OGH 12Os61/22w

OGH12Os61/22w18.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. August 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M., in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Dr. Blecha in der Strafsache gegen G* A* wegen des Vergehens der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB, AZ 79 Hv 2/21g des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des genannten Gerichts vom 12. März 2021, GZ 79 Hv 2/21g‑22, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00061.22W.0818.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 12. März 2021, GZ 79 Hv 2/21g‑22, verletzt § 178 StGB.

Dieses Urteil wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

G* A* wird gemäß § 259 Z 3 StPO von dem Vorwurf freigesprochen, er habe Handlungen begangen, die geeignet waren, die Gefahr der Verbreitung einer anzeigepflichtigen übertragbaren Krankheit, nämlich der durch den Erreger SARS‑CoV‑2 ausgelösten Erkrankung COVID‑19 (Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz vom 26. Jänner 2020, BGBl II 2020/15) unter Menschen herbeizuführen, indem er in der Zeit von 5. bis 7. Juli 2020 gegenüber den Amtsärztinnen Dr. * L* und Dr. * M* die Mitwirkung bei der Erhebung potentieller Kontaktpersonen (Contact Tracing) verweigerte, keine Angaben dazu machte, wann er mit welchem Bus über welche Route aus der Republik * zurückkehrte, und wahrheitswidrig angab, nur mit seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Gattin A* A* Kontakt gehabt zu haben.

 

Gründe:

[1] G* A* wurde mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem und in gekürzter Form ausgefertigtem (§ 270 Abs 4 iVm § 488 Abs 1 StPO) Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Klagenfurt vom 12. März 2021, GZ 79 Hv 2/21g‑22, des Vergehens der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB schuldig erkannt und nach § 43a Abs 2 StGB zu einer mit einer unbedingten Geldstrafe kombinierten bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

[2] Danach hat er Handlungen begangen, die geeignet waren, die Gefahr der Verbreitung einer anzeigepflichtigen übertragbaren Krankheit, nämlich der durch den Erreger SARS‑CoV‑2 ausgelösten Erkrankung COVID‑19 (Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz vom 26. Jänner 2020, BGBl II 2020/15) unter Menschen herbeizuführen, indem er in der Zeit von 5. bis 7. Juli 2020 gegenüber den Amtsärztinnen Dr. * L* und Dr. * M* die Mitwirkung bei der Erhebung potentieller Kontaktpersonen (Contact Tracing) verweigerte, keine Angaben dazu machte, wann er mit welchem Bus über welche Route aus der Republik * zurückkehrte, und wahrheitswidrig angab, nur mit seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Gattin A* A* Kontakt gehabt zu haben.

[3] In ihrer gegen dieses Urteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes führt die Generalprokuratur aus:

„Der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB macht sich strafbar, wer eine Handlung begeht, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen, wenn die Krankheit ihrer Art nach zu den wenn auch nur beschränkt anzeige‑ oder meldepflichtigen Krankheiten gehört.

Aus der Einordnung in den siebenten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB folgt, dass auch der Tatbestand des § 178 StGB das Herbeiführen einer Gefahrensituation verlangt (vgl dazu die Überschrift des § 178 StGB 'Gefährdung von Menschen').

Die in diesem Tatbestand beschriebene Gefahr ist jene der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen. Die Strafbarkeit ist an die objektive Bedingung geknüpft, dass die Krankheit ihrer Art nach, das heißt, unabhängig von den Umständen des Einzelfalls, zu den wenn auch nur beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen Krankheiten gehört, womit sich der Vorsatz nicht auf die Anzeige- oder Meldepflicht beziehen muss (EBRV 30 BlgNR 13. GP  322; Murschetz in WK2 StGB §§ 178, 179 Rz 5; Flora, SbgK § 178 Rz 33; Kienapfel/Schmoller StudB BT III2 §§ 178, 179 Rz 10;RIS‑Justiz RS0133916).

Bezweckt wird, die Bevölkerung vor den Gefahren einer Ansteckung mit bestimmten übertragbaren Krankheiten zu schützen (Murschetz in WK2 StGB §§ 178, 179 Rz 1; Flora, SbgK § 178 Rz 5).

