OGH 8ObA94/21p

OGH8ObA94/21p30.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M* H*, vertreten durch die Ganzert & Partner Rechtsanwälte OG in Wels, gegen die beklagte Partei Österreichische Postbus Aktiengesellschaft, 1100 Wien, Am Hauptbahnhof 2, vertreten durch die Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 657,23 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Oktober 2021, GZ 12 Ra 89/21a‑20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Mai 2021, GZ 14 Cga 49/20x‑16a, zum Teil abgeändert und zum Teil aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00094.21P.0330.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Das Teilurteil wird in seinem ersten Absatz dahin abgeändert, dass es lautet:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 164,30 EUR samt 8,58 % Zinsen aus 21,20 EUR ab 1. Dezember 2019, aus 37,10 EUR ab 1. Jänner 2020, aus 18,55 EUR ab 1. Februar 2020, aus 34,45 EUR ab 1. März 2020, aus 18,55 EUR ab 1. April 2020 und aus 34,45 EUR ab 1. Mai 2020 zu bezahlen, wird abgewiesen.“

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird dem Erstgericht vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist seit November 1990 bei der Beklagten bzw ihrer Rechtsvorgängerin als Omnibuslenker beschäftigt. Sein Dienstverhältnis unterliegt den allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen (AVB). Der Kläger hat Anspruch auf eine Reisegebührenpauschale pro geleisteter Dienstschicht im Kraftwagenfahrdienst. Deren Höhe betrug gemäß Punkt 15 der „Betriebsvereinbarung gemäß Art 7 des Bundesbahnstrukturgesetzes 2003 über die Fahrgebühren für das Kraftwagenfahrpersonal“ zunächst 6,15 EUR. Mit dem am 19. 11. 2020 zwischen der Beklagten und deren Zentralbetriebsrat abgeschlossenen „1. Nachtrag“ zur genannten Betriebsvereinbarung wurde die Pauschale auf 8,80 EUR erhöht.

[2] Der Kläger erhielt vor dem 1. 10. 2018 ein rechts oben als „GF‑INFO 19. Juli 18“ bezeichnetes und von zwei Geschäftsführern der Beklagten bzw deren Rechtsvorgängerin unterfertigtes Schreiben folgenden Inhalts (Beilage ./B):

„Die Buskollektivvertrags-Verhandlungen betreffend KV-Reform 2018 sind abgeschlossen

Was der neue Kollektivertrag unseren LenkerInnen bringt

Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter!

Die Kollektivvertragspartner haben sich nach langen KV-Verhandlungen auf nachstehende Änderungen geeinigt, welche ab 01. Oktober 2018 in Kraft treten.

1.) Der Stundenlohn wird für die Lohnkategorien „Kraftfahrer“ und „Berufskraftfahrer“ um 1,30 Euro erhöht. In der Lohntabelle wird der niedrigste Monatslohn somit bei 2.126,90 Euro liegen.

Die Erschwerniszulagen gemäß Punkt 2a und 2d (2. Teil) sind nun in diesen erhöhten Monatslohn eingerechnet. Dadurch werden die Zulagen auch beim 13. und 14. Monatslohn berücksichtigt, wodurch sich diese um über 500 Euro im Jahr erhöhen.

2.) Der Durchrechnungszeitraum wird angepasst und beträgt nun einheitlich fünf Wochen. Gleichzeitig wurde die maximal tägliche Normalarbeitszeit für die LenkerInnen gemäß Punkt III/2a (1. Teil) mit 10 Stunden vereinbart. Damit kann nun dem lang geforderten Wunsch vieler MitarbeiterInnen nach mehr zusammenhängende Freizeit Rechnung getragen werden.

Gleichzeitig wird eine weitere Harmonisierung mit jenen MitarbeiterInnen, die dem Dienstplan A24 unterliegen, erreicht. Damit sind die Rahmenbedingungen für die Planung weitgehend vereinheitlicht.

