OGH 6Ob188/16i

OGH6Ob188/16i30.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** F*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 31.000 EUR) und Herausgabe (Streitwert 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Juli 2016, GZ 5 R 212/15f‑12, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. Oktober 2015, GZ 43 Cg 25/15‑8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00188.16I.0130.000

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr zu lauten hat:

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger Vor- und Zunamen sowie Anschrift der Nutzer mit den Bezeichnungen „Brcko Brckovic aus Brno“ und „Canosso“ binnen 14 Tagen herauszugeben.

Das Mehrbegehren, die Beklagte sei schuldig, ab sofort die Behauptung und/oder die Verbreitung von ehrenbeleidigen Äußerungen über den Kläger, insbesondere die Äußerungen, der Kläger sei ein Charakterschwein und/oder der Kläger sei ein Vollidiot und/oder der Kläger gleiche Joseph Goebbels, und/oder sinngleiche Äußerungen, zu unterlassen sowie dem Kläger Vor‑ und Zunamen und Anschrift der Nutzer mit den Bezeichnungen „elbin“ und „cogitare vivimus“ binnen 14 Tagen herauszugeben, wird abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 3.087,15 EUR (darin 514,53 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 5.158,60 EUR (darin 351,50 EUR Umsatzsteuer und 3.049,60 EUR Barauslagen) bestimmter Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Geschäftsführer der Mediengruppe „Ö*****“ GmbH, die Medieninhaberin des periodischen Druckwerks „Ö*****“ ist. Er ist auch selbst als Journalist tätig.

Die Beklagte ist Medieninhaberin der Webseite www.*****.at und veröffentlicht dort Postings im Rahmen eines Online-Diskussionsforums. Sie fungiert als Host‑Provider.

Am 27. 3. 2015 veröffentlichte die Beklagte auf dieser Website unter dem Titel „Falsches Kopilotenfoto: 'K*****' 'bedauert' auf Seite 1 mit Bild des Kopiloten“ einen Artikel bezüglich der Veröffentlichung eines Fotos eines Unbeteiligten anstelle des Bildes eines Germanwings-Kopiloten in der „K*****“ und der Zeitung „Ö*****“. Die Beklagte zitierte auch den Kläger, der sinngemäß gemeint hatte, der Agentur, die das Foto vertrieben hatte, vertraut zu haben. So wie auch die Zeitung „La Repubblica“ dies getan habe.

Unter dem Artikel wurden nachstehende Postings veröffentlicht:

User „elbin“: „Er ist ein echtes Charaktersch... und die Bundesregierung und die Stadt Wien sponsern ihn auch noch.“

User „Brcko Brckovic aus Brno“: „Der F***** liest seine eigenen Dr***sblätter garantiert nicht. Das tut er sich sicher nicht an.“

User „Canosso“: „Hier ein Symbolbild http://commons.wikimedia.org/wiki/F …ebbels.jpg redet sich auf die Foto‑Agentur heraus, dabei gibt es in seinem Propaganda-Blatt fast jeden Tag Bilder, die nicht die Täter oder die Tat zeigen, sondern ähnliche Bilder, bei denen klein Symbolbild steht.“ Unter dem angeführten Link war eine Abbildung von Joseph Goebbels abrufbar.

User „cogitare vivimus“: „'Ö*****' ist wirklich so ziemlich das peinlichste, was als Tageszeitung vertrieben wird. Dass sich da bei denen irgendeiner traut, das Wort Journalismus noch in den Mund zu nehmen, für das was die machen. Da kann man über die Agitation der K***** sagen, was man will, aber an diesen absoluten Bodensatz heimischer Schreiberlinge mitsamt Vollidioten als Chef kommt keiner heran.“

Die gegenständliche, auf § 1330 ABGB gestützte Klage wurde der Beklagten, die erst dadurch von den Postings Kenntnis erlangte, am 16. 4. 2015 zugestellt. Am selben Tag löschte sie die Postings und gab dem Kläger Vor‑ und Nachnamen sowie E‑Mail‑Adressen der Nutzer „elbin“ und „cogitare vivimus“ bekannt. Der Kläger erhielt jedoch keine Daten der Nutzer „Brcko Brckovic aus Brno“ und „Canosso“, wobei zwar nicht feststeht, ob der Beklagten Vor‑ und Zuname sowie Postadressen dieser Nutzer bekannt sind; grundsätzlich müssen sich aber Nutzer des Online-Diskussionsforums der Beklagten unter Angabe eines Vor- und Nachnamens sowie einer E-Mail-Adresse registrieren lassen und einen Benutzernamen mit Passwort auswählen, um Beiträge erstellen zu können.

Das Berufungsgericht verbot in teilweiser Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung (soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist) der Beklagten die Behauptung und/oder Verbreitung der Äußerungen, der Kläger sei ein Charakterschwein und/oder der Kläger sei ein Vollidiot und/oder der Kläger gleiche Joseph Goebbels, und/oder sinngleicher Äußerungen, und verpflichtete die Beklagte zur Bekanntgabe von Vor- und Zunamen sowie Anschriften der Nutzer „Brcko Brckovic aus Brno“ und „Canosso“. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und die Revision nicht zulässig ist.

