OGH 4Ob178/21m

OGH4Ob178/21m23.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden unddie Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M.,als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin J* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Beklagte E* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Stolitzka & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 35.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 28. September 2021, GZ 1 R 115/21v‑18, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00178.21M.1123.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die in Österreich ansässige Klägerin ist als Medieninhaberin in der Werbe- und Kommunikationsbranche am deutschsprachigen Markt tätig. Die in Deutschland ansässige Beklagte ist Teil eines deutschen Medienkonzerns. Die Klägerin war am Kauf einer GmbH mit Sitz in München interessiert, die Medieninhaberin eines periodischen (deutschen) Fachmediums ist. Letztlich übernahm die Beklagte die Gesellschaftsanteile an diesem Unternehmen.

[2] Die Klägerin begehrt der Beklagten zu verbieten, Dritte (insbesondere zwei namentlich genannte deutsche Gesellschaften) zum Bruch von mit der Klägerin abgeschlossenen Vereinbarungen anzustiften und/oder zu verleiten, insbesondere zum Bruch der Vereinbarung, nur mit der Klägerin über den Ankauf des Fachmediums zu verhandeln. Weiters begehrt sie die Rückabwicklung der dem Verbot widersprechenden Verträge der Beklagten und die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Die Beklagte habe fremden Vertragsbruch bewusst gefördert bzw aktiv dazu beigetragen und dadurch unlauter iSd § 1 UWG gehandelt. Die internationale und örtliche Zuständigkeit fuße auf Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Es genüge, wenn eine im Ausland begangene wettbewerbswidrige Handlung am Sitz des Unternehmens einen Schaden verursache, um dort den Erfolgsort zu begründen. Der Schaden habe sich im Sprengel des angerufenen Gerichts verwirklicht, weil die Klägerin dort ihren Sitz habe.

[3] Die Beklagte wendete unter anderem die fehlende internationale und örtliche Zuständigkeit ein. Die von der Klägerin behauptete Handlung der Beklagten habe in Deutschland (zwischen deutschen Unternehmen betreffend den Erwerb von Geschäftsanteilen an einem deutschen Unternehmen) stattgefunden. Die behauptete unlautere Handlung der Beklagten weise ausschließlich Bezug zu Deutschland auf. Die begehrte Unterlassung und Beseitigung betreffe ausschließlich Handlungen in Deutschland.

[4] Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück. Die Begehren beträfen ausschließlich Handlungen in Deutschland.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Bei Distanzdelikten komme es auf den Eintritt des Primärschadens an; auf Folgeschäden könne nicht abgestellt werden. Hinsichtlich der behaupteten Anstiftung zum Vertragsbruch liege nicht nur der Handlungsort, sondern auch der Erfolgsort bezüglich des Primärschadens in Deutschland; auf die nachteiligen Folgewirkungen auf das Vermögen der Klägerin am österreichischen Firmensitz komme es nicht an. Den Wert des Entscheidungsgegenstands bemaß das Rekursgericht mit 30.000 EUR übersteigend; es erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

[6] Die Klägerin macht in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs als erhebliche Rechtsfrage das Fehlen von jüngerer Rechtsprechung zur Frage geltend, ob aus Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 in lauterkeitsrechtlichem Kontext eine „unbeschränkte Kognitionsbefugnis des Gerichts am Ort des Interessensmittelpunkt des Klägers folgt“.

Rechtliche Beurteilung

[7] Damit zeigt die Klägerin keine erheblichen Rechtsfragen auf. Der Revisionsrekurs ist daher unzulässig.

[8] 1. Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 gewährt im Zusammenhang mit unerlaubten Handlungen die Zuständigkeit des Gerichts am Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Dabei handelt es sich nach Wahl des Klägers sowohl um den Erfolgsort oder Schadenseintrittsort, als auch um den Handlungsort. Fallen beide Orte auseinander (Distanzdelikt), kann der Kläger zwischen dem Handlungsort und dem Erfolgsort als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit wählen (RS0115357; RS0109078 [T27]). Zu den unerlaubten Handlungen zählen auch Wettbewerbsverstöße (4 Ob 2/12s, Maschinenanlage in Tschechien; EuGH C-360/12 , Coty Germany GmbH [Rn 42]), wobei auch auf Lauterkeitsrecht beruhende Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren von Art 7 Z 2 EuGVVO 2012 umfasst sind (zB 4 Ob 137/16z; 4 Ob 181/18y).

[9] 2. Bereits in der Entscheidung 4 Ob 2/12s, Maschinenanlage in Tschechien, war in einer mit der hier vorliegenden Rechtssache vergleichbaren Konstellation die internationale Zuständigkeit nach Art 5 Z 3 EuGVVO 2001 (= Vorgängerbestimmung des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012) zu prüfen.

[10] 2.1 Die dortige in Österreich ansässige Klägerin stützte ihren Leistungsanspruch auf eine unlautere Verleitung zum Vertragsbruch durch die deutsche Beklagte in Tschechien und Deutschland. Der Schaden aus den unlauteren Handlungen sei am Sitz der Klägerin in Österreich eingetreten, worauf diese die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts stützte.

