OGH 6Ob180/21w

OGH6Ob180/21w2.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerin W* registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *, vertreten durch Bruckmüller RechtsanwaltsgmbH in Linz, gegen die Antragsgegnerin N*, Deutschland, vertreten durch e/n/w/c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Auskunftserteilung nach § 18 Abs 4 ECG, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 13. August 2021, GZ 2 R 107/21z‑9, womit der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 23. Juni 2021, GZ 4 Nc 1/21g‑5 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00180.21W.0202.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

 

Begründung:

[1] Die Antragsgegnerin hat ihren Sitz in Deutschland und betreibt die auch in Österreich abrufbare Website www.* zur Bewertung von Arbeitgebern.

[2] Die Antragstellerin hat ihren Sitz in Österreich. Im Oktober 2020 wurde folgende Bewertung über sie auf der Website veröffentlicht:

„Oktober 2020

Köpfe rollen am laufenden Band

2,6 Nicht empfohlen

Angestellte/r oder Arbeiter/in

Gut am Arbeitgeber finde ich

Moderne Büroeinrichtung, gute Erreichbarkeit.

Schlecht am Arbeitgeber finde ich

Leider werden Vorschläge nicht gehört, bzw erst nach einer Kündigungswelle.

Image

Aussen hui innen pfui

Work-Life-Balance

Gleitzeit, leider etwas unflexibel was dan Abbau der Stunden betrifft (zB freinehmen eines Nachmittages nicht erlaubt)

Gehalt/Sozialleistungen

Karriere als Frau sehr schwierig. Gehalt Bezahlung nur nach KV. Hier wieder das Thema mit der Gleichberechtigung.

Kollegenzusammenhalt

In den einzelnen Abteilungen ist der Zusammenhalt sehr gut. Leider ist das zwischen den verschiedenen Abteilungen nicht so.

Arbeitsbedingungen

Wird sehr oft bei Ideen, die einem das Arbeiten erleichtern abgeblockt.“

[3] Der oder die Postende hat in seiner oder ihrer Bewertung weiter Folgendes angeführt:

„• 'Leider werden Vorschläge nicht gehört, bzw. erst nach einer Kündigungswelle.'

Kollegen brachten Vorschläge zur Verbesserung des Arbeitsablauf mit einem Programm vor, diese wurden nach erst nach Kündigungen umgesetzt.

• 'Außen hui. innen pfui'

Es wird sehr hoher Wert auf das Image gelegt, ist auch gut so … nach außen hin sozialer als es ist

• 'Karriere als Frau sehr schwierig'

Kollegin mit fachspezifischer Ausbildung und mehr Berufserfahrung wurde bei der Besetzung eines Jobs nicht in Betracht gezogen. Männlicher Kollege im annähernd gleichen Alter aber eben mit weniger Berufserfahrung und Quereinsteiger hat den Job angeboten bekommen. Eine andere Kollegin hat sich aktiv um einen Job beworben. ..sie war zu jung! Jetzt sitzt ein junger Mann auf diesem Posten.

• 'Gehalt Bezahlung nur nach KV. Hier wieder das Thema mit der Gleichberechtigung.'

Kollegin hat mehr als ein Jahr immer wieder ersucht, einen Termin für eine Gehaltserhöhung zu bekommen, diesen nie bekommen.

• 'Als Frau hat man keine Aufstiegschancen. Ganz schlechte Karten hat man als junge Frau.'

Erklärt sich mit dem o. a. Punkt und, dass keine Frau außer der Geschäftsleitung in einer Führungsposition ist.“

