OGH 2Ob52/21t

OGH2Ob52/21t28.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Slobodaals weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* Z*, vertreten durch Mag. Dr. Christoph Mizelli und Mag. Daniela Gruber, Rechtsanwälte in Gmunden, gegen die beklagte Partei F*, Inhaber L* S*, vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 7.693,25 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Berufungsgericht vom 7. Dezember 2020, GZ 2 R 19/20z‑57, womit das Urteil des Bezirksgerichts Kirchdorf an der Krems vom 17. Jänner 2020, GZ 2 C 374/18m‑50, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133056

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es einschließlich der unbekämpft gebliebenen Aussprüche der Vorinstanzen insgesamt lautet:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 4.987,69 EUR samt 4 % Zinsen seit 17. 6. 2017 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 2.705,56 EUR samt 4 % Zinsen seit 17. 6. 2017 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 8.035,17 EUR (darin enthalten 643,45 EUR USt und 4.317,33 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit 787,20 EUR (darin enthalten 41,83 EUR USt und 536,25 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin, die seit Sommer 2014 im Besitz der Lenkberechtigung für die Klasse B ist, schloss am 24. 2. 2016 mit dem Beklagten, der als im Firmenbuch eingetragener Einzelunternehmer eine Fahrschule betreibt, einen Ausbildungsvertrag ab, um den Führerschein für die Klasse A2 zu erwerben. Im Vertrag war festgehalten, dass die theoretische und praktische Ausbildung gemäß den AGBs und dem Lehrplan des Fachverbandes für Kraftfahrschulen erfolgt und die vereinbarte Ausbildung nach Ablauf von 18 Monaten ab Anmeldung als abgeschlossen gilt. Des weiteren wurde darauf hingewiesen, dass in den angeführten Preisen (ua) „erstmalige Prüfungsvorbereitung und erstmaliger Prüfungsantritt“ enthalten ist.

[2] Gemäß Punkt 2.2.2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Fahrschulen beinhalten die Ausbildungs‑ und Leistungspakete auch „die Vorstellung zur und Betreuung bei der ersten behördlichen Fahrprüfung am Standort der Fahrschule, falls dies Bestandteil des gebuchten Ausbildungspaketes und Leistungspaketes ist“. Laut Punkt 3.2 endet der Vertrag mit Bestehen der Fahrprüfung bzw der Ausstellung der Ausbildungsbestätigung.

[3] Der Lehrplan des Fachverbandes der Kraftfahrschulen Österreichs sieht auch das Abbremsen bzw Vollbremsungen bis Bremslösebereitschaft beim Überbremsen aus ca 40 km/h und Gefahrenbremsungen in Kurven vor.

[4] Die Klägerin legte die erforderlichen Praxisstunden und die Theorieprüfung erfolgreich ab. Bei den Praxisstunden gab es keine besonderen Vorfälle, die Klägerin stürzte nie. Kurz vor der Prüfung fuhr sie auch den Prüfungsparcours erfolgreich ab. Sie absolvierte die Fahrten mit einem mit Antiblockiersystem (ABS) ausgestatteten Motorrad, nur eine kurze Ausfahrt unternahm sie mit dem zweiten Motorrad der Fahrschule, welches kein ABS besitzt. Die beiden Motorräder unterscheiden sich – abgesehen vom ABS – vor allem beim Drehmoment um rund 10 %, was dazu führt, dass das Motorrad ohne ABS langsamer beschleunigt.

