European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00174.21Y.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss wird nicht Folge gegeben.
Der Revision gegen das Teilurteil wird Folge gegeben und die Entscheidungen der Vorinstanzen über den Teilbetrag von 25.618,36 EUR werden aufgehoben und auch diesbezüglich wird die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Aufgrund eines Bandscheibenvorfalls suchte die Klägerin einen Wahlarzt (Primar) in dessen Privatordination auf. Er riet ihr zur operativen Entfernung des Bandscheibenvorfalls. Im Gespräch wurde klargestellt, dass der Eingriff nicht von ihm persönlich an der Klägerin als Privatpatientin durchgeführt werde, sondern von einem der Fachärzte des von der Beklagten betriebenen Krankenhauses. Der Operationstermin wurde für den 14. 8. 2015 fixiert. Der Wahlarzt nahm anlässlich des Beratungsgesprächs am 21. 7. 2015 bereits die ärztliche Aufklärung vor. Im verwendeten Aufklärungsbogen wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass es trotz größter Sorgfalt unter Umständen zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen könne. Unter anderem wurden die Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit der Beine bis hin zu Lähmungen und Störungen genannt. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass das Ergebnis bei ca 10 % aller Operationen unbefriedigend sei. Die Klägerin unterschrieb den Aufklärungsbogen samt Einwilligungserklärung während des Aufklärungsgesprächs. Thema war auch, dass der Eingriff sowohl in offener Methode als auch endoskopisch durchgeführt werden kann. Der Wahlarzt äußerte seine persönliche Präferenz für die offene Methode. Die Risiken beim Eingriff mit offener oder endoskopischer Methode seien etwa dieselben. Am Ende des Gesprächs war nicht entschieden, dass ein endoskopischer Eingriff erfolgen werde. Es ist nicht erwiesen, ob später in einem Gespräch mit dem Operateur oder bei einer sonstigen Gelegenheit vor der Operation mit der Klägerin vereinbart wurde, dass endoskopisch operiert werde, oder dass ihr dies mitgeteilt wurde und sie dem ausdrücklich zugestimmt hätte.
[2] Am 14. 8. 2015 erfolgte die endoskopisch vorgenommene Operation. Dabei kam es zu einer Verletzung der lumbalen Nervenwurzel L5 auf der rechten Seite. Beim Eingriff wurde das Endoskop unter einem Winkel von ungefähr 26o in der Frontalebene eingebracht. Dieser Winkel ist nicht zu steil und es liegt diesbezüglich kein Kunstfehler vor. Bei Bandscheibenoperationen stellt die Verletzung von Nerven ein typisches und grundsätzlich unvermeidbares Risiko dar. Dies schließt aber nicht aus, dass eine Nervenverletzung auch durch einen schuldhaften Fehler beim Eingriff entstehen kann. Im vorliegenden Fall ist nicht erwiesen, kann jedoch auch keineswegs ausgeschlossen werden, dass die Nervenverletzung durch eine fehlerhafte Manipulation während des Eingriffs zustande kam.
[3] Eine Aufklärung der Klägerin – abgesehen von jener durch den Wahlarzt – über die Operationsrisiken im Allgemeinen, auch jene der Nervenverletzung, ist vor der Operation teils mündlich, teils durch den verwendeten Aufklärungsbogen erfolgt. Die Indikation zur Durchführung der Bandscheibenoperation war gegeben, nachdem die davor durchgeführten konservativen Maßnahmen bezüglich der Bekämpfung der Schmerzen keinen Erfolg gezeigt hatten. Die offene Operationsmethode wird am Krankenhaus der Beklagten und vielen anderen österreichischen Krankenanstalten häufiger angewendet und aus diesem Grund dort bevorzugt. Es gibt aber auch Operateure, welche die zeitlich jüngere endoskopische Methode bevorzugen. Diese wird in der medizinischen Literatur bereits seit dem Jahr 1973 beschrieben. Sie zeigt gegenüber der offenen Methode keine wesentlichen Nachteile, sondern eher Vorteile. Beim endoskopischen Eingriff spielt die Erfahrung des Operateurs, mehr noch als bei anderen Eingriffen, eine erhebliche Rolle. Ein in der Endoskopie noch nicht erfahrener Arzt am Anfang der Lernkurve trägt verglichen mit einem erfahrenen Arzt ein höheres Risiko hinsichtlich des Auftretens von Komplikationen, insbesondere von Nervenverletzungen.