[4] Die Antragstellerin begehrtmit Antrag vom21. 4. 2021 von der Antragsgegnerin Auskunft über Namen, Adresse und Emailadresse des Nutzers, der im Oktober 2020 auf ihrer Website diese Bewertung abgegeben habe; in eventu begehrt sie, der Antragsgegnerin zu gestatten, Auskunft über die Bestands- und Nutzungsdaten zu der im Oktober 2020 abgegebenen Bewertung zu erteilen und ihr Namen, Adresse und Emailadresse des Nutzers, der diese Bewertung abgegeben habe, bekanntzugeben. Die in der Bewertung enthaltenen Tatsachenbehauptungen seien unwahr, es würden alle Vorschläge von Mitarbeitern gehört, eine Kündigungswelle habe es nicht gegeben, sie achte auf Weiterentwicklungsmöglichkeiten ihrer Mitarbeiterinnen, biete eine flexible Arbeitszeit und zusätzlich für Mütter Arbeitszeitmodelle nach deren Anforderungen, unterstütze das Frauen‑Netzwerk „Netzwert“ und biete eine deutliche Überzahlung des kollektivvertraglichen Mindestentgelts. Der Vorwurf der Ungleichbehandlung von Frauen sei geeignet, ihren wirtschaftlichen Ruf in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen; potentielle Vertragspartner könnten deshalb von einem Vertragsabschluss Abstand nehmen; potenzielle Mitarbeiterinnen könnten auf eine Bewerbung bei ihr verzichten. Die unrichtigen Behauptungen seien daher geeignet, ihr Fortkommen und ihren Erwerb zu gefährden. Die Antragsgegnerin habe aufgrund ihrer Abmahnung zwar die Bewertung von der Plattform genommen, aber die Auskunft über Nutzer- bzw Bestandsdaten verweigert. Um Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche nach § 1330 ABGB bzw § 20 ABGB gegen den Verfasser des Postings geltend machen zu können und zur strafrechtlichen Verfolgung der Kreditschädigung nach § 152 StGB habe sie ein rechtliches Interesse, den Namen und die Adresse des Verfassers zu kennen. Wegen der einer breiten Öffentlichkeit zugänglichen Bewertung, die aufgrund des Vorwurfs der Ungleichbehandlung besonders nachteilig sei, überwiege ihr Auskunftsinteresse deutlich das des Verfassers auf Schutz seiner personenbezogenen Daten. Der Auskunftsanspruch sei nach österreichischem Recht zu beurteilen, weil § 1330 ABGB und § 152 StGB dem Schutz der öffentlichen Ordnung dienten, der Auskunftsanspruch zur Strafverfolgung beitragen könne und nach § 22 ECG zur Verfolgung strafbarer Handlungen vom Herkunftslandprinzip abzuweichen sei. Der Anspruch bestünde aber auch nach deutschem Recht, weil der Diensteanbieter nach § 14 dTMG Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen dürfe, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 1 Abs 3 dNetzDG erfasst würden, erforderlich sei. Die Behauptungen fielen unter § 178 dStGB und seien von § 1 Abs 3 dNetzDG erfasst. Die Grenzziehung zwischen Tatsachenbehauptung, Werturteil und Wertungsexzess sei nicht im Auskunftsverfahren gegen den Betreiber der Website näher zu prüfen, sondern erst im Verfahren gegen den Poster; Voraussetzung sei nur, dass aufgrund einer groben Prüfung eine Verurteilung nach § 1330 ABGB nicht gänzlich auszuschließen sei.

[5] Die Antragsgegnerin wendet ein, es liege in der Natur der Sache, dass Arbeitgeber mit „kritischen“ Kommentaren aktueller oder ehemaliger Arbeitnehmer nicht immer zufrieden seien. Sie sei grundsätzlich nicht für Inhalte der Website verantwortlich. Die konkrete Bewertung sei auch nicht geeignet, als „unrichtige Tatsachenbehauptung“ oder „kreditschädigend“ gewertet zu werden. Die Gesamtnote sei nicht „kritisch“, es hätten weitaus schlechtere Bewertungen zur Auswahl gestanden. Die Gesamtbewertung vermittle den Eindruck einer objektiven Bewertung, die nicht kreditschädigend sei. Auch den einzelnen Kommentaren könne ein straf- oder zivilrechtlicher Tatbestand nicht entnommen werden. Die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit positiven und negativen Erfahrungen mit dem Arbeitgeber sei wichtig, von der Meinungsfreiheit gedeckt und dürfe nicht durch Preisgabe der Daten verhindert werden. Die Fragestellung nehme bewusst auf Stärken und Schwächen Rücksicht. Eine Ausnahme zum Herkunftslandprinzip sei nicht gerechtfertigt; der Auskunftsanspruch sei nach deutschem Recht zu beurteilen. Ohne gerichtliche Anordnung dürften Plattformbetreiber keine Nutzerdaten weitergeben. Ein Auskunftsanspruch könne nicht gegeben sein, wenn kein materiell‑rechtlicher Anspruch bestehe. Die Bewertung sei nach erstmaliger Beanstandung offline gestellt worden; sie hafte daher nicht als Störer, es fehle daher (auch) an dem für § 14 dTMG erforderlichen materiell‑rechtlichen Anspruch.

