OGH 2Ob165/21k

OGH2Ob165/21k27.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei D*, vertreten durch Arnold Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagten Parteien zu (1.) AZ 5 C 47/19x: M*, und zu (2.) AZ 5 C 49/19s: T*, beide vertreten durch Mag. Michael Wirrer, Rechtsanwalt in Wien, jeweils wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. Juli 2021, GZ 40 R 12/21t‑33, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 30. Juli 2020, GZ 5 C 47/19x-29, bestätigt wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00165.21K.0927.001

 

Spruch:

 

I. Zu AZ 5 C 47/19x:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Zu AZ 5 C 49/19s:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass es lautet:

„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, den Miteigentümern der Liegenschaft EZ *, KG *, mit der Liegenschaftsadresse *, binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution den im zweiten Stock des Hauses *, EZ *, KG *, gelegenen „Mietgegenstand“ Wohnung Top 16+17, gemäß der Planskizze Beilage ./F, bestehend aus fünf Zimmern, einer Küche, einem Vorraum, einem Abstellraum, einem WC und einem Bad, mit einer Gesamtfläche von etwa * m² geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben, wird abgewiesen.

2. Das Klagebegehren, es werde zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass kein Recht der beklagten Partei an der ausschließlichen Benützung der Wohnung Top 16+17 * besteht, dass keine die ausschließliche Benützung der Wohnung Top 16+17 durch die beklagte Partei begründende Benützungsvereinbarung bzw Benützungsregelung besteht und dass kein die ausschließliche Benützung der Wohnung Top 16+17 durch die beklagte Partei begründender Mietvertrag besteht, wird abgewiesen.“

III. In beiden Verfahren:

Die Anträge der jeweils beklagten Partei, ihren Zwischenanträgen auf Feststellung stattzugeben, werden zurückgewiesen.

IV.1. Dem Erstgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.

2. Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 586,34 EUR (darin enthalten 51,16 EUR USt und 279,40 EUR anteiliger Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin und die Beklagte im verbundenen Verfahren (eine GmbH, im Folgenden: Zweitbeklagte) sind Miteigentümer der im Spruch genannten Liegenschaft. Der Miteigentumsanteil der Klägerin beträgt ein Sechstel, der Anteil der Zweitbeklagten beträgt fünf Sechstel.

[2] Die Klägerin erhielt ihren Liegenschaftsanteil durch einen Schenkungsvertrag vom 12. 8. 2002 vom damaligen Miteigentümer, ihrem damaligen Ehegatten (im Folgenden: Exgatte). Die Zweitbeklagte erwarb ihren Liegenschaftsanteil mit Kaufvertrag vom 1. 9. 2014 von der anderen Miteigentümerin, der ehemaligen Schwägerin der Klägerin (im Folgenden: Exschwägerin).

[3] Der Beklagte im führenden Verfahren (im Folgenden: Erstbeklagter) ist Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Zweitbeklagten.

[4] 1992 waren die Klägerin und ihr Exgatte Mieter der Wohnung Top 6 und die Exschwägerin Mieterin der Wohnungen Top 8/8a, 16 und 17.

[5] Am 1. 3. 1992 schlossen die damaligen Miteigentümer, nämlich der Exgatte und die Exschwägerin, folgende schriftliche Vereinbarung ab:

„VEREINBARUNG

...

1.) Festgehalten wird, dass die Eigentümer folgende Wohnungen im Haus gemietet haben:

...

Top 16: [Exschwägerin]

Top 17: [Exschwägerin]

...“

[6] Eine Vereinbarung über frei werdende Wohnungen sowie eine Nutzungsvereinbarung über die restlichen Wohnungen gab es nicht.

[7] Die Exschwägerin benutzte zuletzt ua die Wohnungen Top 16+17 und 18 bis Juli 2015 aufgrund von mit diesem Zeitpunkt beendeten Mietverträgen. Ab August 2015 wurden die Wohnungen Top 16+17 und 18 in den Zinslisten als leerstehend geführt.

