OGH 8ObA55/22d

OGH8ObA55/22d30.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C* B*, vertreten durch Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei G* W*, vertreten durch Nusterer & Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Mai 2022, GZ 7 Ra 128/21a‑35.2, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00055.22D.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Nach § 35 Z 21 NÖ GO 1973 ist, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, die Auflösung des Dienstverhältnisses ständiger Bediensteter dem Gemeinderat vorbehalten. Nach § 42 Abs 1 NÖ GVBG kann der Bürgermeister die Kündigung oder Entlassung eines unbefristet beschäftigten Vertragsbediensteten im Rahmen einer Eilzuständigkeit aussprechen, wenn dies im Gemeindeinteresse gelegen ist und die Genehmigung des zuständigen Organs der Gemeinde nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Diese Genehmigung ist jedoch ehestmöglich einzuholen.

[2] Eine durch einen erforderlichen Gemeinderatsbeschluss nicht gedeckte Willenserklärung des Bürgermeisters bindet mangels der dafür erforderlichen Vertretungsbefugnisse die Gemeinde grundsätzlich nicht (RIS‑Justiz RS0014664; RS0014717). Nach der Rechtsprechung kommt auch die nachträgliche Sanierung durch Genehmigung des zuständigen Gemeindeorgans bei einer ursprünglich fehlerhaften Entlassung ebenso wenig in Betracht wie die Entlassung unter einer vom Willen des Arbeitnehmers unabhängigen Bedingung, weil die Entlassung die Rechtslage mit Wirkung ex nunc gestaltet (RS0019484).

[3] Nach diesen Grundsätzen ist eine vom Bürgermeister allein ausgesprochene Entlassung nicht nur schwebend, sondern grundsätzlich unwirksam, wenn der Bürgermeister zum Ausspruch der Entlassung nach den Organisationsvorschriften nicht allein zuständig war (9 ObA 84/10h).

[4] Der Kläger wurde als Vertragsbediensteter der Beklagten am 27. 10. 2020 mündlich durch deren Bürgermeister entlassen. Bereits am 23. 10. 2020 berief der Bürgermeister eine außerordentliche Sitzung des Gemeinderats zum Thema der Entlassung ein, die am 29. 10. 2020 stattfand und in der die Vorgangsweise des Bürgermeisters genehmigt wurde.

[5] Beide Vorinstanzen beurteilten die Entlassung des Klägers als unwirksam, weil die Voraussetzungen für die Begründung der Eilzuständigkeit nach § 42 Abs 1 NÖ GVBG nicht erfüllt gewesen seien.

[6] Die Revisionswerberin führt gegen diese Beurteilung ins Treffen, dass zwischen Bekanntwerden des Entlassungsgrundes und frühestmöglichem Zusammentreffen des Gemeinderats sechs Tage gelegen seien und in einem so langen Zuwarten ein Verstoß gegen das Gebot der Unverzüglichkeit gesehen werden konnte. Es habe dadurch das für die Eilzuständigkeit des Bürgermeisters erforderliche Interesse der Gemeinde an einem sofortigen Handeln bestanden.

[7] Mit diesen Ausführungen zeigt die Revision keine über die Umstände des Einzelfalls hinaus erhebliche Rechtsfrage auf.

[8] Es ist richtig ist, dass den Arbeitgeber die Obliegenheit trifft, ihm bekannt gewordene Entlassungsgründe unverzüglich geltend zu machen (RS0028965; RS0031799). Die Verletzung der Obliegenheit zur unverzüglichen Geltendmachung führt zum Untergang des Entlassungsrechts im konkreten Fall, ohne Rücksicht darauf, ob die Entlassung ansonsten gerechtfertigt ist oder nicht (vgl etwa Wolliger in ZellKomm³ § 120 ArbVG Rz 64 f).

[9] Der Dienstgeber darf mit der Ausübung seines Entlassungsrechts nicht wider Treu und Glauben so lange warten, dass der Angestellte aus diesem Zögern auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen muss; der Dienstnehmer, dem ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, soll darüber hinaus nicht ungebührlich lange über sein weiteres dienstrechtliches Schicksal im Unklaren gelassen werden (RS0031799).

[10] Bei Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Entlassung ist aber nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung bei juristischen Personen und insbesondere im öffentlichen Bereich zu berücksichtigen, dass die Willensbildung umständlicher ist als bei physischen Personen. Es müssen solche Verzögerungen als berechtigt anerkannt werden, die in der Natur des Dienstverhältnisses oder sonst in den besonderen Umständen des Falls sachlich begründet sind (RS0029328). Auch dafür sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (RS0031799 [T28]).

[11] Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass bei einer notwendigen Frist von sechs Tagen für die Einberufung des Gemeinderats selbst bei der gebotenen objektiven ex-ante-Betrachtung noch keine Verzögerung drohte, die zum Untergang des Entlassungsrechts mangels unverzüglicher Geltendmachung führen hätte können, hält sich im Rahmen der dargestellten ständigen Rechtsprechung.

[12] Der Überzeugungskraft des Revisionsvorbringens steht bereits entgegen, dass der Bürgermeister die Entlassung nicht sofort nach Fassung seines Entschlusses ausgesprochen hat, wie es bei von ihm angenommener Dringlichkeit zu erwarten gewesen wäre, sondern erst vier Tage später und nur zwei Tage vor der anberaumten Gemeinderatssitzung. Dazu kommt, dass der Kläger aufgrund der gegen ihn erhobenen Verdachtsgründe bereits dienstfrei gestellt war und deswegen auch aus einem einige Tage längeren Klärungs- und Entscheidungsprozess noch nicht auf einen Entlassungsverzicht schließen hätte können (RS0021594 [T2]; RS0028987).

[13] Was die Revisionswerberin mit dem Vorbringen, bezweckt, dass über die vorgeworfenen Entlassungsgründe nach wie vor ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig sei, bleibt unklar. Sollte der Sachverhalt im Entlassungszeitpunkt noch gar nicht hinreichend aufgeklärt gewesen sein, hätte die Gefahr einer Verspätung der Entlassung umso weniger gedroht (vgl RS0029309; RS0028987 [T7]).

[14] Die rechtliche Beurteilung, dass die im November 2020 erfolgte Zustellung des am 23. 10. 2020 im Namen des Bürgermeisters abgeschickten, dem Kläger bei der Entlassung bereits mündlich angekündigten Entlassungsschreibens aufgrund seines Inhalts nicht nachträglich in eine eigene Willenserklärung des Gemeinderats umgedeutet werden kann, ist nicht zu beanstanden.

[15] Eine unwirksame, weil von einem nicht zuständigen Organ ausgesprochene Entlassung kann entgegen den Revisionsausführungen nicht gemäß § 35 Abs 3 NÖ GVBG in eine Kündigung umgedeutet werden. Auch für den Ausspruch einer Kündigung wäre nach § 35 Z 21 NÖ GO der Gemeinderat zuständig gewesen.

[16] Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Stichworte