Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben. Zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Klägerin begehrt die Zahlung von EUR 21.801,25 an Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden. Sie brachte vor, sie sei bei der Ausbildung zur Ablegung der staatlichen Lenkerprüfung für die Führerscheingruppe A bis 125 cm3 auf dem Übungsgelände des Erstbeklagten durch das Fehlverhalten des Zweitbeklagten verletzt worden. Die Klägerin warf dem zweitbeklagten Fahrlehrer folgendes Fehlverhalten vor:
1.) Er habe ein nicht betriebsbereites Motorrad verwendet und es unterlassen, das Motorrad fahrtüchtig zu machen.
2.) Er habe keine Vorkehrungen getroffen, dass bei eingelegtem Gang und starker Betätigung des Gashebels die Kupplung gezogen (gehalten, ausgerückt) bleibe. Er hätte entweder die Kupplung bei eingelegtem Gang selbst halten oder die die Kupplung haltende Hand der Fahrschülerin sichern müssen. Er hätte dabei entweder vor dem Motorrad oder auf der linken Seite des Motorrades stehen müssen. Er hätte die Klägerin anweisen können, den Gashebel zu betätigen und hätte, auf der linken Seite des Motorrades stehend, die Kupplung sichern müssen. Das Verhalten des Zweitbeklagten, den Gashebel stark zu betätigen, ohne selbst Lenker des Motorrades zu sein, sei unsachgemäß und unfallskausal.
Im ersten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt, wobei es die Ansicht vertrat, ein sorgfältiger Fahrlehrer hätte das Motorrad in betriebsbereitem warm gelaufenem Zustand übergeben, dann hätte sich das intermittierende Gasgeben erübrigt.
Diese Rechtsansicht des Erstgerichtes lehnte das Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss mit der Begründung ab, es entspreche auch nicht der späteren Realität, ein "warmgelaufenes" Motorrad in Betrieb zu nehmen. Die Ausbildung in der Fahrschule solle aber die Klägerin auf die spätere Inbetriebnahme eines Motorrades vorbereiten.
Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab, wobei es zum Unfallshergang folgende Feststellungen traf:
Der Zweitbeklagte sollte als beim Erstbeklagten beschäftigter Fahrlehrer die Ausbildung (ua) der Klägerin leiten. Am 9. 5. 1998 fuhr er gemeinsam mit der Klägerin und vier weiteren Personen auf das fahrschuleigene Übungsgelände. Während die drei Leichtmotorräder der Marke Honda CA 125 Rebell abgeladen wurden, erläuterte der Zweitbeklagte deren Handhabung und technische Daten und wies auch auf mögliche Gefahren hin, die durch falsches Verhalten entstehen könnten. Ein "Warmlaufen" des Motorrades, um den Motor in betriebsbereiten Zustand zu versetzen, erfolgte nicht.
Anschließend demonstrierte der Zweitbeklagte die Übung "gehen mit dem Motorrad" entsprechend dem Lehrplan. Er fragte die Anwesenden, ob jemand noch nie auf einem Motorrad gesessen sei, worauf sich die Klägerin meldete. Der Zweitbeklagte forderte sie auf, sich auf das Motorrad zu setzen, wobei die Klägerin aber mit beiden Füßen Bodenkontakt hielt und ziemlich unsicher war. Als sie das Motorrad starten wollte, gelang ihr dies auch nach mehreren Versuchen nicht, was allerdings bei Anfängern nicht ungewöhnlich ist. Der Zweitbeklagte, der neben dem Motorrad stand, startete darauf hin selbst und drehte mehrmals kräftig am Gasgriff. Dies wäre nicht notwendig gewesen, hätte sich das Motorrad in betriebsbereitem Zustand befunden. Das Motorrad wurde, weil ein Gang eingelegt gewesen war, dadurch abrupt nach vorne beschleunigt und fiel auf die linke Seite, wodurch die Klägerin schwer verletzt wurde.