[8] Im Oktober 2018 mietete der Erstbeklagte ohne Zustimmung der Klägerin die Wohnung Top 18 befristet auf 15 Jahre um einen monatlichen Hauptmietzins von 292,74 EUR.

[9] Hinsichtlich der Wohnung Top 16+17 in der Größe von rund 170 m² beschloss der Erstbeklagte, diese künftig als Firmensitz der Zweitbeklagten in Eigennutzung in Besitz zu nehmen, er gab am 24. 10. 2018 die Sitzverlegung dem Firmenbuch bekannt. Zu einer privatrechtlichen Vereinbarung darüber kam es nicht, der Erstbeklagte ersuchte lediglichdie Hausverwaltung, hinkünftig die Betriebskosten der Zweitbeklagten vorzuschreiben. Die Wohnung Top 16+17 wird tatsächlich aber nicht als Firmensitz genützt.

[10] In der Zinsliste von November 2018 wurde die Wohnung Top 16+17 noch als leerstehend geführt.

[11] Die Klägerin begehrt – gestützt auf titellose Benützung – in beiden Verfahren die Verurteilung der Beklagten zur Räumung: im führenden Verfahren gegen den Erstbeklagten betreffend die Wohnung Top 18, im verbundenen Verfahren gegen die Zweitbeklagte betreffend das Objekt Top 16 und 17. Hilfsweise beantragt sie in beiden Verfahren die Feststellung, es bestehe mit den jeweils Beklagten kein Mietvertrag über das jeweilige Objekt, im verbundenen Verfahren weiters die Feststellung, die Beklagte habe kein Recht zur ausschließlichen Benützung der Wohnung, es bestehe diesbezüglich keine Benutzungsvereinbarung bzw Nutzungsregelung zugunsten der Beklagten.

[12] Es existierten weder Mietverträge noch Benützungsvereinbarungen. Sie habe der Vermietung von Top 18 nicht zugestimmt und davon nichts gewusst. Der Mietvertrag sei eine Maßnahme der außerordentlichen Verwaltung im Sinn des § 834 ABGB, weil er zu ortsunüblichen Konditionen abgeschlossen worden sei. Die Zweitbeklagte habe in der Wohnung Top 16+17 ihren Sitz ohne Zustimmung der Klägerin angemeldet. Auf der Haussprechanlage sei bei Top 16 nach wie vor der Name „*“ angeführt, ein Firmenschild der Beklagten fehle. Die Benützung dieses Objekts sei eine einseitige und eigenmächtige Änderung der Benützungsverhältnisse. Die Zweitbeklagte habe sich ihr gegenüber nie auf ein vermeintliches ausschließliches Benutzungsrecht hinsichtlich der Wohnung Top 16+17 berufen.

[13] Die Beklagten bestritten. Die Vermietung von Top 18 gehöre zur ordentlichen Verwaltung. In der Vereinbarung von 1992 sei das Objekt 16+17 der Exschwägerin als Rechtsvorgängerin der Zweitbeklagten zugeordnet worden. Das Objekt werde nicht titellos benützt, da jeder Teilhaber ohne Absprache mit den übrigen Teilhabern berechtigt sei, eine gemeinschaftliche Sache zu benützen, was nur durch den tatsächlichen Gebrauch eines anderen Miteigentümers beschränkt werde. In beiden Verfahren wurden (in dritter Instanz inhaltlich nicht relevante) Zwischenanträge auf Feststellung gestellt.