[5] Es war geplant, dass die Klägerin auch die Prüfung am 6. 5. 2016 mit dem Motorrad mit ABS absolvieren sollte. Der Prüfer ließ dieses Motorrad jedoch wegen kleinerer Mängel nicht zur Prüfung zu. Der Klägerin wurde vom Prüfer und vom anwesenden Fahrlehrer ein Verschieben der Prüfung angeboten, sie wollte aber die Prüfung unbedingt an diesem Tag absolvieren. Vor Beginn der Prüfung fuhr sie sich noch „einige Runden“ (ca 15 Minuten) mit dem Motorrad ohne ABS ein. Dabei wurde sie vom Fahrlehrer beobachtet, dem das Rundenfahren der Klägerin nicht gefiel. Er machte sie auch darauf aufmerksam, dass sie beim Kurvenfahren nicht bremsen dürfe. Danach begann die Prüfung. Dabei stellte der Prüfer beim Einbiegen einen leichten und beim langsamen Slalom einen mittleren Fehler fest, auch bemerkten der Prüfer und der Fahrlehrer weitere Unsicherheiten der Klägerin.

[6] Teil der Prüfung war die sogenannte Gefahrenbremsung, bei der die Prüflinge auf mindestens 50 km/h beschleunigen und dann innerhalb von 19 m zum Stillstand kommen müssen. In jeder Motorradausbildung wird daher ein möglichst punktgenaues Erreichen dieser Geschwindigkeit trainiert. Wenn dann ein anderes, wenn auch ähnliches Motorrad verwendet wird, reichen schon geringfügige Längenunterschiede in den Bauteilen wie zB Griffen, Gasseil, Reibungswiderstände etc aus, um bei einer antrainierten Handstellung am Gasdrehgriff einige km/h Unterschied messen zu können.

[7] Für diesen Prüfungsteil sind drei Versuche vorgesehen. Der Klägerin misslangen alle drei Versuche, weil sie nicht die erforderliche Geschwindigkeit erreichte. Da die Klägerin die Prüfung bestehen wollte, bat sie den Prüfer um einen vierten Versuch, der ihr genehmigt wurde. Bei diesem Versuch beschleunigte sie auf eine Geschwindigkeit von 68 bis 69 km/h und bremste ruckartig mit blockierendem Vorderrad. Dabei rutschte das Vorderrad weg, sodass die Klägerin zu Sturz kam und einen Bruch der rechten Kniescheibe erlitt.

[8] Beim Motorrad mit ABS wäre mangels Blockierens des Vorderrades der Sturz unterblieben. ABS war im Mai 2016 nicht Stand der Technik bei Zweirädern bei der Benutzung, wohl aber für eine Typisierung. Seit 1. 1. 2017 müssen Motorräder bei der Erstzulassung über ein ABS verfügen. Eine Verpflichtung zur ausschließlichen Verwendung von Prüfungsmotorrädern mit ABS gibt es in Fahrschulen bis dato nicht.

[9] Verstärktes Gas geben war eine naheliegende, wenn auch übertriebene Reaktion der Klägerin auf eine zu langsame Ausgangsgeschwindigkeit und damit lag auch das Erreichen einer Geschwindigkeit von knapp unter 70 km/h nahe. Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h ist auf 19 m eine mittlere Bremsverzögerung von 4,7 m/sec² erforderlich, das entspricht einer stärkeren bis starken Betriebsbremsung. Bei 70 km/h ist dagegen eine maximale Bremsverzögerung von 9 m/sec² notwendig, die nur von extrem geübten Motorradlenkern beherrschbar ist.

[10] Beidreimaligem Nichterreichen der geforderten 50 km/h ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass der Prüfling als zu unsicher einzustufen ist. Deshalb ist im Prüfungshandbuch festgehalten, dass in diesem Fall die persönliche Sicherheit des Kandidaten beim Fahren im Verkehr nicht gegeben ist. Bindende Vorgaben der Fahrschule in Fragen eines notwendigen Prüfungsabbruchs durch einen Fahrlehrer bestehen nicht. Dem anwesenden Fahrlehrer, der nicht die praktische Ausbildung mit der Klägerin durchgeführt hatte, standen die notwendigen Unterlagen zur Bestimmung des Ausbildungsstandes nicht zur Verfügung, weshalb der Umstieg auf ein anderes Prüfungsmotorrad dringend zu vermeiden gewesen wäre, insbesondere da die Klägerin erklärte, dass sie diese Übung ohne ABS noch nie durchgeführt hatte. Auch sie hat dabei die Gefahren der praktischen Übung ohne unterstützendes System unterschätzt und ihr Können überschätzt. Darüber hinaus hat das Einfahren nur rund 15 Minuten gedauert, was als unzureichend zu beurteilen ist. Spezielle Bremsübungen wurden nicht durchgeführt.