[11] 2.2 Der Senat verneinte die internationale Zuständigkeit und wies darauf hin, dass die im Ausland ausgeführten unlauteren Geschäftspraktiken nicht in Österreich stattfanden, die nachteiligen Folgen waren lediglich in Österreich als Firmensitz der Klägerin spürbar. Auch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH reichten diese Auswirkungen nicht für die Begründung der Zuständigkeit des angerufenen österreichischen Gerichts.

[12] 2.3 Die angefochtene Entscheidung weicht von dieser Entscheidung nicht ab und wirft damit keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[13] 3. Auch insoweit die Klägerin eine Judikatur des Obersten Gerichtshof nach der Entscheidung des EuGH C‑360/12 , Coty Germany GmbH, vermisst, kann die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels darauf nicht gestützt werden.

[14] 3.1 Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass rechtswidrig nachgeahmte Waren aus Belgien in Deutschland weiterverkauft wurden. Der EuGH dehnte seine immaterialgüterrechtliche Rechtsprechung auf das Lauterkeitsrecht aus. Demnach setzt die Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem bestimmten Mitgliedstaat voraus, dass das Recht, dessen Verletzung geltend gemacht wird, in diesem Mitgliedstaat geschützt ist. Der EuGH stellte für die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nicht auf den Sitz des Geschädigten, sondern entscheidend darauf ab, ob die in einem anderen Mitgliedstaat (Belgien) gesetzte Handlung auch das deutsche UWG verletzt und damit einen Schaden im Zuständigkeitsbereich dieses Gerichts verursachen konnte.

[15] 3.2 Entgegen den Ausführungen im Rechtsmittel hat sich der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit der Prüfung der internationalen Zuständigkeit für lauterkeitsrechtliche Ansprüche auch mit der referierten Entscheidung des EuGH auseinandergesetzt.

[16] 3.2.1 Der Senat hatte in der Entscheidung 4 Ob 45/16w, Stubhub, die internationale Zuständigkeit für lauterkeitsrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zu prüfen. Er stellte dabei (unter Berücksichtigung der Entscheidung EuGH C‑360/12 , Coty Germany GmbH)zentral darauf ab, ob sich das unlautere Verhalten „auf dem österreichischen Markt auswirkt“. Dabei war zu prüfen, ob die Klägerin gehindert wird, am österreichischen Markt tätig zu werden.

[17] 3.2.2 In der Entscheidung 4 Ob 181/18v, fliegender Gerichtsstand, war ebenfalls die internationale Zuständigkeit für ein auf das Lauterkeitsrecht gestütztes Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren zu klären. Aus der Judikatur des EuGH, insbesondere aus der Entscheidung C‑360/12 , Coty Germany GmbH, folgte der Senat zusammenfassend, dass bei einem Verstoß gegen das nationale Lauterkeitsrecht die internationale (örtliche) Zuständigkeit für eine Deliktsklage nach Maßgabe des Erfolgsorts im Verletzungsstaat gegeben ist. „Der Verletzungsstaat ist jener Staat, in dem sich die Verletzungshandlung auswirkt (beeinträchtigter Markt) und daher gegen das nationale Lauterkeitsrecht verstößt.“

[18] 3.2.3 Auch nach dieser Judikatur wird nicht auf den Sitz des Geschädigten angeknüpft.

[19] 3.3 Insoweit im angefochtenen Beschluss die Beeinträchtigung des Marktes in Deutschland (nicht aber der Ort des Sitzes der Klägerin in Österreich) als relevant erachtet wurde, hält sich das im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung.

[20] 3.4 Die Klägerin stützt die Zulässigkeit ihres Revisionsrekurses nicht darauf, dass durch die Handlungen der Beklagten der Markt in Österreich beeinträchtigt bzw dort das UWG verletzt worden sei, sondern bloß auf den Umstand, dass der Interessensmittelpunkt (bzw Sitz) der Klägerin in Österreich liege und ihr gegenüber der Schaden dort eingetreten sei. Eine bloße Anknüpfung an den Sitz des geschädigten Unternehmens lässt sich jedoch weder aus der Entscheidung C‑360/12 , Coty Germany GmbH, noch aus der Judikatur des Obersten Gerichtshofs ableiten.

[21] 4. Insoweit die Klägerin unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH, C‑800/19 , Mittelbayerischer Verlag KG, die Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens anregt, ist dem nicht zu entsprechen. In dieser Entscheidung wurde bei einer Persönlichkeitsverletzung im Internet für die internationale Zuständigkeit an den Ort angeknüpft, an dem sich der Mittelpunkt der Interessen der verletzten Person befindet, wobei dort die entsprechende Website (auch) abrufbar war. Dieser Entscheidung lag damit ein sogenanntes „Streudelikt“ (bei dem der Deliktserfolg gleichzeitig an mehreren Orten eintritt, vgl zB 4 Ob 45/16w; 6 Ob 218/18d; EuGH C‑68/93 , Shevill) zugrunde. Entgegen der Anregung der Klägerin bedarf es gegenständlich aber nicht der Klärung, ob dieser Grundsatz auch für das Lauterkeitsrecht gilt, weil hier ein derartiges „Streudelikt“ nicht behauptet wird.

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