[6] Das Erstgericht wies Haupt- und Eventualbegehren ab. Es sei deutsches materielles Recht anzuwenden, weil eine Abweichung von dem in § 20 ECG geregelten Herkunftslandprinzip nicht geboten sei. Bei den inkriminierten Äußerungen handle es sich jeweils um Werturteile, die nicht überschießend seien. Die bloße Grobprüfung sei nur auf innerösterreichische Sachverhalte anzuwenden, nicht aber auf die Frage, ob eine Ausnahme aus dem Herkunftslandprinzip gerechtfertigt sei. Es sei zu untersuchen, ob zumindest einer der in § 1 Abs 3 dNetzDG erfassten Tatbestände erfüllt sei. Die im Posting enthaltenen Werturteile seien nicht tatbestandsmäßig im Sinn des § 187 dStGB (Verleumdung). Auch § 185 dStGB (Beleidigung) sei nicht erfüllt, weil der oder die Postende ein differenziertes Bild der Antragstellerin als Arbeitgeberin abgegeben und erkennbar einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung verfasst habe. Eine emotionalisierte Abrechnung oder Ähnliches sei dem Posting nicht zu entnehmen; die Kritik müsse in einer pluralistischen Gesellschaft hingenommen werden. Auch aus § 823 BGB könne ein Schadenersatzanspruch bei Ehrverletzungen nicht abgeleitet werden, weil es sich um eine zulässige, von der Meinungsfreiheit gedeckte Kritik handle.

[7] Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichts. §§ 20 bis 23 ECG setzten das Binnenmarkt- und Herkunftslandprinzip des Art 3 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr und ihres Anhangs um. Davon ausgehend, dass jede Bestimmung, die Ansprüche gegen den Diensteanbieter eröffne, und jede Regelung, die ihm Ansprüche nehme, seine Geschäftstätigkeit hindere und daher den freien Dienstleistungsverkehr einschränke, bedeute der korrigierende Vorbehalt, dass sich der Diensteanbieter bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten darauf verlassen könne, nicht auf der Grundlage eines Rechts in Anspruch genommen zu werden, das einen Anspruch leichter gewähre als das Recht seines Niederlassungsstaats; Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit müssten zum Schutz eines der in Abs 2 erwähnten Rechtsgüter erforderlich und auch verhältnismäßig sein. Nach der Rechtsprechung des EuGH könnten die Grundfreiheiten einschränkende Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt seien, nur getroffen werden, wenn sich nach einer Einzelfallprüfung durch die zuständigen nationalen Behörden herausstelle, dass das individuelle Verhalten der betreffenden Person eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle. Eine Auslegung des § 22 ECG, die allein darauf abstellte, dass eine Strafverfolgung eine Maßnahme erforderlich erscheinen ließe, lasse sich mit dieser europarechtlichen Rechtslage nicht in Einklang bringen. Hier sei nicht einmal die strafrechtliche Tatbestandsmäßigkeit nach § 152 StGB bescheinigt; zum Tatbildvorsatz habe die Antragstellerin nichts vorgebracht. Schon deshalb bestehe kein Anlass, vom Herkunftslandprinzip des § 20 ECG abzuweichen. Der Antrag sei daher nach deutschem Recht zu beurteilen. Das Gericht sei im Verfahren nach § 14 Abs 4 dTMG gehalten sicherzustellen, dass es nicht „vorschnell“ zur Herausgabe der Daten kommen könne. Die Anwendung des § 14 Abs 4 dTMG setze einen materiell‑rechtlichen Auskunftsanspruch voraus. Bestehe daher, wie hier, kein vertraglicher Anspruch der Antragstellerin gegen den Diensteanbieter, könnte sich ein gesetzlicher Anspruch auf Auskunft allenfalls aus § 242 BGB ergeben. Das Oberlandesgericht Köln habe in einem vergleichbaren Fall festgehalten, dass ein solcher nur in Betracht käme, wenn die Voraussetzungen der mittelbaren Störerhaftung der Antragsgegnerin begründet wären, was nicht zutreffe, wenn auf die Löschungsaufforderung sogleich reagiert und auch nicht vorgebracht worden sei, dass die beanstandeten Bewertungen zwischenzeitig wieder online gestellt worden seien. Dies seiauch im vorliegenden Fallgegeben; die Antragsgegnerin habe die Bewertung umgehend entfernt. Die Antragsgegnerin, die zunächst nicht zur Überprüfung der Inhalte auf ihre Wahrheit hin verpflichtet sei, habe keinen Anhaltspunkt dafür gehabt, dass die zur Begründung der Bewertung angeführten Tatsachen‑behauptungen unrichtig hätten sein sollen.

[8] Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil die Fragen, welches Recht auf diesen und ähnliche Sachverhalte anzuwenden sei und wann Ausnahmen zum Herkunftslandprinzip nach § 22 ECG gälten, höchstgerichtlicher Klarstellung bedürfen.