[11] Im Rahmen der theoretischen Ausbildung wird zum Bremsen gelehrt, dass bei einem Motorrad ohne ABS bei einer stärkeren Bremsung durch ein mögliches Blockieren des Vorderrades erhöhte Sturzgefahr besteht und dass man für die richtige Bremstechnik sehr viel Übung benötigt. Diese (und weitere festgestellte) Lehrinhalte wurden auch der Klägerin in der Fahrschule des Beklagten vermittelt.

[12] Die Klägerin war zur Prüfung mit einer Motorradjacke mit Protektoren, einem Helm, festen Schuhen und in Jeans erschienen. Der Prüfer und der Fahrlehrer hatten die Klägerin gefragt, ob sie die Prüfung tatsächlich nur in Jeans durchführen wolle, was die Klägerin bejahte. Die Klägerin wusste, dass sie sich vomBeklagten eine Motorradhose mit Protektoren ausleihen konnte. Hosen waren jedoch nur in großer Größe vorhanden, sie hätten aber umgekrempelt werden können. Die Klägerin wollte die Prüfung wegen fehlenden Fahrkomforts mit ihren Jeans durchführen. Der Prüfer wies die Klägerin auf mögliche Gefahren und Verletzungen bei einem Sturz hin.

[13] Spezielle Bekleidungsvorschriften bestehen weder für die Ausbildung noch die Motorradprüfung. Bei Verwendung einer Motorradhose mit einem Knieprotektor wären aber die Verletzungen der Klägerin unterblieben, weil sie trotz der größeren Größe der Hose Knieschutz gehabt hätte. Aus der Verwendung zu großer Schutzausrüstung ist keine zusätzliche Gefährdung ableitbar.

[14] Die Klägerin begehrte den Zuspruch von 7.693,25 EUR, darin enthalten ua Schmerzengeld in Höhe von 5.500 EUR und die Kosten des Führerscheinkurses von 1.043 EUR. Sie habe vom Beklagten ein ihr gänzlich fremdes Motorrad ohne ABS zur Verfügung gestellt bekommen. Der Beklagte sei seiner Verpflichtung als Vertragspartner und Fahrschulunternehmer, größtmögliche Sorgfalt gegenüber seinen Fahrschülern einzuhalten sowie der Verkehrssicherheit entsprechende Motorräder zur Verfügung zu stellen, nicht nachgekommen. Die Klägerin sei nicht im Detail auf allfällige Schwierigkeiten oder sonstige Probleme mit dem „neuen“ Motorrad hingewiesen worden und sie habe lediglich eine kurze Aufwärmrunde mit diesem gemacht. DerBeklagte habe am Prüfungstag keine für sie als zierliche Frau auch nur ansatzweise passende Bekleidung zur Verfügung gestellt. Es liege in der Verantwortung desBeklagten bzw seiner Fahrlehrer, das Können der Fahrschüler im Zuge der Ausbildung richtig einzuschätzen, insbesondere, ob eine Bewältigung der für die praktische Prüfung geforderten Übungen möglich sei oder nicht. Hätten derBeklagte bzw seine Fahrlehrer die Klägerin darauf hingewiesen, dass das Fahrverhalten mit einem derartigen Motorrad gänzlich unterschiedlich sei und die Übungen der praktischen Prüfung möglicherweise noch durch zusätzliche Fahrstunden trainiert hätten werden sollen, hätte sie dies auch gemacht und auf die Prüfung am Unfallstag verzichtet.

