OGH 6Ob208/21p

OGH6Ob208/21p2.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* S*, vertreten durch Dr. Stephan Duschel und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei B* Bank * Aktiengesellschaft, *, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Vornahme einer Handlung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. September 2021, GZ 1 R 68/21h‑19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00208.21P.0202.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt die Verpflichtung der beklagten Bank zur Entgegennahme einer Bareinzahlung, die diese unter Berufung auf die Bestimmungen des Finanzmarkt‑Geldwäschegesetzes verweigert hatte.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab, weil der Girokontovertrag mit dem Kläger von der Beklagten während des gegenständlichen Prozesses wirksam gekündigt worden sei.

Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[3] 1.1 Die Revision wendet sich weder gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Kündigungsschreiben der Beklagten betreffend den mit dem Kläger bestehenden Girokontovertrag sei dem Kläger am 21. 1. 2021 zugegangen, noch gegen dessen Auffassung, diese Kündigungserklärung sei nach dem objektiven Erklärungswert auszulegen (vgl 10 Ob 26/14t [Lizenzvertrag]; RS0028622).

[4] 1.2 Wie eine Erklärung im Einzelfall aufzufassen ist, ist jeweils nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und begründet im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (RS0042555 [T2]).

[5] Das Berufungsgerichtwar der Ansicht, der Kläger habe die Erklärung der Beklagten, das Girokonto „mit Wirksamkeit 22. März 2021“ zu kündigen, dahin verstehen müssen, dass die Wirksamkeit der Kündigung bereits an diesem Tag einsetzen und daher der Kontovertrag am 22. 3. 2021 bereits um 0:00 Uhr aufgelöst sein solle, dies auch, weil an diesem Tag der dem Kläger bekannte nächste Verhandlungstermin im gegenständlichen Prozess anberaumt gewesen sei. Damit hat es den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

[6] 1.3 Gemäß § 902 Abs 2 ABGB fällt das Ende einer nach Monaten bestimmten Frist auf denjenigen Tag des letzten Monats, welcher nach seiner Benennung oder Zahl dem Tag des Ereignisses entspricht, mit dem der Lauf der Frist beginnt.

[7] Die Auffassung des Berufungsgerichts, aus dieser Bestimmung sei für den Standpunkt des Klägers, der Girovertrag habe erst mit Ablauf des 22. 3. 2021 geendet, nichts zu gewinnen, weil die in Z 23 (4) der vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Beklagten vorgesehene zweimonatige Kündigungsfrist bereits mit Ablauf des 21. 3. 2021 geendet habe (sodass dem Kläger bei der vom Berufungsgericht vorgenommenen Auslegung ohnehin die gesamte zweimonatige Frist zur Verfügung stand), ist nicht korrekturbedürftig.

[8] 1.4 Tatumstände und Beweise, die in erster Instanz nicht vorgekommen sind, können nur zur Dartuung oder Widerlegung der Berufungsgründe der Nichtigkeit oder der Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorgebracht werden (RS0041812). Auch im Revisionsverfahren bestehen keine weiterreichenden Ausnahmen vom Neuerungsverbot (vgl § 504 Abs 2 ZPO).

[9] Zutreffend hat bereits das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass das erst im Rechtsmittelverfahren erstattete Vorbringen, die Beklagte habe noch am 22. 3. 2021 Buchungen auf das Konto durchgeführt, eine unzulässige Neuerung darstellt.

[10] 2. Auch mit ihrer Ansicht, § 27 Abs 2 VZKG gelte für sämtliche Zahlungskonten iSd § 3 Abs 1 VZKG, zeigt die Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[11] 2.1 Trotz Fehlens von Rechtsprechung zu einer konkreten Fallgestaltung liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Ein solcher Fall liegt hier vor.

2.2 § 27 VZKG lautet:

„(1) Rahmenverträge über ein Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen unterliegen den Bestimmungen des ZaDiG 2018, sofern in Abs 2 bis 4 nichts anderes vorgesehen ist.