§ 178 StGB ist als potentielles Gefährdungsdelikt ausgestaltet (Flora, SbgK § 178 Rz 3 und 14). Das bedeutet, dass die im Tatbestand beschriebene (Verbreitungs‑)Gefahr zwar nicht tatsächlich eintreten, die Tathandlung aber typischerweise geeignet sein muss, sie herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0133917).

Der Rechtsfrage (vgl Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 74 Rz 34) nach der Gefährdungseignung logisch vorgelagert ist aber die – auf der Feststellungsebene angesiedelte – Frage nach dem Vorliegen einer übertragbaren Krankheit, also einer solchen, bei der ein Krankheitserreger unmittelbar oder mittelbar von einem Individuum auf ein anderes übergehen kann (EBRV 30 BlgNR 13. GP  322). Um überhaupt in die Eignungsprüfung der Tathandlung eintreten zu können, muss das Gericht daher jeweils fallbezogen das Vorhandensein eines entsprechenden Krankheitserregers feststellen (RIS‑Justiz RS0133918).

Ein – wie hier – in gekürzter Form ausgefertigtes Urteil hat keine Entscheidungsgründe (iSd § 270 Abs 2 Z 5 StPO) zu enthalten (§ 270 Abs 4 Z 1 StPO; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 60; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 270 Rz 25). Da Entscheidungen rechtlich jedoch stets nur im Verhältnis zu den ihnen zugrunde gelegten Sachverhaltsannahmen richtig oder falsch sein können, wird insoweit das Erkenntnis (§§ 260 Abs 1 Z 1, 270 Abs 2 Z 4 StPO) als Bezugspunkt für die materiell‑rechtliche Beurteilung herangezogen (Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 6; RIS‑Justiz RS0125032, RS0125764 [T4]).

Fallgegenständlich ist diesem ein Sachverhaltssubstrat zum Vorhandensein eines Krankheitserregers schlechterdings nicht zu entnehmen. Insoweit vermögen aber die Urteilsannahmen die Subsumtion unter § 178 StGB nicht zu tragen.“

 

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[4] Der Generalprokuratur ist im Ergebnis zuzustimmen, dass die Sachverhaltsannahmen im angefochtenen Urteil den Schuldspruch nicht tragen.

[5] Entgegen der in der Nichtigkeitsbeschwerde vertretenen Ansicht kommt es fallaktuell jedoch nicht auf das Vorhandensein eines Krankheitserregers an. Denn das dem Verurteilten zur Last gelegte Verhalten, nämlich die Erstattung falscher Angaben beim Contact Tracing, ist – unabhängig vom Vorhandensein eines entsprechenden Krankheitserregers – nicht typischerweise geeignet, die konkrete Gefahr der Verbreitung der Krankheit herbeizuführen (vgl RIS‑Justiz RS0133917; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 178 Rz 1, 2/1; aA Schallmoser-Schweiberer, Corona-Sünder – „Geht‘s noch?!“ oder schon strafbar?, [Neu-]Betrachtung der §§ 178, 179 StGB [Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten], ALJ 2021, 115). Bei der Frage der Gefährdungseignung handelt es sich – entgegen Stimmen in der Literatur (Ayasch, COVID-19 – eine Renaissance für §§ 178, 179 StGB?, ZfG 2020, 54; R. Bauer, Die Ansteckungsgefahr mit Covid-19 und deren strafrechtliche Relevanz, ZWF 2020, 124, 126; Cohen, Isolation, Quarantäne, Coronapartys – Anwendbarkeit der §§ 178 f StGB bei Missachtung von COVID-19 – Verkehrsbeschränkungen, JSt 2020, 207; Migutsch, Husten einer nicht SARS‑CoV‑2‑infizierten Person; Subsumtionsfreispruch, JSt 2021, 422; Rebisant, Strafrechtliche Risiken aufgrund COVID-19, GRAU 2020, 75; Schallmoser-Schweiberer, ALJ 2021, 105) – um eine Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0133918), welche nicht durch Sachverhaltsfeststellungen in objektiver und subjektiver Hinsicht zu klären ist. Ob einer Handlung die erforderliche Eignung zukommt, ist von den Gerichten nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beantworten (13 Os 130/21y, 131/21w, RZ 2022, 112 mit Anm Danek).

[6] Diese Gesetzesverletzung wirkt sich zum Nachteil des Verurteilten aus. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, deren Feststellung – wie aus dem Spruch ersichtlich – gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verbinden.

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