[15] DerBeklagtewandte ein,die Klägerin sei im Zuge ihrer Ausbildung im Rahmen der sogenannten „Gesamtschulung“ mit beiden Motorrädern, mit und ohne ABS, gefahren. Der Prüfer habe die Verwendung des Motorrads mit ABS abgelehnt. Der Klägerin sei daraufhin angeboten worden, die Prüfung an einem anderen Tag zu absolvieren, was sie aber abgelehnt habe. Der Klägerin sei vor der Prüfung wie auch in der Prüfungsvorbereitung mehrfach eine Schutzkleidung (Lederhose) angeboten worden, was sie ebenfalls abgelehnt habe. Nur aufgrund des Drängens der Klägerin habe der Prüfer sie noch ein viertes Mal fahren lassen. Dabei habe sie einen Fahrfehler gemacht, der auch bei Ausrüstung des Motorrads mit ABS zum Sturz der Klägerin geführt hätte. Eine Pflichtverletzung durch denBeklagten liege nicht vor.

[16] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang mit 6.650,25 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren im Umfang der frustrierten Fahrschulkosten in Höhe von 1.043 EUR sA unbekämpft (und daher rechtskräftig) ab. Es traf im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung noch die als weitere (dislozierte) Feststellung zu wertende Aussage, das Beweisverfahren habe „in keiner Weise“ ergeben, dass von Seiten der Fahrschule auf ein Tragen von Schutzkleidung gedrängt oder dies vor Besteigen des Motorrads verlangt worden sei. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, der für den Beklagten anwesende Fahrlehrer wäre aufgrund des Ausbildungsvertrags verpflichtet gewesen, wegen der „Unsicherheiten und Probleme“ der Klägerin sowie der Verwendung eines anderen Motorrads die Prüfung zu verschieben, jedenfalls aber abzubrechen, nachdem zahlreiche Unsicherheiten und Fehler bei der Klägerin bemerkt worden seien. Der Klägerin sei hingegen kein Mitverschulden anzulasten. Das gelte auch für das Nichttragen einer (vollständigen) Schutzbekleidung. Es wäre am Beklagten gelegen gewesen, die Klägerin nachdrücklich auf die damit verbundenen Gefahren hinzuweisen sowie auch darauf, dass die Prüfung ohne (vollständige) Schutzbekleidung nicht stattfinden werde.

[17] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung nach Beweisergänzung dahin ab, dass es den Zuspruch an die Klägerin auf 2.655,63 EUR sA reduzierte und deren Mehrbegehren von 5.037,62 EUR sA abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

[18] Das Berufungsgericht gelangte auf der Grundlage des von ihm als erwiesen angenommenen, eingangs im Wesentlichen wiedergegebenen Sachverhalts im Weg der Vertragsauslegung zu dem Ergebnis, dass die Betreuung der Klägerin bei der Fahrprüfung durch den Beklagten Inhalt des Ausbildungsvertrags gewesen sei. Den Beklagten hätten daher auch noch bei der Fahrprüfung vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten getroffen. Es sei ihm deshalb vorwerfbar, dass er die Klägerin zur praktischen Prüfung mit einem Motorrad ohne ABS habe antreten lassen. Der für den Beklagten anwesende Fahrlehrer habe als Sachverständiger iSd § 1299 ABGB wissen müssen, dass die beiden Motorräder nicht baugleich seien und das Motorrad ohne ABS langsamer beschleunige. Ihm seien auch die Unsicherheiten der Klägerin beim Einfahren aufgefallen. Der Fahrlehrer hätte daher die Klägerin nicht zur praktischen Fahrprüfung zulassen dürfen, zumindest aber ihr eindringlich vom Antritt der Prüfung abraten müssen.