In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Host‑Providers sei ausschließlich nach § 1330 ABGB zu beurteilen; ob die Beklagte von den inkriminierten Äußerungen Kenntnis gehabt habe oder hätte haben müssen und ob sie die Äußerungen unverzüglich gelöscht habe (§ 16 Abs 1 ECG) sei nicht wesentlich. Die Bezeichnungen des Klägers als Charakterschwein und Vollidiot enthielten keinen Tatsachenkern, seien sohin Werturteile, weshalb ein schützenswertes Interesse des Äußernden nicht bestehe. Der Vergleich des Klägers mit Goebbels beinhalte den Vorwurf einer gleichen Gesinnung und sei auch nicht erforderlich gewesen, um eine Debatte über mangelnde journalistische Sorgfalt zu führen; auch insoweit schlage eine Interessenabwägung somit zugunsten des Klägers aus. Die Auskunftsverpflichtung der Beklagten stützte das Berufungsgericht auf § 18 Abs 4 ECG.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt.

1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass der Betreiber eines Online-Archivs technischer Verbreiter der in archivierten Artikeln enthaltenen Tatsachenbehauptungen im Sinn des § 1330 ABGB ist (RIS‑Justiz RS0118525). Dies gilt auch für den Betreiber eines Online-Gästebuchs hinsichtlich der Einträge darin (6 Ob 178/04a MR 2007, 79 [Thiele]) und für Online-Diskussionsforen hinsichtlich geposteter Beiträge (vgl 6 Ob 133/13x SZ 2014/4 = EvBl 2014/105 [Zib] = jusIT 2014/46 [Mader]; ebenso bereits 3 Ob 47/04i, wo Online-Medien mit Online‑Archiven gleichgesetzt wurden; ausdrücklich auch Thiele, MR 2007, 82 [Entscheidungsanmerkung]). Dass die Beklagte ein derartiges Online-Diskussionsforum betreibt, hat das Erstgericht festgestellt und ist auch im Revisionsverfahren nicht strittig.

2. Die Beklagte ermöglicht es Internet‑Nutzern, von ihnen eingegebene Informationen in ihrem Online-Diskussionsforum auf ihrer Website zu speichern. Sie ist damit – wie auch das Erstgericht ausdrücklich feststellte – Host-Provider im Sinn des § 16 ECG, wobei unerheblich ist, ob die Beklagte diesen Dienst unentgeltlich oder entgeltlich bereitstellt (6 Ob 178/04a) und ob sie (auch) Medieninhaberin ist (6 Ob 133/13x).

2.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 6 Ob 178/04a (unter Rückgriff auf 1 Ob 36/89 SZ 64/36) klargestellt, dass das Betreiben eines (dort) Online-Gästebuchs zu kommunikativen Zwecken unter dem Schutz der verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheit der Meinungsäußerung (Art 10 EMRK; Art 13 StGG) steht und die Existenz eines solchen kommunikationsbezogenen Dienstes bei Überspannung der Überwachungspflichten in Frage gestellt wäre. Andererseits seien die absoluten Rechte der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes der Betroffenen zu berücksichtigen, deren Verletzung durch die Einrichtung eines Online-Gästebuchs erst ermöglicht wurde. Es liege für jeden Leser auf der Hand, dass es sich bei den Eintragungen, die ganz unterschiedliche Meinungen widerspiegeln können, nicht um die Wiedergabe der Meinung des Betreibers handelt, sodass es einer Distanzierung nicht bedürfe. Werde nicht der Eindruck erweckt, der Beitrag gebe die Meinung des Betreibers wieder, seien dem Betreiber im Regelfall Rechtsverletzungen durch Nutzer nicht zuzurechnen, wenn er diese durch sein eigenes Verhalten nicht provozierte. Eine allgemeine Verpflichtung zu einer Kontrolle des Vorgangs des Einstellens der Beiträge verstieße zwar gegen § 18 Abs 1 ECG und schränkte die Möglichkeiten des freien Meinungsaustausches über Gebühr ein. Aus § 16 Abs 1 Z 2 ECG ergebe sich aber die Verpflichtung des Betreibers, bei Bekanntwerden (offensichtlich) rechtswidriger Inhalte die entsprechenden Beiträge zu entfernen, andernfalls der Betreiber auch auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könne.

2.2. Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung bei Online-Diskussionsforen abzugehen. Auch hier wird der Leser regelmäßig nicht davon ausgehen, dass – etwa gegen § 1330 ABGB verstoßende – Postings von Nutzern die Meinung des Betreibers wiedergeben. Wird ein solcher Eindruck vom Betreiber nicht erweckt und hat er die Postings nicht durch eigenes Verhalten provoziert, kommt es lediglich darauf an, ob er seiner Verpflichtung zur Entfernung im Sinn des § 16 Abs 1 Z 2 ECG fristgerecht nachgekommen ist.