Hinsichtlich des Unfallherganges konnte das Erstgericht lediglich feststellen, dass zu jenem Zeitpunkt, als das Motorrad einen "Satz nach vorne" machte, ein Gang eingelegt war. Nicht festgestellt werden konnte, wann dieser Gang eingelegt worden war und aus welchen konkreten Gründen es dazu kam, dass das Motorrad eine solche abrupte Bewegung machte. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, ob, bejahendenfalls zu welchem Zeitpunkt und allenfalls aus welchen Gründen die Klägerin die Kupplung losließ.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, es sei dem Zweitbeklagten auf Grund der bindenden Rechtsansicht des Berufungsgerichtes im Aufhebungsbeschluss das mehrmalige Auf- und Zudrehen des Gasdrehgriffes in einer Situation, in der die Klägerin als Fahrschulschülerin, die noch niemals auf einem Motorrad gesessen sei, nicht vorzuwerfen. Der Zweitbeklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, der Klägerin ein bereits "warmgelaufenes" Motorrad zu übergeben, wodurch der gegenständliche Unfall jedenfalls vermieden worden wäre. Es sei somit der Klägerin nicht gelungen, dem Zweitbeklagten als Erfüllungsgehilfen des Erstbeklagten ein schuldhaft rechtswidriges Verhalten nachzuweisen.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.
Das Berufungsgericht führte aus, die von der Klägerin begehrte Feststellung, dass beim Motorrad das unterhalb des Tachometers angebrachte "grüne Licht" erlösche, wenn ein Gang eingelegt sei, ergebe sich aus der als Beilage einem Schriftsatz der Beklagten angeschlossenen Bedienungsanleitung des Motorrades. Sowohl die Klägerin als auch der Zweitbeklagte hätten übereinstimmend ausgesagt, dass der Zweitbeklagte bei Betätigen des Gashebels des Motorrades auf der rechten Seite des Motorrades gestanden sei. In technischer Hinsicht sei aus dem von den Beklagten vorgelegten Fahrerhandbuch des Motorrades davon auszugehen, dass dieses nicht gestartet werden könne, wenn ein Gang eingelegt sei und nicht zugleich die Kupplung gehalten werde. Der Zweitbeklagte habe eine ausführliche theoretische Belehrung über die Bedeutung des grünen Kontrolllichtes und die Notwendigkeit des Haltens der Kupplung, wenn der Gang eingelegt sei, vorgenommen. Das intermittierende Gasgeben um zu verhindern, dass der Motor immer wieder absterbe, sei dem Zweitbeklagten nicht vorzuwerfen. Da ein Starten des Motors nicht möglich sei, wenn ein Gang eingelegt sei, müsse entweder die Kupplung gehalten worden sein, oder es sei zu diesem Zeitpunkt kein Gang eingelegt gewesen. Entweder habe die Klägerin den Kupplungshebel ausgerückt gehalten, dann hätte der Zweitbeklagte davon ausgehen müssen, dass sie dies auch weiterhin tun werde; oder es sei der Gang nicht eingelegt gewesen, dann könne dem Zweitbeklagten aber nicht angelastet werden, dass der Gang eingelegt worden sei, während er den Gashebel betätigt habe. Den Motor durch leichtes Auf- und Zudrehen des Gasdrehgriffes warmlaufen zu lassen, sei in der Betriebsanleitung vorgesehen und dem Zweitbeklagten nicht vorzuwerfen. Der Zweitbeklagte sei nicht verpflichtet gewesen, der Klägerin nur ein bereits "warmgelaufenes" Motorrad zu übergeben.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagten Parteien haben in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt hat, worin eine erhebliche Verletzung einer Rechtsvorschrift des Verfahrensrechtes liegt, die der Wahrung der Rechtssicherheit dient (RIS-Justiz RS0042151); sie ist im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.
Die klagende Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, das Berufungsgericht habe Feststellungen getroffen, ohne eine Beweiswiederholung bzw Beweisergänzung durchzuführen; es habe auch die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB nicht berücksichtigt.
Hiezu wurde erwogen:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Beweislast für den Kausalzusammenhang grundsätzlich den Geschädigten trifft. Die Beweislastumkehrung nach § 1298 ABGB betrifft nur den Verschuldensbereich (RIS-Justiz RS0022686).