 

AVB MitarbeiterInnen, bei welchen die unter Punkt 1 angeführten Lohnerhöhungen nicht wirksam werden, erhalten im Gegenzug eine Erhöhung der Fahrgebühren um 2,65 Euro auf 8,80 Euro pro Fahrtag. Es werden auch Instruktorenpositionen neu vergeben bzw. nachbesetzt.

 

Mit diesem Kollektivvertragsabschluss ist unser Postbus wieder besser für den Wettbewerb am Markt gerüstet. In den nächsten Wochen werden wir in den Verkehrsleitungen für offene Fragen zu diesem Thema Sprechstunden anbieten.

 

Mit freundlichen Grüßen

[...]“

[3] Der Kläger ist ein AVB‑Mitarbeiter, bei dem die unter Punkt 1 der Beilage ./B angeführten Lohnerhöhungen nicht wirksam geworden sind (unstrittig).

[4] Der Kläger begehrt mit seiner Klage gestützt auf das genannte Schreiben für die Zeit von Oktober 2018 bis April 2020 657,23 EUR sA. Es handle sich um die Differenz zwischen der ihm pro Fahrtag ausbezahlten Reisegebühr von 6,15 EUR und der von ihm pro Fahrtag beanspruchten Reisegebühr von 8,80 EUR.

[5] Die Beklagte wandte ein, beim Schreiben habe es sich lediglich um eine allgemeine, nicht an den Kläger persönlich adressierte Information über die Kollektivvertragsverhandlungen gehandelt, aus der der Kläger keinen Anspruch ableiten könne. Außerdem erhob sie unter anderem einen Verfallseinwand.

[6] Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Schreiben der Geschäftsführer an die Belegschaft möge zwar grundsätzlich eine geeignete Verlautbarungsmethode darstellen, dass eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, mangels Bestehens einer solchen könne es aber keine höheren als die Ansprüche nach der damals geltenden Betriebsvereinbarung begründen. Auch eine einseitige Erhöhung der Fahrgebühren durch Selbstverpflichtung des Arbeitgebers scheide aus, weil das Schreiben klar auf eine Einigung mit dem Betriebsrat und auf den Abschluss eines Kollektivvertrags Bezug nehme. Das Schreiben sei als vorschnelle Information an die Mitarbeiter zu sehen. Aus ihm könne kein Willen des Arbeitgebers abgeleitet werden, den Einzelvertrag mit dem Kläger zu verändern.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil (in Rechtskraft erwachsenen) hinsichtlich der Abweisung einer Teilforderung in Höhe von 5,33 EUR samt 8,58 % Zinsen ab 1. April 2020 (betreffend zwei Fahrtage für März 2020). In Bezug auf eine Teilforderung von 164,30 EUR (betreffend die Monate November 2019 bis April 2020) gab es der Berufung des Klägers Folge und verurteilte die Beklagte zur Zahlung samt Zinsen. Im Übrigen – somit in Hinsicht auf das Mehrbegehren von 487,60 EUR samt Zinsen für die Monate Oktober 2018 bis Oktober 2019 – wurde das Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

[8] Rechtlich vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, nach dem objektiven Erklärungswert des Schreibens habe die Beklagte allen Mitarbeitern, für die die kollektivvertragliche Erhöhung laut Punkt 1. des Schreibens nicht greife, eine Erhöhung des bisherigen Aufwandsersatzes auf 8,80 EUR zugesagt. Es gehe für den sorgfältigen Erklärungsempfänger nicht um die bloße Mitteilung der Tatsache, dass nach Vorstellung der Geschäftsführung irgendwann einmal die Fahrgebühren erhöht werden, weil auch die KV‑Löhne erhöht werden, sondern darum, dass die AVB‑Mitarbeiter, die nicht unter die KV‑Erhöhung fallen, ab 1. 10. die Erhöhung um 2,65 EUR „im Gegenzug erhalten“; das heiße, dass die einen Mitarbeiter den höheren KV‑Lohn und die anderen parallel dazu die Fahrgelderhöhung erhalten. Es möge sein, dass das Schreiben voreilig versendet wurde, das ändere aber nichts daran, dass die betroffenen Arbeitnehmer von einem Bindungswillen der Beklagten ausgehen und darauf vertrauen hätten dürfen, dass ihnen die erhöhten Beträge auch ausbezahlt werden. Für sie sei die Voreiligkeit nicht erkennbar gewesen. Der Wortlaut des Schreibens sei eindeutig und auch klar nicht von der Bedingung der Zustimmung durch den Betriebsrat abhängig. Zusammengefasst liege eine einseitige Willenserklärung der Beklagten vor, der Bindungswirkung zukomme, weil sie auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtet gewesen sei und eine Vertrauenslage geschaffen habe. Es sei die Erhöhung des Fahrgeldes um 2,65 EUR ab 1. 10. 2018 zugesagt worden. Der Kläger habe aufgrund von Form und Übermittlung der Erklärung auf den Inhalt vertrauen dürfen. Somit habe er grundsätzlich einen Anspruch auf das erhöhte Fahrgeld ab 1. 10. 2018. Allerdings sei die Frage des Verfalles der mehr als drei Monate vor dem Forderungsschreiben der Arbeiterkammer fällig gewordenen Ansprüche noch nicht spruchreif, weshalb das Ersturteil insofern aufzuheben und dem Erstgericht die Verfahrensergänzung aufzutragen sei.

[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung, es stünden keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zur Lösung an, nicht zu.

[10] Gegen dieses Teilurteil richtet sich die aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene außerordentliche Revision der Beklagten mit einem auf Klageabweisung gerichteten Abänderungs- und hilfsweise einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

[11] Der Kläger beantragt in seiner ihm vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[12] Die außerordentliche Revision ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig, weil das Berufungsgericht – wie in der außerordentlichen Revision zutreffend aufgezeigt – bei der Entscheidung, ob das Schreiben Beilage ./B eine Willenserklärung darstellt, nicht hinreichend berücksichtigte, dass die Reisegebührenpauschale hier durch Betriebsvereinbarung geregelt war.

Die außerordentliche Revision ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Eine Willenserklärung liegt vor, wenn die Äußerung auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtet ist, also Rechte und Pflichten zu begründen, zu ändern oder aufzuheben. Bei einer Wissenserklärung geht es demgegenüber darum, dass die eine Partei der anderen oder beide Parteien übereinstimmend sich bloß ihre Vorstellungen über bestimmte Tatsachen mitteilen, jedoch keinen Willen dahin äußern, mit der Erklärung bestimmte Rechtsfolgen bewirken zu wollen. Ob eine Willenserklärung oder eine Wissenserklärung vorliegt, muss im Einzelfall an Hand des Wortlauts der Erklärung und allfälliger näherer Umstände, wie im Zusammenhang stehender Erklärungen und/oder Verhaltensweisen der Beteiligten, geprüft werden. Dabei ist nicht die subjektive Auffassung des Erklärenden oder der Wille der einen oder anderen Partei maßgeblich, sondern wie der Empfänger die Erklärung bei objektiver Betrachtungsweise verstehen musste (8 ObA 16/19i [Pkt 1.1. und 1.2.] mwN).

[14] 2. Eine Wissenserklärung allein löst nur in bestimmten Konstellationen – bei besonderer gesetzlicher Anordnung – Rechtsfolgen aus, bewirkt aber regelmäßig als solche nicht den Abschluss des Rechtsgeschäfts, über das sie bloß Mitteilung macht (8 ObA 34/05s = DRdA 2006/43 [Kerschner] mwN; vgl auch RIS‑Justiz RS0028344 [T4]; aus der Lit zB Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 863 Rz 9; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 863 Rz 6; Bollenberger/P. Bydlinski in KBB6 § 859 ABGB Rz 10).

[15] 3. Aus dem Wortlaut des Schreibens Beilage ./B geht mit aller Deutlichkeit hervor, dass es sich um keine Willens-, sondern um eine Wissenserklärung der Beklagten handelt:

[16] Das Schreiben ist (rechts oben) als „GF‑INFO“ bezeichnet, also als eine Information (der Geschäftsführung = GF). Durch die (durch größere Schrift hervorgehobene) Überschrift „Was der neue Kollektivertrag unseren LenkerInnen bringt“ erfährt der Leser, dass es sich um eine Information über den Inhalt des Kollektivvertrags handelt. Auch der folgende Satz „Die Kollektivvertragspartner haben sich nach langen KV-Verhandlungen auf nachstehende Änderungen geeinigt, welche ab 01. Oktober 2018 in Kraft treten.“ kann nur dahin verstanden werden, dass das Nachstehende die im Kollektivvertrag enthaltenen Neuerungen referiert. Auch aufgrund des ersten Satzes im letzten Absatz „Mit diesem Kollektivvertragsabschluss ist unser Postbus wieder besser für den Wettbewerb am Markt gerüstet.“ muss der Leser davon ausgehen, dass das Voranstehende grundsätzlich den Kollektivvertrag wiedergibt.

[17] Vor diesem Hintergrund – der Veränderung der kollektiven „Entgeltbedingungen“ – ist aber auch der Satz „AVB MitarbeiterInnen, bei welchen die unter Punkt 1 angeführten Lohnerhöhungen nicht wirksam werden, erhalten im Gegenzug eine Erhöhung der Fahrgebühren um 2,65 Euro auf 8,80 Euro pro Fahrtag.“ zu verstehen. Dass die Höhe der Fahrgebühr Regelungsgegenstand der Betriebsvereinbarung – und nicht, was das Schreiben suggeriert, des Kollektivvertrags – ist und deren Erhöhung auf 8,80 EUR erst zwei Jahre später vereinbart wurde, macht die Wissenserklärung der Beklagten unrichtig, sie aber nicht zu einer Willenserklärung. Dass die Beklagte durch das Schreiben Beilage ./B eine über den Kollektivvertrag (oder die Betriebsvereinbarung) hinausgehende Verpflichtung übernehmen wollte, ist seinem Wortlaut nicht zu entnehmen; insbesondere indiziert auch die Wendung „im Gegenzug“ keine freiwillige Erhöhung der Gebühren durch die Beklagte selbst. Es sind auch keine sonstigen – außerhalb des Schreibens liegenden – Umstände ersichtlich, die eine solche Annahme tragen würden.

[18] 4. Aufgrund dieses Inhalts des Schreibens musste dessen Adressaten – und somit auch dem Kläger – klar sein, dass die Beklagte bzw deren Rechtsvorgängerin mit dem Schreiben nicht über die bestehende Betriebsvereinbarung bzw den Kollektivvertrag hinaus Rechte und Pflichten begründen und damit die Rechtslage gestalten, sondern nur die Rechtslage erläutern wollte (vgl 9 ObA 503/88; RS0013962 [T3]). Dass diese Erläuterung teilweise unrichtig ist, nämlich in Bezug auf die Erhöhung der Fahrgebühren auf 8,80 EUR, hat – wie bereits vom Erstgericht erkannt – keine Änderung der Ansprüche des Klägers zur Folge. Dass er im Vertrauen auf die Richtigkeit der im Schreiben genannten Erhöhung der Reisepauschale disponierte, hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt vorgetragen (vgl RS0014012; Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 863 Rz 10; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 863 Rz 8 mwN).

[19] Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts stellt die Beilage ./B damit keine taugliche Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren dar. Es war das die Klage abweisende Ersturteil, soweit der Gegenstand des Revisionsverfahrens reicht, wiederherzustellen.

[20] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO. Das Berufungsgericht hat die Kostenentscheidung vorbehalten.

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