[4] Der die Operation der Klägerin ausführende Operateur ist seit dem Jahr 1990 als Neurochirurg tätig. Er verfügt über große Erfahrung mit Bandscheibenoperationen in offener Methode. Er hat alle erforderlichen Ausbildungen abgeschlossen, um endoskopische Operationen eigenständig durchführen zu können. Die Klägerin war die fünfte Patientin bei der er das tat.
[5] Nachdem die postoperativen Beschwerden (Lähmung am rechten Bein, starke Schmerzen) nicht nachließen, wurde am 22. 3. 2016 in einer Privatklinik eine Revisionsoperation durchgeführt. Danach kam es zu einer deutlichen Besserung der Lähmungserscheinungen, die Schmerzen besserten sich jedoch nur teilweise. Im Oktober 2017 und im Jänner 2018 wurden neuerliche Operationen der Klägerin an der Lendenwirbelsäule erforderlich, weil nach wie vor Rückenschmerzen sowie eine Restlähmung bestanden. Diese Eingriffe führten zwar zu einer Besserung der Beschwerden, die Klägerin ist jedoch weiterhin nicht beschwerdefrei und benötigt Medikamente und eine weitere Behandlung.
[6] Die Klägerin begehrte von der Beklagten insgesamt 79.471,62 EUR an Schadenersatz, davon 60.000 EUR Schmerzengeld und 19.471,62 EUR für sonstige Schäden (wegen der Einschränkung in der Haushaltsführung, vermehrter Bedürfnisse und Pflegeaufwand) sowie (nach Einschränkung des ursprünglich auch auf die mangelnde Nachbehandlung gestützten Feststellungsbegehrens) die Feststellung, dass die Beklagte der Klägerin für sämtliche zukünftigen Folgen, Schäden und Nachteile aufgrund der nicht den Regeln der medizinischen Heilkunde entsprechenden Operation vom 14. 8. 2015 bzw der in diesem Zusammenhang nicht erfolgten Aufklärung der Klägerin und daraus resultierenden Nervenverletzungen zu haften habe. Die Ärzte der Beklagten hätten die Operationen nicht sachgemäß durchgeführt. Die in ihrem Krankenhaus gerade erst neu eingeführte endoskopische Methode sei risikoreicher gewesen als die „Schnitttechnik“. Der Operateur habe nur äußerst geringe Erfahrung mit dieser gehabt, was das Risiko eines Fehlers – mehr als bei anderen Operationen – erhöht habe. Tatsächlich sei es zu einem derartigen Fehler gekommen. Die Ärzte der Beklagten wären verpflichtet gewesen, die Klägerin über dieses höhere Risiko aufzuklären. Bei entsprechender Aufklärung hätte sich die Klägerin für die risikoärmere „offene“ Operationsmethode entschieden. Trotz der postoperativen Befunde hätten die Ärzte der Beklagten nicht zur dringenden Durchführung der Revisionsoperation angeraten, wozu sich die Klägerin bei entsprechender Aufklärung entschieden hätte. Die Klägerin habe deshalb unnotwendigerweise an Schmerzen bis zur verspäteten Revisionsoperation gelitten und sie sei psychisch schwer beeinträchtigt gewesen. Die Klägerin werde zeitlebens an einer leichten Lähmung ihres rechten Beines sowie an Schmerzen leiden. Sie müsse starke Schmerzmedikamente einnehmen und außerdem sei eine Behandlung mit Botox-Injektionen erforderlich. Die Revisionsoperation und die damit verbundenen Folgekosten seien auf die Nervenverletzung im Zuge der Erstoperation zurückzuführen. Da Spät- und Dauerfolgen nicht auszuschließen seien, sei das Feststellungsbegehren gerechtfertigt.