[19] Die Klägerin treffe allerdings ein Mitverschulden. Zwar sei ihr der begangene Fahrfehler nicht anzulasten, weil spezielle Bremsübungen mit einem solchen Motorrad während ihrer Ausbildung nicht durchgeführt worden seien. Aufgrund ihrer theoretischen Ausbildung habe sie aber wissen müssen, dass bei einem Motorrad ohne ABS bei stärkerem Bremsen erhöhte Sturzgefahr bestehe und für die richtige Bremstechnik viel Übung benötigt werde. Sie wäre daher verpflichtet gewesen, das Anbot des Verschiebens der Fahrprüfung anzunehmen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Klägerin am Ende ihrer Ausbildung gestanden sei und als Besitzerin einer Lenkberechtigung der Klasse B wissen habe müssen, dass sie ein Fahrzeug nur lenken dürfe, wenn sie es beherrschen könne.

[20] Bei Abwägung des beiderseitigen Fehlverhaltens sei ein gleichteiliges Verschulden angemessen. Zusätzlich sei aber auch noch das Schmerzengeld zu kürzen:

[21] Der Klägerin sei als weitere Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten anzulasten, dass sie keine Motorradhose oder Protektoren getragen habe. Bei Fahrschülern, die sich erst eine Fahrpraxis erwerben müssten, bestehe eine erhöhte Gefahr von Stürzen. Es sei von einem allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise auszugehen, dass ein einsichtiger und vernünftiger Fahrschüler wegen der erhöhten Eigengefährdung eine adäquate Schutzkleidung trage. Die Klägerin hätte sich vom Beklagten eine Motorradhose mit Knieprotektoren ausleihen können; ob diese unansehnlich gewesen sei, sei irrelevant. Hätte sie eine solche Hose getragen, wären die Verletzungen unterblieben. Der Klägerin sei daher in Bezug auf das Schmerzengeld ein weiteres Mitverschulden von 25 % anzulasten. Daraus ergebe sich letztlich ein Zuspruch an Schmerzengeld von 2.063 EUR (5.500 : 2 = 2.750 x 75 % = 2.063).

[22] Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil keine Rechtsprechung dazu vorliege, ob sich die vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten aus dem zwischen einem Fahrschüler mit der Fahrschule abgeschlossenen Ausbildungsvertrag auch auf die Betreuung des Fahrschülers durch die Fahrschule bei der Fahrprüfung erstreckten.

[23] Gegen dieses Urteil, soweit darin weitere 3.994,62 EUR sA abgewiesen wurden, richtet sich die Revision der Klägerin,die die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung im noch streitverfangenen Umfang beantragt und hilfsweise einen Aufhebungsantrag stellt.

[24] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[25] Die Revision ist zulässig,weil zur Frage des Mitverschuldens eines Prüflings bei einem Unfall anlässlich einer Fahrprüfung keine oberstgerichtliche Judikatur besteht; sie ist auch teilweise berechtigt:

1. Revisionsvorbringen:

[26] Die Klägerin meint, von ihr könne nicht verlangt werden, allfällige Ausbildungsdefizite und ihre Tragweite im Zuge des kurzen Einfahrens zu bemerken und entsprechend zu reagieren. Sie habe sich vielmehrauf die diesbezügliche Einschätzung durch den anwesenden Fahrlehrer verlassen dürfen. Insgesamt sei die Gewichtung und Verantwortung der gänzlich unterschiedlichen Ausgangslagen betreffend Ausbildung, Erfahrung und Verantwortung zwischen einem Fahrlehrer und einem Fahrschüler falsch beurteilt worden. Das Berufungsgericht hätte vielmehr vom Alleinverschulden des Beklagten ausgehen müssen. Überdies sei die Anwendung der Rechtsprechung zur Reduktion des Schmerzengeldes um (weitere) 25 % wegen der fehlenden Schutzkleidung zum Nachteil von am Straßenverkehr bereits berechtigterweise teilnehmenden Motorradfahrern auf eine Fahrschülerin nicht sachgerecht.

