OGH 8ObA56/21z

OGH8ObA56/21z30.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T* L*, vertreten durch Dr. Christian Puchner, Dr. Martin Streitmayer, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei L*, vertreten durch Dr. Christine Ulm, Rechtsanwältin in Graz, wegen Feststellung von Vordienstzeiten, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Mai 2021, GZ 6 Ra 12/21p‑16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 3. Dezember 2020, GZ 21 Cga 43/20f‑12, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00056.21Z.0830.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Vertragsbediensteter der Beklagten und Lehrer (Fachbereichsleiter Metall) an einer Polytechnischen Schule.

[2] Sein Dienstverhältnis, auf das in der hier relevanten Frage der Vordienstzeitenanrechnung unstrittig das VBG 1948 anzuwenden ist, war zunächst befristet, im Juni 2017 wurde es in ein unbefristetes übergeleitet. Der Kläger unterfertigte am 19. 6. 2017 den entsprechenden Nachtrag zum Dienstvertrag, ein Merkblatt zur Berechnung des Besoldungsdienstalters nach § 26 VBG, sowie ein Erhebungsblatt für die Feststellung des Vorrückungsstichtags mit Erläuterungen.

[3] Der Kläger übermittelte zunächst keine Nachweise zu seinen beantragten Vordienstzeiten. Mit Schreiben vom 17. 4. 2018 ersuchte ihn die Beklagte, binnen zwei Monaten ergänzend Dienstzeitenbestätigungen, darunter auch für die Beschäftigung vom 7. 5. 2001 – 31. 7. 2009, vorzulegen. Die Bestätigungen müssten die Punkte „Angabe des Beschäftigungsausmaßes, genaue Beschreibung der Tätigkeit und die Angabe der Altersstufe der betreuten Kinder/Jugendlichen“ enthalten.

[4] Der Kläger übermittelte vor dem 19. 6. 2018 die (im Revisionsverfahren allein noch relevante) Arbeitsbestätigung seines früheren Dienstgebers für den genannten Zeitraum mit dem Wortlaut: „Wir bestätigen hiermit, dass Sie von 7. 5. 2001 bis 31. 7. 2009 in unserem Unternehmen als Werkzeugmacher und als Lehrlingsausbildner beschäftigt waren. Das Beschäftigungsausmaß pro Woche betrug 38,5 Stunden.“

[5] Die Beklagte stellte im Juli 2018 die beantragten Vordienstzeiten des Klägers unter Ausschluss des Zeitraums vom 7. 5. 2001 bis 31. 7. 2009 fest.

[6] In der Begründung dieser Entscheidung führte sie aus, dass durch die in dieser Zeit ausgeübten Tätigkeiten bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung kein zusätzlicher substantieller Einblick in das Fachgebiet einer Lehrperson an einer Volksschule, NMS oder Sonderschule vermittelt werden habe können. Die für die Anrechnung vom Gesetzgeber geforderte spezifische Berufserfahrung habe durch diese Zeiten nicht belegt werden können.

[7] Der Kläger begehrt, die Beklagte zur Feststellung der weiteren Vordienstzeiten vom 7. 5. 2001 bis 31. 7. 2009 zu verpflichten, außerdem werden im Ergebnis gleich gerichtete Eventualbegehren gestellt. Seine Tätigkeit als Facharbeiter und Lehrlingsausbildner sei sehr wohl im Sinne des § 26 Abs 3 VBG 1948 einschlägig für die nunmehrige Beschäftigung als Lehrer gewesen.

[8] Die Beklagte wandte – neben einer im Revisionsverfahren nicht mehr relevierten Bestreitung der Rechtzeitigkeit der Vorlage der Bestätigungen – ein, die strittige Arbeitsbescheinigung habe nicht den detaillierten Anforderungen entsprochen, die dem Kläger im Ersuchen vom 17. 4. 2018 mitgeteilt wurden, sodass eine Anrechnung schon am Fehlen eines rechtzeitigen Tätigkeitsnachweises scheitere.