[7] Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, die indizierte Operation sei nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. Die Klägerin sei vollständig aufgeklärt worden. Sie habe sich zur operativen Behandlung des Bandscheibenvorfalls entschieden. Auch der endoskopische Eingriff sei medizinisch indiziert und lege artis gewesen. Der Operateur sei befugt gewesen diesen durchzuführen. Über seine Erfahrung habe er im Sinne des „therapeutischen Privilegs“ nicht aufklären müssen. Ein allfällig erhöhtes Risiko durch einen weniger erfahrenen Arzt sei nicht in Zahlen fassbar. Die Klägerin sei über die Vor- und Nachteile beider Methoden informiert worden. Die Nervenverletzung bei der Operation sei eine schicksalshafte Komplikation. Bei Schilderung der Ausgangslage hätte die Klägerin (zumindest fiktiv) in die Operation eingewilligt. Dass die Beklagte nach der Operation in Kenntnis der Nervenverletzung keine Indikation zur Revisionsoperation gesehen habe, sei vertretbar. Die Notwendigkeit derselben werde im Übrigen bestritten. Die beklagte Partei sei nicht passivlegitimiert, da der Wahlarzt der Klägerin, der die Indikation zur Operation gestellt und die Aufklärung vorgenommen habe, nicht als angestellter Arzt der Beklagten gehandelt habe. Das geltend gemachte Schmerzengeld und die sonstigen Schadensforderungen seien weit überhöht. Die anhaltenden Schmerzen sowie die Nachoperationen vom Oktober 2017 und vom Jänner 2018 sowie die damit in Verbindung stehenden Aufwendungen seien nicht kausal auf die Operation zurückzuführen. Es fehle am rechtlichen Interesse der begehrten Feststellung. Im Übrigen seien die Klagsansprüche teilweise verjährt, weil die Ausdehnungen des Klagebegehrens zeitlich verspätet erfolgt seien.
[8] Das Erstgericht sprach der Klägerin einen Betrag von 73.501,30 EUR zu und sprach aus, dass die Beklagte der Klägerin für sämtliche zukünftige Folgen, Schäden und Nachteile aufgrund der im Zusammenhang mit der Operation vom 14. 8. 2015 entstandenen Nervenverletzung zu haften habe, weil eine diesbezügliche Aufklärung der Klägerin nicht erfolgt sei. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 5.907,22 EUR (unerledigt blieb ein Zahlungsbegehren von 63 EUR) wurde abgewiesen, ebenso wie das Begehren auf Feststellung, dass die Beklagte auch dafür zu haften habe, dass die Operation vom 14. 8. 2015 nicht den Regeln der medizinischen Heilkunde entsprochen habe und daraus eine Nervenverletzung resultiert sei. Es sei nicht erwiesen, dass die Klägerin eingewilligt habe, sich endoskopisch operieren zu lassen. Bereits das führe zur Haftung der Beklagten. Vor allem habe die notwendige Aufklärung in einem speziellen Punkt nicht den Anforderungen entsprochen. Die Klägerin hätte darüber aufgeklärt werden müssen, dass der Operateur für die endoskopische Methode zwar ausgebildet gewesen sei, sich jedoch noch am (risikoreicheren) Beginn der Lernkurve befunden habe. Aus den Verfahrensergebnissen ergebe sich auch eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die begrenzte Erfahrung des Operateurs ein ursächlicher Faktor für die Nervenverletzung gewesen sei, wenn diesbezüglich auch nicht zwingend von einem Kunstfehler auszugehen sei. Das „therapeutische Privileg“ sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Situation sei nicht unausweichlich gewesen, sondern hätte durch Wahl eines erfahreneren Operateurs oder einer anderen Operationsmethode leicht gelöst werden können. Bei entsprechender Aufklärung liege es nahe, dass die Klägerin sich dagegen entschieden hätte, diese Operationsmethode durch diesen Arzt anzuwenden. Selbst der konkrete Operateur habe hinsichtlich der offenen Methode über beträchtlich mehr Erfahrung verfügt. Daher hafte die Beklagte unabhängig vom Vorliegen eines verschuldeten Kunstfehlers für Komplikationen und sonstige Nachteile aus der mittels Endoskopie vorgenommenen Operation. Haftungsbegründend sei außerdem die nicht adäquat erfolgte Aufklärung der Klägerin und nachbehandelnder Ärzte über die beim Eingriff erfolgte Nervenverletzung und die zur weiteren Behandlung derselben möglichen Alternativen, soweit dadurch eine Verzögerung der Behandlung eingetreten sei. Dem Feststellungsbegehren sei nur im Zusammenhang mit der Aufklärungspflichtverletzung stattzugeben gewesen, nicht aber auch in Zusammenhang mit Kunstfehlern, zumal solche nicht nachgewiesen worden seien. Die Entscheidung über die Prozesskosten behielt das Erstgericht der rechtskräftigen Entscheidung der Streitsache vor.
