European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00098.22A.0714.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die Klägerin eine Lebensgemeinschaft eingegangen ist, die nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem Ruhen ihres Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt führt. Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
[2] 1.1. Für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft spielt neben Eheähnlichkeit auch eine gewisse Dauer, auf die sie eingerichtet ist, und das Zusammenspiel der Elemente Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft eine Rolle, wobei anerkannt ist, dass im Sinn eines beweglichen Systems nicht stets alle drei Merkmale vorhanden sein müssen (RS0047000). Vielmehr kann das Fehlen eines Kriteriums durch das Vorliegen der anderen oder die Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt sein (RS0047000 [T1, T7]). Wie die maßgeblichen Kriterien für die Annahme einer Lebensgemeinschaft im konkreten Fall zu gewichten sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (3 Ob 241/13g mwN).
[3] 1.2. Eine Wohngemeinschaft liegt grundsätzlich vor, wenn die Lebensgefährten tatsächlich in einer Wohnung leben, die ihr dauernder gemeinsamer Lebensmittelpunkt sein soll. Sie muss über die bloßen „Nebenerscheinungen“ der (hier von der Klägerin mit einem Mann unstrittig eingegangenen) Geschlechtsgemeinschaft hinausgehen. Durch fallweises gemeinsames Übernachten in unregelmäßigen Abständen wird sie daher nicht begründet. Eine fehlende Wohngemeinschaft allein indiziert allerdings nicht zwingend, dass keine Lebensgemeinschaft vorliegt (3 Ob 237/11s mwN).
[4] 1.3. Unter Wirtschaftsgemeinschaft wird verstanden, dass die beiden Partner Freud und Leid miteinander teilen, einander Beistand und Dienste leisten und einander an den zur Bestreitung des Unterhalts, der Zerstreuung und der Erholung dienenden gemeinsamen Gütern teilnehmen lassen (RS0047035). Die Lebensgemeinschaft ist damit sowohl von einer zwischenmenschlichen als auch von einer wirtschaftlichen Komponente geprägt. Wenngleich ein Abstellen allein auf materielle Aspekte unter Ausblendung der seelischen Gemeinschaft unzulässig ist, dürfen die materiellen Aspekte dennoch nicht völlig vernachlässigt werden, weil sonst ein Zustand, wie er für das Zusammenleben von Ehegatten typisch ist, nicht mehr angenommen werden darf und die wirtschaftliche Bedeutung der Ehe für die Gatten nicht mehr ausreichend bedacht würde. Ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Gemeinschaft ist daher unverzichtbar (zuletzt etwa 3 Ob 35/20y mwN; RS0047035 [T4]; RS0047130 [T5]).
[5] 2. Nach den Feststellungen wohnen die Klägerin und der Mann, den sie 2013 nach der Scheidung von dem Beklagten kennengelernt hat, seit 2017 getrennt in übereinander im selben Haus liegenden Wohnungen. Es befinden sich keine persönlichen Gegenstände des einen in der Wohnung des anderen; keiner verfügt über einen Schlüssel zur Wohnung des anderen. Manchmal übernachtet die Klägerin in der Wohnung des Mannes, nur selten übernachtet der Mann in der Wohnung der Klägerin, die dort mit ihren beiden erwachsenen Töchtern lebt. Eine gemeinsame Haushaltsführung erfolgt nicht. Es wird weder gemeinsam eingekauft, noch gemeinsam gekocht; jeder versorgt auch selbst die eigene Wäsche. Gemeinsame Mahlzeiten werden nur gelegentlich eingenommen. Die beiden unterstützen sich wechselseitig weder in der Haushaltsführung noch bei Reparaturarbeiten in der Wohnung noch finanziell. Sie haben kein gemeinsames Konto und haben auch keine gemeinsamen Anschaffungen getätigt. Die Kosten gemeinsam unternommener Ausflüge und Urlaube werden zwischen ihnen penibel geteilt und abgerechnet.
