OGH 7Ob208/21w

OGH7Ob208/21w28.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* W*, vertreten durch Mag. Andreas Hörmann, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei D* AG *, vertreten durch die Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 16.113,43 EUR sA, über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. September 2021, GZ 1 R 96/21a‑16, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. Mai 2021, GZ 64 Cg 66/20p‑12, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00208.21W.0428.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.175,22 EUR (darin 195,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin schloss über Vermittlung eines Maklers mit der Beklagten einen fondsgebundenen (Er‑ und Ab‑)Lebensversicherungsvertrag mit dem Versicherungsbeginn 1. 7. 2007und einer Laufzeit von 25 Jahren. Sie wurde nicht über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG belehrt.

[2] Die Klägerin zahlte an die Beklagte Prämien von insgesamt 53.138 EUR, darin 103 EUR Risikokosten und 2.043,62 EUR Versicherungssteuer.

[3] Die Klägerin kündigteam 30. 3. 2011 den Versicherungsvertrag, woraufhin ihr die Beklagte den Rückkaufswert von 34.877,65 EUR auszahlte. Am 19. 12. 2018 erklärte die Klägerin durch ihren Anwalt den Rücktritt vom Vertrag.

[4] Die Klägerin begehrte infolge Rücktritts vom Versicherungsvertrag wegen unrichtiger bzw unterbliebener Belehrung über ihr Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG die Rückzahlung der geleisteten Prämien, abzüglich Risikokosten, Versicherungssteuer und Rückkaufswert, insgesamt 16.113,43 EUR samt Zinsen ab Klagszustellung.

[5] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte – soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – ein, dass im Falle eines Rücktritts nur der Rückkaufswert auszuzahlen sei, und kein Anspruch auf Rückzahlung von Verwaltungs‑ und Abschlusskosten bestehe.

[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es führte rechtlich zusammengefasst aus, die Verwaltungs‑ und Abschlusskosten seien bei der zufolge Rücktritts gebotenen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nicht bereicherungsmindernd abzuziehen.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Zu den Verwaltungskosten habe der Oberste Gerichtshof bereits dahin Stellung genommen, dass diese nicht abzuziehen seien; die Abschlusskosten seien ebenso zu beurteilen.

[8] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil sich der Oberste Gerichtshof zur Frage der Abschlusskosten noch nicht geäußert habe.

[9] Die ordentliche Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt Abänderung dahin, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerinbeantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1.1. Die Vorinstanzen sind übereinstimmend zum Ergebnis gelangt, dass der Klägerin ein Rücktrittsrecht nach § 165a Abs 1 VersVG idF BGBl I 2006/95 („Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen 30 Tagen nach seiner Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten.“) zustand, weil sie über dieses Recht nicht belehrt wurde; dem unbefristeten Rücktrittsrecht stand nicht entgegen, dass der Versicherungsvertrag bereits gekündigt war und die Beklagte dem Kläger auch schon den Rückkaufwert ausbezahlt hatte (vgl 7 Ob 10/20a; 7 Ob 40/20p; RS0132998).

[13] Diese selbständige rechtliche Beurteilung wird in der Revision nicht mehr angegriffen und ist der weiteren rechtlichen Beurteilung zugrundezulegen.

[14] 1.2. Die Versicherungssteuer (vgl RS0133271) und die Risikokosten (vgl RS0133370) sowie den bereits ausgezahlten Rückkaufswert – in jeweils unstrittiger Höhe – hat bereits die Klägerin in Abzug gebracht. Zinsen hat sie nur aus der verbleibenden Differenz und erst ab Klagszustellung begehrt. Zu diesen Punkten stellen sich hier keine weiteren Rechtsfragen.

[15] 2.1. Aufgrund der Beantwortung der Vorlagefrage 4 durch den EuGH in der Rechtssache C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, judiziert der Fachsenat in ständiger Rechtsprechung wie folgt:

[16] Da im österreichischen Recht (VersVG) die Rechtswirkungen für den Fall, dass dem Versicherungsnehmer keine oder fehlerhafte Informationen über das Rücktrittsrecht mitgeteilt wurden, nicht geregelt sind, löst bei richtlinienkonformer Auslegung des nationalen österreichischen Rechts ein Rücktritt des Versicherungsnehmers nicht die Rechtsfolgen nach § 176 VersVG idF vor BGBl I 2018/51 aus, sondern hat zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags zu führen (7 Ob 19/20z; 7 Ob 10/20a; 7 Ob 11/20y; 7 Ob 15/20m; 7 Ob 192/20s; vgl 7 Ob 185/21p). § 1435 ABGB räumt einen Rückforderungsanspruch ein, wenn der zunächst vorhandene rechtliche Grund – wie bei einem Rücktritt – wegfällt; der Wegfall des Vertrags beseitigt bei beiden Parteien den Rechtsgrund für das Behalten der empfangenen Leistungen (vgl 7 Ob 15/20m mwN).

[17] Das bedeutet hier, dass die Klägerin aufgrund der infolge des wirksamen Rücktritts vorzunehmenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung grundsätzlich Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten (Netto‑)Prämien hat (7 Ob 8/20g; 7 Ob 200/20t).

[18] 2.2. Die Revision und die von ihr zitierte Lehrmeinung Potacs‘ (Rechtsfolgen eines Rücktrittes von Lebensversicherungsverträgen, VR 3‑4/2020, 35), es liege eine Interpretation contra legem vor, zeigen keine neuen Aspekte auf, die der Senat nicht bereits erwogen hätte (vgl 7 Ob 185/21p zu Potacs, Rechtswirkungen eines „Spätrücktrittes“ contra legem? VR 9/2021, 27), oder die ihn zu einem Abgehen von seiner Rechtsprechung veranlassen könnten.