2. Zum Verschulden und Mitverschulden am Unfall:

[27] 2.1. Da die in den Entscheidungsgründen enthaltene Beurteilung des Mitverschuldens nicht (teil‑)rechtskraftfähig ist (4 Ob 137/11t; RS0040742 [T10]), ist das Verhalten beider Streitteile auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen.

[28] 2.2. Was jedoch das Verschulden des Beklagten anlangt, kann auf die insoweit zutreffende Begründung des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Die Richtigkeit seiner Auslegung wird auch dadurch gestützt, dass der anwesende Fahrlehrer die Klägerin vor und während der Prüfung beobachtete, ihr im Vorfeld der Prüfung noch Ratschläge erteilte und sich auch zur Frage der Schutzkleidung ihr gegenüber geäußert hat.

[29] 2.3. Somit ist dem Beklagten das ihm nach  § 1313a ABGB zuzurechnende, in der Verletzung vertraglicher Sorgfaltspflichten gelegene Fehlverhalten des die Klägerin bei der Prüfung betreuenden, vom Berufungsgericht zu Recht als Sachverständiger iSd § 1299 ABGB qualifizierten Fahrlehrers anzulasten, der die Klägerin mit dem ungewohnten Motorrad gar nicht erst zur Prüfung antreten lassen hätte dürfen.

[30] 2.4. In Bezug auf das (Mit‑)Verschulden eines Fahrschülers hat der Oberste Gerichtshof zu § 114 Abs 4 KFG 1967 und dessen Vorgängerbestimmung des § 101 Abs 3 KFG 1955 schon mehrfach allgemein ausgesprochen, dass die zivilrechtliche Haftung für einen bei einer Übungsfahrt verursachten Unfall grundsätzlich den Lehrenden trifft und der Fahrschüler selbst nur insoweit verantwortlich ist, als er durch den bereits genossenen Fahrunterricht oder aufgrund allgemeiner Erfahrung die Gefährlichkeit seines Fahrverhaltens einzusehen vermochte und sich fahrtechnisch und rechtlich richtig verhalten konnte (2 Ob 61/85 mwN; 8 Ob 137/82 ZVR 1984/119 = RS0023413; vgl ferner RS0065445; RS0065443).

[31] 2.5. Dementsprechend wurde jüngst in der Entscheidung 2 Ob 124/19b bei einem Unfall auf dem Übungsgelände einer Fahrschule die Abweisung des Klagebegehrens eines Fahrschülers in einem Fall, in dem der Fahrlehrer seinen Schülern erklärt hatte, dass man Voll- und Gefahrenbremsungen vermeiden solle, weil sie zum Sturz führen würden und der Kläger dennoch grundlos, überraschend und bewusst eine Vollbremsung durchführte, gebilligt.

[32] Dagegen wurde in der Entscheidung 2 Ob 50/04y, im Fall einer gänzlich unerfahrenen Motorradfahrschülerin darauf hingewiesen, dass ein Fahrlehrer dem Fahrschüler keine Aufgaben stellen darf, denen dieser nach Ausbildung und Fahrfertigkeit nicht gewachsen ist. Er hat den Fahrschüler nach Möglichkeit vor Schaden zu bewahren und die Pflicht, ihn im Auge zu behalten, dessen Fahrweise sorgfältig zu überwachen und gegebenenfalls einzugreifen. Da der Fahrlehrer bei der Motorradausbildung den Schüler nicht im selben Fahrzeug begleiten kann, besteht eine Verpflichtung zu erhöhter Sorgfalt bei der Überwachung des Schülers.

