OGH 6Ob137/19v

OGH6Ob137/19v27.11.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. G***** S*****, gegen die beklagte Partei G***** LLC, *****, Vereinigte Staaten von Amerika, wegen Bekanntgabe von Nutzerdaten (Streitwert 5.500 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 29. Mai 2019, GZ 22 R 141/19t‑5, mit dem infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Thalgau vom 10. April 2019, GZ 2 C 252/19t‑2 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00137.19V.1127.000

 

Spruch:

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Einleitung des Verfahrens unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt – gestützt auf § 18 Abs 4 ECG und „jeden erdenklichen Rechtsgrund“ –, die in den USA inkorporierte Beklagte zur Bekanntgabe der Identität (Vor- und Zuname, Postanschrift und E-Mail-Adresse) jenes Nutzers zu verpflichten, der in einem näher angegebenen Zeitraum in der von der Beklagten betriebenen Suchmaschine auf einer von der Beklagten generierten und öffentlich zugänglich gehaltenen Internetseite eine wörtlich wiedergegebene, kreditschädigende Äußerung hochgeladen und den Kläger mit (nur) einem von fünf Sternen bewertet habe.

Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher und internationaler Unzuständigkeit sofort zurück.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil keine Rechtsprechung zu den für Klagen gemäß § 18 Abs 4 ECG gegen eine in den USA ansässige Beklagte erforderlichen Bescheinigungen vorliege.

Es verneinte eine auf §§ 51 Abs 1 Z 8b iVm 83c Abs 3 JN gestützte Zuständigkeit des angerufenen Gerichts mit der Begründung, dass kein Anspruch nach § 1330 ABGB, sondern ein Auskunftsanspruch geltend gemacht werde. Darüber hinaus erachtete es auch die Voraussetzungen des Vermögensgerichtsstands gemäß § 99 JN als nicht erfüllt.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers, mit dem er begehrt, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben und dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur internationalen Zuständigkeit für Auskunftsansprüche gemäß § 18 Abs 4 ECG noch nicht Stellung genommen hat. Er ist auch berechtigt.

1. Für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit sind gemäß § 41 Abs 2 JN zunächst die Klageangaben maßgeblich (RS0115860). Der Kläger, der einen anderen als den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten in Anspruch nimmt, muss bereits in der Klage die Tatsachen, die den besonderen Gerichtsstand begründen, vorbringen (RS0046204 [T1]; RS0115860 [T1]). Er ist zwar nicht gehalten, Zuständigkeitstatbestände in ihrer rechtlichen Konfiguration zu benennen, muss aber das dafür erforderliche Tatsachensubstrat vorbringen (RS0046204 [T2, T4]).

2. Nach § 27a JN besteht die inländische Gerichtsbarkeit ohne weitere Voraussetzungen (vgl RS0112696) schon dann, wenn für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts gegeben sind.

3. § 83c Abs 3 JN regelt die internationale Zuständigkeit für Klagen (unter anderem) in den im § 51 Abs 1 Z 8b JN angeführten Streitigkeiten, das sind Streitigkeiten nach dem § 1330 ABGB wegen einer Veröffentlichung in einem Medium. Die Bestimmung kommt zur Anwendung, wenn der Beklagte seinen Sitz weder in Österreich noch in der Europäischen Union hat (6 Ob 26/16s; vgl RS0118828; Simotta in Fasching/Konecny ³ § 83c JN Rz 15/1 und 23/1; Mayr in Rechberger , ZPO 5 § 83c JN Rz 3). Nach § 83c Abs 3 JN gilt dann, wenn die gesetzwidrige Handlung durch den Inhalt von Schriften oder Druckwerken oder durch andere Gegenstände bewirkt wird, die vom Ausland aus abgesendet worden sind, für die Zuständigkeit jener Ort als Begehungsort, wo der Gegenstand einlangt oder zur Abgabe oder Verbreitung gelangt ist.

