschädigten Unternehmen zu treffen, noch erlitten sie selbst einen (zumindest vorübergehenden) Schaden (US 25 f), weshalb auch bloße (für die Betrugsstrafbarkeit irrelevante) Schadensüberwälzung ausscheidet (RIS‑Justiz RS0132241, RS0094598 [T2]; Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 146 Rz 8, 60 und 71; Kert, SbgK § 146 Rz 159, 174 und 299 f).

[12] Solcherart bleiben die zu diesen Punkten des Schuldspruchs getroffenen Urteilsannahmen (US 23 f und 25 f) zu einem auf Schadenszufügung (auf die beschriebene Weise) bezogenen Vorsatz des Beschwerdeführers ohne Sachverhaltsbezug (RIS‑Justiz RS0119090), weshalb auch Versuchsstrafbarkeit auf dieser Grundlage nicht in Betracht kommt.

[13] Die aufgezeigten Rechtsfehler erfordern – im Ergebnis ebenfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die sofortige Aufhebung der davon betroffenen Teile des Schuldspruchs einschließlich der zu Punkt II/ gebildeten Subsumtionseinheit bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 StPO). Diese wird im weiteren Verfahren (allenfalls unter Einbeziehung erneut gefällter Schuldsprüche) neu zu bilden und dabei zu beachten sein, dass eine Subsumtion nach § 148 zweiter Fall StGB die Absicht des Beschwerdeführers auf wiederkehrende Begehung von (jeweils) schwerem Betrug voraussetzt (RIS‑Justiz RS0101356 Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 148 Rz 6; vgl hingegen US 27).

[14] Der Privatbeteiligtenzuspruch war aufzuheben, weil er ersichtlich auch auf den aufgehobenen Teilen des Schuldspruchs beruht (vgl US 47 f) und demgemäß in dessen rechtskräftig gewordenem Teil nicht Deckung findet. Ebenso war mit der Verweisung der Privatbeteiligten Ka* und M* auf den Zivilrechtsweg zu verfahren (Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7; RIS‑Justiz RS0101303).

[15] Mit seiner gegen den Privatbeteiligtenzuspruch gerichteten Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

[16] Der Kostenausspruch stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO. Die Ersatzpflicht erstreckt sich nicht auf die mit der amtswegigen Maßnahme verbundenen Kosten (RIS-Justiz RS0101558).

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