[33] 2.6. Die Grundsätze dieser Rechtsprechung sind auf die hier zu beurteilende Prüfungssituation übertragbar:

[34] Der Klägerin musste aufgrund ihrer bis auf die praktische Prüfung abgeschlossenen Ausbildung die höhere Gefährlichkeit der Ablegung der Prüfung unter den gegebenen Umständen klar sein, wurde ihr doch im Rahmen der theoretischen Ausbildung vermittelt, dass mit einem Motorrad ohne ABS bei einer stärkeren Bremsung erhöhte Sturzgefahr besteht und man für die richtige Bremstechnik sehr viel Übung braucht. Obwohl sie mit Ausnahme einer kurzen Ausfahrt keine praktischen Erfahrungen mit dem Prüfungsmotorrad hatte und auch während des kurzen Einfahrens keine speziellen Bremsübungen mehr durchführen konnte, beharrte sie darauf, die Prüfung „unbedingt an diesem Tag“ zu absolvieren. Selbst nach dem dreimaligen Scheitern an der Gefahrenbremsung versuchte sie, den an sich vorgesehenen Prüfungsabbruch aktiv und aus Eigenem abzuwenden und setzte aus eigener Initiative die Einräumung eines vierten Versuchs beim Prüfer durch. Dieses uneinsichtige Verhalten ist der Klägerin als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten anzurechnen.

[35] 2.7. Die damit erforderliche Abwägung des beiderseitigen Fehlverhaltens führt jedoch entgegen der Meinung des Berufungsgerichts zu einem deutlich überwiegenden Verschulden des Fahrlehrers, der – wie erörtert – den Fahrschüler nach Möglichkeit vor Schaden zu bewahren hat. Zwar kann das uneinsichtige Verhalten der Klägerin nicht gänzlich vernachlässigt werden. Der Senat erachtet aber in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Einzelfalls lediglich ein Mitverschulden von einem Viertel für angemessen.

3. Zur Motorradschutzkleidung:

[36] 3.1. Nach wie vor gibt es keine gesetzliche Norm, die beim Motorradfahren das Tragen von Schutzkleidung (abgesehen vom Sturzhelm: § 106 Abs 7 KFG) vorschreibt (vgl zuletzt 2 Ob 44/17k sowie 2 Ob 119/15m  SZ 2015/110).

[37] Allein darauf ist aber nach der Judikatur nicht abzustellen. Der Vorwurf eines „Mitverschuldens“ bei der Unterlassung von Schutzmaßnahmen zur eigenen Sicherheit ist nämlich auch dann begründet, wenn sich bereits ein allgemeines Bewusstsein der beteiligten Kreise dahin gebildet hat, dass jeder Einsichtige und Vernünftige solche Schutzmaßnahmen anzuwenden pflegt (2 Ob 44/17k mwN; RS0026828). Dann ist einem „einsichtigen und vernünftigen“ Motorradfahrer zuzumuten, die Eigengefährdung möglichst gering zu halten, und daher eine adäquate Schutzkleidung zu erwarten bzw umgekehrt Fahrern, die dieses erhebliche zusätzliche Verletzungsrisiko dennoch eingehen, ein „Mitverschulden“ anzulasten (2 Ob 44/17k mwN).

[38] 3.2. Mit Karner (Radhelmpflicht nur für erwachsene „sportlich ambitionierte Radfahrer“, nicht aber allgemein, ZVR 2014/218, 391 [EAnm]), der dazu auf Koziol (Die Mitverantwortung des Geschädigten im Wandel der Zeit, FS Hausmaninger [2016] 139 ff) verweist, ist es nicht argumentierbar, dem Einzelnen zwar immer strengere Sorgfaltspflichten gegenüber anderen aufzuerlegen, und dagegen die Obliegenheit, Sorgfalt gegenüber seinen eigenen Gütern anzuwenden, zunehmend abzubauen. Es geht dabei nicht darum, dem Einzelnen Freiheiten zu nehmen, sondern um die Abwägung der Frage, wie das damit eingegangene Risiko zu verteilen ist und inwieweit es von demjenigen, der sich für das Eingehen eines erhöhten Verletzungsrisikos entschieden hat, auf seinen Schädiger abgewälzt werden kann (2 Ob 44/17k).