[9] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinn der Stattgebung des Haupt-, hilfsweise des Eventualbegehrens; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragsgegnerin ist verspätet: Das Rekursgericht hat den ordentlichen Revisionsrekurs zugelassen, weshalb es nach dem gemäß § 18 Abs 4a ECG bereits anzuwendenden (§ 28 Abs 3 ECG idF Art 6 HiNBG [BGBl I 2020/148]) § 59 Abs 2 AußStrG keinen Bewertungsausspruch setzte. Es liegt somit weder – wie die Antragsgegnerin meint – der Fall eines außerordentlichen Rechtsmittelsnoch ein solcher über die Zulassungsvorstellung nach § 63 AußStrG vor. Die Frist für die Beantwortung des Revisionsrekurses begann daher gemäß § 68 Abs 3 Z 1 AußStrG mit der Zustellung der Gleichschrift des Revisionsrekurses an die Antragsgegnerin durch das Erstgericht zu laufen. Diese erfolgte am 7. 9. 2021. Bei Einbringung der Revisionsrekursbeantwortung am 22. 9. 2021 war die vierzehntägige Frist nach § 68 Abs 1 AußStrG bereits abgelaufen. Die Revisionsrekursbeantwortung war daher zurückzuweisen.

[11] In Anbetracht des Umstands, dass das Rekursgericht seinen Entscheidungsgegenstand nicht bewertet hat, erachtet der erkennende Senat im Übrigen folgende Klarstellungen zur Frage, ob bei einem Auskunftsanspruch nach § 18 Abs 4 ECG ein Bewertungsausspruch notwendig ist, für notwendig.

[12] Vor der Verweisung des auf § 18 Abs 4 ECG gestützten Anspruchs in das Außerstreitverfahren durch § 18 Abs 4a ECG idF des HiNBG war dieser Anspruch im streitigen Verfahren geltend zu machen. Dabei setzten die Berufungsgerichte regelmäßig einen Bewertungsausspruch (vgl nur 7 Ob 189/11m; 6 Ob 156/19p; 6 Ob 137/19v ua).

[13] Der erkennende Fachsenat hat demgegenüber etwa zu (im streitigen Verfahren geltend zu machenden) Ansprüchen nach dem DSG (Grundrecht auf Datenschutz) bereits ausgesprochen, es handle sich dabei um höchstpersönliche Ansprüche, bei denen ein Bewertungsausspruch zu unterbleiben habe (6 Ob 112/10d = RS0042418 [T12]). An dieser Auffassung hat der Fachsenat zuletzt – entgegen einer anderslautenden Entscheidung des 3. Senats (3 Ob 100/14y = RS0042418 [T16]) – in den ausführlich begründeten Entscheidungen 6 Ob 127/20z (= RS0042418 [T17]) und 6 Ob 134/20d ausdrücklich festgehalten. Er betonte, bei einer Verletzung im Grundrecht auf Datenschutz stehe der Eingriff in die höchstpersönliche Rechtssphäre im Vordergrund, wodurch sich der Datenschutz von der Kreditschädigung nach § 1330 ABGB unterscheide.

[14] Nach dem für Verfahren nach § 18 Abs 4 ECG nunmehr anzuwendenden § 59 Abs 2 AußStrG ist ein Bewertungsausspruch überhaupt nur dann zu setzen, wenn der Entscheidungsgegenstand „rein vermögensrechtlicher Natur“ ist.

[15] Die Materialien zum HiNBG führen zu den in § 549 ZPO normierten Rechtsstreitigkeiten (Klagen, in denen ausschließlich Ansprüche auf Unterlassung wegen einer erheblichen, eine natürliche Person in ihrer Menschenwürde beeinträchtigenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten in einem elektronischen Kommunikationsnetz geltend gemacht werden, vgl § 20 ABGB) aus, Ansprüche auf Unterlassung der Verletzung höchstpersönlicher Rechte seien an sichnicht vermögensrechtlicher Natur (ErläutRV 481 BlgNR 27. GP  11).

[16] Im Sinn dieser Wertung des Gesetzgebers, die mit derjenigen des Fachsenats zu datenschutzrechtlichen Verfahren übereinstimmt, dienen auch Auskunftsbegehren nach § 18 Abs 4 ECG – wie der vorliegende Fall, in dem die Antragstellerin auch Ansprüche nach § 20 ABGB zu verfolgen beabsichtigt, anschaulich zeigt – nicht ausschließlich vermögensrechtlichen Interessen, sondern dem Schutz und der Durchsetzung höchstpersönlicher Rechte wie etwa der Ehre und des guten Rufs. Das Auskunftsbegehren nach § 18 Abs 4 ECG ist somit nicht rein vermögensrechtlicher Natur, weshalb gemäß § 59 Abs 2 AußStrG ein Bewertungsausspruch jedenfalls zu unterbleiben hat.