[19] 2.3. Bei der Rückabwicklung von Geldleistungen ist Rückzahlung geschuldet (Rummel in Rummel, ABGB3 § 1437 [2002] Rz 11); dabei sind redliche Vertragspartner nicht zur Erstattung der von ihnen gezogenen Früchte und Nutzungen verpflichtet (RS0010214 [insb T4, T5]). Letztere werden hier aber gar nicht begehrt, sodass die Frage der Redlichkeit der Beklagten nicht relevant ist; in der Revision hierzu behauptete primäre und sekundäre Verfahrensmängel liegen nicht vor.

[20] 3.1. Der Fachsenat judiziert in ebenfalls ständiger Rechtsprechung, dass im Fall eines (Spät‑)Rücktritts von einer fondsgebundenen Lebensversicherung das Verlustrisiko nicht dem vom Vertrag berechtigt zurückgetretenen Versicherungsnehmer zuzuweisen ist (RS0133371).

[21] 3.2. Der Senat hat weiters bereits ausgesprochen, dass die für die Frage von Fondsverlusten maßgeblichen Erwägungen auch für die Verwaltungskosten des Versicherers gelten; diese haben sich in dessen Vermögen realisiert und ihnen steht auf Seite des Versicherungsnehmers keine zuordenbare Bereicherung gegenüber (vgl 7 Ob 194/20k = RS0133371 [T1]).

[22] 3.3. Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, ist auch in Ansehung der Abschlusskosten keine andere Beurteilung geboten. Der Rücktritt der Klägerin vom mit der Beklagten geschlossenen Geschäft (Versicherungsvertrag) beschränkt sich auf dieses Geschäft, erfasst aber nicht Zahlungen, welche die Beklagte aus diesem Anlass an Dritte geleistet hat; diese beeinflussen die Höhe des Bereicherungsanspruchs der Klägerin nicht, da bei Geldleistungen generell die nützliche Verwendung durch den Empfänger unterstellt und daher eine Berufung auf den nachträglichen Wegfall der Bereicherung nicht gestattet wird (7 Ob 117/20m [Pkt 7.] mwN). Zudem würde ein Abzug der Abschlusskosten im Ergebnis zur Entwertung des Rücktrittsrechts und Beschränkung der Rückabwicklung auf den Rückkaufswert führen (vgl Perner/Spitzer, Rücktritt von der Lebensversicherung [2020] 71 f).

[23] 3.4. Nach § 30 Abs 1 MaklerG steht dem Versicherungsmakler aus einem Maklervertrag mit dem Versicherungskunden keine Provision, sonstige Vergütung oder Aufwandsentschädigung zu, wenn nicht ausdrücklich und schriftlich etwas Abweichendes vereinbart ist. Eine solche Vereinbarung wurde hier weder behauptet noch festgestellt.

[24] Demgegenüber wird der Maklervertrag zwischen Versicherungsmakler und Versicherer aufgrund einer Rahmenprovisionsvereinbarung im Einzelfall geschlossen. Übermittelt der Versicherungsmakler das Anbot des Versicherungskunden auf Abschluss eines Versicherungsvertrags an den Versicherer, liegt darin sogleich ein Anbot des Maklers auf Abschluss eines Maklervertrags mit dem Versicherer, wobei es einer ausdrücklichen Annahmeerklärung nicht bedarf und schon die Übersendung der Versicherungspolizze an den Versicherungsmakler zur Überprüfung die schlüssige Annahme des Anbots auf Abschluss des Maklervertrags verwirklicht (vgl RS0116570). Der Anspruch auf Provision entsteht mit der Rechtswirksamkeit des vermittelten Geschäfts, wenn und soweit der Versicherungskunde die geschuldete Prämie bezahlt hat oder zahlen hätte müssen, hätte der Versicherer seine Verpflichtungen erfüllt (§ 30 Abs 2 MaklerG).

[25] Das Argument der Revision, die Beklagte habe mit der Zahlung von Maklerprovisionen gemäß § 30 MaklerG iVm § 176 VersVG eine Verpflichtung erfüllt, welche die Klägerin selbst zu begleichen gehabt hätte und ausschließlich zu deren Vorteil erfolgt sei, ist daher nicht stichhältig.

[26] 3.5. Zusammengefasst haben sich auch Abschlusskosten – hier die Kosten eines vom Versicherer nach § 30 MaklerG nach Versicherungsabschluss honorierten Maklers – im Vermögen des Versicherers realisiert, und es steht ihnen auf Seite des Versicherungsnehmers keine zuordenbare Bereicherung gegenüber; sie schmälern daher seine bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüche nach berechtigtem (Spät‑)Rücktritt nicht.

[27] 4. Erstmals in der Revision aufgestellte Behauptungen zum Inhalt der Versicherungsbedingungen sind als Neuerungen unbeachtlich.

[28] Es kommt nicht darauf an, in welcher konkreten Höhe im Einzelnen Verwaltungskosten entstanden und Abschlusskosten an einen Makler zu zahlen gewesen wären.

[29] Auch in diesen Zusammenhängen von der Revision ins Treffen geführte primäre und sekundäre Verfahrensmängel liegen nicht vor.

[30] 5. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

[31] 6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO. Ein ERV-Zuschlag gemäß § 23a erster Satz RATG in Höhe von 4,10 EUR gebührt nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für fortgesetzte Schriftsätze, unter denen auch alle Rechtsmittelschriftsätze zu verstehen sind (RS0126594 [T1]; nunmehr 2,10 EUR).

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