[9] Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung in Bezug auf einen Zuspruch von 47.882,94 EUR auf und verwies diesbezüglich die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Hinsichtlich des weiteren Zuspruchs von 25.618,36 EUR änderte das Berufungsgericht die Entscheidung dahin ab, dass es dieses Begehren mittels Teilurteils abwies. Es ging davon aus, dass die Klägerin keinen Behandlungsfehler der Beklagten nachgewiesen habe. Zur Haftung der Beklagten wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht stelle sich die Frage, ob die Beklagte darüber hätte aufklären müssen, dass der Operateur nochwenig praktische Erfahrung mit der neuen endoskopischen Methode hatte. Diese Frage sei zu verneinen, weil es sich bei dieser Methode nicht um eine experimentelle „Neuland‑Methode“ handle und eine Aufklärung des Arztes über seine vergleichsweise geringe Erfahrung Patienten verunsichern würde. Eine anerkannte, an einem konkreten Krankenhaus relativ neu eingeführte Methode könnte nie etabliert werden, würde man ein diesbezügliches Informationsrecht des Patienten bejahen. Vielmehr wäre in derartigen Konstellationen zu erwarten, dass niemand einer der ersten Patienten sein wolle, an dem ein Operateur eine (für diesen) neue Methode die ersten Male anwende. Die Etablierung derartiger Methoden sei aber im Interesse eines sich entwickelnden und verbessernden Gesundheitssystems, zumal feststehe, dass die endoskopische Methode keine wesentlichen Nachteile, sondern eher Vorteile zeige. Dass die Erfahrung des Operateurs feststellungsgemäß „mehr noch als bei anderen Eingriffen“ eine erhebliche Rolle spiele, rechtfertige keine davon abweichende Beurteilung. Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung könne davon ausgegangen werden, dass die Erfahrung eines Chirurgen umso bedeutsamer sei, je schwieriger und schadensgeneigter ein Eingriff sei. Aber auch derartige komplexere Eingriffe müssten von Chirurgen irgendwann das erste Mal durchgeführt werden (können). Es könne Patienten kein Anspruch darauf zugebilligt werden, nur von einem mit der jeweiligen Methode bereits sehr erfahrenen Arzt operiert zu werden. Entscheidend müsse bleiben, ob der Arzt die ausreichende Ausbildung und Erfahrung habe, um einen derartigen Eingriff durchzuführen. Diese Voraussetzungen seien im konkreten Fall erfüllt gewesen. Ein Aufklärungsmangel sei daher zu verneinen. Die Klägerin habe in den Bandscheibeneingriff eingewilligt. Sie habe nicht nachweisen können, einen bestimmten Operationsmodus verlangt zu haben. Ausgehend davon sei die Beklagte berechtigt gewesen eine der beiden möglichen Operationsmethoden einzusetzen. Mangels Aufklärungspflichtverletzung und Behandlungsfehler ergebe sich daher kein Schadenersatzanspruch der Klägerin aus der Operation vom 14. 8. 2015.
[10] Die Klage sei allerdings auch auf die mangelhafte Nachbehandlung, nicht erfolgte Bekanntgabe der Nervenverletzung und die sich daraus ergebende Verspätung der Revisionsoperation gestützt worden. In diesem Zusammenhang ergebe sich aus den Feststellungen des Erstgerichts nicht ausreichend klar, ob die Beklagte ihre Pflicht zur vollumfänglichen Information über tatsächlich eingetretene Komplikationen zwecks Ermöglichung der bestmöglichen Behandlung erfüllt habe. Sollte sie die Klägerin nicht klar und unmissverständlich über die Nervenverletzung informiert haben, wäre dies als Verletzung einer Vertragspflicht zu werten. Zu diesem Themenkomplex seien Feststellungen erforderlich. Außerdem ergebe sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht eindeutig, ob und in welchem Ausmaß sie ihre Begehren auch auf Fehler der Nachbehandlung stütze. Das werde sie nach entsprechender Erörterung durch das Erstgericht im zweiten Rechtsgang klarzustellen haben.
[11] Der Verjährungseinwand der Beklagten sei (nur) hinsichtlich der (letzten) Klagsausdehnung vom 6. 3. 2020 relevant. Das Feststellungsbegehren beziehe sich nur auf die bei der Operation vom 14. 8. 2015 entstandene Nervenverletzung, für die die Beklagte aber nicht hafte. Eine Unterbrechungswirkung für Ansprüche aus einer nicht lege artis erfolgten Nachbehandlung komme daher nicht in Betracht. Hinsichtlich der letzten Klagsausdehnung sei daher verjährungsrechtlich zu prüfen, wann hinsichtlich des Primärschadens die objektive Möglichkeit zur Klagseinbringung gegeben gewesen sei, also ausreichende Kenntnis von Schaden und Schädiger vorgelegen sei. Entsprechende Kenntnis sei jedenfalls im Zeitpunkt der Klagseinbringung vorgelegen, habe sich doch die Klägerin bereits in der Klage ausdrücklich auf die unzureichende Nachbehandlung berufen und das Feststellungsbegehren damals auch darauf gestützt. Diesen Teil des Feststellungsanspruchs habe sie jedoch durch die Modifizierung in der abschließenden Streitverhandlung, nach der sich das Begehren nur noch auf die Operation beziehe, zurückgezogen. Insofern sei die Feststellungsklage, sofern sie die Nachbehandlung betreffe, nicht gehörig fortgesetzt worden, weshalb eine allfällige ursprüngliche Unterbrechungswirkung weggefallen sei. Daraus ergebe sich, dass der im Schriftsatz vom 6. 3. 2020 erstmals geltend gemachte Teil des Begehrens von 25.618,36 EUR verjährt sei.