[17] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

[18] Der Revisionsrekurs macht geltend, das Rekursgericht habe gegen das Verbot von Überraschungsentscheidungen verstoßen, weil es ein Vorbringen zum Tatbildvorsatz nach § 152 StGB verlangt habe; ein solches Vorbringen sei nicht erforderlich. Unter einer strafbaren Handlung iSd § 22 Abs 2 Z 1 ECG sei auch ein Privatanklagedelikt zu verstehen. Weil die inkriminierten Äußerungen das Tatbild nach § 152 StGB erfüllten, könne nach § 22 Abs 2 Z 1 ECG vom Herkunftslandprinzip abgewichen werden und sei daher österreichisches Recht anzuwenden. Die inkriminierten Äußerungen seien (zumindest zum Teil) keine Werturteile, sondern Tatsachenbehauptungen. Die Antragstellerin habe ein überwiegendes rechtliches Interesse am Auskunftsanspruch, weil eine Verurteilung des Verfassers aufgrund einer groben Prüfung der geltend gemachten Verletzungen sehr wahrscheinlich sei. Auch nach deutschem Recht bestünde der Auskunftsanspruch zu Recht, weil auch danach der Tatbestand der Verleumdung sowie der üblen Nachrede verwirklicht sei; er bestehe auch nach § 242 BGB.

Hierzu wurde erwogen:

[19] 1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel wurde geprüft; er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[20] 2.1. Zum auf Auskunftsbegehren anwendbaren Recht

[21] 2.1.1. Gemäß Art 3 Abs 2 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (im Folgenden „RL“) dürfen die Mitgliedstaaten den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen. Im koordinierten Bereich stellt Art 3 der RL – vorbehaltlich der dort genannten Ausnahmen – das grundsätzliche Verbot auf, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters – hier Deutschland – geltende Sachrecht vorsieht (EuGH [Große Kammer] 25. 10. 2011, verb Rs C‑509/09 und C‑161/10 , eDate Advertising u.a. Rz 63–68). Gemäß ErwGr 22 der RL dient dies nicht nur dem freien Dienstleistungsverkehr, sondern auch der Rechtssicherheit für Anbieter und Nutzer.

[22] 2.1.2. In den koordinierten Bereich fallen gemäß Art 2 lit h sublit i der RL (bzw § 3 Z 8 ECG) grundsätzlich auch Anforderungen betreffend die (rechtliche) Verantwortlichkeit des Diensteanbieters, somit auch eine einen Host‑Provider treffende Verpflichtung zur Erteilung einer Auskunft etwa iSd § 18 Abs 4 ECG. Entsprechende Auskunftsansprüche unterliegen daher dem in 2.1.1. dargestellten Verbot.

[23] 2.1.3. Art 3 Abs 2 der RL wurde durch § 20 ECG umgesetzt, der das sogenannte Herkunftslandprinzip normiert. Dabei handelt es sich nach Auffassung des 7. Senats um eine spezielle Kollisionsnorm/IPR-Regel, die eine Sachnorm‑verweisung auf die (materiellen) Rechtsvorschriften des Sitzstaats beinhaltet (7 Ob 189/11m [1.2.] mit zahlreichen Nachweisen aus der Literatur).

[24] Dagegen erachtet der 4. Senat eine solche unmittelbar anwendbare Sachnormverweisung lediglich außerhalb des Anwendungsbereichs der kollisionsrechtlichen Verordnungen der EU für möglich, insbesondere daher– wegen der Ausnahme in Art 1 Abs 2 lit g Rom II‑VO – bei Verletzungen der Privatsphäre und des Persönlichkeitsrechts (4 Ob 29/13p); innerhalb des Anwendungsbereichs handle es sich bei § 20 ECG aber nur um eine materiell‑rechtliche Korrektur jenes Ergebnisses, das sich aus der Anwendung des nach der Rom II‑VO bestimmten Rechts ergibt (4 Ob 29/13p).

[25] Selbst wenn man kreditschädigendes Verhalten nicht unter die Ausnahme des Art 1 Abs 2 lit g Rom II‑VO subsumiert, kann jedoch die Entscheidung für oder gegen die Annahme einer Sachnormverweisung (vgl dazu auch jüngst Zankl in Zankl, Rechtshandbuch der Digitalisierung [2021] Rz 7.47 ff) gegenständlich aus folgenden Erwägungen dahingestellt bleiben: Auskunftsansprüche sind nach deutschem Sachrecht strengeren Anforderungen (siehe unten 2.2.) als nach österreichischem Sachrecht (§ 18 Abs 4 ECG) unterstellt; der Diensteanbieter unterliegt nach österreichischem Recht extensiveren Auskunftspflichten als nach deutschem Recht. Das Herkunftslandprinzip des § 20 ECG greift hier somit jedenfalls.