[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren und die Eventualbegehren ab. Der Kläger habe der Beklagten innerhalb der Frist des § 26 Abs 6 VBG 1948 nur eine Bestätigung übermittelt, die nicht alle im Schreiben vom 17. 4. 2018 bezeichneten Angaben enthalten habe. Bereits aus diesem Grund sei die strittige Vordienstzeit von einer Anrechnung ausgeschlossen. Im Übrigen erfülle sie auch nicht die Voraussetzungen des § 26 Abs 3 VBG 1948.

[10] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers Folge und hob das angefochtene Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts enthalte die Arbeitsbestätigung eine Beschreibung der ausgeübten Tätigkeit, die sich schon aus der Berufsbezeichnung und der ihr zugrundeliegenden Metalltechnik-Ausbildungsordnung ergebe. Es sei auch das Arbeitszeitausmaß angegeben, und es liege nahe, dass mit den vom Kläger ausgebildeten Lehrlingen Jugendliche ab 15 Jahren gemeint seien. Von einer Präklusion sei daher nicht auszugehen. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht die Frage der Erfüllung der Anrechnungsvoraussetzungen nach § 26 Abs 3 VBG inhaltlich zu prüfen haben.

[11] Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs gegen seine Entscheidung für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Judikatur zur über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Auslegung des § 26 Abs 6 VBG 1948 vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der vom Kläger beantwortete Rekurs der beklagten Partei ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Der Rekurs ist aber nicht berechtigt.

[13] 1. Im Verfahren ist unstrittig, dass für die strittige Anrechnung von Vordienstzeiten § 26 VBG 1948 anzuwenden ist, der in seinen hier relevanten Absätzen lautet:

§ 26 (...)

(3) Über die in Abs 2 angeführten Zeiten hinaus sind Zeiten der Ausübung einer nützlichen Berufstätigkeit oder eines nützlichen Verwaltungspraktikums bis zum Ausmaß von insgesamt höchstens zehn Jahren als Vordienstzeiten anrechenbar. Eine Berufstätigkeit oder ein Verwaltungspraktikum ist nützlich, insoweit eine fachliche Erfahrung vermittelt wird, durch die

1. eine fachliche Einarbeitung auf dem neuen Arbeitsplatz überwiegend unterbleiben kann oder

2. ein erheblich höherer Arbeitserfolg durch die vorhandene Routine zu erwarten ist.(...)

(5)  Die oder der Vertragsbedienstete ist bei Dienstantritt von der Personalstelle nachweislich über die Bestimmungen zur Anrechnung von Vordienstzeiten zu belehren. Sie oder er hat sodann alle vor Beginn des Dienstverhältnisses zurückgelegten Vordienstzeiten nach Abs 2 oder 3 mitzuteilen. Die Personalstelle hat aufgrund dieser Mitteilung und bei Vorliegen entsprechender Nachweise die Dauer der anrechenbaren Vordienstzeiten festzustellen, um welche die für die Aufstufung wirksame Dienstzeit bei der Ermittlung der Einstufung zu verlängern ist.

(6) (...) Der Nachweis über eine Vordienstzeit ist spätestens bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tag der Belehrung zu erbringen. Wird der Nachweis nicht fristgerecht erbracht, ist die Vordienstzeit nicht anrechenbar.

[14] 2. Die Rekurswerberin bekämpft die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Kläger habe die Vordienstzeit, deren Anrechnung er begehrt, innerhalb der Frist des § 26 Abs 6 VBG 1948 hinreichend nachgewiesen. Sie vertritt den Standpunkt, er hätte seiner Nachweisobliegenheit nur mit einer Dienstgeberbestätigung genügen können, die – wie im Schreiben vom 17. 4. 2018 angefordert – neben der Bezeichnung des vom Kläger ausgeübten qualifizierten Berufs auch genauere Angaben über seine im Betrieb konkret verrichteten Tätigkeiten und die Angabe des Alters der von ihm ausgebildeten Lehrlinge enthalten hätte.