[12] Die Revision und den Rekurs erklärte das Berufungsgericht zur Frage für zulässig, ob die höchstgerichtliche Judikatur, wonach ein zur Durchführung einer bestimmten Operation ausgebildeter und befähigter Arzt nicht verpflichtet sei, über seine bisherige praktische Erfahrung damit aufzuklären, auch dann gelte, wenn – wie im vorliegenden Fall – diese Erfahrung eine bedeutendere Rolle spiele als bei anderen Eingriffen und die mangelnde Erfahrung ein höheres Risiko des Auftretens von Komplikationen wie Nervenverletzungen bedeute.
[13] Gegen diese Entscheidung richten sich die (jeweils von der Beklagten beantworteten) Revision und der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils, in eventu Aufhebung. Die Aufklärungspflichtverletzung im Zusammenhang mit der Operation vom 14. 8. 2015 sei zu bejahen, weil Patienten Anspruch auf die sichersten Maßnahmen zur möglichsten Ausschaltung oder Einschränkung bekannter Operationsgefahren hätten und die Klägerin daher über die Unerfahrenheit des Operateurs zu informieren gewesen wäre. Im Übrigen sei eine bloße Einwilligung in die Operation an sich bei mehreren zur Wahl stehenden Operationsmethoden nicht ausreichend, vielmehr müsse der Patient in die konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen. Die Behauptungs- und Beweislast dafür treffe den Arzt – hier die Beklagte, die den Beweis nicht erbracht habe. Die Verjährung von Ansprüchen sei hier schon deshalb zu verneinen, weil die Beklagte, die für den Beginn der Verjährungsfrist beweispflichtig sei, in erster Instanz dazu keinen substanziierten Verjährungseinwand erhoben habe. In der erstmals in der Berufungsbeantwortung substanziiert vorgetragenen Argumentation liege ein Verstoß gegen das Neuerungsverbot. Im Übrigen werde die Verjährung auch inhaltlich bestritten.
[14] Die Revision und der Rekurs sind jeweils zulässig, die Revision (im Sinne des Aufhebungsbegehrens) auch berechtigt und der Rekurs nicht berechtigt.
1. Aufklärungsmangel
Rechtliche Beurteilung
[15] 1.1.1. Der Senat sprach in der Entscheidung 4 Ob 166/08b aus, dass eine Aufklärung des Patienten über die Anzahl der vom Arzt vorher nach einer bestimmten Methode ausgeführten Operationen nicht erforderlich sei, wenn der Arzt die vorgesehene Operation nach den Regeln der ärztlichen Ausbildung und jenen über die Ausübung der ärztlichen Kunst ausführen dürfe. Dies wurde wie folgt begründet:
Das Funktionieren des öffentlichen Gesundheitswesens setzt voraus, dass die Wahlmöglichkeit des Patienten in Bezug auf die Person des ihn behandelnden Arztes in gewissem Maß eingeschränkt wird. Es kann nicht jeder Patient darauf bestehen, nur von jenem Arzt operiert zu werden, der die größte Erfahrung oder sonst die allerbesten Voraussetzungen für ein geringstmögliches Operationsrisiko aufweist. Es muss einen bestimmten medizinischen Ausbildungsstand geben, ab dem ein Chirurg im Einklang mit den Regeln der ärztlichen Ausbildung und jenen über die Ausübung der ärztlichen Kunst seine erste und dann weitere bestimmte Operationen, hier laparoskopische Dickdarmoperationen, durchführen darf. Ansonsten wäre es weder möglich, in ausreichender Zahl Ärzten die Möglichkeit zur selbständigen Operation und der Sammlung weiterhin notwendiger Erfahrung zu geben noch die aus medizinischer Sicht erforderliche Anzahl von Operationen ausführen zu lassen.