[39] 3.3. In den Entscheidungen 2 Ob 119/15m und 2 Ob 44/17k hat sich der Senat dabei auf eine Onlinebefragung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit zum Bewusstsein der beteiligten Verkehrskreise in Bezug auf das Tragen von Schutzkleidung bzw auf Knowles/ Pommer/Winkelbauer/Schneider (Motorradunfallgeschehen im urbanen Bereich. Betrachtungen von Motorradunfällen mit Pkw‑Beteiligung aus unterschiedlichen Perspektiven, ZVR 2017/63, 146 [151]) gestützt. Für die Übertragung der Rechtsprechung zum Tragen von Schutzkleidung auf Motorradfahrten auch im Ortsgebiet sprach demnach, dass Motorräder aufgrund ihrer Motorleistung im Verhältnis zu ihrem Gewicht eine spezifisch starke Beschleunigung erreichen können, die gerade im urbanen Gebiet ein besonderes Risiko darstellt, wo tendenziell ein größeres und dichteres Verkehrsaufkommen herrscht, und womit eine Gefahrenerhöhung einhergeht, und, dass Motorräder bei geringeren Geschwindigkeiten und wegen ihres Gewichts instabiler und unhandlicher sind, leichter kippen können und unbeweglicher sind als zB Motorroller (2 Ob 44/17k mwN).

[40] 3.4. Von diesen Argumenten könnten allenfalls die geringere Stabilität und Beweglichkeit des Motorrads bei geringeren Geschwindigkeiten und das auch bei der Gefahrenbremsung erforderliche Erreichen der im Ortsgebiet höchstzulässigen Geschwindigkeit auf die hier zu beurteilende Prüfungssituation übertragen werden.

[41] Allerdings ist zu beachten, dass sich der vorliegende Unfall nicht im öffentlichen Straßenverkehr ereignet hat (zu diesem Kriterium vgl auch Koch, Mitverantwortung durch unterlassenen Selbstschutz am Beispiel von Schutzkleidung, ZVR 2019/231, 475 [480]), sondern bei einer Übung im verkehrsfreien Raum (§ 6 Abs 1 Z 2 FSG‑PV). Zwar wurde die Klägerin vor der Prüfung sowohl vom Fahrlehrer als auch vom Prüfer gefragt, ob sie die Prüfung tatsächlich „nur“ in Jeans absolvieren wolle, und – nachdem sie dies bejaht hatte – vom Prüfer auch auf mögliche Gefahren und Verletzungen bei einem Sturz hingewiesen. Die Klägerin wusste auch, dass sie von der Fahrschule eine ihre Schutzausrüstung vervollständigende Motorradhose mit Protektoren ausleihen hätte können. Es existieren aber keine Hinweise darauf, dass sich in den beteiligten Kreisen, also bei den Fahrschulen und den Fahrschülern, bereits ein ausreichendes Bewusstsein dahin gebildet hätte, dass jeder einsichtige und vernünftige Fahrschüler solche Schutzmaßnahmen auch bei Übungen im verkehrsfreien Raum anwenden sollte (vgl RS0026828). Die (dislozierte) Negativfeststellung des Erstgerichts, es sei nicht erwiesen, dass von Seiten der Fahrschule auf ein Tragen von Schutzkleidung gedrängt oder dies vor Besteigen des Motorrads verlangt worden wäre, indiziert vielmehr das Gegenteil und geht zu Lasten des für das behauptete Mitverschulden beweispflichtigen Beklagten.

[42] Aus dem Nichttragen der Schutzhose während der Prüfung kann daher kein weiteres Mitverschulden der Klägerin abgeleitet werden.

4. Ergebnis:

[43] Der Klägerin ist daher insgesamt nur ein Viertel Mitverschulden am Unfall anzulasten, sodass ihrer Revision teilweise Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden ist.

5. Kosten:

[44] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO, im Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO. Dabei ist davon auszugehen, dass die Klägerin in erster Instanz mit rund zwei Drittel ihres Begehrens obsiegt hat und im Rechtsmittelverfahren mit drei Viertel durchgedrungen ist.

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