Der Hinweis des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung, „[das Haftungsprivileg des] § 16 Abs 1 ECG [sei] für verschuldensunabhängige zivilrechtliche Unterlassungsansprüche irrelevant“, entspricht zwar der herrschenden Auffassung. Tatsächlich wird aus § 19 Abs 1 ECG abgeleitet, dass dieses Haftungsprivileg lediglich eine allfällige Schadenersatzhaftung und die strafrechtliche Verantwortlichkeit ausschließt und nicht für verschuldensunabhängige zivilrechtliche Unterlassungs-ansprüche – etwa nach § 1330 ABGB – gilt (6 Ob 178/04a; Zankl, ECG² [2016] Rz 265). Unter den vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 178/04a genannten Voraussetzungen fehlt es jedoch an der Rechtswidrigkeit.

2.3. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen löschte die Beklagte am Tag der Zustellung der gegenständlichen Klage die inkriminierten Postings. Dass sie bereits zuvor in Kenntnis derselben gewesen wäre, macht der Kläger im Revisionsverfahren nicht geltend; tatsächlich bezieht sich die vom Erstgericht erwähnte Aufforderung des Klägers zur Löschung und Bekanntgabe von Forum-Nutzern am 17. 11. 2014 ganz offensichtlich nicht auf die noch revisionsgegenständlichen Einträge. Das Unterlassungs-begehren war somit zur Gänze abzuweisen.

3. Nach § 18 Abs 4 ECG haben die in § 16 ECG genannten Diensteanbieter den Namen und die Adresse eines Nutzers ihres Dienstes, mit dem sie Vereinbarungen über die Speicherung von Informationen abgeschlossen haben, auf Verlangen dritten Personen zu übermitteln, sofern diese ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität eines Nutzers und eines bestimmten rechtswidrigen Sachverhalts sowie überdies glaubhaft machen, dass die Kenntnis dieser Informationen eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet (stRsp, s bloß https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20150219_OGH0002_0060OB00145_14P0000_000 ). Ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität besteht dabei dann, wenn die Rechtsverfolgung aufgrund einer groben Prüfung der vom Kläger geltend gemachten Verletzungen eine gewisse Aussicht auf Erfolg hat.

Den Grad der Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung nach § 1330 ABGB, die eine Herausgabe der Daten des Verletzers rechtfertigt, hat der erkennende Senat damit umschrieben, dass eine Verurteilung „nicht gänzlich auszuschließen“ (https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20140123_OGH0002_0060OB00133_13X0000_000 [2.], 6 Ob 188/14m [4.1.]) sein dürfe bzw dass eine solche „möglich“ (https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20141215_OGH0002_0060OB00188_14M0000_000 [3.3.]) erscheine. Entgegen der von der außerordentlichen Revision vertretenen Auffassung liegt darin aber kein Widerspruch. Schon nach der bloßen Wortbedeutung ist der Unterschied nicht erkennbar, umschreibt doch etwa der „Duden“ (www.duden.de/rechtschreibung/ausschlieszen ) eine der (unterschiedlichen) Bedeutungen des Wortes „ausschließen“ mit „unmöglich machen“ (so auch https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20150219_OGH0002_0060OB00145_14P0000_000 , wo beide Varianten synonym verwendet werden [6., 7.]). Jedenfalls ist aber von einem strengen Maßstab auszugehen, können doch nur so – im Sinne der zu 2.1. dargestellten Interessenabwägung – auch die Interessen des Verletzten ausreichend gewahrt werden (vgl in diesem Sinn auch https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20140123_OGH0002_0060OB00133_13X0000_000 , wo auf die notwendige Unterbindung der Insultierung von Personen unter dem [vermeintlichen] Deckmantel der Anonymität im Internet hingewiesen wurde). Die Argumentation der Beklagten in ihrer außerordentlichen Revision, es bestünden weder das Unterlassungsbegehren noch das Herausgabebegehren zu Recht, ist somit widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, führte sie doch letztlich dazu, dass der Verletzte überhaupt nicht geschützt werden könnte.

Unter Anlegung eines solchen strengen Maßstabs begegnet aber die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach aufgrund der Äußerungen der hinter den Pseudonymen „Brcko Brckovic aus Brno“ und „Canosso“ stehenden Personen eine Verurteilung nach § 1330 ABGB nicht auszuschließen ist, keinen Bedenken. Hinsichtlich des Herausgabebegehrens ist somit die Entscheidung des Berufungsgerichts zu bestätigen.

Der Frage, ob die Beklagte hinsichtlich dieser Offenlegungsverpflichtung gegenüber durch vermeintlich anonyme Nutzer gemäß § 1330 ABGB Verletzte (auch) eine Aufklärungspflicht gegenüber diesen Nutzern getroffen hätte, kommt hier keine Entscheidungsrelevanz zu.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf § 43 Abs 1, § 50 ZPO.

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