[15] 3. Die Bekanntgabe von Vordienstzeiten und deren Nachweis soll als Grundlage für die Personalstelle des Dienstgebers dienen, die für das Dienstverhältnis bedeutenden und daher nach Abs 3 leg cit anrechenbaren Vordienstzeiten festzustellen (vgl 9 ObA 30/20g).

[16] Die Frage, ob der vom Bediensteten innerhalb der Jahresfrist vorgelegte Nachweis im Sinn des § 26 Abs 5 und 6 VBG 1948 „entsprechend“ war, also für die inhaltliche Beurteilung der Anrechenbarkeit durch den Dienstgeber eine genügende Grundlage bietet, kann grundsätzlich nur einzelfallbezogen beantwortet werden.

[17] Entgegen den Revisionsausführungen kann dabei dahingestellt bleiben, ob der Kläger gegenüber seinem ehemaligen Dienstgeber einen Anspruch auf ein ausführlicheres Dienstzeugnis unter detaillierter Angabe der von ihm als Werkzeugmacher verrichteten Tätigkeiten gehabt hätte, weil offenkundig auch damit den vorgebrachten Anforderungen der Beklagten nicht genügt wäre.

[18] Richtig ist, dass sich aus der Funktion des Dienstzeugnisses, das Fortkommen des Arbeitnehmers zu fördern, nach der Rechtsprechung die Verpflichtung zur näheren Darstellung der Tätigkeit des Arbeitnehmers ergeben kann (RIS‑Justiz RS0029978 [T5, T6]). So lassen etwa Bezeichnungen wie „GeschäftsführerIn“ oder „SekretärIn“ für sich alleine wenig Rückschlüsse auf die konkret ausgeübte Tätigkeit zu, anders aber, wenn mit der allgemeinen Bezeichnung (hier: Werkzeugmacher) nach dem Verständnis der relevanten Verkehrskreise ein typisches Berufsbild umschrieben wird und die vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit dem auch entsprochen hat (vgl 9 ObA 17/22y Rz 6). Für eine Verpflichtung des Arbeitgebers, in einem Dienstzeugnis auch das genaue Alter der von einem gemäß § 3 BAG bestellten Ausbilder betreuten Lehrlinge anzugeben, besteht jedoch keine Rechtsgrundlage.

[19] 4. § 26 Abs 5 und 6 VBG 1948 regeln nicht näher, mit welchen Mitteln der Vertragsbedienstete den geforderten Nachweis erbringen kann.

[20] Die Vorlage von Versicherungsdatenauszügen und Dienstgeberbestätigungen wird bei unselbstständig ausgeübten Vordienstzeiten zweifellos die nächstliegende und zweckmäßigste Form sein, die aber nicht immer zur Verfügung steht, so wenn der frühere Dienstgeber nicht mehr existiert, oder wenn eine selbstständig ausgeübte Berufstätigkeit nachzuweisen ist.

[21] Das VBG 1948 enthält dem entsprechend keine Einschränkung der für die Erbringung des Nachweises zulässigen Beweismittel. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind daher nicht nur vom Dienstgeber ausgestellte Zeugnisse, sondern auch andere geeignete Urkunden, etwa Bestätigungen informierter Dritter, und auch eigene Erklärungen des Vertragsbediensteten, wenn sie als Nachweis vorgelegt werden, nicht unbeachtlich.

[22] 5. Mangels eines vergleichbaren Sachverhalts ist für die Beklagte auch aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 9 ObA 27/20s nichts zu gewinnen, in der die bloße Bescheinigung der Mitgliedschaft in mehreren Musikvereinen bei gleichzeitigem Fehlen einer Pflichtversicherung nicht als genügender Nachweis einer nach § 26 Abs 5 VBG 1948 mitgeteilten Berufstätigkeit als Dirigent beurteilt wurde.