[6] 3. Von diesen Feststellungen ausgehend gelangten die Vorinstanzen übereinstimmend zu der Auffassung, dass bei der gebotenen Gesamtschau die Umstände für die Annahme einer Lebensgemeinschaft nicht ausreichen. Der Revision gelingt es nicht, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung aufzuzeigen:
[7] 3.1. Der Revisionswerber macht geltend, es sei für die Begründung einer Wohngemeinschaft nicht zu verlangen, dass die Lebensgefährten tatsächlich in einer Wohnung lebten, wenn sie – wie hier – zwar zwei getrennte, aber unmittelbar aneinander grenzende Wohnungen bewohnten. Diesfalls sei es nicht notwendig, dass sich persönliche Gegenstände in der Wohnung des jeweils anderen befänden. Das Vorliegen einer Wohngemeinschaft sei das essentielle Kriterium für das Bejahen einer Lebensgemeinschaft.
[8] Der Revision ist zuzugestehen, dass nahe beieinander gelegene Wohnungen ein Indiz für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft sein können (vgl 3 Ob 31/91). Allerdings ist auch in diesem Fall eine Gesamtbetrachtung erforderlich, deren Ergebnis von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Dazu gehören hier das – offenkundig bewusste – Ausschließen jeder wirtschaftlichen Verflechtung, das Führen getrennter Haushalte und das Fehlen jeder gegenseitigen Unterstützung in den Angelegenheiten des täglichen Lebens. Eine allein auf die zwischenmenschliche Komponente (hier etwa gemeinsame Urlaube oder die Teilnahme an Familienfeiern) beschränkte „Wirtschaftsgemeinschaft“ reicht für die Annahme einer Lebensgemeinschaft regelmäßig nicht aus (3 Ob 35/20y mwN).
[9] 3.2. Richtig ist, dass Partner, bei denen die äußeren Umstände das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft vermuten lassen, eine „Offenlegungspflicht“ hinsichtlich ihrer inneren Einstellung und einer über eine intime Beziehung hinausgehenden Bindung trifft (RS0047081). Dabei handelt es sich um eine Frage der Beweislastverteilung (RS0047081 [T1]). Die Frage der Beweislast stellt sich aber dann nicht mehr, wenn die Tatsacheninstanzen ohnehin – wie hier – positive Feststellungen getroffen haben (RS0039939 [T29]). Dies lässt der Beklagte außer Acht, wenn er den Vorinstanzen vorwirft, sie hätten ihm zu Unrecht die Beweislast für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft auferlegt. Auch die Frage nach der Zulässigkeit eines Anscheinsbeweises ist bei Vorliegen positiver Feststellungen unerheblich.
[10] 3.3. Im Übrigen meint der Revisionswerber, das konkrete Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Mann, die nach den Feststellungen als „Paar“ bzw „zusammengehörend“ wahrgenommen werden, lasse das Unterhaltsbegehren sittenwidrig erscheinen. Dabei beruft er sich auf Formulierungen in vereinzelten Entscheidungen, wonach ein Unterhaltsbegehren bei einer intensiven und umfassenden Beziehung, „die den Rückgriff auf die Fortwirkungen der Ehe ächte und den Unterhaltspflichtigen der Lächerlichkeit preisgebe“, sittenwidrig sei (6 Ob 28/07x, offenbar beruhend auf Ob I 256/26 SZ 8/112). Diese Formulierungen betrafen jedoch Fälle, in denen eine Lebensgemeinschaft vorlag, und sollten nur ein (weiteres) Argument für das Ruhen des Unterhaltsanspruchs sein. Bei Nichtvorliegen einer Lebensgemeinschaft lässt sich daraus nichts ableiten.
[11] 3.4. Der Ansicht des Beklagten, schon das gezielte Abstimmen des Zusammenlebens dahin, dass den Kriterien für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft nicht entsprochen werde, sei sittenwidrig, kann jedenfalls nicht beigetreten werden. Letztlich bleibt er jegliche nachvollziehbare Begründung dafür schuldig, warum aus dem bewussten Entschluss der beiden, keine Lebensgemeinschaft miteinander einzugehen, ein Ruhen seiner Unterhaltspflicht abzuleiten wäre.
[12] 4. Da sich die Entscheidung der Vorinstanzen innerhalb des mit der Anwendung eines beweglichen Systems verbundenen Beurteilungsspielraums bewegt, ist die außerordentliche Revision des Beklagten zurückzuweisen.
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