[16] 1.1.2. Hinghofer‑Szalkay äußerte sich in EvBl 2009/90 zustimmend zu dieser Entscheidung, betonte jedoch, dass immer der Standard eines erfahrenen Chirurgen gewährleistet sein sollte, wobei der Patient wohl auch darauf vertrauen dürfe, dass der behandelnde Arzt für den Eingriff zumindest durchschnittlich gut qualifiziert sei. Gehe man jedoch davon aus, dass Wohl und Sicherheit des Patienten zumindest gleich schwer wiegen sollten wie die Notwendigkeit, dem Arzt Gelegenheiten zu verschaffen, Qualifikation für eine Operationstechnik zu erlernen, könnte man zum Schluss gelangen, dass beiden Zielen Rechnung getragen werde, wenn „Übungsmöglichkeiten“ zumindest im Beisein eines erfahrenen Arztes gewährleistet werden.
[17] 1.1.3. Leischner äußerte sich in RdM 2009/128 ebenfalls zustimmend. Der Rechtsauffassung sei nicht nur aus den vom Obersten Gerichtshof angeführten allgemeinen teleologischen Erwägungen (Erfordernis zur Sammlung von Erfahrung etc) zu folgen, sondern auch im Hinblick auf die gesetzlichen Bestimmungen über die Ärzteausbildung. Der Gesetzgeber gehe nämlich von einem schrittweisen und kontinuierlichen Erlernen der Kenntnisse und Fertigkeiten aus und anerkenne damit implizit, dass auch Ärzte mit weniger Erfahrung klinisch tätig werden. Dies schließe zwar noch nicht die Annahme einer obligaten Aufklärung über den Erfahrungsstand aus, würde aber jedenfalls eine erhebliche Hürde für die klinische Ärzteausbildung und -fortbildung darstellen.
[18] 1.2. Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Im Zusammenhang mit dem hier gegebenen Sachverhalt stellt sich zudem nicht die Frage, ob diese Rechtsprechung auch dann gelte, wenn die Erfahrung eine bedeutendere Rolle spiele als bei anderen Eingriffen und die mangelnde Erfahrung ein höheres Risiko des Auftretens von Komplikationen wie Nervenverletzungen bedeute. Bereits der Entscheidung 4 Ob 166/08b lag nämlich ein Sachverhalt zugrunde, wonach erst nach 40 bis 50 gleichartigen Eingriffen (laparoskopische Dickdarmoperationen) davon ausgegangen werden kann, dass ein Operateur die spezielle Operationsmethode vollkommen beherrscht und der behandelnde Arzt erst fünf solcher Eingriffe selbst durchgeführt hat. Im hier zu beurteilenden Fall ist festgestellt, dass der Operateur große Erfahrung mit Bandscheibenoperationen in offener Methode, für die endoskopische Methode die vorgesehene Schulung absolviert, zunächst an fünf Leichen geübt, etwa fünf endoskopische Operationen unter Anleitung durchgeführt hatte und die Klägerin die fünfte Patientin war, die er selbständig ohne Anleitung endoskopisch operierte. Weiters ist festgestellt, dass der Operateur das von ihm durchgeführte endoskopische Verfahren ordnungsgemäß erlernt hatte und seine Kenntnisse geeignet waren, um Operationen eigenständig durchzuführen. Damit weicht der vorliegende Sachverhalt nicht entscheidend von jenem der Entscheidung 4 Ob 166/08b zugrunde liegenden ab.
[19] 1.3. Der Arzt muss nicht stets von sich aus alle theoretisch in Betracht kommenden Möglichkeiten der Behandlung oder der Operation mit dem Patienten erörtern. Er muss den Patienten aber, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostische oder therapeutische adäquate Verfahren informieren und das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risiken entstehen können und der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat (RS0026426). Der vorliegende Sachverhalt ist allerdings dadurch geprägt, dass sich die Risiken beider Operationsmethoden (offene oder endoskopische Operation) grundsätzlich nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Somit ist auch nach diesem Gesichtspunkt keine Aufklärungspflichtverletzung zu begründen.
[20] 1.4. Auch aus der Rechtsprechung, wonach der Patient aus dem Behandlungsvertrag Anspruch auf Anwendung der nach dem Stand der Wissenschaft zu fordernden sichersten Maßnahmen zur möglichsten Ausschaltung oder Einschränkung bekannter Operationsgefahren hat (RS0026368), ist für die Klägerin nichts zu gewinnen, zumal aus den Feststellungen nicht resultiert, dass die endoskopische Operation unsicherer als die offene Operationsmethode sei. Sie (die endoskopische Methode) wird vielmehr allgemein dahin bewertet, dass sie gegenüber der offenen Methode keine wesentlichen Nachteile, sondern eher Vorteile zeigt.
