OGH 8Ob104/21h

OGH8Ob104/21h18.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* K*, vertreten durch MMag. Dr. Verena Rastner, Rechtsanwältin in Lienz, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch Dr. Johannes Hibler, Rechtsanwalt in Lienz, wegen 56.945,55 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 18.532 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgerichtvom 24. Juni 2021, GZ 1 R 61/21m‑59, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 1. Februar 2021, GZ 17 Cg 56/19f‑52, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00104.21H.0718.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.253,88 EUR (darin 208,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger wurde am 6. 7. 2016 im Rahmen einer Operation im Krankenhaus des beklagten Gemeindeverbands geschädigt. Es wurde ein Nerv durchtrennt, wodurch der Kläger einen Zwerchfellhochstand erlitt. In einem Vorverfahren wurde rechtskräftig festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger für alle zukünftigen Folgen und Schäden aus dieser Operation zu haften hat.

[2] Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren auf Ersatz des kausalen Verdienstentgangs des Klägers für den Zeitraum vom 28. 9. 2016 bis 31. 8. 2020. Der Kläger war in diesem Zeitraum verletzungsbedingt arbeitslos und bezog neben anderen Einkünften, deren Anrechnung unstrittig ist, auch insgesamt 18.532 EUR an Notstandshilfeleistung.

[3] Die beklagte Partei wandte ein, dass auch die Notstandshilfe als Einkommen des Klägers zu betrachten und auf seinen ersatzfähigen Verdienstentgang anzurechnen sei.

[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 38.413,55 EUR unter Abweisung des Mehrbegehrens teilweise statt. Entgegen der bisher herrschenden Rechtsprechung sei eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe nicht angebracht. Es handle sich in beiden Fällen um Versicherungsleistungen, auf die bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Rechtsanspruch bestehe und die keiner gesetzlichen Regressregelung iSd § 332 ASVG unterlägen.

[5] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts im zur Gänze klagsstattgebenden Sinn ab.

[6] Die Gewährung der Notstandshilfe beruhe nach § 33 Abs 1 AlVG auf einer Kann-Bestimmung und setze im Unterschied zum Anspruch auf Arbeitslosengeld eine Notlage des Versicherten voraus. Nach der ständigen Rechtsprechung verfolge die Gewährung der Notstandshilfe aber nicht den Zweck, einen Schädiger von seiner Ersatzpflicht – mangels gesetzlicher Regressregelung endgültig auf Kosten der öffentlichen Hand – zu entlasten. Die Notstandshilfe stelle kein Erwerbseinkommen, sondern eine soziale Wohlfahrtsleistung mit dem Ziel der Vermeidung einer ansonsten bestehenden Notlage dar. Für ein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung, die eine Kongruenz und eine Anrechnung der Notstandshilfe auf Verdienstentgansprüche gegen Dritte ablehne, bestehe kein Anlass.

[7] Die nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO vom Berufungsgericht für zulässig erklärte Revision des Beklagten strebt die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung an. Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, jedenfalls aber ihm keine Folge zu geben.

[8] Die Revision ist im Sinne des nachträglichen Ausspruchs des Berufungsgerichts zur Klarstellung der Rechtslage zulässig.

[9] Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Das Berufungsgericht hat die ständige Rechtsprechung zur Frage der Anrechnung von Leistungen Dritter, insbesondere aber der Notstandshilfe, auf Verdienstentgangsansprüche eines Geschädigten einschließlich der dafür maßgebenden Erwägungsgründe umfassend und zutreffend dargestellt (RS0031478; RS0029090; vgl auch RS0021644; RS0114259; RS0022789; RS0031301 [T3]; s auch RS0031407; 6 Ob 260/03h; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1312 Rz 13 f). Auf diese Ausführungen kann ohne Wiederholung verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

[11] 2. Die Revision führt ins Treffen, dass die dargestellte Rechtsprechungslinie und insbesondere die Begründung der Entscheidung 6 Ob 260/03h, in der Literatur auf beachtliche Kritik gestoßen sei, mit der sich der Oberste Gerichtshof in der Folge noch nicht eingehend auseinandergesetzt habe.

[12] 3. An der Überlegung, dass mangels bestehender konkreterAnordnung einer Legalzession zugunsten des Trägers der Notstandshilfe grundsätzlich abgewogen werden muss, ob durch eine Anrechnung der bezogenen Notstandshilfe auf den Verdienstentgang eine Entlastung des Schädigers eintreten soll, oder ob durch Nichtanrechnung eine Bereicherung des Geschädigten in Kauf genommen wird, ist festzuhalten. Sie wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt. Ob eine Legalzession im Wege der Analogie zu § 332 ASVG de lege lata argumentierbar wäre (vgl zB Windisch‑Graetz Arbeitskollegenhaftung bei Personenschäden, ZAS 2009, 259 [262]), ist im vorliegenden Verfahren, in dem dies insoweit gar nicht releviert wird, nicht zu prüfen.