(2) Das Kreditinstitut darf einen Rahmenvertrag über ein Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen nur dann einseitig kündigen, wenn mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:

1. […]“

[12] 2.3 Das 4. Hauptstück des Verbraucherzahlungskontogesetzes widmet sich dem Zugang zu Zahlungskonten. In Umsetzung der RL 2014/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen („ZahlungskontenRL“) soll damit allen Verbrauchern mit rechtmäßigem Aufenthalt in der Europäischen Union, einschließlich Verbrauchern ohne festen Wohnsitz und Asylwerbern sowie Verbrauchern ohne Aufenthaltsrecht, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind, unabhängig von ihrem Wohnort das Recht eingeräumt werden, ein Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen bei einem in Österreich ansässigen Kreditinstitut zu eröffnen und zu nutzen. Dieses Recht soll Verbrauchern vor allem auch dann zustehen, wenn sie ohne Beschäftigung, ohne Einkommen, überschuldet oder von einem Privatkonkurs betroffen sind. Es soll dadurch bisher kontolosen Verbrauchern ermöglicht werden, vollständig am sozialen und wirtschaftlichen Leben der Gesellschaft teilzunehmen, was ohne ein Zahlungskonto nicht möglich ist (ErläutRV 1059 BlgNR 25. GP 1 ff und 19; Haghofer in Weilinger, VZKG § 23 Rz 2).

[13] Dazu räumt § 23 Abs 1 und 2 VZKG Verbrauchern unter bestimmten Voraussetzungen das Recht ein, ein „Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen“ zu eröffnen, und erlegt im Gegenzug den Kreditinstituten in § 23 Abs 4 iVm § 24 Abs 1 VZKG insoweit einen entsprechenden Kontrahierungszwang auf.

[14] 2.4 Schon der jeweilige Wortlaut der Bestimmungen über die Kontoeröffnung nach § 23 Abs 1 und 4 VZKG („Antrag […] auf Eröffnung eines Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen“) sowie über die Ablehnungsgründe nach § 24 VZKG („Das Kreditinstitut kann den Antrag auf ein Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen ablehnen, wenn [...]“), die Entgeltbestimmungen des § 26 VZKG („Bei einem Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen darf das Entgelt […] pro Jahr 80 Euro nicht überschreiten.“) und die Kündigungsbeschränkungen des § 27 VZKG, aber auch ihr systematischer Zusammenhang sowieihr oben erörterter Zweck geben Aufschluss darüber, dass es sich bei „Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen“ iSd §§ 23 ff VZKG um besondere Konten handelt. In § 25 Abs 2 Z 1 VZKG wird im Zusammenhang mit den anzubietenden Diensten aber ohnehin auch ausdrücklich zwischen „anderen Zahlungskonten“ und „jenen mit grundlegenden Funktionen“ unterschieden. Gemäß § 24 Abs 1 Z 1 VZKG besteht überdies kein Anspruch auf Eröffnung eines „Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen“, wenn der Verbraucher Inhaber eines anderen Zahlungskontos bei einem in Österreich ansässigen Kreditinstitut ist bzw ist das Kreditinstitut gemäß § 27 Abs 2 Z 5 VZKG zur Kündigung eines „Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen“ berechtigt, wenn der Verbraucher ein zweites Zahlungskonto bei einem solchen Kreditinstitut eröffnet.

[15] Daraus ergibt sich unmissverständlich, dass nicht jedes Zahlungskonto iSd § 3 Abs 1 VZKG, sondern nur ein „Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen“ den Bestimmungen der §§ 25 ff VZKG über die umfassten Dienste, die zulässigen Entgelte und die Kündigungsmöglichkeiten unterliegt (idS auch ErläutRV 1059 BlgNR 25. GP  20; Haghofer in Weilinger, VZKG § 23 Rz 19).

[16] 2.5 Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass das Girokonto bei der Beklagten nicht als „Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen“ eröffnet wurde und auch nicht lediglich die in § 25 Abs 1 VZKG angeführten grundlegenden Dienste umfasste. Die Ansicht des Berufungsgerichts, § 27 VZKG sei daher sachlich nicht anwendbar, entspricht der eindeutigen gesetzlichen Regelung.

[17] 2.6 Ob die Kündigungsbestimmungen des Verbraucherzahlungskontogesetzes (auch) wegen der unstrittig vor dessen Inkrafttreten erfolgten Kontoeröffnung unanwendbar sind, kann somit dahinstehen.

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