2. Zustimmung zur endoskopischen Operation
[21] 2.1. Die Klägerin wendet sich gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die Negativfeststellung zur Frage, ob die Klägerin in die endoskopische Operationsmethode eingewilligt habe, zu ihren Lasten gehe. Unter Berufung auf die Rechtsprechung, wonach in Kenntnis der maßgebenden Umstände in die jeweilige konkrete Behandlungsmethode einzuwilligen sei (RS0118355 [T1, T8]), sei die Einwilligung in die Operation „an sich“ nicht ausreichend.
[22] 2.2. Die diesbezüglichen Feststellungen lauten wie folgt:
Auf den Aufklärungsbogen setzte [der Wahlarzt] die handschriftliche Bemerkung „eventuell endoskopisch“.
Es ist nicht erwiesen, ob die Klägerin im Gespräch mit [dem Wahlarzt] äußerte, sie würde aufgrund der im Gespräch gegeben Informationen die offene Methode (normale Schnitttechnik) bevorzugen und wolle sich nicht endoskopisch operieren lassen.
Es ist auch nicht erwiesen, ob die Klägerin [den Wahlarzt] aufforderte, auf den Aufklärungsbogen zu schreiben, dass sie die offene Operationsmethode haben wolle.
Am Ende des Gespräches war jedenfalls nicht entschieden und vereinbart, dass ein endoskopischer Eingriff erfolgen werde.
Nachdem die Frage der Operationsmethode – offen oder endoskopisch – am Ende des Beratungsgespräches mit [dem Wahlarzt] noch nicht abschließend entschieden war, ist nicht erwiesen, ob später in einem Gespräch mit dem Operateur [...] oder bei einer sonstigen Gelegenheit vor der Operation mit der Klägerin vereinbart wurde, dass endoskopisch operiert werde, oder dass ihr dies mitgeteilt wurde und sie dem zugestimmt hätte.
[23] Daraus hat das Berufungsgericht zu Recht abgeleitet, dass die Klägerin sowohl in die offene als auch in die endoskopische Operationsmethode eingewilligt hat. Schließlich waren ihr schon von dem zuvor von ihr konsultierten Wahlarzt beide Operationsmethoden bekanntgegeben worden (samt Information, dass der Wahlarzt persönlich die offene Methode bevorzugt) und die Klägerin hat zu keiner Zeit eine Präferenz hinsichlich der einen oder der anderen geäußert.
[24] 2.3.1. Der hier vorliegende Sachverhalt ist mit jenem der Entscheidung 4 Ob 185/13d vergleichbar. Auch dort hatte der Patient zwar in die Operation eingewilligt, aber zur Einwilligung zur Verwendung von metallischen (statt biologischen) Herzklappen wurde eine Negativfeststellung getroffen. Der Senat führte aus, dass der festgestellte Sachverhalt in seinem Gesamtzusammenhang keinen Zweifel daran lasse, dass der Patient nach ausreichender Aufklärung über beide Varianten des Eingriffs die Zustimmung zur Operation erteilte und damit den entsprechenden Behandlungsvertrag abschloss. Dass er sich dahin geäußert habe, er würde „die Verwendung biologischer Herzklappen präferieren“, spreche nicht gegen den Abschluss des Behandlungsvertrags und die Zustimmung zur Operation (auch unter Verwendung von metallischen Herzklappen). Für die Anwendung der Beweislastregel bestehe kein Raum.
[25] 2.3.2. Im vorliegenden Fall (in dem die Klägerin keinerlei Präferenz geäußert hat) kann daher umso mehr von einer Zustimmung zur Operation (auch) mit endoskopischer Methode ausgegangen werden, sodass sich auch hier die Frage der Beweislast nicht stellt.
[26] 2.4. Aus der von der Klägerin zitierten Entscheidung 6 Ob 71/09y ist nicht erkennbar, welcher Sachverhalt dieser zugrunde lag. Es wird lediglich die Rechtsprechung zu Aufklärung und Einwilligung zusammengefasst. Schlüsse für den hier vorliegenden Sachverhalt lassen sich nicht ziehen.
[27] Zusammenfassend ist daher mit dem Berufungsgericht die Zustimmung der Klägerin zum konkret vorgenommenen operativen Eingriff zu bejahen und das Vorliegen einer ärztlichen Aufklärungspflichtverletzung seitens der Beklagten zu verneinen.