[23] Im vorliegenden Fall sind hingegen mit der vorgelegten Arbeitsbestätigung nicht nur Bestand und Dauer des Vordienstverhältnisses, sondern auch der sich aus der Bezeichnung des ausgeübten Lehrberufs ergebende Inhalt der Tätigkeit und die Verantwortung für die Ausbildung von Lehrlingen belegt.

[24] Es kann als notorisch gelten, dass betriebliche Lehrlingsausbildungen in Österreich im Regelfall nach Ende der Pflichtschulzeit begonnen werden und (wesentlich) älter in die Ausbildung eintretende Lehrlinge Ausnahmen bilden. Der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich aus der Bestätigung der Ausbildertätigkeit auch ein schlüssiger Hinweis auf den Altersbereich der Auszubildenden ergibt, ist nicht korrekturbedürftig.

[25] Wäre es daher aus Sicht der Beklagten für ihre Entscheidung dennoch erheblich gewesen, eine noch genauere Tätigkeitsbeschreibung und detailliertere Informationen über die Altersstruktur der vom Kläger ausgebildeten Lehrlinge zu erhalten, wäre es ihr freigestanden, den Kläger zur Ergänzung bzw Verbesserung seines Nachweises aufzufordern. Hätte der Kläger die verlangte Ergänzung nicht beigebracht, hätte dies unter Umständen einen inhaltlichen Mangel, aber keine Verfristung des innerhalb der Jahresfrist gemäß § 26 Abs 6 VBG 1948 vorgelegten Nachweises bewirken können.

[26] Nach dem Sachverhalt bestand für die Beklagte aber tatsächlich kein weiterer Aufklärungsbedarf, denn sie hat in ihrer Entscheidung die Versagung der Anrechnung gegenüber dem Kläger nicht mit einem fehlenden Nachweis, sondern mit der mangelnden Bedeutung der Vordienstzeit für seine Lehrtätigkeit begründet. Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie – entgegen der nunmehr im Verfahren eingenommenen Position – sehr wohl in der Lage war, die Einschlägigkeit der Tätigkeit inhaltlich zu beurteilen.

[27] Mit ihrem erstinstanzlichen Vorbringen, dass bereits die vom Kläger in seinem angerechneten Vordienstverhältnis erworbene Erfahrung in der Ausbildung von Jugendlichen zur Verwirklichung der in § 26 Abs 3 Z 1 und 2 VBG 1948 genannten Zwecke ausreichend war und es weiterer Praxisjahre dazu nicht mehr bedurft habe (vgl RS0059620 [T4]), gestand die Beklagte implizit zu, dass die als fehlend monierten Angaben keine Bedeutung für ihre Entscheidung hatten, sondern sie in jedem Fall – auch bei theoretisch höchstmöglicher Übereinstimmung der ausgeübten Tätigkeit mit den Anforderungen des Vertragslehrerverhältnisses – zuungunsten der Anrechnung ausgefallen wäre.

[28] Davon ausgehend ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die vorgelegte Bestätigung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls einen im Sinn des § 26 Abs 6 VBG 1948 fristwahrend erbrachten Nachweis der Vordienstzeit darstellt, nicht zu beanstanden. Folgerichtig ist inhaltlich zu prüfen, inwieweit diese Beschäftigungszeit die für eine Anrechnung notwendigen Voraussetzungen des § 26 Abs 3 VBG 1948 erfüllt (vgl RS0059620 [insb T4]).

[29] Wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in der von ihm aufgrund einer zutreffenden rechtlichen Beurteilung dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (RS0042179 [T22]).

[30] Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

[31] Im Zwischenstreit über die verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts findet grundsätzlich kein Kostenvorbehalt statt (RS0123222; RS0035976 [T2]). Da der Rekurs hier jedoch zulässig war und zur Klärung der Rechtslage beigetragen hat, ist die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens der abschließenden Sachentscheidung vorzubehalten (RS0035976; 1 Ob 123/15t [Pkt 8]).

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