[14] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in beiden Verfahren statt und wies die Zwischenanträge der Beklagten auf Feststellung ab. Die Befristung des Mietvertrags auf 15 Jahre sei unüblich, weil sie den Nachteil eines unbefristeten Mietverhältnisses, nämlich die lange Bindung des Vermieters, mit dem Nachteil eines befristeten Mietverhältnisses, nämlich der erforderlichen Berücksichtigung eines 25%igen Befristungsabschlags, kombiniere. Der Mietvertrag halte einem Fremdvergleich somit nicht stand, wodurch eine außerordentliche Verwaltungsmaßnahme vorliege und ein einstimmiger Beschluss aller Miteigentümer zur Vermietung notwendig gewesen wäre. Mangels Zustimmung derKlägerin zum Mietvertrag seidieser nicht rechtswirksam zustande gekommen. Das Benützungsrecht der Wohnung Top 16+17 für die Exschwägerin habe sich auf einen Mietvertrag gegründet. Ein Eintritt in den Mietvertrag für die Wohnung Top 16+17 durch die Zweitbeklagte sei jedoch nicht erfolgt. Das Zustandekommen einer konkludenten Benützungsvereinbarung sei zu verneinen. Die Zweitbeklagte nutze das Objekt titellos.

[15] Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts in beiden Verfahren und ließ die ordentliche Revision jeweils nicht zu. Es vertrat die Ansicht, es habe neben den Mietverträgen keine Benützungsvereinbarung gegeben. Die Zweitbeklagte könne sich daher nicht auf eine Verfügungsbefugnis kraft Benützungsvereinbarung stützen. Der Mietvertrag über die Wohnung Top 18 sei als so ungewöhnlich zu beurteilen, dass er nicht mehr der ordentlichen Verwaltung zugerechnet werden könne. Der Vereinbarung vom 1. 3. 1992 sei nichts zu entnehmen, wonach den Eigentümern neben ihren mietvertraglichen Rechten gleichzeitig oder in Zukunft auf Grundlage einer Benützungsvereinbarung Nutzungsrechte zustehen sollten. Die Zweitbeklagte benütze die Wohnung Top 16+17 titellos.

[16] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts in beiden Verfahren richtet sich die außerordentliche Revision der jeweiligen Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung des erstgerichtlichen Urteils im Sinn einer Klageabweisung und der Stattgebung der Zwischenfeststellungsanträge; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[17] Die Klägerin beantragt in der ihr im verbundenen Verfahren freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[18] Die Revision im führenden Verfahren ist mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

[19] Die Revision im verbundenen Verfahren ist zulässig und berechtigt.

[20] Der Abänderungsantrag betreffend die Zwischenfeststellungsanträge ist absolut unzulässig.

[21] Im führenden Verfahren vertritt der Revisionswerber zusammengefasst die Ansicht, der Mietvertrag sei drittüblich.

[22] Im verbundenen Verfahren macht die Revisionswerberin geltend, ein Miteigentümer sei aufgrund seines Anteilsrechts als Miteigentümer zum Gebrauch einer gemeinsamen Sache berechtigt, der nur durch den tatsächlichen Gebrauch oder konkreten Gebrauchswunsch der anderen Miteigentümer beschränkt sei; ein solcher sei jedoch nicht festgestellt worden.

Zu I.:

Rechtliche Beurteilung

[23] I.1. Der Abschluss eines Mietvertrags, der gegen die nicht nur den Mehrheitseigentümern, sondern auch dem daher nicht schutzwürdigen Mieter bekannten Interessen des Minderheitseigentümers verstößt, ist eine außerordentliche Verwaltungsmaßnahme im Sinn einer wichtigen Veränderung nach § 834 ABGB (RS0013589). Dazu zählt die Rechtsprechung Mietverträge, die zu unüblichen Bedingungen geschlossen wurden und einem Fremdvergleich nicht standhalten (vgl RS0013584).

[24] I.2. Die Abgrenzung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Verwaltung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (RS0013564 [T11]) und stellt somit, abgesehen von einer Fehlbeurteilung der zweiten Instanz, keine erhebliche Rechtsfrage dar.

[25] I.3. Die hier von den Vorinstanzen getroffene Beurteilung, der Mietvertrag sei derart unüblich, dass sein Abschluss eine Maßnahme der außerordentlichen Verwaltung dargestellt habe, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 9 Ob 61/21t zum ähnlich gelagerten Sachverhalt betreffend den Dachboden im selben Haus).

