OGH 8ObA72/22d

OGH8ObA72/22d24.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Robert Brunner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei O* P*, vertreten durch Rainer & Rück, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. August 2022, GZ 15 Ra 25/22x‑26, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00072.22D.1024.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Ob die Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses vorliegen, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0106298).

[2] 2. Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des hier anzuwendenden § 7 Abs 2 Z 2 des Kollektivvertrags für Angestellte der Beklagten liegt vor, wenn sich der Dienstnehmer eines Verhaltens schuldig macht, das ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt. Für den Dienstgeber muss vom Standpunkt vernünftigen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung bestehen, dass seine Belange durch den Arbeitnehmer gefährdet sind. Maßgebend ist, ob das Verhalten des Arbeitnehmers das Vertrauen des Dienstgebers so schwer erschüttert hat, dass ihm die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Entscheidend ist nicht das subjektive Empfinden des Dienstgebers, sondern ein objektiver Maßstab, der nach der Verkehrsauffassung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls anzuwenden ist (RS0108229; insb 8 ObA 54/21f). Für den Entlassungsgrund genügt Fahrlässigkeit; Schädigungsabsicht oder Schadenseintritt sind nicht erforderlich (RS0029531).

[3] 3. Die Vorinstanzen haben die Entlassung des Klägers für berechtigt angesehen, weil er nach den Feststellungen als stellvertretender Leiter einer Regionalgeschäftsstelle in einem Verfahren seiner Gattin zu deren Gunsten massiv gegen die Leitlinie zur Korruptionsprävention verstoßen und Mitarbeiter seiner Geschäftsstelle unter Ausnützung seiner Vorgesetztenstellung und mit unrichtigen Angaben zur Mitwirkung an diesen Vorgängen veranlasst habe.

[4] Diese rechtliche Beurteilung ist nicht unvertretbar, sondern begegnet auch unter Berücksichtigung der von der Revision angesprochenen langjährigen Dienstzeit des Klägers und der mit der Entlassung verbundenen finanziellen Einbußen noch keinen die Revisionszulässigkeit im Einzelfall eröffnenden rechtlichen Bedenken.

[5] Es ist insbesondere auch der Standpunkt der Revision nicht nachvollziehbar, dass den Kläger ein geringeres Verschulden an den ihm angelasteten Verstößen treffen sollte, weil er Systemeintragungen, die er aufgrund seiner Befangenheit in der Sache nicht offiziell selbst vornehmen konnte, von seinen ihm unterstellten Mitarbeitern in seinem Beisein tätigen ließ.

[6] Soweit sie davon ausgeht, dass dem Kläger die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht bewusst gewesen sei, entfernt sich die Revision von den bindenden Feststellungen über die ihm bekannten Leitlinien zur Korruptionsbekämpfung, die ihn zur Meldung seiner Befangenheit verpflichtet hätten. Weiters steht fest, dass er, um die Bewilligung einer Kombilohnbeihilfe für seine Gattin zu erwirken, die fachlichen Bedenken seiner ihm weisungsgebundenen Mitarbeiterin mit der – nur bewusst möglichen – wahrheitswidrigen Angabe, den Vorgang mit der Landesgeschäftsstelle abgestimmt zu haben, zerstreute.

[7] 4. Auch die Frage, ob ein Entlassungsgrund verspätet geltend gemacht wurde, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei juristischen Personen ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die Willensbildung umständlicher ist als bei physischen Personen; es müssen solche Verzögerungen anerkannt werden, die in der Natur des Dienstverhältnisses oder sonst in den besonderen Umständen des Falls sachlich begründet sind (RS0029328). Bei einem zunächst zweifelhaften Sachverhalt ist außerdem dem Dienstgeber die zur hinreichenden Aufklärung notwendige Zeit einzuräumen (RS0029297). Nach den Feststellungen wurde der Kläger, nachdem sich die Beklagte durch Nachforschungen und Befragungen seiner Mitarbeiter die nötige Kenntnis des Sachverhalts verschafft hatte, noch am selben Tag entlassen. Davon ausgehend haben die Vorinstanzen ihren bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Auflösung offen stehenden Ermessensspielraum nicht überschritten.

[8] 5. Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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