[28] Dem Rekurs der Klägerin ist somit nicht Folge zu geben.
3. Verjährung
[29] 3.1. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass der im Schriftsatz vom 6. 3. 2020 (ON 90) erstmals geltend gemachte Teil des Begehrens (25.000 EUR Schmerzengeld, 253,50 EUR Pflegeunterstützung und 364,86 EUR Physiotherapie, Fahrtkosten und Rezeptgebühren) verjährt sei, weil das dementsprechende Feststellungsbegehren (zur unzureichenden Nachbehandlung) in der letzten Verhandlung vom 13. 3. 2020 (ON 91) zurückgezogen worden sei, weshalb mangels gehöriger Fortsetzung die Unterbrechungswirkung weggefallen sei.
[30] 3.2. Gemäß § 1497 ABGB wird die Verjährung durch Klageführung unterbrochen, sofern das Verfahren vom Kläger gehörig fortgesetzt wird. Den eigentlichen Unterbrechungsgrund bildet nicht die Klage, sondern das dem Kläger günstige Urteil, weshalb keine Unterbrechung eintritt, wenn das Klagebegehren abgewiesen wird (RS0034655). Es führt aber nicht zur Abweisung eines erst im Laufe des Prozesses erhobenen Leistungsbegehrens wegen Verjährung, wenn zu Beginn des Verfahrens statt dem Leistungs- ein Feststellungsbegehren innerhalb der Verjährungsfrist erhoben wurde und ein Begehren inhaltlich berechtigt ist (RS0034655 [T1]).
[31] 3.3. Die Unterlassung der gehörigen Fortsetzung der Klage ist kein eigener, selbständiger Verjährungsgrund; die gehörige Fortsetzung der Klage ist vielmehr eine Voraussetzung für die durch die Einbringung der Klage grundsätzlich bewirkte Unterbrechung der Verjährung (RS0034573). Tritt diese Voraussetzung nicht ein, wird die Unterbrechungswirkung der Klagseinbringung bzw der Klagsänderung nachträglich beseitigt (vgl RS0034765 [T2]).
[32] 3.4. Keine gehörige Fortsetzung liegt nur dann vor, wenn der Kläger eine ungewöhnliche Untätigkeit an den Tag legt, die darauf schließen lässt, dass ihm an der Erreichung des Prozessziels nicht mehr gelegen ist (RS0034765). Dabei ist nicht nur auf die Dauer der Untätigkeit, sondern vor allem auf die Gründe Bedacht zu nehmen (RS0034849). Die Untätigkeit des Klägers ist verjährungsrechtlich nur insoweit relevant, als sie in die Zeit nach Ablauf der (ursprünglichen) Verjährungsfrist fällt (RS0034849 [T8]).
[33] 3.5. Im vorliegenden Fall wurde die auch auf die mangelhafte Nachbehandlung gestützte Feststellungsklage innerhalb der Verjährungsfrist eingebracht, sodass von einer Unterbrechung der Verjährungsfrist auszugehen ist. In der Folge wurde nach Ablauf der regulären Verjährungsfrist (aber während aufrechter Unterbrechungswirkung durch das rechtzeitig gestellte Feststellungsbegehren) das Leistungsbegehren um Ansprüche aufgrund mangelhafter Nachbehandlung ausgedehnt und erst danach wurde das auf mangelhafte Nachbehandlung gestützte Feststellungsbegehren zurückgezogen.
[34] Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass die Abweisung des ursprünglichen (und innerhalb der Verjährungsfrist erhobenen) Feststellungsbegehrens nicht zur Verjährung des deckungsgleichen Leistungsanspruchs führt, wenn das Leistungsbegehren erst während des Prozesses (nach Ablauf der regulären Verjährungsfrist) erhoben wurde, wobei das Feststellungsbegehren nur versehentlich aufrecht gelassen wurde (6 Ob 53/13g; RS0034700, RS0034655 [T1]). Das muss umso mehr für die hier vorliegende Konstellation gelten, bei der die Feststellungsklage entsprechend eingeschränkt wurde.
[35] Der Verjährungseinwand der Beklagten ist daher unberechtigt. Der Revision gegen das Teilurteil ist somit im Sinne des Aufhebungsbegehrens Folge zu geben. Das Erstgericht wird das Verfahren folglich auch in Bezug auf das Leistungsbegehren von 25.618,36 EUR im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichts zu ergänzen haben.
[36] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO.
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