Wie die Klägerin in ihrem Rechtsmittel zutreffend geltend macht, hat das Berufungsgericht mehrere ergänzende Feststellungen getroffen (Erlöschen des "grünen Lichtes", wenn ein Gang eingelegt ist, der Zweitbeklagte stand bei Betätigen des Gashebels auf der rechten Seite des Motorrades, das Motorrad kann nicht gestartet werden, wenn ein Gang eingelegt ist und nicht zugleich die Kupplung gehalten wird), ohne eine Beweisergänzung durchzuführen. Weiters hat es die Feststellung des Erstgerichtes, es könne lediglich festgestellt werden, dass zu jenem Zeitpunkt als das Motorrad einen "Satz nach vorne" machte, ein Gang eingelegt war, verändert und ist davon ausgegangen, dass entweder die Klägerin den Kupplungshebel nicht weiterhin ausgerückt gehalten oder einen Gang eingelegt hat. Will aber das Rechtsmittelgericht von den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes abgehen, muss es alle zur Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen erforderlichen Beweise, die das Erstgericht unmittelbar aufgenommen hat, selbst wiederholen oder das Protokoll über die Beweisaufnahme in erster Instanz unter den Voraussetzungen des § 281a ZPO verlesen. Auch ergänzende Feststellungen sind nur nach Beweiswiederholung zulässig (RIS-Justiz RS0042151; RS0043026; 2 Ob 285/01b).
Von der Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit durch das Berufungsgericht abgesehen, leidet das Urteil des Erstgerichtes aber an einem Feststellungsmangel der eine gründliche Erörterung und erschöpfende Beurteilung der Streitsache verhindert.
Die Klägerin hat dem Zweitbeklagten zwei Vorwürfe gemacht:
1.) Er hätte das Fahrzeug nur in betriebsbereitem Zustand übergeben dürfen und
2.) er hätte Maßnahmen treffen müssen, dass bei starkem Gasgeben die Kupplung gezogen bleibt; entweder hätte er selbst die Kupplung halten oder die Hand der Fahrschülerin sichern müssen.
Zum ersten Vorwurf (Verpflichtung das Fahrzeug nur in betriebsbereitem Zustand zu übergeben) hat das Berufungsgericht im ersten Rechtsgang die Meinung vertreten, eine solche Verpflichtung bestünde nicht, weil die Ausbildung in der Fahrschule auf die spätere Inbetriebnahme eines Motorrades vorbereiten solle. Diese Argumentation ist aber nicht überzeugend. Vielmehr darf der Fahrlehrer dem Fahrschüler keine Aufgaben stellen, denen dieser nach Ausbildung und Fahrfertigkeit nicht gewachsen ist (Hentschel, Straßenverkehrsrecht37, § 2 dStVG, Rz 41); er hat den Fahrschüler nach Möglichkeit vor Schaden zu bewahren; er hat die Pflicht, den Fahrschüler im Auge zu behalten, dessen Fahrweise sorgfältig zu überwachen und gegebenenfalls einzugreifen. Da der Fahrlehrer bei der Motorradausbildung den Schüler nicht im selben Fahrzeug begleiten kann, besteht eine Verpflichtung zu erhöhter Sorgfalt bei der Überwachung des Schülers (vgl KG, NZV 2004, 93). Keinesfalls soll schon der erste Fahrversuch der Schülerin darin schulen, auch mit einem "kalten" Motor umzugehen. Das Üben unter erschwerten Bedingungen kann noch nicht Gegenstand bereits der ersten Fahrstunde sein. Ob es aber tatsächlich zu den Verpflichtungen eines sorgfältigen Fahrlehrers gehört, einem (ängstlichen) Fahrschüler bei der ersten Fahrstunde nur ein "warmgelaufenes" Motorrad zu übergeben, kann noch nicht beurteilt werden. Ob üblicherweise in einer vergleichbaren Situation einem Fahrschüler nur ein "warmgelaufenes" Motorrad zur Verfügung gestellt wird, wird wohl nur durch Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet Dienstleistungen-Kraftfahrschulen beurteilt werden können.
Auch der zweite, dem Zweitbeklagten gemachte Vorwurf, er hätte Maßnahmen treffen müssen, dass bei starkem Gasgeben die Kupplung gezogen bleibt, kann auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen noch nicht geprüft werden. Auch hier wird es der Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet Dienstleistungen-Kraftfahrschulen bedürfen, um beurteilen zu können, ob und welche Sicherungsmaßnahmen ein sorgfältiger Kraftfahrlehrer üblicherweise trifft.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren deshalb aufzuheben und wird das Erstgericht das Verfahren im aufgezeigten Sinne zu ergänzen haben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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