[13] 4. Der Verweis der Revision auf Ch. Huber (Rechtsfolgen fehlender [spezialgesetzlicher] Legalzessionen, in FS Danzl, S 451 ff), der anmerkt, die ständige Rechtsprechung habe das wenig überzeugende Ergebnis, dass es für den Geschädigten umso vorteilhafter sei, je eher sein Rechtsanspruch auf anzurechnende Leistungen ende, weil er danach den ungekürzten Verdienstentgang zusätzlich zur Notstandshilfe beziehen könne, führt diesen zu der Lösung, dass doch eine Legalzession zu bejahen sei, die hier aber nicht eingewendet wird (vgl auch RS0084869). Die Beklagte geht nicht davon aus, dass sie im Rahmen des Schadenersatzanspruchs den zur Milderung der Notlage des Geschädigten geleisteten Betrag an Notstandshilfe der Arbeitsmarktverwaltung (Bund) zu leisten hätte. Im Übrigen unterscheiden sich die im AlVG selbst für bestimmte Fragen vorgesehenen Modelle der Legalzession auch strukturell von § 332 ASVG (vgl etwa § 16 AlVG).

[14] Es wird auch außer Acht gelassen, dass der anspruchsbegründende Notstand und damit ein Doppelbezug gar nicht eintreten würde, wenn der Schädiger seiner Ersatzpflicht zeitlich kongruent zum entgangenen Verdienst nachkommen würde. Dagegen kann der Anspruch auf Verzugszinsen nicht eingewendet werden, denn auch dieser ist für den Geschädigten regelmäßig erst mit der Schadenersatzzahlung selbst zu lukrieren und vermag ihm nicht den notwendigen fortlaufenden Lebensunterhalt bis zum – womöglich durch einen langen Rechtsstreit oder Uneinbringlichkeit verzögerten – Empfang der Entschädigung zu finanzieren. Der Schädiger hat es in der Hand, durch die zeitlich kongruente Erfüllung seiner Ersatzpflicht einen Notstandshilfeanspruch des Geschädigten gar nicht entstehen zu lassen. Auch in diesem Fall, der dem Idealfall einer strikt rechtskonformen Erfüllung der Schadenersatzpflicht entsprechen würde, wäre der Schädiger aber selbstverständlich zur Leistung des ungekürzten Verdienstentgangs verpflichtet. Es wäre daher letztlich der Schädiger, der durch die Anrechnung der Notstandshilfe einen ungerechtfertigten Vorteil erlangen würde, weil er damit für die Verzögerung der Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtung belohnt würde.

[15] 5. Bei der Notstandshilfe handelt es sich gerade wegen der Anspruchsvoraussetzung des Bestehens einer Notlage um eine Leistung mit Unterhaltscharakter, auf die in Ermangelung einer besonderen gesetzlichen Rückforderungsregelung – diese ist hier nicht zu klären (vgl allgemein § 24 AlVG) – die Grundsätze des Judikats 33 neu bedacht werden können (RS0114485). Diesen entspricht die in der Rechtsprechung zum Ausdruck kommende Nichtanrechnung der zur Beseitigung der anspruchsbegründenden Notlage typischerweise gutgläubig verbrauchten Notstandshilfe, während bei der Arbeitslosenunterstützung der Anspruch auch ohne Unterhaltsbedarf zusteht.

[16] Dies ist gerade dann sachlich gerechtfertigt, wenn die Notlage daraus resultiert, dass der Anspruch auf Verdienstentgang – insoweit stünde eine Notstandshilfe ohnehin nicht zu (vgl § 36a AlVG, Windisch‑Graetz aaO, 262) nicht zeitlich kongruent mit den damit abzudeckenden dringenden Lebensbedürfnissen erlangt werden kann. Es handelt sich um einen Vorteil, der – soweit nicht aus dem AlVG selbst ein Rückforderungsrecht ableitbar ist – wie andere gutgläubig verbrauchte Leistungen mit Unterhaltscharakter dem Berechtigten aus grundlegenden sozialen Erwägungen endgültig verbleiben soll, ohne dass der Schädiger in seiner Ersatzpflicht entlastet werden soll. Die Notstandshilfe ist auch subsidiär zu Unterhaltsansprüchen, die ebenfalls nicht der Anrechnung auf den Verdienstentgang unterliegen (RS0031301).

[17] 6. Dem in der Literatur als überholt und nicht überzeugend kritisierten Argument, dass auf die Notstandshilfeleistung im Unterschied ua zum Arbeitslosengeld kein gesetzlicher Anspruch bestehe (vgl Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek ABGB4 VII, § 332 ASVG Rz 5 mit kritischem Verweis auf EGMR Nr 39/1995/545/631 Gaygusuz gegen Österreich; Brodil,Sozialversicherungs- und Haftpflichtregress, ZVR 2011, 473 [476]; Windisch-Graetz, Arbeitskollegenhaftung bei Personenschäden, ZAS 2009, 259 [261 f]), kommt insoweit keine das Ergebnis tragende Bedeutung zu.

[18] 7. Der Revision war daher keine Folge zu geben.

[19] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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