Zu II.:

II.1. Räumungsbegehren

[26] II.1.1. Die eigenmächtige Veränderung der bisherigen Benützungsverhältnisse durch einzelne Miteigentümer stellt einen rechtswidrigen Eingriff in die Anteilsrechte der anderen dar, welcher diese allenfalls zur Räumungsklage berechtigt (RS0123177).

[27] II.1.2. Die mangelnde Berechtigung des Klagebegehrens ergibt sich schon daraus, dass die Klägerin eine derartige eigenmächtige, die tatsächlichen Benützungsverhältnisse beeinflussende Veränderung gar nicht behauptet hat und sich diese auch aus den Feststellungen nicht ergibt. Die bloß nominelle Verlegung des Sitzes der Zweitbeklagten und die Änderung der Geschäftsadresse (samt Bekanntgabe beim Firmenbuch) allein sind noch nicht mit einer Veränderung der tatsächlichen Benützung des Objekts verbunden.

[28] II.1.3. Da das Räumungsbegehren schon deshalb abzuweisen ist, kommt es auf die von den Vorinstanzen erörterte Frage des Bestehens einer Benützungsvereinbarung nicht an.

II.2. Eventualfeststellungsbegehren

[29] Die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen eines rechtlichen Interesses liegt grundsätzlich bei der die Feststellung begehrenden Partei (RS0039058 [T2]). Hier behauptete die Klägerin nicht einmal, dass sich die Zweitbeklagte ihr gegenüber eines Rechts berühmt hätte, sondern brachte vielmehr vor, dass sich die Zweitbeklagte ihr gegenüber nie auf ein vermeintliches ausschließliches Benutzungsrecht betreffend das Objekt berufen hätte. Somit besteht das Eventualfeststellungsbegehren insgesamt nicht zu Recht.

Zu III.:

[30] Die Beklagten haben in ihrer Berufung eingangs zwar erklärt, das Urteil in beiden Verfahren „zur Gänze“ anzufechten. Im anschließenden Berufungsantrag beantragen sie jedoch nur, das Urteil des Erstgerichts in beiden Verfahren im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Einen Antrag zu den Zwischenanträgen auf Feststellung der Beklagten enthält der Berufungsantrag nicht.

[31] Einer über den Berufungsantrag hinausgehenden Berufungserklärung kommt keine Bedeutung zu; maßgeblich ist der Berufungsantrag (RS0041772; vgl auch RS0041569).

[32] Mangels Anfechtung der Abweisung der Zwischenfeststellungsanträge der Beklagten in der Berufung ist diese Abweisung rechtskräftig geworden. Der die Zwischenfeststellungsanträge betreffende Antrag in der Revision war daher zurückzuweisen.

Zu IV.:

[33] Ⅳ.1. Aufgrund der Abänderung der Urteile der Vorinstanzen ist auch eine neuerliche Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz erforderlich. Die Kostenentscheidung erfordert eingehende Berechnungen, weil es sich um zwei in erster Instanz (teilweise) verbundene Verfahren handelt und Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis gemäß § 54 Abs 1a ZPO zu berücksichtigen sind. Dem Erstgericht ist in sinngemäßer Anwendung des § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO eine neuerliche Kostenentscheidung aufzutragen (vgl 2 Ob 199/20h; 6 Ob 96/20s; vgl Neumayr in Höllwerth/Ziehensack, ZPO § 510 Rz 15).

[34] Ⅳ.2. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Bemessungsgrundlage beträgt für beide Verfahren 3.000 EUR (im führenden Verfahren Wohnung unter 60 m²[1.000 EUR: § 10 Abs 2 lit c RATG], im verbundenen Verfahren 2.000 EUR gemäß § 10 Abs 2 lit a RATG). Für die Revision, mit der die Zweitbeklagte im verbundenen Verfahren erfolgreich war, stehen ihr daher auf Basis dieser Bemessungsgrundlage zwei Drittel zu.

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