4. § 83c Abs 3 JN ist auch auf Verfahren über Unterlassungsansprüche nach § 1330 ABGB anzuwenden, die die Ausstrahlungen von Rundfunk- oder Fernsehsendungen aus dem Ausland (vgl Simotta in Fasching/Konecny ³ § 83c JN Rz 20) oder in Österreich abrufbare Websites zum Gegenstand haben (6 Ob 26/16s Autocomplete, jusIT 2016, 107 [ Thiele ]). So bejahte der Senat die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte in einem Verfahren, in dem die Klägerin einen auf § 1330 ABGB gestützten Unterlassungsanspruch gegen die auch hier beklagte Suchmaschinenbetreiberin geltend machte. Die von Knöfel (IPRax 2018, 439 [444]) geäußerte Kritik daran, nicht-körperliche Kommunikationsmittel als „vom Ausland abgesendete andere Gegenstände“ zu verstehen, vermag nicht zu überzeugen. Eine derartige Auslegung unterstellte gerade jener Wortfolge („andere Gegenstände“), die eine Öffnung gegenüber anderen Kommunikationsformen als Schriften oder Druckwerken ausdrücklich anordnet, einen Inhalt, der die technologische Entwicklung im weitesten Umfang außer Acht ließe. Einem derartigen Verständnis vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

5. Im vorliegenden Verfahren wird kein auf § 1330 ABGB gestützter Anspruch, sondern ein Anspruch auf Herausgabe der Nutzerdaten gemäß § 18 Abs 4 ECG erhoben.

6. Voraussetzung eines Anspruchs gemäß § 18 Abs 4 ECG gegen einen Host-Provider (im Sinn des § 16 ECG) auf Übermittlung des Namens und der Adresse des Nutzers ist, dass der Auskunft begehrende Kläger ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität eines Nutzers und eines bestimmten rechtswidrigen Sachverhalts sowie überdies glaubhaft macht, dass die Kenntnis dieser Information eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung ist.

7. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll § 18 Abs 4 ECG Personen, die durch rechtswidrige Tätigkeiten oder Informationen eines ihnen nicht bekannten Nutzers in ihren Rechten verletzt wurden, die Rechtsverfolgung erleichtern (817 BlgNR 21. GP  39; 6 Ob 133/13x). Diese Zielrichtung betont auch die Rechtsprechung. So wird ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität des Täters bereits dann angenommen, wenn die Rechtsverletzung aufgrund einer groben Prüfung der vom Kläger geltend gemachten Verletzung eine gewisse Aussicht auf Erfolg hat (RS0129335 [T2]), weil ein strenger Maßstab notwendig ist, um die Insultierung von Personen unter dem (vermeintlichen) Deckmantel der Anonymität zu unterbinden (vgl 6 Ob 188/16i; vgl 6 Ob 133/13x).

8. Der Auskunftsanspruch gemäß § 18 Abs 4 ECG ist sohin seiner Funktion nach ein Hilfsanspruch, der die spätere Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen aus ehrverletzenden und rufschädigenden Äußerungen in einem Medium ermöglichen soll. Gleichzeitig erfordert bereits die Beurteilung des Auskunftsanspruchs gemäß § 18 Abs 4 ECG eine Grobprüfung der behaupteten Rechtsverletzung nach § 1330 ABGB.

9. Diese Funktion des § 18 Abs 4 ECG als Hilfsanspruch sowie die Notwendigkeit einer Grobprüfung der Rechtswidrigkeit der beanstandeten Äußerung sprechen dafür, unter „Streitigkeiten nach den § 1330 ABGB“ im Sinn des § 51 Abs 1 Z 8b JN auch solche Auskunftsansprüche nach § 18 Abs 4 ECG zu verstehen, denen die Behauptung einer gegen § 1330 ABGB verstoßenden Äußerung zugrunde liegt.

10. Der Kläger hat in seiner Klage den Sitz der Beklagten außerhalb der Europäischen Union behauptet und vorgebracht, dass er durch Äußerungen, die auf von der Beklagten betriebenen, in Österreich abrufbaren Webseiten verbreitet worden seien, in seinem wirtschaftlichen Ruf (§ 1330 Abs 2 ABGB) verletzt sei.

11. Er hat damit die Voraussetzungen der internationalen Zuständigkeit des Erstgerichts gemäß § 83c Abs 3 JN vorgebracht. Aufgrund der behaupteten Abrufbarkeit in (ganz) Österreich bestehen auch keine Bedenken gegen die Qualifikation des Wohnsitzgerichts des Klägers als jenes Gericht, in dessen Sprengel „der Gegenstand eingelangt oder zur Abgabe oder Verbreitung gelangt ist“ (§ 83c Abs 3 JN).

12. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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