OGH 9ObA98/22k

OGH9ObA98/22k28.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karin Koller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * K*, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei C* GmbH, *, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen zuletzt 19.215,42 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Juni 2022, GZ 9 Ra 17/22v‑21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00098.22K.0928.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen (RS0106298 [T8, T18]). Eine solche liegt hier nicht vor.

[2] Die Beklagte bringt vor, die Klägerin habe seit dem 30. 9. 2019 davon ausgehen müssen, dass ihre Urlaubsvereinbarung von der Beklagten mit dem Schreiben vom 23. 9. 2019 widerrufen worden sei. Folglich sei ihr Urlaubsantritt am 1. 10. 2019 eigenmächtig und ohne die Beklagte davon zu informieren, erfolgt. Durch diesen eigenmächtigen Urlaubsantritt habe die Klägerin daher einen Entlassungsgrund verwirklicht.

[3] Haben die Parteien eine verbindliche Vereinbarung über die Zeit (Antritt und Ende) des Urlaubs getroffen, dann war diese Abrede grundsätzlich für beide Teile verbindlich. Der Arbeitgeber kann von dieser Vereinbarung einseitig nur aus besonders schwerwiegenden Gründen zurücktreten, die zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile für das Unternehmen eine dienstliche Inanspruchnahme gerade dieses Arbeitnehmers nach den Umständen des Falls unumgänglich notwendig gemacht hätten (RS0077424; RS0077394 [T1]). Aus dem der Klägerin am 30. 9. 2019 zugegangenen Schreiben, dass sie als Geschäftsführerin abberufen sei und zur Übergabe von Geschäftsunterlagen aufgefordert werde, musste weder auf den Widerruf einer früheren Urlaubsvereinbarung noch auf einen potenziellen Betriebsnotstand geschlossen werden. Auch wird eine Zeitausgleichsvereinbarung nicht durch eine Änderung in der Person des Vorgesetzten oder in der Gesellschafterstruktur nachträglich hinfällig. Dem genannten Schreiben ist kein solcher (konkludenter) Widerruf zu entnehmen. Die Vorinstanzen hatten daher auch nicht von einer Verweigerung der Arbeitsleistung aufgrund eines eigenmächtigen Konsums von Zeitausgleich auszugehen. Die Erwägungen der Revision zu den an die Klägerin gerichteten Aufforderungen des neuen Geschäftsführers zum persönlichen Erscheinen bzw Dienstantritt in der Zeit ihres Urlaubs gehen damit ins Leere.

[4] Die Überlegungen der Beklagten zu einem Untergraben der Autorität des Arbeitgebers durch die Klägerin – die Klägerin müsse der Bestellung zur Fremdgeschäftsführerin zugestimmt haben, woraus zu schließen sei, dass sie ihre Wiedereinsetzung erzwingen habe wollen – entfernen sich vom festgestellten Sachverhalt.

[5] Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor. Parteien‑ und Zeugenaussagen vermögen das Vorbringen einer Partei nicht zu ersetzen (RS0040318 [T7]). Die Auslegung von Prozessvorbringen ist überdies eine Frage des Einzelfalls (RS0042828; RS0044273 [T59]; vgl auch RS0113563) und stellt, soweit es sich – wie im vorliegenden Fall – um keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung handelt, regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0042828 [T23]). Das gilt auch für die Frage, ob ausreichend substantiiertes Vorbringen – hier zur Frage eines Bestreitungsvorbringens der Beklagten zu den beendigungsunabhängigen Ansprüchen der Klägerin – erstattet wurde.

[6] Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf die Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte