OGH 11Os144/21t

OGH11Os144/21t8.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Februar 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Jäger, BA, als Schriftführer in der Strafsache gegen * E* und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * W* gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 8. September 2021, GZ 33 Hv 90/21i‑36, sowie dessen Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00144.21T.0208.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant wurde * W* mit dem angefochtenen Urteil (das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des * E* wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB enthält) des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 11. Juni 2021 in S* im Zuge einer gegenseitigen tätlichen Auseinandersetzung * E* eine schwere Körperverletzung zuzufügen versucht, indem er ihm Faustschläge in das Gesicht versetzte, ihn in den Würgegriff nahm und zu Boden warf, was Rötungen und Schwellungen in dessen Wangen‑ und Kieferbereich zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 (lit) b, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten W*.

[4] Indem die Rechtsrüge (Z 9 [lit] b) das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr (§ 3 StGB) zufolge Vorliegens einer Notwehrsituation behauptet, entfernt sie sich prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810, RS0099853) von den getroffenen Urteilsfeststellungen in ihrer Gesamtheit.

[5] Danach versetzte zwar E* zunächst dem Beschwerdeführer einen Fußtritt gegen den Oberkörper, wodurch dieser zu Boden stürzte (US 5). Nach den weiteren (auf dessen eigenen Angaben beruhenden – US 9) Konstatierungen begab sich der Beschwerdeführer aber – nachdem er aufgestanden war und seinen Rucksack abgeworfen hatte – in Kampfposition, hob die Fäuste, und ging „äußerst kampflustig, auf volle Konfrontation aus“ aktiv auf E* zu, um ihn anzugreifen, obwohl er sah, dass dieser ein Messer mit einer fixen Klinge von ca 10 cm Länge in den Händen hielt, mit dem er mit „Links- und Rechtsbewegungen umher“ „fuchtelte“. Nach weiteren (aus Schilderungen von unbeteiligten – von den Tatrichtern für glaubwürdig befundenen – Zeugen abgeleiteten – US 7 f) Urteilsannahmen hat sich keiner der beiden Kontrahenten beim gegenseitigen „Verpassen“ von Faustschlägen ins Gesicht und Fußtritten gegen den Körper bloß verteidigt oder wollte dies (US 8), sondern haben sich die beiden Angeklagten gleichrangig miteinander „geschlägert“, wobei W* mehr „Treffer“ bei E* gelandet und diesen öfter im Gesicht (Wangen‑ und Kieferbereich) getroffen hat. Schließlich ist W* dem E* bei dessen Versuch, das Geschehen zu verlassen, gefolgt und hat ihm weitere Schläge „verpasst“ (US 5).

[6] Inwiefern bei Beurteilung dieser objektiven Umstände (Lewisch in WK2 StGB § 3 Rz 17; E. Steininger, SbgK Nachbem § 3 Rz 19; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 3 Rz 71) bloß eine Verteidigung des Beschwerdeführers gegen einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff des E* (Lewisch in WK2 StGB § 3 Rz 61 ff) und nicht vielmehr ein Notwehr ausschließender (aus wechselseitigen Angriffs- und Abwehrhandlungen bestehender) Raufhandel (Lewisch in WK2 StGB § 3 Rz 33; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 3 Rz 84; E. Steininger, SbgK § 3 Rz 17; RIS-Justiz RS0088726) mit aktiver Beteiligung des Beschwerdeführers ohne einseitige Eskalation vorgelegen haben soll, legt die Beschwerde nicht methodengerecht dar (RIS-Justiz RS0116565 [T2]).

[7] Weiterer Argumentation zuwider sind dem Urteilssachverhalt Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer irrtümlich von einer Notwehrsituation ausgegangen wäre (§ 8 StGB) oder das Unrecht seiner Tat zufolge eines nicht vorwerfbaren Rechtsirrtums nicht erkannt habe (§ 9 Abs 1 StGB), nicht zu entnehmen. Die tatrichterlichen Ausführungen im Rahmen der Strafbemessung, wonach sich W* (im Gegensatz zu E*) „nicht einsichtig“ zeigte, „glaubte vielmehr sein Handeln war korrekt bzw 'notwehr' und [von der Rüge vernachlässigt] meinte zuletzt, dass er keine Anti‑Gewalttherapie braucht“ (US 11), beziehen sich vielmehr auf dessen Verteidigungslinie im Rahmen der Hauptverhandlung.

[8] Mit der auf Putativnotwehr (§ 8 StGB) abzielenden „hilfsweisen“ Forderung nach Feststellungen, wonach W* von einer Notwehrsituation ausging und sich in der Annahme eines andauernden bzw unmittelbar drohenden Angriffs verteidigen wollte, verkennt die Rüge (Z 9 [lit] b, zufolge § 8 zweiter Satz StGB auch Z 10 mit dem Ziel einer „Bestrafung nach § 88 Abs 1 StGB“), dass ein Feststellungsmangel nur hinsichtlich eines nicht durch Urteilskonstatierungen geklärten, gleichwohl durch Ergebnisse des Beweisverfahrens indizierten Sachverhalts geltend gemacht werden kann (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 600). Vorliegend begehrt die Rüge bloß den Ersatz der bereits wiedergegebenen Feststellungen (zur „äußerst kampflustigen“ und aktiven Beteiligung des Beschwerdeführers am Raufhandel) durch für ihren Standpunkt günstigere nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (RIS‑Justiz RS0118580 [T25]).

[9] Soweit die Rüge „aus advokatorischer Vorsicht“ einen Feststellungsmangel in Richtung einer weniger als 14 Tage dauernden Gesundheitsschädigung bei E* (§ 88 Abs 2 Z 2 StGB) geltend macht, spricht sie demnach keine entscheidende Tatsache an.

[10] Mit dem – erneut mit der „hilfsweisen“ Geltendmachung eines Feststellungsmangels verbundenen – auf (nicht vorwerfbaren) indirekten Verbotsirrtum (§ 9 Abs 1 StGB) abzielenden Einwand (Z 9 [lit] b), der Beschwerdeführer habe nach seinen Angaben in der Hauptverhandlung (ON 35 S 12, 15 f) eine „Rechtfertigungsnorm (Notwehr iSd § 3 StGB)“ angenommen, legt die Rüge nicht dar, inwieweit Schilderungen des Angeklagten zu einer (vermeintlichen) Notwehrsituation hier – noch dazu dem Urteilssachverhalt widersprechende (RIS‑Justiz RS0099810) – Feststellungen zu einem Irrtum über das Zutreffen eines Rechtfertigungsgrundes indizieren sollten (Höpfel in WK2 StGB § 9 Rz 8; Fuchs/Zerbes AT I11, Rz 23/22). Im Übrigen bleibt unklar, weshalb dem (erwachsenen, schuldfähigen und einschlägig mehrfach vorbestraften) Angeklagten bei Anlegung eines objektiven Maßstabs ein Irrtum über das Bestehen eines Rechtfertigungsgrundes nicht vorzuwerfen sein sollte (Höpfel in WK2 StGB § 9 Rz 12; Fuchs/Zerbes AT I11, Rz 23/24 f; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 9 Rz 10).

[11] Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) wendet ein, das Erstgericht habe im Rahmen der Strafbemessung zu Lasten des W* gewertet, dass sich dieser „nicht einsichtig zeigte“ (US 11). Inwiefern die Tatrichter solcherart die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers (Nichtigkeit begründend – Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 713; RIS‑Justiz RS0090897) – und nicht dessen (insgesamt negativ bewerteten) persönlichen Eindruck – im Rahmen der Strafbemessung als Erschwerungsgrund herangezogen haben sollten, macht die Rüge jedoch nicht klar.

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die (implizierte) Beschwerde gegen die Verlängerung einer Probezeit folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[13] Bleibt zu der auf § 26 Abs 1 StGB gestützten Einziehung der – durch den Verweis auf „ON 18, Standblatt 148621“ gerade noch hinreichend determinierten – Gegenstände (beim Raufhandel von den Angeklagten getragene Kleidungsstücke – US 3, 12 iVm ON 18) anzumerken, dass der bloße Hinweis auf die von der Maßnahme betroffenen Gegenstände zur Fundierung der Einziehungsvoraussetzungen – insbesondere einer aus der besonderen Beschaffenheit der Gegenstände resultierenden Deliktstauglichkeit – nicht ausreicht (RIS‑Justiz RS0121298). Mit Blick auf die vorliegende Einverständniserklärung der Angeklagten zur Vernichtung dieser Gegenstände (ON 35 S 44) ist ein daraus resultierender Nachteil iSd § 290 Abs 1 StPO, der Anlass zur amtswegigen Wahrnehmung des Rechtsfehlers gäbe (RIS‑Justiz RS0088201 [T11 und T14]), aber auszuschließen.

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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