OGH 1Ob128/22p

OGH1Ob128/22p14.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*, vertreten durch die Riesemann Rechtsanwalts GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 25.898,48 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 21.156,40 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 14. April 2022, GZ 5 R 200/21b‑43, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 28. September 2021, GZ 22 Cg 97/17i‑34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00128.22P.0914.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.176 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Ein von italienischen Behörden im Interpol-SIRENE-Fahndungssystem zur Sachfahndung ausgeschriebener gestohlener BMW X5 wurde in Österreich sichergestellt und vom Landesgericht für Strafsachen Graz in einem Strafverfahren beschlagnahmt. Nach Aufhebung der Beschlagnahme und Durchführung eines Ediktalverfahrens erteilte das Landesgericht für Strafsachen Graz einem privaten Unternehmen den Auftrag, den BMW nach den Bestimmungen der EO zu verwerten.

[2] Im Dezember 2013 erwarb der Vater des Klägers das Fahrzeug von diesem Unternehmen und schenkte es dem Kläger. Im November 2014 überließ der Kläger das Fahrzeug seinem Vater und weiteren Familienangehörigen für eine Fahrt nach Albanien. Am 15. 11. 2014 wurden die Reisenden an der montenegrinischen Grenze angehalten. Aufgrund des nach wie vor aufrechten Sachfahndungsvermerks beschlagnahmten die montenegrinischen Behörden den BMW X5. Der weitere Verbleib des Fahrzeugs konnte in der Folge weder vom Kläger noch von den österreichischen Behörden eruiert werden.

[3] Erst nach diesem Vorfall veranlasste das Landesgericht für Strafsachen Graz erfolgreich den Widerruf der internationalen Ausschreibung des Fahrzeugs.

[4] Der Vater des Klägers trat seine Ansprüche an den Kläger ab.

[5] Der Kläger begehrte aus dem Titel der Amtshaftung und Gewährleistung von der Beklagten 25.898,49 EUR sA.

[6] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 3.498,55 EUR sA und wies ein Mehrbegehren von 22.380,40 EUR sA (davon rechtskräftig 1.224 EUR) ab bzw von 19,53 EUR sA (rechtskräftig) zurück. Jene Kosten, die der Kläger auch zu tragen gehabt hätte, wenn die montenegrinischen und/oder italienischen Behörden das Fahrzeug nach Löschung des Fahndungsvermerks im Dezember 2014 wieder ausgefolgt hätten, seien mangels Adäquanzzusammenhangs nicht zu ersetzen.

[7] Das Berufungsgericht gab den Berufungen des Klägers und der Beklagten nicht Folge. Zutreffend habe das Erstgericht einen Schadenersatzanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten – soweit er hinsichtlich der Rückholungs-, Recherche- und frustrierten Versicherungskosten von gesamt 3.498,55 EUR auch im Adäquanzzusammenhang stehe – bejaht. Es sei aber die Schadensfolge, dass der von den montenegrinischen Behörden beschlagnahmte BMW X5 nicht wiedererlangt werden konnte, als geradezu außergewöhnlich zu erachten. Mit einem derartigen offenbar vorsätzlich rechtswidrigen Verhalten von Organen ausländischer Behörden und dem dadurch bedingten Geschehnisablauf sei nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen gewesen.

[8] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, unter welchen Voraussetzungen die unterlassene Löschung einer ausländischen Eintragung im Interpol-Fahndungssystem inländische Amtshaftungsansprüche nach sich ziehen könne.

[9] Die Revision des Klägers ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – mangels zu beantwortender erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Zur geltend gemachten Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens

Rechtliche Beurteilung

[10] 1.1. Behauptete Mängel des Verfahrens erster Instanz (hier Verletzung der Anleitungspflicht des § 182a ZPO durch das Erstgericht), die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in dritter Instanz nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (RS0042963). Ein Mangel des Berufungsverfahrens läge vor, wenn sich das Berufungsgericht mit der Mängelrüge überhaupt nicht befasst (RS0042963 [T9]) oder diese mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RS0042963 [T28]). Eine „unhaltbare rechtliche Begründung“, die allenfalls auch sonst das Geltendmachen eines in zweiter Instanz verneinten Mangels ermöglichen könnte, liegt jedenfalls nur dann vor, wenn bei der Beurteilung der strittigen Frage jeder Beurteilungsspielraum fehlt (RS0042963 [T63]). Das ist hier nicht der Fall. Darüber hinaus zeigt der Revisionswerber die Relevanz des Mangels nicht auf (RS0037095 [T14]). Ein Verweis auf Ausführungen in der Berufung genügt nicht (RS0043579).

[11] 1.2. In dem Einwand, das Berufungsgericht habe sich zu Unrecht nicht mit den mit der Berufung vorgelegten Urkunden befasst, liegt schon deshalb keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, weil das Erstgericht diese Urkundenvorlage (rechtskräftig) zurückgewiesen hat.

[12] 2. Im Übrigen wendet sich die Revision gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass nicht hinsichtlich aller geltend gemachten Schäden von einem adäquaten Kausalzusammenhang auszugehen sei.

2.1. Ein Schaden ist adäquat herbeigeführt, wenn seine Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolgs nicht als völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde. Der Schädiger haftet für alle, auch für zufällige Folgen, mit deren Möglichkeit abstrakt zu rechnen gewesen ist, nur nicht für einen atypischen Erfolg (RS0022906; RS0022944; RS0022914). Auch wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazu tritt, ist die Adäquanz zu bejahen, wenn nach den allgemeinen Erkenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist (RS0022546; RS0022918). Wenn die weitere Ursache im Fehler eines Dritten liegt, scheidet die Haftung aus, wenn mit dem dadurch bedingten Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen war (RS0022621; RS0022575), er also außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag (RS0022940).

[13] 2.2. Ob im Einzelfall ein Schaden noch als adäquate Folge eines schädigenden Ereignisses anzusehen ist, betrifft im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, weil dabei die Umstände des Einzelfalls maßgebend sind (RS0110361). Auf dieser Grundlage zeigt die Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[14] 2.3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, aus der zunächst unterlassenen Löschung einer Sachfahndung folge nicht typischerweise, dass ausländische Behörden den auf dieser Grundlage beschlagnahmten Gegenstand nicht ausfolgten, wenn die Ausschreibung später rückgängig gemacht werde, sodass der Beklagten bzw deren Organen der Verlust des BMW X5 nicht zuzurechnen sei, bewegt sich im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums. Es ist nicht unvertretbar, dass die Vorinstanzen das spurlose Verschwinden eines in Verwahrung der Behörden eines Staates, der insbesondere auch Beitrittskandidat der Europäischen Union ist, befindlichen Fahrzeugs wegen – wie der Kläger selbst annimmt – Korruption als äußerst unwahrscheinlich angesehen haben.

[15] Auf die Frage, ob der Schutzzweck von § 42 Abs 2 EU‑PolKG einen solchen Fall überhaupt erfasste, kommt es daher nicht an.

[16] 3. Schließlich nimmt der Revisionswerber darauf Bezug, dass ihm das Berufungsgericht zu Unrecht einen Gewährleistungsanspruch unter Hinweis auf die Bestimmung des § 278 Abs 3 letzter Satz EO aF versagt habe. Inwiefern der Titel der Gewährleistung allerdings Grundlage für einen Zuspruch der der Beklagten nicht zurechenbaren Schadensfolgen sein soll, ergibt sich aus seinen Ausführungen nicht.

[17] 4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296). Der in erster Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt steht einer Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (vgl RS0129365 [T3]).

Stichworte