[26] 2.1.4. Das in Art 3 Abs 2 der RL genannte Verbot sowie das Herkunftslandprinzip gemäß § 20 ECG gelten aber nicht ausnahmslos: Neben den in § 21 ECG (Art 3 Abs 3 iVm dem Anhang der RL) genannten Bereichsausnahmen können die Mitgliedstaaten auch gemäß § 22 ECG (in Umsetzung von Art 3 Abs 4 der RL) im Einzelfall zum Schutz taxativ genannter Rechtsgüter und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vom Herkunftslandprinzip abweichende Maßnahmen treffen (7 Ob 189/11m).

[27] Unter die geschützten Rechtsgüter fällt auch der Schutz der öffentlichen Ordnung, wobei „Öffentliche Ordnung“ iSd § 22 Abs 2 Z 1 ECG (Art 3 Abs 4 lit a sublit i der RL) nach den im Gesetz demonstrativ genannten Fällen etwa die Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten erfasst.

[28] 2.1.5. Als Ausnahmebestimmung ist Art 3 Abs 4 lit a sublit i der RL grundsätzlich eng auszulegen (zB EuGH 19. 1. 1999, C‑348/96 , Calfa Rz 23). Der Begriff der öffentlichen Ordnung kann nach der Rechtsprechung des EuGH geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (27. 10. 1977, C‑30/77 , Bouchereau Rz 35; ebenso die Europäische Kommission: Mitteilung der EK an den Rat, das EP und die EZB, Anwendung von Artikel 3 Absätze 4 bis 6 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr auf Finanzdienstleistungen, KOM [2003] 259 endg 5 f). Auch den Materialien zum ECG ist zu entnehmen, dass es sich primär um den Schutz von Allgemeininteressen handelt (ErläutRV 817 BlgNR 21. GP  47), auch wenn sich die Ausnahmeregelungen nicht nur an Strafgerichte, sondern auch an Zivilgerichte richten kann (zur Einbeziehung von Zivilgerichten s ErwGr 25 der RL; ErläutRV 817 BlgNR 21. GP  47; 7 Ob 189/11m).

[29] 2.1.6. § 22 Abs 2 Z 2 ECG sieht (entsprechend Art 3 Abs 4 lit a sublit i der RL) auch eine Ausnahme betreffend Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen vor. Die Materialien zum ECG konkretisieren dies dahingehend, dass ein Zivilgericht zwar in einem Rechtsstreit wegen Ehrenbeleidigung vom Herkunftslandprinzip abweichen und die Angelegenheit nach den Bestimmungen des § 1330 ABGB beurteilen kann, diese Ausnahme jedoch richtlinienkonform auf Ansprüche natürlicher Personen zu beschränken sei (ErläutRV 817 BlgNR 21. GP  48). Für Ansprüche juristischer Personen kommt daher nur ein Rückgriff auf die in § 22 Abs 2 Z 1 ECG genannte Ausnahme der öffentlichen Ordnung, nicht aber Z 2 dieser Bestimmung in Betracht.

[30] Die Antragstellerin bringt erstmals im Revisionsrekurs vor, auch ihre Vorstandsmitglieder als natürliche Personen seien von den inkriminierten Aussagen betroffen. Dabei handelt es sich zwar um ein nicht dem Neuerungsverbot unterliegendes Rechtsvorbringen. Dennoch ist damit für die Antragstellerin nichts gewonnen: Denn die Antragslegitimation für den Auskunftsanspruch kann nicht losgelöst von jener des zugrundeliegenden (Leistungs- oder Unterlassungs-)Anspruchs beurteilt werden. Nach § 18 Abs 4 ECG würde es für den Schutz der Vorstandsmitglieder an einem rechtlichem Interesse der Antragstellerin mangeln. Nach § 14 Abs 3 dTMG fehlte die Erforderlichkeit zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche.

[31] 2.1.7. Einer kategorischen Ausnahme von Privatanklagedelikten aus dem Tatbestand der „öffentlichen Ordnung“ iSd § 22 Abs 2 Z 1 ECG steht zwar entgegen, dass Privatanklagedelikte grundsätzlich auch, wenn auch nicht vordergründig, im öffentlichen Interesse liegende Schutzgüter umfassen können. Der Tatbestand des § 152 StGB, auf den sich die Antragstellerin stützt, bezieht sich aber nicht auf den Schutz öffentlicher Interessen, geschütztes Rechtsgut ist primär („nur“) das Vermögen, was bereits seine systematische Stellung im Strafgesetzbuch zeigt (Hinterhofer in SbG‑Kommentar StGB [10. Lfg, 2004] § 152 Rz 4). Die begehrte Auskunft dient daher vordergründig nicht dem Schutz der öffentlichen Ordnung, sondern dem Schutz des Vermögens der Antragstellerin.

