OGH 8ObA67/22v

OGH8ObA67/22v24.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar(aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Robert Brunner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in derArbeitsrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch MMag. Dr. Thomas Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. T* GmbH, *, und 2. P* VertriebsgesmbH, *, beide vertreten durch Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.841,37 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 5.964,62 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgerichtin Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 2022, GZ 110 Ra 1/22p‑17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 20. Jänner 2022, GZ 65 Cga 31/21f‑10, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00067.22V.1024.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 688,92 EUR (darin 114,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der auf das Dienstverhältnis der Klägerin anzuwendende Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben enthält unter der Überschrift „Sonderbestimmung für ArbeitnehmerInnen mit Provision“ folgende Regelung:

„Arbeitnehmer (…), die neben dem Fixum auch Provision beziehen, haben monatlich Anspruch auf mindestens 75 % ihres kollektivvertraglichen Mindestgehalts als Fixum. Zusätzlich haben sie Anspruch auf ein Provisionsakonto in einer Höhe, die der Differenz zwischen dem Fixum und dem kollektivvertraglichen Mindestgehalt entspricht.

Die im jeweiligen Monat erworbenen Provisionsansprüche sind abzurechnen und mit der Gehaltsabrechnung des folgenden Monats unter Anrechnung auf das Provisionskonto des Monats, in dem die Provisionsansprüche erworben wurden, auszubezahlen.

Erreichen die Provisionsansprüche nicht die Höhe des Provisionsakontos, können die Akontozahlungen weder zurückgefordert noch auf Provisionsansprüche anderer Monate angerechnet werden.“

[2] Die Klägerin beansprucht unter anderem jene Gehaltsdifferenz, die sich daraus ergibt, dass ihr die vereinbarten Provisionen nicht zusätzlich zum (vollen) kollektivvertraglichen Mindestgehalt ausbezahlt wurden. Die Vorinstanzen haben die Klage insoweit abgewiesen.

[3] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem – nicht bindenden – im Hinblick auf eine Frage zu § 2 UrlG erfolgten Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit der Kollektivvertragsparteien findet ihre Schranke in der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte (RIS‑Justiz RS0038552). Auch die Kollektivvertragsparteien sind daher bei der Gestaltung des Kollektivvertrags an den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz gebunden (RS0038765). Der Gleichheitssatz besagt, dass an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen sind, weshalb unterschiedliche Regelungen, die nicht in entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ihre Grundlage haben, gleichheitswidrig sind (RS0053509).

[5] 2. Die Behauptung der Klägerin, dass der Kollektivvertrag Arbeitnehmer mit Provisionsvereinbarung gegenüber solchen ohne Provisionsvereinbarung benachteilige, weil Provisionen erst ausbezahlt werden, wenn diese 25 % des Mindestlohns übersteigen, ist unzutreffend, weil Arbeitnehmer ohne Provisionsvereinbarung selbst bei „überdurchschnittlichem Bemühen“ keine Provisionen beanspruchen können. Auch der Vorwurf, dass der Kollektivvertrag das Mindestentgelt in unzulässiger Weise von der Erbringung „überdurchschnittlicher Anstrengungen“ abhängig mache, ist unzutreffend, weil jedenfalls ein Provisionsakonto in einer Höhe gebührt, die gemeinsam mit dem fixen Gehalt das Mindestentgelt erreicht. Eine Schlechterstellung gegenüber Arbeitnehmern ohne Provisionsvereinbarung ist insoweit ausgeschlossen. Die von der Klägerin behauptete Benachteiligung liegt damit tatsächlich nicht vor.

[6] 3. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Inhalt des Dienstvertrags unstrittig sei, begründet schon deshalb keine Aktenwidrigkeit, weil die Klägerin in der Verhandlung vom 20. 1. 2022 (ON 9 Seite 2) außer Streit stellte, dass sie den Dienstvertrag in Beilage 1./ abgeschlossen und den dort angeführten Inhalt vereinbart hat. Die bloße Behauptung einer Aktenwidrigkeit kann die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen (RS0112166 [T10]), ebenso allgemeine Fragen der Vertragsauslegung im Einzelfall (RS0042936).

[7] 4. Da die Klägerin die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht releviert und auch sonst keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist die Revision unzulässig (RS0080388 [T1]). Im Übrigen bedarf dieser Beschluss keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

[8] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).

Stichworte