[32] Zwar kann jeder Gesetzesverstoß, und somit auch die tatbestandsmäßige Erfüllung bloßer Privatanklagedelikte, im Prinzip geeignet sein, eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellen (ebenso etwa Müller‑Broich in Telemediengesetz [2012] § 3 Rz 26). Die im Rahmen der gemäß § 22 Abs 2 ECG (Art 3 Abs 4 lit a sublit iii der RL) notwendigen Abwägung im Einzelfall zu berücksichtigenden konkreten Umstände, namentlich das Vorliegen bloß vereinzelter, bereits gelöschter Meldungen in einem Onlinemedium, selbst wenn diese inhaltlich unrichtig wären (dazu 2.2.), lassen aber bestenfalls eine äußerst geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung erkennen. Angesichts des Interesses am freien Dienstleistungsverkehr ist im vorliegenden Fall ein Abweichen vom Herkunftslandprinzip und die Anwendung österreichischen anstelle deutschen Sachrechts somit nicht verhältnismäßig.

[33] 2.1.8. Art 3 Abs 4 lit a sublit ii der RL (§ 22 Abs 1 S 3 ECG) setzt zwar voraus, dass der Dienst der Informationsgesellschaft die unter sublit i leg cit genannten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt. Ob damit bei bloß drohender Beeinträchtigung als zusätzliches Prüfungskriterium die Qualität des Eingriffs oder die Unmittelbarkeit angesprochen ist (zur Unterscheidung Zankl,ECG² § 22 Rz 446 f), kann für den vorliegenden Fall aber dahingestellt bleiben: Auch bei bereits erfolgtem Eingriff muss der (hier – wie erwähnt – äußerst geringfügige) Schweregrad des Eingriffs im Rahmen der nach § 22 Abs 2 ECG (Art 3 Abs 4 lit a sublit iii der RL) notwendigen Abwägung im Einzelfall Berücksichtigung finden.

[34] 2.1.9. Damit ist das Rekursgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass kein Anlass besteht, vom Herkunftslandprinzip abzuweichen, weshalb deutsches Recht anzuwenden ist.

[35] 2.2. Inhaltliche Prüfung des Auskunftsbegehrens nach deutschem Recht

2.2.1. Zu § 242 BGB

[36] Gemäß § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

[37] Ein aus § 242 BGB resultierender Auskunftsanspruch besteht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur, wenn es zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem eine besondere rechtliche Beziehung, beispielsweise aus unerlaubter Handlung, gibt. Ein Anspruch auf Auskunftserteilung ist dabei auch dann gegeben, wenn nicht die in Anspruch Genommenen, sondern Dritte Schuldner des Hauptanspruchs sind, dessen Durchsetzung der Hilfsanspruch auf Auskunftserteilung ermöglichen soll (I ZR 153/17 NJW 2021, 779; VI ZR 222/16 NJW 2017, 2755 Rz 13). Zur Haftung als mittelbarer Störer kann es etwa dann kommen, wenn der Hostprovider Kenntnis von Rechtsverletzungen durch von Nutzern ins Netz gestellten Beiträgen erlangt und untätig bleibt (VI ZR 34/15 MMR 2016, 418 zu einem Ärztebewertungsportal).

[38] Eine Haftung aus mittelbarer Störung aus dem Umstand zu konstruieren, dass durch die Gewährung völliger Anonymität an die Nutzer der Onlineplattform die Verbreitung unwahrer Behauptungen bewusst in Kauf genommen und die Nutzer dadurch von der Antragsgegnerin zu kreditschädigendem Verhalten geradezu verleitet würden, kann nicht überzeugen: Nach der Rechtsprechung steht der Annahme einer mittelbaren Störerhaftung bereits entgegen, wenn – wie hier – auf die Löschungsaufforderung sogleich reagiert worden ist und die beanstandeten Bewertungen auch nicht zwischenzeitlich wieder online gestellt worden sind (vgl auch OLG Köln, Beschluss vom 29. 4. 2021 – 15 W 29/21). Die Argumentation der Antragstellerin würde auf eine Klarnamenpflicht bzw entsprechende Kontrollpflichten von Diensteanbietern hinauslaufen (eine allgemeine Überwachungspflicht verbietend etwa Art 15 der RL). Eine solche existiert jedoch nicht, wie auch die in § 14 Abs 3 dTMG lediglich auf Einzelfälle beschränkte Auskunftspflicht des Diensteanbieters belegt (dazu 2.2.2.).

[39] Auf § 242 BGB kann somit das Auskunftsbegehren nicht gestützt werden.

[40] 2.2.2. Zu § 14 Abs 3 dTMG iVm § 1 Abs 3 NetzDG iVm §§ 186 und 187 dStGB

[41] Gemäß § 14 Abs 3 dTMG darf der Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 10a Abs 1 dieses Gesetzes oder § 1 Absatz 3 des NetzDG erfasst werden, erforderlich ist. In diesem Umfang ist er gegenüber dem Verletzten zur Auskunft verpflichtet.

[42] Von § 1 Abs 3 NetzDG werden rechtswidrige Inhalte erfasst, die den Tatbestand ua der §§ 185 bis 187 dStGB erfüllen und nicht gerechtfertigt sind. Durch die Beschränkung auf konkrete Tatbestände soll klargestellt werden, dass nicht jeder Rechtsverstoß im Internet erfasst wird, sondern „dass die Rechtsdurchsetzung bei der Bekämpfung von Hasskriminalität und strafbaren Falschnachrichten in sozialen Netzwerken geregelt werden soll“ (BT‑Drs. 18/12356, 19 aE).

[43] Bezüglich der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit der Katalogtat – im vorliegenden Fall §§ 186 und 187 dStGB – verweisen die Gesetzesmaterialien mehrmals auf den objektiven Tatbestand der Strafvorschriften (etwa BT‑Drs. 18/12356, 18: „Die [...] Regeln beziehen sich daher nur [...] auf rechtswidrige Inhalte, die den objektiven Tatbestand einer der in Absatz 3 genannten Normen erfüllen“). Der objektive Tatbestand der Katalogtat ist jedoch nur dann erfüllt, wenn alle Merkmale des objektiven Tatbestands gegeben sind und kein Tatbestandsausschluss vorliegt (Hoven/Gersdorf in Gersdorf/Paal [Hrsg.], BeckOK Informations- und Medienrecht [33. Edn, Stand: 1. 5. 2021] § 1 Rz 41 f); die Prüfung geht somit über eine bloße „Grobprüfung“ (vgl hingegen zu § 18 Abs 4 ECG RS0129335) hinaus.

[44] Gemäß § 186 dStGB ist wegen übler Nachrede zu bestrafen, wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist.

[45] Gemäß § 187 dStGB ist wegen Verleumdung zu bestrafen, wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist.

[46] Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können auch juristische Personen grundsätzlich einen strafrechtlichen Ehrenschutz genießen (1 StR 260/53 NJW 1954, 1412 zur Beleidigungsfähigkeit einer GmbH; restriktiver und „reine“ Wirtschaftsunternehmen ausnehmend OLG Celle 13 W 80/20 ZD 2021, 211).

[47] Tatbestandsmäßig iSd §§ 186 f dStGB sind aber nur Tatsachenbehauptungen (sinnlich wahrnehmbare, der Beweisbarkeit zugängliche Umstände), die insbesondere von Werturteilen (durch Elemente subjektiver Überzeugung/Meinung geprägte Äußerungen, die nur je nach der persönlichen Überzeugung falsch oder richtig sein können) zu unterscheiden sind. Zu letzteren werden zB Meinungsäußerungen, Schlussfolgerungen, Prognosen und etwa unsubstanziierte Pauschalurteile gezählt (s etwa BVerfG 22. 6. 1982 – 1 BvR 1376/79; Regge/Pegel in MünchKomm4 StGB § 186 Rz 6–13; Valerius in BeckOK StGB § 186Rz 4–7). Die Abgrenzung richtet sich dabei nach dem objektiven Sinngehalt der Äußerung, namentlich vor allem in Wortlaut und Form, in ihrem Gesamtzusammenhang, wie sie vom angesprochenen Adressaten verstanden würden; entscheidend ist dabei letztlich das Überwiegen (BGH 6 StR 92/54 NJW 1954, 1252; Regge/Pegel in MünchKomm4 StGB § 186 Rz 7; vgl auch KG 161 Ss 165/Valerius in BeckOK StGB § 186 Rz 5: bei Untrennbarkeit im Zweifel ein Werturteil).

[48] Die gegenständlichen Äußerungen beinhalten sowohl ein Tatsachensubstrat als auch Werturteile. Unter Berücksichtigung der soeben dargestellten Erwägungen, insbesondere dem Gesamtzusammenhang und der Systematik (Titel in Fettdruck „Köpfe rollen am laufenden Band“) aus dem Blickwinkel der angesprochenen Adressaten (insbesondere potenzielle Bewerber), überwiegen hier die Werturteile das Tatsachensubstrat. Die inkriminierten Äußerungen sind daher insofern nicht als tatbestandsmäßig iSd §§ 186 f dStGB zu werten, womit keine Katalogtat iSd § 1 Abs 3 NetzDG vorliegt.

[49] Ein Auskunftsanspruch ist somit auch nach § 14 Abs 3 dTMG zu verneinen.

[50] 3. Das Rekursgericht hat daher das Antragsbegehren zu Recht abgewiesen, weshalb dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben war.

[51] 4. Kostenersatz steht keiner Partei zu, weil der Revisionsrekurs erfolglos und die Revisionsrekurs‑beantwortung verspätet waren.

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